Aufgabe2
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Adalbert fand das ganz natürlich nicht so lustig und stürmte wütend auf die Veranda. Am liebsten hätte ich auch noch ein Ei auf seinem Kopf zerbersten lassen, aber das traute ich mich dann doch nicht. „Ihr dreckigen Straßenköter, macht dass ihr von hier verschwindet“, zeterte er. „Das wir ein Nachspiel haben!“

 
 
 

Und es hatte sogar ein ziemlich schnelles Nachspiel. Sky und ich hatten uns vor Lachen noch gar nicht eingekriegt, als plötzlich die Polizeisirene in unserer Straße ertönte. „Scheiße, dein verrückter Nachbar hat die Bullen gerufen!“, rief Sky. „Lauf sofort weg!“ Das musste mein Bruder mir nicht zweimal sagen. Wir liefen los, so schnell uns unsere Beine tragen konnten. Leider hatten wir uns keinen Fluchtweg zurechtgelegt. Und es stellte sich als äußerst unklug heraus, direkt in mein Haus zu rennen.

 
 
   
 

Denn auch wenn wir uns hinter dem Herd in der Küche versteckten, es half nichts. „Kommen sie bitte sofort raus“, erklang die genervte Stimme des Polizeibeamten der an mein Küchenfenster klopfte. „Ich kann sie beide ganz genau sehen.“ Ach verdammt. Ich schloss also auf und musste mir eine Standpauke darüber anhören, wie kindisch unser Benehmen doch war. Und Sky wurde vom Polizisten ins Auto verfrachtet und nach Hause zu meinen Eltern gefahren. Aber an seinem breiten Grinsen konnte ich erkennen, dass ihm der Spaß bei den Lutzenbachers jeden Ärger wert war.

 
   
 
 

Und so war es nicht verwunderlich, dass wir unsere Aktion noch das ein oder andere Mal wiederholten. Meinem kleinen Bruder schienen die Ideen für neue Streiche auch nie auszugehen. Besonders unterhaltsam fand ich es, als er eine Tüte, prall gefüllt mit dem Hinterlassenschaften des Pferdes meiner Eltern, mitbrachte und sie vor dem Haus der Lutzenbachers platzierte.

 
 
 
 

Dann zückte er ein Feuerzeug und zündete die Tüte an. Die Flammen fraßen sich schnell durch das Papier und erreichten auch die Pferdeäpfel, die ebenfalls sogleich Feuer hingen und begannen, einen widerlichen Gestank zu verbreiten. Wir hatten den Zeitpunkt unserer Aktion genau so abgepasst, dass Franz Joseph gerade aus der Arbeit kam und unseren Streich voll genießen konnte. Ich habe einen Menschen selten so fluchen gehört.

 
 
 
 

Doch ich sah ein, dass es keine Dauerlösung werden könnte, meinen Nachbarn Tag ein Tag aus Streiche zu spielen. Irgendwann würde die Polizei nicht mehr so freundlich sein und mir nur mit dem erhobenen Zeigefinger drohen. Was aber noch viel schlimmer war, die Lutzenbachers könnten auf die Idee kommen und sich an mir rächen. Und einen täglichen Kleinkrieg im Garten würde ich nicht lange aushalten. Es musste eine Lösung her und ich hatte da auch schon eine Idee. Ich zückte mein Handy und wählte die Nummer meiner Eltern. „Papa, kannst du bitte vorbei kommen? Wir müssen dringend in den Baumarkt fahren.“

 
 
   
 

Gesagt getan. Wir kauften unzählige Bretter und Nägel, mein Vater brachte seinen Werkzeugkasten mit und nach Stunden schweißtreibender Arbeit betrachteten wir zufrieden unser Werk: Einen hohen Lattenzaun, den so leicht niemand überwinden würde. „Das haben wir gut hinbekommen, Spatz“, Papa klopfte mir stolz auf die Schulter. Und auch Magda betrachtete zufrieden die Früchte unserer Arbeit. Ich sackte einfach nur erschöpft, aber hoch zufrieden in mir zusammen. „Ich hoffe inständig, dass die Lutzenbachers uns endlich in Ruhe lassen, wenn sie uns nicht ständig im Blick haben“, flüsterte ich.

 
   
 
 

Wir hatten den Zaun genau in der Zeit aufgestellt, als die ganze Familie Lutzenbacher nicht anwesend war. Während die jungen Arbeiten waren, verbrachten Agatha und Franz Joseph den Samstagvormittag nämlich mit ihren vier Hunden am Belmoral Angelplatz am Stadtrand. Und Agatha staunte nicht schlecht, als sie nach Hause kam und plötzlich ein Zaun sie daran hinderte, uns auszuspähen. Eiligen Schrittes lief sie auf die Barriere zu und presst ihr faltiges Gesicht gegen das Holz um durch eine Lücke zwischen den Latten einen Blick in unseren Garten zu erhaschen. Doch viel konnte sie nicht sehen und das trieb ihren Blutdruck in ungeahnte Höhen.

 
 

 

 

Teil 5

 
 
 
 

Der Zaun, den wir zwischen unserem Grundstück und dem der Lutzenbachers aufgestellt hatten, half wirklich. Allein weil Magda und ich jetzt wussten, dass nicht mehr jeder unserer Schritte mit Argusaugen verfolgt wurde, fühlten wir uns wieder wohl in unserem Haus. Und keiner der Lutzenbachers wagte es, um den Zaun herum zu gehen und unser Grundstück zu betreten. Selbst als wir den Grill entfachten, nur so zu Testzwecken, stürmte keine wütende Agatha herbei, wobei ich meinte, ein seltsames Knurren hinter dem Zaun vernommen zu haben. Nur einen der Lutzenbachers sah ich eines Abends unerwartet wieder und zwar Gernot. „Klaudia, ich möchte mich noch mal bei Ihnen für das Verhalten meiner Familie entschuldigen. Ich schäme mich wirklich zutiefst dafür“, offenbarte er mir nachdem er mich von sich aus angesprochen hatte.

