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            Sky bat darum, sich in sein Zimmer zurückziehen zu dürfen.  Er musste jetzt erst einmal etwas alleine sein. Und natürlich ließ Mama ihn  ziehen. Derweil kochte sie uns einen heißen Kräutertee zur Entspannung der Nerven und wir  setzten uns an den Esstisch im Wohnzimmer. „Sky hat Angst“, erklärte ich Mama,  nachdem ich den ersten Schluck genommen hatte. „Er fürchtet, dass er sich seine  ganze Zukunft verbaut hat.“ Doch Mama winkte beschwichtigend ab. „Ja, er wird  es jetzt schwere haben, keine Frage. Aber ein Kind ist kein Weltuntergang,  insbesondere, da dein Vater und ich vorerst für alles Finanzielle aufkommen  können. Und dein Bruder ist bereits 16. Er ist zwar noch jung, aber auch kein  Kind mehr. Ich bin mir sicher, dass er mit der Verantwortung wird umgehen  können, wenn wir ihn unterstützen.“  | 
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            „Ich war ja auch erst 19, als ich mit Kinga schwanger  wurde“, fuhr Mama fort. „Das sind nur drei Jahre mehr. Und ich stand ohne meine  Eltern da.“ Doch dann wurde sie etwas nachdenklicher. „Aber ich hatte deinen  Vater an meiner Seite. Und mit seinen 27 Jahren hatte er deutlich mehr  Lebenserfahrung als ich. Er war mir eine große Hilfe, auch wenn ich das nicht  immer zu schätzen wusste. Ich hoffe sehr, dass sich Sky und Tamara auch  gegenseitig unterstützen werden. Aber zur Not hat er ja uns, seine Familie.“  | 
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            Und ganz plötzlich begann sie zu lächeln. „Zwei Enkelkinder!  Und beide ganz in der Nähe! Ich weiß, für Sky ist das sicher nicht optimal,  aber der Gedanke bald zwei süße Enkelkinder in den Armen halten zu dürfen ist  einfach zu schön.“ Ich konnte Mama in dieser Hinsicht gut verstehen. Denn auch  ich freute mich ja, dass meine kleine Tochter einen Spielkameraden im gleichen  Alter haben würde.    | 
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            Kurz darauf kehrte Papa wieder heim. Und wie meine Mutter es  vorausgesagt hatte, hatte er sich inzwischen wieder beruhigt. Gemeinsam kamen  sie überein, dass es das Beste wäre, sich noch heute mit den Eltern von Tamara  zu treffen, um das weiter Vorgehen zu besprechen. Da ich unbedingt erfahren  wollte, wie sich diese Zusammenkunft gestalten würde, wartete ich im Haus  meiner Eltern auf ihre Rückkehr und las in einem Buch für werdende Mütter,  welches Mama für mich gekauft hatte.   | 
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            Das Buch war so „spannend“, dass ich beim Lesen einnickte.  Erst das laut Zuschlagen der Haustür riss mich aus meinen Träumen. Und sogleich  betrat Papa fuchsteufelswild das Wohnzimmer. „Was bilden diese Leute sich  eigentlich ein? Ich habe noch nie so spießige und bornierte Menschen erlebt. Es  ist nicht zu fassen!“ Meine Mutter war direkt hinter ihm und sie sah keineswegs  glücklicher aus. „Und das wollen gottesfürchtige Menschen sein?“, schnaubt e  sie. „Mir scheint, die haben die Wort Nächstenliebe und Vergebung noch nie gehört. Christen!  Dass ich nicht lache!“  | 
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            „Was ist denn passiert?“, fragte ich daher sogleich und  sprang aus dem Sessel auf. Offenbar war der Besuch bei Tamaras Eltern nicht wie  erhofft verlaufen. „Was passiert ist? Diese Idioten haben erst deinen Bruder  und dann uns wüst beschimpft. Die schwafelten die ganze Zeit etwas von ‚Sünde‘  und ‚Entehrung der Familie‘ “, berichtete Papa. „Aber damit noch nicht genug. Nachdem  Tamaras Vater uns auf die Straße gesetzt hatte, hörten wir aus dem Haus nur  noch großes Geschrei. Und dann flogen auch schon Kleidungsstücke und Tamaras  andere persönliche Gegenstände aus dem Fenster. Und schließlich mussten wir mit  ansehen, wie ihr Vater Tamara selbst unsanft durch die Tür beförderte. ‚Dein  sündiger Leib wird diese Türschwelle nicht noch einmal überschreiten‘, das  waren exakt seine Worte an seine Tochter.“  | 
