Kapitel 5
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Zu Weihnachten lag eine dicke Schneedecke über Rodaklippa. Den Heiligen Abend verbrachten wir auf Vanderley. Meine Eltern, Sky, Tammy und Thassilo, Magda, Holden und Rocky, meine Schwiegermutter, Alexis, ihr Freund John und sogar Tante Joanna waren gekommen. Und da jeder ein Geschenk mitbrachte, türmte sich bald schon ein riesiger Geschenkehaufen neben dem geschmückten Tannenbaum auf.

 
 
 

Wir stimmten den Abend mit einigen Weihnachtsliedern an. Alexis spielte auf dem Keyboard und der Rest von uns sang mit…nicht unbedingt schön, aber voller Begeisterung.

 
     
 

Unsere der Kleinsten waren natürlich besonders aufgeregt. Für Lottchen und Thassilo war es bereits das zweite Weihnachtsfest. Aber in diesem Jahr bekamen sie zum ersten Mal richtig mit, dass es etwas ganz besonderes war. Und so wollten wir sie auch nicht länger auf die Folter spannen und ließen sie ihre Geschenke auspacken.

 
     
 

Anschließend waren wir Erwachsenen an der Reihe. Reihum durfte jeder zu dem Berg von Geschenken gehen, ein Geschenk herauspicken und es demjenigen überreichen, für den es bestimmt war. Derweil las Magda uns und den Kleinen aus der Weihnachtsgeschichte vor.

 
   
 

Als jeder seine Geschenke ausgepackt und begutachtet hatte, mussten wir nur noch auf das Essen warten. Zu diesem Anlass hatte Lady Eleonore extra ihr Haumädchen mitgebracht, die in der Küche Zugange war, während wir uns im Wohnzimmer unterhielten. Meine Schwiegermutter hatte Lottchen auf den Arm genommen und meine Kleine kuschelte ihr Köpfchen an ihre Oma. „Gefällt dir die Puppe, die die Oma die geschenkt hat, Elisabettchen?“, fragte sie und ich konnte hören, wie meine Tochter ein schüchternes „Ja“ nutschelte. Ich war froh, dass Eleonore ihre Enkelin so sehr mochte. Was mir aber böse aufstieß war, dass sie Lottchen zum wiederholten Mal mit ihrem zweiten Vornamen ansprach. „Eleonora, es wäre mir Recht, wenn du Karlotta bei ihrem ersten Vornamen ansprechen würdest.“ Es kostete mich einige Überwindung, diese Bitte auszusprechen, aber es musste einfach sein. „Du verwirrst Lottchen nur, wenn du sie Elisabetta nennst.“

 
   
 

Falls ich auf Einsicht meiner Schwiegermutter gehofft hatte, so wurde ich schnell eines Besseren belehrt. „Ach Klaudia, du übertreibst doch maßlos. Ich verwirre meine Enkelin doch nicht, nicht wahr Elisabettchen? Du magst es doch, wenn Omi dich so nennt? Elisabetta ist doch ein wundervoller Name?“ Zur Bestätigung begann meine Tochter fröhlich zu glucksen, was aber auch daran liegen mochte, dass Eleonore sie sanft kitzelte. „Da hörst du es, Klaudia“, sagte sie selbstzufrieden. „Und hätten Francesco und du gleich auf mich gehört und unserer Prinzessin Elisabetta statt Karlotta genannt, dann hätten wir jetzt überhaupt kein Problem.“ Geschlagen blickte ich zu Boden. Was sollte ich denn jetzt noch erwidern?

 
     
 

Hilflos blickte ich mich im Raum um. Und tatsächlich entdeckte ich Francesco, der unweit von uns an der Treppe stand und das Gespräch sicher mitbekommen hatte. Mit flehendem Blick bat ich stumm um Hilfe. Er brauchte nur ein Wort zu sagen und ich war mir sicher, dass Eleonore unserer Kleine nie wieder Elisabetta nennen würde. Doch Francesco sah mich lediglich mürrisch an und schüttelte langsam mit dem Kopf. Er hatte mir unmissverständlich klar gemacht, dass er sich nicht mehr zwischen mich und seien Mutter stellen würde. Und daran würde sich nichts ändern. Das allein schmerzte schon. Aber es schmerzte noch mehr zu sehen, dass Eleonore die Szene zwischen mir und Francesco erfasst hatte. Sie hatte gewonnen und das wusste sie auch genau.

 
     
 

Zum Glück rief uns Anke in dem Moment zu Essen. Andernfalls wäre ich vor meinen Gästen in Tränen ausgebrochen und hätte meiner Schwiegermutter einen noch größeren Triumpf bereitet. Ich verschwand nur kurz im Badezimmer, um mich ein wenig zu sammeln und gesellte mich dann aufgesetzt fröhlich zu den übrigen, als ob nichts vorgefallen wäre.

