Kapitel 5
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Tammy schüttelte traurig mit dem Kopf. Sie sah aus, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde. „Sie haben uns weder Besucht, noch angerufen. Sie meinten es ernst, als sie sagten, dass ich für sie gestorben sei. Mein jüngerer Bruder Emille war aber letzten Sonntag hier.“ Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, wenn auch nur für einen Augenblick. „Er konnte aber nur ganz kurz bleiben. Meine Eltern durften nicht wissen, dass er hier war. Ich konnte die Angst, dass sie erführen, dass er noch Kontakt zu mir hat, förmlich in seinen Augen sehen. Trotzdem war es schön, ihn bei mir zu haben, wenn auch nur für einen kurzen Moment.“

 
 
 

Mama und Papa hatten mehr als einmal versucht, mit Frau und Herrn Pinkerton-Bartelby zu sprechen, doch Tammys Eltern ließen nicht mit sich reden. Tammy tat mir so schrecklich leid, aber mehr als ihr Mut zuzusprechen, konnte ich auch nicht tun. Ich war froh zu sehen, dass sich ihre Trauer nicht auf Thassilo übertrug. Sie liebte den Kleinen aufrichtig. Und Sky erging es nicht anders. Tammy und er schienen das Elternsein gut zu meistern. Allerdings waren derzeit noch Sommerferien und ich konnte mir vorstellen, dass alles etwas schwieriger werden würde, wenn die Schule erst einmal wieder los ging.

 
 

 

 

   
   
   

Als ich einige Tage später im Stadtpark spazieren ging, erwartete mich eine weitere Überraschung. Lottchen schlief im Kinderwagen und ich genoss die warme Spätsommersonne, als ich jemanden meinen Namen rufen hörte. Ich öffnete die Augen und entdecke eine winkende Magda, die die Straße querte und auf mich zu kam.

 
   
 

Ich sah bereits ihrem Gesichtsausdruck an, dass sie mir etwas Wichtiges mitteilen wollte. Und ich musste nicht lange auf die Neuigkeit warten. „Claude, ich bin schwanger!“, verkündete sie freudestrahlend. Meine Überraschung stand mir deutlich ins Gesicht geschrieben. „Etwa von Jamie?“, fragte ich verwirrt. Sie hatte in letzter Zeit keinen Freund erwähnt. Und jetzt wo Jamie und sie allein in unserem alten Haus lebten…

 
   
 

„Nein, doch nicht von Jamie“, winkte Magda augenrollend ab. „Wir sind nur noch Mitbewohner und Freunde. Nein, ich bin schwanger von Holden.“ In meinem Kopf begann es zu rattern. HoldenHolden. Dann machte es Klick. „Etwa dein Arbeitskollege Holden?“ Magda nickte eifrig. „Dein verheirateter Arbeitskollege Holden Pierce-Wozny?“, fragte ich weiter, nur um ganz sicher zu gehen.  Bei dem Wort verheiratet verdrehte Magda zwar erneut die Augen, aber sie nickte.

 
   
 

„Holden hat gesagt, er wird seine Frau verlassen“, erklärte Magda. „Zwischen ihm und seiner Frau läuft es schon lange nicht mehr gut. Und jetzt wo ich schwanger bin, hat er eingesehen, dass er keine Zukunft mehr mit ihr hat.“ Plötzlich kam mir ein böser Gedanke. „Du hast es nicht etwa auf diese Schwangerschaft angelegt, damit er sich von seiner Frau trennt, Magda?“ Meine Cousine begann sich unruhig zu winden. „Vielleicht habe ich ein oder zweimal die Pille vergessen“, gestand sie schließlich. „Aber du, Claude, solltest mir deswegen keinen Vorwurf machen. Wer hat sich denn gleich beim ersten Mal von einem Lord schwängern lassen?“ Eins zu null für Magda.

   
   
   

Und eigentlich ging es mich auch gar nichts an, mit wem meine Cousine zusammen war und von wem sie ein Kind erwartete. Ich hatte zwar meine Zweifel, dass ihre Beziehung mit Holden unter diesen Umständen eine Zukunft haben würde, aber sie wirkte glücklich und das war das Wichtigste. Und es würde mich nicht wundern, wenn Magda es doch schaffen würde, all das zu bekommen, was sie sich wünschte. In der Vergangenheit hatte sie das ja schon mehr als einmal bewiesen. Also schob ich all meine Bedenken beiseite und freute mich einfach für sie. Unglaublich, bald würde mein kleines Lottchen noch einen zweiten Cousin oder eine Cousine zum Spielen haben.

