Kapitel 6
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6. Aufgabe

   

Was bisher geschah:
(Zusammenfassung der vorherigen Kapitel)

Mit dreiundzwanzig musste ich mir eingestehen, dass ich mich mit meinem Mathematikstudium übernommen hatte und gescheitert war. Aber vor meinen Eltern konnte ich diese Niederlage nicht eingestehen. So zog ich zwar zurück in meine Heimatstadt Rodaklippa, versteckte mich aber vor meiner Familie. Dass das nicht lange gut gehen konnte, war klar. Und entgegen meiner Befürchtungen, hatten meine Eltern Verständnis für mich.

Mein Leben hätte jetzt ruhige Bahnen nehmen können. Doch dann tauchte plötzlich meine Cousine Magda bei mir auf und suchte Unterschlupf. Sie hatte ihr Studium hingeschmissen und versteckte sich nun ebenfalls vor ihren Eltern. Aber natürlich fand ihre Mutter, meine Tante Joanna, sie sehr schnell bei mir. Sie drehte ihrer Tochter den Geldhahn zu und diese musste nun selbst zusehen, wie sie zurechtkam.

Aber Magda war wie eine Katze, die immer auf ihre Füße fiel. Sie nahm sich vor, ein berühmter Rockstar zu werden, und verzeichnete bald erste Erfolge. Doch auch ich blieb nicht tatenlos. Seit meiner Kindheit malte ich gerne und zudem auch noch gut. Eine Freundin überzeugte mich davon, mich mit meinen Bildern an eine Kunstgalerie zu wenden. Und schon bald kam ich zu einem gewissen Ansehen als freischaffende Malerin.

Beruflich lief alles gut, dafür lies mein Liebesleben zu wünschen übrig. Besser gesagt, es war nicht vorhanden. Noch nie hatte ein Mann mich geküsst, ganz zu schweigen davon, dass ich einen festen Freund gehabt hätte. Dabei wünschte ich mir doch so sehr eine eigene Familie mit vielen Kindern. Aber diese Vorstellung rückte mit jedem Tag mehr und mehr in die Ferne. Meine Cousine hingegen hatte einen Mann an jedem Finger. Doch ihr Herz schenkte sie Ron, einem deutlich älteren Mann. Dieser verschwieg ihr allerdings, dass er der Vater eines erwachsenen Sohnes war. Magda war über sein mangelndes Vertrauen so enttäuscht, dass sie die Beziehung beendete. So wie sich Magdas Glück trübte, ging bei mir die Sonne auf. Ich lernte Gernot kennen und lieben. Er war so süß und rücksichtsvoll und ich war mir sicher, mit ihm den Mann fürs Leben gefunden zu haben.

Zur gleichen Zeit zog ein weiterer Mitbewohner zu Magda und mir in die WG: Jamie. Und der ließ Magda schnell ihren Liebeskummer vergessen. Was sie allerdings nicht wusste war, dass es sich bei Jamie um Rons Sohn handelte. Nun, ich wusste es. Und als Magda dies erfuhr, glaubte sie, dass ich mich mit Ron und Jamie gegen sie verschworen hätte.

Aus Rache schlief sie mit meinem Freund Gernot. Und sie musste ihn dazu noch nicht einmal lange überreden. Ich erwischte die beiden auch frischer Tat und für mich brach eine Welt zusammen. Die zwei wichtigsten Menschen in meinem Leben hatten mich betrogen. Ich jagte Gernot zu Teufel und wollte mit Magda dasselbe tun. Doch ich konnte es nicht, da ich merkte, dass auch ihr augenblicklich klar geworden war, was für einen fatalen Fehler sie begangen hatte. Ich gab ihr also eine zweite Chance und ließ sie bei mir wohnen.

Als Wiedergutmachung bot Magda mir an, mein Äußeres zu verschönern. Sie half mir beim Abnehmen und verpasste mir ein neues Outfit und Styling. Aus der grauen Maus wurde dadurch zwar kein Schwan, aber immerhin ein ansehnliches Entlein. Und mit einem Mal zeigten auch Männer ihr Interesse an mir. Doch auch wenn mein Äußeres sich gewandelt hatte, im Inneren blieb ich doch ein kleines, verschüchtertes Mädchen. Und damit vertrieb ich einen Mann ums andere.

Ich erkannte, dass auch ein hübsches Aussehen mir nicht zu einem liebenden Mann und einer Familie verhelfen würde. Also ließ ich mich auf die aberwitzige Idee meiner Tante ein, eine Ehe für mich zu arrangieren. Mein Auserwählter stellte sich dann leider nicht unbedingt als mein Traummann heraus. Dennoch stimmte ich übereilt einer Ehe zu. Am Morgen danach erkannte ich sogleich meinen Fehler. Doch für einen Rückzieher war es bereits zu spät. Denn mein zukünftiger Mann Francesco stellte sich als Lord von Rodaklippa heraus und die Verlobung wurde bereits in der Zeitung bekanntgegeben.