 
   
 

Das Essen war köstlich, aber ich hatte von Anke auch nichts anderes erwartet. Nach dem Essen saßen wir alle noch zusammen, unterhielten uns und genossen das ein oder andere Gläschen Wein. Doch irgendwann wurden die beiden Jungs müde und quengelig und so verabschiedete sich meine Familie. Alexis, John und Eleonore blieben noch etwas länger. Und während sich Francesco mit seiner Schwester und deren Freund bei einem weiteren Glas Wein unterhielt, nahm mich meine Schwiegermutter beiseite. „Klaudia, Elisabetta“, sie genoss es sichtlich, diesen Namen auszusprechen, „wird in wenigen Monaten zwei. Es wird an der Zeit, dass Francesco und du euch um die Bildung der Kleinen kümmert. Da du es bislang abgelehnt hast, eine Gouvernante für Elisabetta einzustellen, wird es höchste Zeit, dass sie in einen Kindergarten kommt.“ „Meinst du nicht, dass das etwas früh ist?“, entgegnete ich. „Ich will Lottchen nicht aus ihrer vertrauten Umgebung reißen. Und außerdem bin ich doch Zuhause und kann mich um sie kümmern. Und Rocky und Thassilo kommen häufig zum Spielen vorbei, Lottchen ist also nicht allein. Ich sehe also wirklich keinen Bedarf dafür, sie in den Kindergarten zu schicken oder gar eine Gouvernante einzustellen.“

 
     
 

„Nun Klaudia, wenn du Elisabetta in den Kindergarten geben würdest, hättest du mehr Zeit, um gewissenhafter deinen Pflichten als Lady von Rodaklippa nachzukommen.“ Ihre Worte waren ein erneuter Schlag ins Gesicht „Tue…tue ich etwa nicht alles, was von mir erwartet wir.“ Fragte ich verunsicherter, als es mir lieb war. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass ich wenigstens meine Rolle als Lady Hartfels gut spielte. „Das Volk ist dir zugetan, Klaudia. Aber das ist auch nicht schwer, wenn man selbst aus dem Volk kommt. Und solange Elisabetta noch klein ist, werden dir die Herzen der Menschen weiterhin zufliegen. Aber du hast es bislang vernachlässigt, die anderen Lords und Ladys von dir zu überzeugen. Du lässt dich nicht oft genug auf Partys und Festen blicken. Du besuchst zu selten wohltätige Veranstaltungen. Und eine eigene Wohltätigkeitsgala oder eine Tombola hast du auch noch nicht organisiert. In den Augen der übrigen Lords und Ladys hast du bislang sehr wenig getan. Sie könnten glauben, dass du deine Pflichten nicht ernst nimmst und dich auf deinen Privilegien ausruhen willst. Es muss sich also dringend etwas ändern, Klaudia.“

 
   
   

Meine Schwiegermutter musste gar nicht weiter sprechen. Sie hatte mir jetzt schon ein schlechtes Gewissen gemacht. Ich musste mich mehr anstrengen und ich sah ein, dass das nur ging, wenn ich Lottchen in den Kindergarten gab. „Du…du hast vermutlich Recht.“ „Sicher habe ich das, Kind.“ „Ich werde noch einmal mit Francesco darüber sprechen. Und dann werden wir Lottchen gleich im neuen Jahr im städtischen Kindergarten anmelden. Vielleicht ist ja auch ein Platz für Thassilo und Rocky frei, dann wäre Lottchen nicht so allein.“ Das plötzliche Schrille lachen meiner Schwiegermutter ließ mich zusammenzucken. „Kind, du beliebst doch wohl zu scherzen. Du kannst Elisabetta doch nicht in einen städtischen Kindergarten geben. Du weißt durch Francesco doch sehr genau, wie leer die Stadtkassen momentan sind. In einer städtischen Einrichtung wird ihr nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie für ihre optimale Entwicklung braucht. Dort wird sie im besten Fall aufbewahrt, und dann könntest du sie genauso gut gleich bei dir behalten. Nein, unserer Elisabetta muss selbstverständlich eine private Einrichtung besuchen. Ich halte die Einrichtung bei den Balmoral Hügeln am Stadtrand für angemessen. Die Kinder meiner guten Freundin Lady Klippenbruch waren dort und sie hatte nur positives zu berichten.“ Die Klippenbruchs waren die zweite in Rodaklippa ansässige Adelsfamilie. Die beiden Kinder waren inzwischen allerdings bereits im Grundschulalter.

 
   

„Im Balmoral Kindergarten wird Elisabetta in den Genuss der besten frühkindlichen Förderung kommen“, erzählte Lady Eleonore weiter. „Die Erzieherinnen legen einen großen Wert auf intensives Sprachtraining und eine frühzeitige musikalische Bildung. Und Elisabetta hat dort die Möglichkeit, ihre ersten gesellschaftlichen Kontakte zu knüpfen. Nicht das ich etwas gegen Thassilo oder Rocky hätte, es sind reizende Kinder“, ihr Tonfall strafte ihre Wort Lüge, „aber Elisabetta muss Kinder kennen lernen, die ihr in sozialer Stellung näher stehen. Das ist wichtig für ihre Entwicklung.“ Sie hatte mich schon fast überzeugt. Doch mit ihrem letzten Satz überkam mich mit einem Mal das Gefühl, dass es meiner Schwiegermutter nur darum ging, dass Lottchen möglichst früh vom einfachen Volk getrennt werden sollte. Und das wollte mir nicht schmecken.

