Kapitel 5
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Meine Familie verabschiedete sich von uns und fuhr wieder nach Hause. Der Tag war für alle lang und ereignisreich gewesen und sie sehnten sich jetzt nach ihren Betten. Meine Kleine und ich würden noch für zwei oder drei Nächte im Krankenhaus bleiben müssen. Ich war überzeugt, dass auch Francesco mich allein lassen würde, jetzt wo er unsere Tochter gesehen hatte. Doch er überraschte mich mit der Ankündigung, heute Nacht bei mir im Krankenhaus bleiben zu wollen. Ich wusste nicht was überwog, die Freude über sein Bleiben oder das Gefühlschaos, welches diese Ankündigung bei mir auslöste. Nachdem er unsere Tochter eine Weile im Arm gehalten hatte, übergab er sie wieder an mich. Verliebt schaute ich sie an, meine kleine Prinzessin, meine kleine…Der Name! Es fehlte ja noch der Name. Francesco und ich hatten vor einigen Wochen zwar schon darüber gesprochen, aber… „Francesco, ich weiß, dass ich deinem Namensvorschlag schon zugestimmt habe“, begann ich langsam zu sprechen, wobei ich es nicht wagte, ihn direkt anzublicken, weil mir sonst der Mut gefehlt hätte, weiter zu sprechen, „und Elisabetta ist ein wirklich schöner Name und ich verstehe, dass du unsere Tochter nach deiner Großmutter benennen möchtest…aber…aber ich würde unsere kleine Maus lieber anders nennen. Was würdest du…ich meine, wie gefällt dir…Karlotta? Können wir sie Karlotta nennen?“

 
 
 

Ich starrte immer noch auf Francescos Schuhe. Erst folgte ein langes Schweigen, denn hörte ich ein Brummen. Immer noch wortlos begann Francesco die Nase unserer Tochter zu kitzeln, die ob dieser Bewegung begann angestrengt zu atmen. Aber es schien ihr zu gefallen. „Karlotta.“ Er ließ sich den Namen mehrmals auf der Zunge zergehen. Meine Anspannung wuchs ins Unermessliche, bis er schließlich verkündete: „Gut, wenn du es möchtest, dann nennen wir unsere Tochter Karlotta. Karlotta Elisabetta Klaudia Hartfels von Rodaklippa. Mutter wird nicht begeistert sein, dass sie die Geburtsanzeige noch Mal wird ändern lassen müssen, aber das soll nicht unser Problem sein.“

 
     
 

Hatte ich mich verhört? Nein, Francesco hatte tatsächlich zugestimmt! Karlotta. Mein kleines Lottchen. Ich strahlte über das ganze Gesicht. Und wie zum Zeichen, dass der Name auch meinem Würmchen zusagte, zeichnete sich ein Lächeln auch Lottchens Gesicht ab. Natürlich war mir klar, dass  sie noch nicht wirklich lächeln konnte, aber das minderte mein Entzücken nicht. Und mit einem Mal blickte ich in eine sehr rosige Zukunft.

 
   

 

 

Teil 6

 
   
 

Drei Tage nach der Geburt durfte ich das Krankenhaus mit meinem kleinen Engel verlassen. Lottchen ging es prächtig und auch ich erholte mich gut. Mein kleiner Ohnmachtsanfall nach der Geburt blieb zum Glück ohne Folgen. Meine Tochter fühlte sich in ihrem neuen Zuhause gleich wohl. Und ich…zum ersten Mal fühlte sich dieses Haus wirklich wie ein Zuhause an. Ich genoss es, einen kleinen Menschen um mich herum zu haben, um den ich mich rund um die Uhr kümmern konnte.

 
   
 

Was nicht heißen soll, dass alles plötzlich wunderbar war. Das Muttersein war manchmal doch weniger idyllisch als in meinen Fantasien. Karlotta konnte schreien wie am Spieß. Und leider hatte ich noch nicht herausgefunden, was sie mir mit diesem Schreien signalisieren wollte. Hatte sie Hunger? War ihre Windel voll? Es konnte alles und doch nichts sein. Und abgesehen von Schreien kam von ihr kaum etwas zurück. Wenn sie nicht gerade schlief, lag sie teilnahmslos in ihrem Bettchen, ohne mich wirklich wahrzunehmen. Ich wusste aus Büchern, dass das in den ersten Wochen ganz normal war. Und dennoch war es manchmal nicht leicht es auszuhalten.