 
 

 

 

 
   
 

Und Magda überraschte mich wieder einmal. Kurz vor dem Geburtstermin war sie immer noch glücklich mit Holden zusammen. Er hatte sich von seiner Frau getrennt und die beiden wollten zusammenziehen, sobald das Kind auf der Welt war. Die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft gestalteten sich etwas schwierig, weswegen Magda auch nicht beim ersten Geburtstag meines Lottchens dabei sein konnte. Unglaublich, inzwischen war schon ein Jahr vergangen, seitdem dieses kleine Wunder in mein Leben getreten war.

 
   
 

Die Feier fand im engsten Kreis der Familie statt und alles wurde ganz einfach gehalten. Eine lecker Torte, heiße Würstchen, knusprige Zwiebelringe und Menschen, die ich liebte. Mehr brauchte es für eine gute Party nicht. Und Lottchen würde sich an diesen Tag ohnehin nicht erinnern können, wozu also unnötigen Aufwand betreiben? Meine Schwiegermutter sah das naturgemäß ganz anders und ließ ihren Unmut auch deutlich erkennen. Aber sie war Gast in meinem Haus. Und da sie Wert auf Etikette legte, musste sie auch akzeptieren, dass es mir als Gastgeberin zustand, selbst über die Gestaltung der Feier zu bestimmen.

   
   
 

Lottchen genoss einfach nur den ungewohnten Trubel im Haus. Zunächst hatte sie die vielen Menschen nur kritisch beäugt. Doch Papa braucht nur eine Grimasse zu ziehen und schon gluckste sie vor Freude. Jetzt, mit einem Jahr war ganz deutlich zu erkennen, dass sie Francescos Tochter war. Hätte meine Schwiegermutter nicht sofort einen Vaterschaftstest verlangt, spätestens jetzt wären alle Zweifel aus der Welt geräumt gewesen. Lottchen hatte Francescos olivfarben Haut, seine dunklen Haare und seine eisblauen Augen. Ich war fast schon enttäuscht, dass sie mir überhaupt nicht ähnlich sah. Aber das war vielleicht auch gut so…immerhin war ich nicht gerade eine Schönheit, auch wenn ich mit dem richtigen Styling inzwischen das Beste aus mir herausgeholt hatte.

 
     
 

Obwohl es Lottchens Party war, war sie doch die erste, die ins Bett musste. Wir Erwachsenen feierten hingegen noch weiter. Und wie es bei meiner Familie nun mal üblich war, wurde früher oder später das Radio aufgedreht und ausgelassen getanzt. Mama war natürlich die Erste auf der Tanzfläche. Und sogar mein sonst so zurückhaltender Mann konnte sich ihrem Charme nicht entziehen und wagte ein Tänzchen. Eine rundum gelungene Party.

 

 

 

Teil 7

 
   
 

Wenige Tage nach Lottchens Geburtstag brachte Magda einen gesunden Jungen zur Welt. Meine Cousine mochte wohl mehr über Männer wissen, aber in Sachen Umgang mit Babys hatte ich ihr einiges voraus. Und so war zum ersten Mal ich es, die Magda etwas zeigen konnte. Der kleine Rocky wohnte in meinem alten Zimmer, das Magda und Holden zu einem gemütlichen Kinderzimmer umgebaut hatten. Und was für mich das erstaunlichste war: Magda und Holden waren immer noch zusammen. Und nach Rockys Geburt war er tatsächlich bei ihr eingezogen.