Ich traf mich also weiterhin mit Francesco und schließlich schliefen wir auch miteinander. Dieses Ereignis war sehr ernüchternd für mich, insbesondere da Francesco daraufhin ohne Abschied für längere Zeit auf Geschäftsreise ging. Ich war verzweifelt und ausgerechnet Gernot spendete mir Trost. Ich erkannte, dass ich ihn immer noch liebte und mein Leben mit ihm verbringen wollte. Doch das Schicksal wollte es anders. Ich war schwanger von Francesco und Gernot war nicht bereit, das Kind eines anderen aufzuziehen.

Also wurde ich Francescos Frau und damit Lady von Rodaklippa. Unsere Hochzeit war ein großes Ereignis. Und noch während der Trauung und der anschließenden Feier merkte ich, dass ich mehr für Francesco empfand, als ich vermutet hatte. Und er…er schien auch zu beginnen, mich zu lieben. Vielleicht würden meine Träume doch noch wahr werden. Doch während der Hochzeitsreise merkte ich, dass meine Gefühle von ihm nicht in gleicher Weise erwidert wurden. Und spätestens, als er auf getrennte Schlafzimmer bestand wurde mir klar, dass unsere Ehe für ihn genau das war, als was sie geplant wurde: Eine Zweckgemeinschaft.

Ich musste mich mit einer lieblosen Ehe abfinden. Dabei gab mir meine wundervolle Tochter Karlotta Kraft. Sie war der Sonnenschein in meinem Leben. Ich verwöhnt sie von vorne bis hinten. Leider führte das dazu, dass sie einen unangenehmen Charakter entwickelte. Mir als liebende Mutter entging das vollständig. Aber meine Tochter nutzte mich schamlos aus und wickelte mich mühelos um den Finger. Ich konnte nicht ahnen, wohin das alles noch führen sollte.

   
   
 

 

 

   
 

Sehnlichst wünschte ich mir noch ein weiteres Kind. Doch ein Jahr verging und mein Kinderwunsch blieb unerfüllt. Wie gerne wollte ich mich erneut um ein kleines Baby kümmern. Lottchen war dem Kleinkindalter so schnell entwachsen. Daher musste ich mich mit zunächst mit meiner Rolle als Tante zufriedengeben. Rafael, der zweite Sohn von Magda und Holden, war nun fast sechs Monate alt und ich liebte es, bei meiner Cousine vorbeizuschauen und Magda für ein paar Stunden zu entlasten.

   
   
   

Ich wollte Magda, Holden und Jamie eine Freude machen und schmiss den Grill an. Aber irgendwie schien die Cilia Gade im Bezug aufs Grillen verflucht zu sein. Meine schönen Hamburger brannten nämlich ordentlich an und dicke Rauchschwaden zogen wieder einmal in Richtung des Hauses der Lutzenbachers. Nun, Agatha lebte nun schon seit zwei Jahren im Altenheim, vor ihr hatte ich also nichts mehr zu befürchten. Und ich schätze, keiner der Lutzenbachers hätte sich jetzt noch getraut, mir eine Szene zu machen. Es hatte unbestreitbar auch seine Vorteile, Lady Hartfels zu sein.

 
   
 

Die Burger sahen nicht nur aus wie Kohlebriketts, nein, sie schmeckten auch so. Aber darauf kam es überhaupt nicht an. Ich genoss es einfach, mit meinen Freunden zusammen zu sein. Ich sah Magda und Jamie viel zu selten und kostete daher jede Minute aus.

 
   
 

Doch meine Verpflichtungen verlangten schneller nach mir, als mir lieb war. Ich war gerade im Begriff mich zu verabschieden, als ein Song im Radio mein Interesse weckte. Neugierig blieb ich stehen und lauschte. War es möglich? War das etwa…“Magda, bist du das etwa?“, fragte ich erstaunt. Das breite Grinsen meiner Cousine war Antwort genug. „Ich wollte warten, bis ihr es selbst im Radio hört“, klärte sich mich auf. „Holden hat mich dazu ermutigt, endlich ein paar Songs aufzunehmen und sie an die Radiostationen zu senden. Und wie du ja selbst hören kannst, hat es ihnen offensichtlich gefallen.“

 
   
 

Und auch mir gefiel es. Es war eine schnelle Nummer, die zum Tanzen animierte und einfach nur Spaß machte. Und Magdas Stimme war nun einmal toll, daran bestand kein Zweifel. „Holden hat die Melodie komponiert. Und den Text haben wir dann gemeinsam ausgearbeitet. Ohne ihn hätte ich es nie so weit gebracht, Claude. Ein Song vom mir im Radio! Hättest du das für möglich gehalten, als ich vor neun Jahren bei dir einzog?“ Nein, das hätte ich wirklich nicht. Aber wir beide hatten in den vergangenen Jahren eine große Wandlung vollzogen. Und Magda hatte sich eindeutig zum Positiven gewandelt.