   
 
 
 

Im ersten Moment hatte ich ja noch befürchtet, dass auch er es darauf angelegt hätte, einen Streit mit mir zu beginnen. Daher wollte ich mich so schnell wie möglich vor ihm verstecken. Doch dafür war es ja nun zu spät. Und im Gespräch mit Gernot erkannte ich, dass er wirklich bekümmert darüber war, wie sich die Situation zwischen unseren Familien entwickelt hatte.

 
   
 
 

In diesem Moment tat er mir so furchtbar leid und ich vergaß sogar, wie schrecklich seine Eltern und Geschwister zu mir gewesen waren. „Aber Sie waren doch gar nicht schuld an der Situation, Gernot“, sagte ich deshalb. „Ganz im Gegenteil, Sie haben sich sogar gegen Ihre Familie gestellt und mich verteidigt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“ Ein zartes Lächeln huschte über seine Lippen und ich sah, dass es ihm besser ging.

 
 

„Aber reden wir nicht mehr länger über diese unsägliche Geschichte“, warf ich ein, um das Thema zu wechseln. „Der Zaun hat ja zum Glück Ruhe geschaffen.“ Wir begannen beide langsam Richtung Strandpromenade zu schlendern. „Und wir sollten das mit dem Sie langsam lassen. Dann fühle ich mich auch immer so alt. Du kannst gerne du zu mir sagen.“ Gernot nahm meinen Vorschlag lachend an.

   
 
 
   

Seit der Eröffnung meiner Ausstellung in der Galerie hatte ich nicht mehr so viel mit Gernot gesprochen und sofort fühlte ich, dass wir beide uns super verstanden. So ganz konnten wir es doch nicht lassen, über seine Familie zu sprechen, aber ich amüsierte mich köstlich, als er erzählte, dass seine Schwester Eulalia nur mit Mühe und Not seinen Vater davon abhalten konnte, mit einer Brechstange in den Garten zu rennen, um den Lattenzaun niederzureißen. Und dann gestand er mir, dass er seinen Chef davon überzeugen konnte, eines meiner Bilder für das Foyer seiner Firma, der Lama Liefergesellschaft, zu kaufen.

 
 
 
 

Ich konnte mich nicht erinnern, dass jemand jemals so etwas Nettes für mich getan hätte. Und ganz plötzlich stieg dieses seltsame Gefühl in mir auf. Es begann in meinem Bauch zu kribbeln und alles um mich herum schien wie in Zeitlupe abzulaufen und Meilen weit entfernt zu sein. Ich sah nur noch Gernots grüne Augen, die im Schein der untergehenden Sonne funkelten. Und seine Lippen kamen meinen immer näher.

 
   
   
 

Doch bevor sie sie berühren konnten, drehte ich meinen Kopf weg und torkelte einige Schritte nach hinten. Da ich Gernot nicht in die Augen blicken konnte, wandte ich mich zum Meer. Meine Hände gestikulierten wild und ich versuchte irgendetwas Sinnvolles von mir zu geben, doch bis auf ein unverständliches Gestotter brachte ich keinen Ton hervor. Ich spürte Gernots verwirrten Blick in meinem Rücken.

 
 
   

Oh Gott, ich hab alles kaputt gemacht! Dieser furchtbare Gedanke schoss mit Wahnsinnsgeschwindigkeit durch meinen Kopf. Gernot würde mich jetzt doch für vollkommen verrückt halten. Dabei hatten wir doch so einen schönen Abend verbracht. Und ich mochte ihn wirklich. Sogar wirklich sehr. Und ich wusste selber nicht, warum ich diesen Kuss nicht zugelassen hatte. Es wäre mein erster richtiger Kuss geworden und ich hatte es komplett vermasselt.

 
 
   

Gernots Räuspern riss mich aus meinen trüben Gedanken und ich drehte mich langsam zu ihm um. „Klaudia, es tut mir leid, wenn ich zu aufdringlich war“, entschuldigte er sich. „Aber der Abend mit dir war so schön und in dem Moment wollte ich dich einfach nur küssen. Ich verstehe, wenn du nicht das gleiche empfindest. Ich werde mich in Zukunft zurückhalten. Aber ich will dich nicht als Freundin verlieren.“

   
 
 
   

Er hatte etwas falsch gemacht? Ich war doch diejenige, die einfach davongelaufen war. Und er war mir deswegen nicht einmal böse. Ich war so erleichtert, dass ich für einen Augenblick sogar meine Schüchternheit vergaß. „Nein, du warst überhaupt nicht zu aufdringlich, Gernot. Ich war nur überrascht…und ein wenig erschrocken.“ „Heißt das, du würdest gerne einmal richtig mit mir ausgehen? Zu einem richtigen Date?“ Gernot wollt tatsächlich mit mir ausgehen! Der Wahnsinn! Ich jubelte innerlich und das zeigte sich nach außen auch in meinem strahlenden Gesicht. „Ja, das würde ich sehr gerne.“ Und dann kehrte meine Schüchternheit und Unsicherheit zurück. „Aber für heute muss ich wirklich nach Hause. Es ist schon spät und Magda macht sich sicher Sorgen.“

 

 

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kor. 22.04.2014