 
     
 

Ich hatte ein wenig Bedenken, wie Jamie sich mit dieser Situation arrangieren würde. Irgendwie stellte ich es mir nicht so toll vor, mit der Ex-Freundin und deren neuen Mann unter einem Dach zu leben. Aber sowohl er als auch Magda behaupteten, dass es ihnen nichts ausmachen würde. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihren Beteuerungen Glauben zu schenken. Und daher genoss ich es einfach, wieder in der Cilia Gade zu sein. Natürlich hatten sich hier seit meinem Auszug einige Dinge verändert, aber irgendwie fühlte es sich immer noch wie Zuhause an. Selbst ein einfacher Käsetoast schmeckte hier besonders gut. Daran konnte selbst Magda mit ihren Worten, „Ich hoffe, du hast den Light Käse genommen. Dein Kleid sitzt ohnehin schon so eng an der Hüfte“, nichts ändern.

 
   
   

Doch ich fühle mich auch in meinem neuen Zuhause, Haus Vanderley, wohler und wohler. Und dazu hatte Lottchen nicht im Unwesentlichen beigetragen. Inzwischen krabbelte sie wie eine Weltmeisterin im ganzen Haus herum. Es war undenkbar, sie jetzt noch in ein Körbchen neben der Staffelei legen zu wollen, um in Ruhe zu malen. Aber schließlich fand ich ein Mittel, um sie wenigstens für eine Weile zu Beschäftigen. Den Steckkasten mit den bunten Bauklötzen liebte sie abgöttisch.

   
   
 

Und ich liebte es, ihr beim Spielen zuzusehen. Ich wollte diesen Moment festhalten, also begann ich erneut sie zu malen. Jetzt wo sie sich bewegte, war es noch schwieriger als beim ersten Mal, wo sie noch ein Baby war. Und es brauchte auch mehrere Anläufe, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war. Immerhin musste ich mir als Lady von Rodaklippa nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, wie ich die Farben und Leinwände bezahlen konnte. Nein, über finanzielle Fragen musste ich mich nie wieder sorgen.

     
 

Doch Lottchen liebte nicht nur den Steckkasten, sondern auch ihr kleines Glockenspiel. Ich war mir sicher, dass diese frühkindliche musikalische Förderung sicher einmal sehr sinnvoll sein werden würde, aber das ständige Geklimper schlug mir doch arg auf die Nerven. Zum Glück war Francesco in dieser Hinsicht sehr viel härter im Nehmen. Im schien der Krach überhaupt nichts auszumachen und wenn er Zeit dafür fand, saß er so lange bei Lottchen, wie sie Lust zu spielen hatte.

   
   
 

Diese Momente nutze ich dann, um ungestört zu malen. Mein Kopf war voller Ideen. Mir fehlte lediglich die Zeit, sie auch umzusetzen. Wenn ich malte, dann hatte ich das Gefühl, wieder zu mir zu finden. Mit der Palette in der einen und dem Pinsel in der anderen Hand wurde ich wieder zu Klaudia. Schüchtern, nicht gerader hübsch, dafür aber eine leidenschaftliche Malerin. Unterstützt wurde dieses Gefühl von der Tatsache, dass das Malen die einzige Tätigkeit war, wo ich ganz offiziell auf die schicken Klammotten verzichten konnte. Es wäre ja viel zu schade, wenn ich sie mit den Farben bekleckert hätte. Und in einem Schlabbershirt und einem bequemen Baumwollrock fühlte ich mich einfach am wohlsten.

 
     
 

Und noch mehr Zeit zum Malen gewann ich durch unser Hausmädchen Fionna. Meine Schwiegermutter lag mir schon seit der Hochzeit damit in den Ohren, dass wir ein Hausmädchen einstellen sollten. Immerhin ginge es nicht an, dass die Lady von Rodaklippa sich selbst die Hände mit niederer Hausarbeit schmutzig machte. Nun, obwohl ich ein sehr ordentlicher Mensch war, konnte ich mir auch schönere Dinge als Putzen vorstellen. Aber der Gedanke, ständig eine fremde Person um mich zu haben, war mir nicht geheuer. Letztendlich verhinderte die angespannte Haushaltslage der Lordschaft lange Zeit die Einstellung eines Hausmädchens und ich dachte schon, dass das Thema vom Tisch sei, bis…nun bis Fionna auf einmal vor der Tür stand. Es dauerte eine Weile, aber schließlich hatte ich mich an ihre Gegenwart gewöhnt. Und inzwischen war ich ihr sehr dankbar für die Arbeit, die sie mir abnahm.

 

 

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kor. 27.05.2015