   
   
   

Ich freute mich für Magda, ehrlich. Aber ich konnte es auch nicht unterdrücken, sie zu beneiden. Sie hatte alles erreicht. Sie hatte einen tollen Mann, zwei wunderbare Kinder und nun war sie auch noch beruflich erfolgreich. Oberflächlich betrachtet hatte ich dasselbe erreicht wie sie. Nur liebte mein Mann mich nicht und meine Karriere als Malerin war mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. Das bedeutete allerdings nicht, dass ich nicht weiterhin leidenschaftlich gerne malte. Aber nicht mehr für andere Menschen, sondern nur noch für mich. Unter freiem Himmel konnte ich mich völlig entspannen und die Schönheit der Welt auf Leinwand einfangen.

 
   
 

Oder ich gab meinen Gefühlen mit Farbe Ausdruck. Ob nun Freude, Einsamkeit oder Enttäuschung, ich konnte alles in meinen Bildern ausleben. Und es störte mich nicht, dass sie außer mir niemand mehr zu Gesicht bekam. Diese Bilder waren so etwas wie mein Tagebuch und nur für meine eigenen Augen bestimmt. Und sie waren auch eine Art Therapie, die mir halfen, mit meinem Leben zurechtzukommen und sogar zufrieden damit zu sein.

 
 

 

 

 
     
 

Eines Abends passierte etwas Unvorstellbares. Lottchen und ich schliefen längst schon tief und fest, als Francesco aus dem Erdgeschoss ein verdächtiges Geräusch vernahm. Er schlich hinunter und ertappte einen Einbrecher auf frischer Tat, der gerade die Schränke im Wohnzimmer nach Wertgegenständen durchsuchte. Ohne lange zu überlegen, schaltete Francesco das Licht an und stürzte sich auf den verdutzten Dieb.

 
   
   

Die beiden lieferten sich ein heftiges Handgemenge. Zum Glück hatte der Einbrecher keine Waffe dabei, ansonsten hätte Francescos Leichtsinn schnell ins Auge gehen können. Aber so war er in der Lage, den Dieb zu überwältigen. Leider gelang diesem anschließend doch noch die Flucht. Aber immerhin musste er seine Beute zurücklassen.

 
   

Der Lärm hatte auch mich aufgeschreckt und gemeinsam mit Francesco wartete ich auf das Eintreffen der Polizei. Diese konnte allerdings auch nicht mehr viel für uns tun. Das Schloss an der Terrassentür war aufgebrochen worden und der Polizist riet uns dazu, alle Schlösser gegen Sicherheitsschlösser austauschen zu lassen.

 
   
 

Erst also der Polizist weg war, merkte ich, wie sehr mich der Vorfall verängstigt hatte. Die Vorstellung, dass ein Fremder in unserem Haus herumschlich, während wir oben schliefen, war sehr verstörend. Das bemerkte auch Francesco. Er kam auch mich zu und strich mir beruhigend über die Wange. „Ich habe den Dieb ja rechtzeitig gehört“, flüsterte er. „Keine Angst, ich werde auch weiterhin für deine und Lottchens Sicherheit sorgen.“

 
     
 

Ich war so froh, dass ich ihn nicht darum bitten musste, ob er heute in meinem Bett schlief. Ich schmiegte mich eng an Francescos Rücken und mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich tatsächlich sicher. Vielleicht war mein Neid auf Magda unbegründet. So schlecht hatte ich es auch nicht getroffen.

 
 

 

 

 
       
 

Vor allem nicht, wenn ich an mein süßes Lottchen dachte. Inzwischen kam sie in der Schule sehr viel besser mit. Nur wenige Wochen zusätzlicher Unterrichtsstunden mit einem Privatlehrer hatten ausgereicht, dass sie ohne Probleme dem Unterricht folgen konnte. Sicher hatte dazu auch beigetragen, dass sie mit Meinolf und Schamika zwei wundervolle Freunde gefunden hatte und die drei sich gegenseitig bei den Hausaufgaben unterstützen konnten.

 
 
   

Ja, mein Mädchen wurde immer selbständiger. Aber oft genug wollte sie doch noch ihre Mama um sich haben. Zum Beispiel, wenn ich ihr abends eine Gutenachtgeschichte erzählen sollte. Am liebsten möchte sie es, wenn sie dabei im Bett ihres Papas liegen durfte.

 
     

Dann fielen ihre Augen ganz schnell zu und schon bald war sie eingeschlafen, mein süßer Engel. Ich gab ihr einen Gutenachtkuss und beobachtete eine Weile ihren ruhigen Schlaf. Wenn Francesco dann ins Bett ging, hob er sich einfach hoch und trug Lottchen schlafend in ihr eigenes Bett. Er würde es niemals aussprechen, aber ich wusste, wie sehr er seine Tochter liebte.

   

 

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kor. 25.04.2023