Kapitel 6
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Eine gefühlte Ewigkeit überlegt ich, was ich jetzt tun sollte. Wenn ich doch bloß nichts gehört hätte! Konnte ich nicht zurück in die süße Unwissenheit? Aber es gab kein Zurück mehr. Ich brauchte Gewissheit. Ich musste erfahren, was zwischen meinem Mann und seiner Assistentin lief. Also ging ich in Amys Büro, um sie zu konfrontieren.

 
 
 

Doch mein Mut verließ mich in dem Augenblick, als ich sie sah. Sie sah so hübsch aus. Gerade einmal Anfang dreißig, wunderschöne Locken, eine schlanke Figur. Die Nase war vielleicht einen Tick zu dominant, doch das machte ihr Lächeln mehr als wett, welches einen sofort verzauberte. Kein Wunder, dass Francesco sie wollte.

 
     
 

„Lady Hartfels“, begrüßte sie mich freundlich, wenn auch etwas überrascht. „Kann ich Ihnen helfen?“ Sie erhob sich vom Schreibtisch und gab den Blick auf ihre langen, schlanken Beine frei. „Lord Hartfels ist heute Vormittag nicht im Büro. Er hat einen Termin im Forschungszentrum. Soll ich ihm etwas ausrichten?“

 
     
 

Sie können ihm ausrichten, dass ich alles weiß, dachte ich. Ich weiß, dass er mich mit Ihnen betrügt! Doch natürlich sprach ich die Worte nicht aus. Wusste ich denn wirklich alles? Vielleicht hatte Amy sich ja alles nur ausgedacht? Vielleicht hatte sie gar nicht von Francesco gesprochen? Oder sie bildete sich alles nur ein? Solange ich nicht weiter nachfragte, blieben all diese Optionen möglich. Und ich wollte keine Gewissheit. Nicht jetzt. Also stellte ich einfach das Geschenk für Francesco auf ihren Schreibtisch. „Bitte geben Sie das meinem Mann, wenn er wieder im Büro ist.“ Dann verabschiedete ich mich und verließ das Rathaus.

 
 

 

 

 
   
 

Aber was nun? Völlig verwirrt nahm ich in einem Café Platz. Sollte ich einfach vergessen, was ich gehört hatte? Das wäre sicher das Einfachste. Ich könnte einfach so tun, als sei alles wie immer. Aber die Ungewissheit nagte an mir. So sehr mich die Vorstellung auch ängstigte, ich musste mit Francesco sprechen.

 
   
 

Wieder Zuhause angekommen lief ich wie ein Tiger im Käfig auf und ab. Wie sollte ich Francesco bloß fragen? Einfach gerade heraus? Und wenn er alles abstreiten würde? Und noch viel schlimmer, was wenn ich mich geirrt hatte? Wenn er gar keine Affäre hatte? Er würde mir einen solchen unberechtigten Vorwurf niemals verzeihen können!

   
   
   

Die Stunden vergingen, doch Francesco kehrte einfach nicht heim. Meine Gedanken drehten sich immer mehr im Kreis und ich hatte langsam das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Zur Beruhigung ging ich an die Bar und mixte mir einen Gin Tonic. Kurz überkam mich ein schlechtes Gewissen, weil es noch nicht einmal Abend war.

 
   
 

Doch die Bedenken verflogen schnell als ich merkte, wie mich bereits der erste Schluck beruhigte. Endlich stoppte das Karussell in meinem Kopf. Nach dem zweiten Gin Tonic war ich endgültig entspannt…zumindest soweit es die Umstände zuließen.

 
   
 

Und nach zusätzlich drei, vier Gläschen Sekt schlief ich seelenruhig ein. Ich bekam gar nicht mehr mit, wann Francesco nach Hause kam. Ich schlief zu diesem Zeitpunkt bereits tief und fest.

   
   
 

Am nächsten Morgen brummte mir der Schädle. Ich hatte eindeutig zu viel getrunken. Und leider war mein Hochgefühl vom gestrigen Abend auch verschwunden…zusammen mit meinem Mut. Ich wusste immer noch nicht, wie ich Francesco konfrontieren sollte.

 
     
 

Und vielleicht war es doch besser für alle, ihn nicht zu konfrontieren. Im Grunde hatte ich nichts gesehen. Und es hatte sich ja auch nichts geändert. In ein paar Tagen würde ich die ganze Situation wieder vergessen haben. Und Ablenkung tat dabei sicher gut. Also besorgte ich ein paar Kürbisse auf dem Markt und schnitze Laternen.

 
 

Die Arbeit war zwar etwas eklig – unglaublich wie sehr ein Kürbis stinken konnte – aber das Resultat ließ sich sehen. Ich hatte offenbar nicht nur ein Talent zum Malen, sondern auch eines dafür, Kürbisse zu verschönern.

   
   
   

Ablenkung verschaffte es mir auch, zu meinen Eltern zu fahren und ihnen bei der Arbeit auf dem Hof zu helfen. Die beiden kamen zwar immer noch sehr gut allein zurecht, aber ich spürte, dass sie für meine Hilfe dankbar waren, auch wenn sie es nicht aussprachen. Immerhin war mein Vater bereits 76 Jahre alt und auch meine Mutter ging langsam aber sicher auf die Siebzig zu. Da ging die Arbeit einfach nicht mehr ganz so leicht von der Hand.

 
   
 

Und daher half ich gerne. Und die kleinen, flauschigen Küken waren doch auch herzallerliebst. Wer wollte da noch weiter über die mögliche Affäre des eigenen Ehemannes nachdenken? Ich jedenfalls nicht.

 
   

 

 

   
   
 

Und vielleicht hätte ich die ganze Sache irgendwann verdrängt. Ich war immerhin eine Meisterin darin, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Ich war auf einem guten Weg. Herbst und Winter zogen vorüber und der Frühling lag bereits in der Luft. Und genau dann belauschte ich ganz unbeabsichtigt ein Telefonat von Francesco. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer stand einen Spalt offen und als ich daran vorbei ging, hört ich plötzlich den Namen „Amy“. Ich konnte einfach nicht anders, als zu lauschen.

     
 

„Ja, Amy, ich werde heute Nachmittag noch im Büro vorbeischauen. Das ausgearbeitet Konzept für den Grafen liegt auf meinem Schreibtisch? Das hast du sehr gut gemacht. Unser erneutes gemeinsames Arbeitswochenende im Hotel in SimNorsk war äußerst produktiv…und angenehm. Ich habe die zwei Tage wieder sehr genossen. Und das lag zu einem sehr großen Anteil an deiner Anwesenheit. Ich hoffe, wir finden eine Gelegenheit, das bald zu wiederholen.“

   
   
 

Nein, nein, nein! Was redete Francesco da bloß. Er sollte aufhören. Ich wollte das alles nicht hören. Aber er redet weiter. Er lachte, er macht ihr Komplimente. Und seine Stimme klang dabei so freundlich, so liebevoll. Ich konnte mich nicht erinnern, wann er jemals so mit mir gesprochen hätte.

 
     
 

Als er endlich das Haus verließ, ging ich sofort zu Bar und mixte mir einen starken Drink. Diesmal wollte sich die beruhigende Wirkung jedoch nicht sofort einstellen. Meine Gedanken rasten. Hatte ich das Gespräch womöglich doch falsch interpretiert? Hatte ich zu viel in seine Worte hineingedeutet? Vielleicht war er wirklich einfach nur mit Amys Arbeit als seine Assistentin zufrieden und mehr nicht, versuchte ich mir einzureden. Doch ich glaubte meinen eigenen Worten nicht.

 

 

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kor. 19.01.2024