 
   
 

„Nein, Eleonore, ich gebe dir Recht, dass Lottchen einen Kindergarten besuchen sollte, aber der städtische Kindergarten wird diesen Zweck wunderbar erfüllen. Ich halte es für wichtig, dass sie mit Kindern aus allen sozialen Schichten zusammen kommt. Für ihre künftige Rolle als Lady von Rodaklippa ist das von größter Wichtigkeit. Und denk doch nur was für ein positives Bild das auf unsere Familie werfen würde. Es würde zeigen, dass Francesco vollstes Vertrauen in unser staatliches Bildungswesen setzt.“ Doch meine Schwiegermutter reagierte sehr ungehalten auf meinen Einwand. „Jetzt mach dich doch nicht lächerlich, Klaudia. Ich will nur das Beste für meine Enkelin und der Kindergarten in den Balmoral Hügeln ist das Beste für sie. Lass nicht zu dass dein verletzter Stolz ihren Zukunftsaussichten im Weg steht. Elisabetta ist nicht wie andere Kinder. Sie ist eine Lady. Je früher sie das begreift, und auch du das begreifst, desto besser für uns alle. Und nun entschuldige mich Klaudia. Ich sag noch meiner Enkelin und meinem Sohn Gute Nacht und dann werde ich nach Hause fahren.“

 
     
 

Während Francesco unsere verbliebenen Gäste an der Tür verabschiedete, setzte ich mich gedankenversunken auf das Sofa in dem nun leeren Wohnzimmer. Hatte Eleonore Recht? Stand mein Stolz meiner Tochter tatsächlich im Weg? War ich nur deswegen gegen diesen elitären Kindergarten, weil ich selbst in einfachen Verhältnissen ausgewachsen war? Wollte ich nur aufgrund von Prinzipien meiner Tochter den besten Start in ihre Zukunft verwehren?

 
   
   

„Stimmt etwas nicht, Klaudia?“ Francesco hatte den Raum betreten und setze sich nun zu mir auf das Sofa. „Sonst strahlst du zu Weihnachten doch vor Freude. Was bedrückt dich?“ Ich wollte zunächst antworten, dass alles in Ordnung sei. Seine Anteilnahme überraschte mich und gerade deswegen wollte ich nicht zugeben, dass ich wieder einmal mit seiner Mutter aneinandergeraten war. Ich wusste ja, wie er dazu stand. Aber hier ging es nicht nur um mich, sondern vor allem um Lottchens Zukunft. Also erzählte ich ihm von meiner Auseinandersetzung mit Eleonore.

   
   
 

Zu der Namensfrage äußerte er sich auch jetzt nicht. Das war ein Kampf, den ich allein austragen würde müssen. Denn Lottchen fand es toll, von ihrer Oma Elisabetta genannt zu werden. Sie hatte kein Problem mit diesem Namen. Ich hatte ein Problem damit. Und auch nur deshalb, weil ich wusste, dass mir Eleonore mit dessen Benutzung eins auswischen wollte, weil ich mich bei Lottchens Geburt gegen ihren Namensvorschlag aufgelehnt hatte. Was den Kindergarten betraf, so pflichtete er allerdings seiner Mutter bei. „Der Balmoral Kindergarten hat einen sehr guten Ruf. Wir sollten ihn uns auf jeden Fall ansehen. Und Mutters Einwände gegen den städtischen Kindergarten sind nicht unbegründet. Ich habe erst heute die Entlassung einer weiteren Erzieherin unterschreiben müssen. Darüber hinaus bezweifle ich, dass Karlotta dort gut vor der Presse abgeschirmt werden würde. Die Reporter ständen bestimmt ständig bei den Eltern der anderen Kinder auf der Matte. Der städtische Kindergarten ist einfach zu öffentlich. In einer privaten Einrichtung könnte sie sich sehr viel geschützter entwickeln.“

     
 

Obwohl er dieselbe Ansicht wie seine Mutter vertrat, waren Francescos Argumente ganz andere. Mit seiner sonoren Stimme hatte er mich sofort davon Überzeugt, dass es richtig war, Lottchen in den Balmoral Kindergarten zu schicken. „Könntest du mich in den Arm nehmen?“, bat ich schließlich schüchtern, nachdem ich zugestimmt hatte, den Kindergarten gleich im neuen Jahr in Augenschein zu nehmen. Francesco hob zwar verwundert die Augenbrau, aber er legt dann ohne zu protestieren seinen Arm um mich und hielt mich fest. Ein zufriedener Seufzer entfuhr meine Brust. In seinen Armen erschienen mir die Probleme mit seiner Mutter plötzlich gar nicht mehr so schlimm. Und ich versuchte diesen Moment so lange es ging festzuhalten, denn ich wusste nur zu gut, wie schnell er wieder vorbei sein würde.

   

 

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kor. 23.08.2015