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            Erst jetzt nahm ich die beiden Gestalten wahr, die langsam  aus dem Flur ins Wohnzimmer schritten. Tamaras Gesicht war vollkommen  ausdruckslos, aber ich konnte genau erkennen, dass sie heftig geweint hatte.  Mein Bruder redete tröstend auf sie ein und strich ihr liebevoll über den Arm,  aber sie schien beides nicht zu bemerken. Sie stand eindeutig unter Schock.  „Wir haben Tamara natürlich sofort mit uns genommen“, erklärte Mama. „In diesem  Zustand konnten wir sie ja schlecht allein zurück lassen. Wir werden noch mal  versuchen, mit ihren Eltern zu sprechen, aber vorerst wir sie bei uns bleiben.“  | 
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            Ich blieb noch zum Abendessen. Mama schmierte in der Küche  ein paar Stullen für alle und Tamara und ich trugen die Teller schon einmal ins  Esszimmer. Ich hatte meinen Teller gerade abgestellt, als ich ein sehr  unangenehmes Ziehen in meinem Bauch bemerkte. Erst dachte ich, meine Kleine  hätte mich wie so oft getreten, bevorzugt gegen eines meiner inneren Organe.  Aber dieses Ziehen war anders und entwickelte sich rasend schnell zu einem mehr  als unangenehmen Schmerz. Ich stöhnte leise auf und griff mir an den Bauch.  „Lady Hartfels, ist mit Ihnen alles in Ordnung?“, fragte Tamara erschrocken. Doch  so schnell der Schmerz gekommen war, war er auch wieder vorbei. Ich konnte also  Entwarnung geben. Lady Hartfels, wie  seltsam sich diese Worte doch aus dem Mund der Freundin meines kleinen Bruders  angehört hatten. Ich würde mich noch daran gewöhnen müssen, in Zukunft von den  meisten Menschen so genannt zu werden.  | 
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            Der plötzliche Schmerz war verschwunden, allerdings nur für  die nächsten Minuten. Schon beim Essen spürte ich immer wieder dieses seltsame  Ziehen. Doch als ich dann Mama half den Tisch abzuräumen und das dreckige  Geschirr in die Küche trug, durchfuhr es mich erneut mit ganzer Heftigkeit.  „Spatz, geht es dir nicht gut?“, fragte nun auch Mama. Doch sie musste mich nur  einmal anblicken um zu erkennen, was los war. „Spätzchen, das sind die Wehen“,  erklärte sie schmunzelnd. Doch ich schüttelte heftig mit dem Kopf. „Nein, das  kann nicht sein. Der errechnete Termin ist doch erst in vier Tagen! Das können  also noch gar nicht die Wehen sein!“ Doch noch bevor Mama darauf antworten  konnte, spürte ich plötzlich, wie mir warmes Wasser das Bein hinunterlief.  Entsetzt riss ich die Augen auf. Oh oh…war das…war das etwa die Fruchtblase?  | 
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            Doch bevor ich auch nur weiter darüber nachdenken konnte  durchfuhr mich auch schon die nächste Schmerzwelle, dir mir fast die Sinne  raubte. Ein animalischer Schrei entfuhr meiner Kehle, der dazu führte, dass  Papa, Sky und Tamara panisch in die Küche angelaufen kamen.   | 
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            „Was ist passiert?“, fragt Papa alarmiert. Mama war die  einzige, die gelassen blieb. „Bei unserem Pummelchen haben die Wehen  eingesetzt. Du wirst also gleich Großvater, Nick.“ Doch ihre Worte führten  nicht dazu, dass mein Vater sich beruhigte, ganz im Gegenteil. „Hier?! Jetzt?!  Wir sind auf eine Hausgeburt doch  gar  nicht vorbereitet!“ Papas Panik übertrug sich auch auf Sky, der panisch  zwischen Mama und mir hin und her blickte und die Hände über dem Kopf  zusammenschlug. Doch Mama blieb weiterhin gelassen. „Von Hausgeburt kann doch  gar keine Rede sein“, erwiderte sie schmunzelnd. „Das Baby kommt vermutlich  erst in einigen Stunden. Wir haben noch viel Zeit. Also los, Dominik, hol‘ das  Auto aus der Garage und dann fahren wir alle zusammen zum Krankenhaus.“  | 
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            Jetzt, wo er eine klare Aufgabe hatte, beruhigte sich mein  Vater augenblicklich und befolgte unverzüglich die Anweisungen meiner  Mutter. Während Sky versuchte, Francesco  zu erreichen, fuhren meine Eltern mich ins Krankenhaus. Sky und Tamara würden  später mit der U-Bahn nachkommen. Am Empfang des Krankenhauses musste nur  einmal der Name „Lady Hartfels“ fallen und sofort wurde ich von mehreren  Krankenschwestern umringt, die sich um mich kümmerten und mich für die  Entbindung vorbereiteten. Dr. March wurde unverzüglich gerufen und er  bestätigte, dass es sich um keinen Fehlalarm handelte und mein Baby tatsächlich  zur Welt kam. Da Francesco noch nicht eingetroffen war, bat ich meine Mutter  mich in den Kreißsaal zu begleiten. Die Schmerzen waren zunächst noch  erträglich, doch das sollte sich bald ändern.  | 
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            In diesem Moment war ich so dankbar, dass Mama bei mir war  und ich diese Tortur nicht allein durchstehen musste. Selbst wenn Francesco  hier gewesen wäre, ich hätte mir immer Mama an meiner Seite gewünscht, denn sie  wusste genau, wie sie mich unterstützen und mit Kraft geben konnte. Dr. March  fragte, ob ich etwas gegen die Schmerzen haben wollte, doch bevor ich mich dazu  durchringen konnte, musste ich erneut pressen und mit einem Rutsch war auch  schon alles vorbei. Ich konnte mich nur noch daran erinnern, wie Mama mir  beruhigend über die Haare strich und wie ich meine kleine Tochter zum ersten  Mal schreien hörte. Dann wurde um mich herum alles schwarz.   | 
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            Als ich wieder zu mir kam, war ich nicht länger im  Kreißsaal, sondern bereits auf dem Zimmer. Erschrocken richtete ich mich auf,  merkte aber sofort, dass sich die Welt erneut zu drehen begann. „Langsam,  Spätzchen“, hörte ich die sanfte Stimme meiner Mutter. „Dein Kreislauf muss  erst einmal wieder in Gang komme.“ Sie erhob sich aus einem Stuhl am Fenster.  Und in ihren Armen hielt sie ein winziges Bündel. Neugierig reckte ich meinen  Hals um einen Blick auf meine Tochter zu erhaschen. Mama kam zu mir ans Bett  und beugte sich mit der Kleinen zu mir herab, damit ich sie genau in  Augenschein nehmen konnte. Sie war so winzig! Das süßte Baby, das ich je  gesehen hatte.   | 
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            Während ich vorsichtig mit meinen Fingern über den schrumpeligen  Kopf meiner Tochter fuhr, ging die Tür zum Krankenzimmer auf und Papa und Sky  kamen herein. Beide traten sie zu mir ans Bett. Papa lächelte selig und blickt  abwechselnd mich und dann wieder seine Enkeltochter in den Armen meiner Mutter  an. Sky beglückwünschte mich überschwänglich und klatschte begeistert in die  Hände. Ich hielt das für ein wunderbares Zeichen. Wenn er sich so für mich  freuen konnte, würde er sich bestimmt auch schon bald auf sein eigenes Kind  freuen können.   | 
             
           
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            Und ich freute mich wahnsinnig über mein Kind. Kreislauf hin  oder her, ich konnte nicht mehr länger ruhig im Bett bleiben. Ich musste meine  Tochter in den Arm nehmen. Meine Mutter versuchte gar nicht erst, mich davon  abzuhalten und übergab mir behutsam das kleine Würmchen. Wellen des Glücks  durchströmten mich, als ich ihren wunderbaren Duft einsaugte und ihre winzigen  Fingerchen meinen Hals berührten.   | 
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            Kurz darauf betrat Francesco das Krankenzimmer. „Es tut mir  leid, dass ich nicht früher hier sein konnte“, entschuldigte er sich. Seine  Stimme ließ erkennen, dass er es ernst meinte. „Die Ratssitzung wollte einfach  kein Ende nehmen. Und das ist also unser kleines Mädchen?“, fragte er, als er  bei mir war. Beiläufig drückte er mir einen Kuss auf die Stirn und ich merkte,  wie meine Gefühle sofort wieder begannen Purzelbäume zu schlagen. Klaudia, er liebt dich nicht! Ich musste  mich selbst ermahnen, nicht in mein altes Verhaltensmuster zu verfallen. Aber  es fiel mir nicht leicht. Vorsichtig legte ich ihm unsere Tochter in den Arm.  Ich spürte, wie er jeden Muskel anspannte, aus Angst sie fallen zu lassen oder  sie zu zerdrücken. Aber als sie friedlich in seinen Armen lag, entspannte er  sich wieder. Ich beugte mich über seine Schulter und gemeinsam schauten wir uns  unsere Prinzessin an. „Sie ist uns ganz gut gelungen“, bemerkte Francesco. Ein  Lächeln zeichnete sich deutlich auf seinen Lippen ab. Was auch immer er für  mich empfand, es war deutlich, dass seine Gefühle für unsere Tochter sehr viel  stärker waren. Aber diese Erkenntnis machte mich nicht eifersüchtig. Viel mehr  gab sie mir Gewissheit, dass unsere Tochter trotz der schwierigen Beziehung  zwischen Francesco und mir nicht würde leiden müssen.  | 
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