 
   
 

Das Gute war, dass sie vorerst nicht viel Aufmerksamkeit brauchte, wenn sie denn satt und frisch gewickelt war. Ich konnte sie dann beruhigt in ein Körbchen legen, wo sie entweder schlief, oder mit ihren großen Augen einfach die Luft anstarrte.

   
   
   

Und ich konnte mich derweil ungestört meiner Malerei widmen. Vor der Hochzeit hatte ich nicht die Muse dafür gefunden. Und mit voranschreitender Schwangerschaft fiel mir das lange Stehen vor der Staffelei schwerer und schwerer. Doch jetzt sprühte ich wieder vor Ideen. Lottchen war eine wahre Quelle der Inspiration. Und in dem Atelier, das Francesco für mich eingerichtet hatte, gestaltete sich das Malen sehr viel angenehmer, als im vollgestellten Wohnzimmer in der Cilia Gade.

 
   
 

Ich nahm mein Lottchen zum Anlass, mich an mein erstes Portrait zu wagen. So friedlich, wie sie in ihrem Körbchen neben der Staffelei lag, konnte ich einfach nicht anders, als diesen Anblick auf Leinwand festzuhalten. Ich merkte schnell, dass ich an der Darstellung von Menschen noch sehr viel Üben musste. Aber im Großen und Ganzen war ich mit dem Ergebnis doch sehr zufrieden.

 
 

 

 

 
     
 

Ein paar Wochen nach der Geburt lud ich die Familie, sowie Magda und Jamie zu einer kleinen Party ein. Magda hatte ihre Gitarre mitgebracht und gemeinsam sorgten wir für die musikalische Untermalung des Abends. Auch Tamara war gekommen. Nachwievor lebte sie bei Mama und Papa, da ihre Eltern weiterhin nicht dazu bereit waren, sich mit ihr auszusprechen. Und es sah nicht danach aus, als ob sie dazu in nächster Zukunft bereit sein würden. Tamaras Babybauch war inzwischen deutlich zu erkennen. Und auch wenn ich sie in letzter Zeit verständlicherweise häufiger mit einem trüben Gesicht gesehen hatte, hatte sie an diesem Abend doch sichtlich Spaß.

 
   
   

Tamara zeigt großes Interesse an Lottchen, was in ihrem Zustand auch nur zu verständlich war. Bald würde sie selbst Mutter sein und dieser Gedanke bereitete ihr Freude und Angst zugleich. Da ich die gleichen Gedanken noch zu gut von mir selbst kannte, entschloss ich daher, dass es gut für sie wäre, wenn sie schon mal etwas an meiner Tochter üben konnte. Von nun an war Tammy ein häufiger Gast in unserem Haus. Und auch für mich war es spannend, eine Schwangerschaft mitzuerleben, die nicht die eigene war. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, wie gut man die Tritte des Babys von außen spüren konnte.

 
   

Und ich zeigt ihr, wie sie Lottchen wickeln und ihr die Flasche geben konnte. Ich war mir sicher, dass auch Mama ihr das später alles beibringen konnte, aber ich merkte, wie Tammy sich mehr und mehr entspannte, je sicherer sie im Umgang mit meinem Mädchen wurde. Und ich konnte ihr auch noch den ein oder anderen Tipp geben, wie sie sich die letzten Monate der Schwangerschaft etwas angenehmer machen konnte.

 
   
 

Aber Tammy brauchte auch jemanden, um über andere Themen zu sprechen…zum Beispiel ihre Beziehung zu meinem Bruder Sky. Mit meinen Eltern konnte sie darüber nicht sprechen. Ich hingegen war nicht so viel älter, sodass sie sich mir wie einer Freundin anvertrauen konnte. „Wie soll ich mir sicher sein, dass Sky mit mir zusammen bleibt, weil er mich liebt, und nicht bloß, weil wir zusammen ein Kind erwarten?“, fragte sie mich. Eine Frage, auf die ich keine Antwort wusste. Ich glaubte auch nicht, dass sie eine Antwort von mir erwartete. Aber es tat ihr sichtlich gut, ihre Ängste mit jemandem zu teilen.

 
   

 

 

 
   
 

Auch meine Schwiegermutter Lady Eleonore und meine Schwägerin Alexis waren häufig zu Besuch, um die kleine Karlotta zu sehen. Lady Eleonore war zunächst fuchsteufelswild gewesen, dass Francesco und ich ihren Namensvorschlag für unsere Tochter abgelehnt hatten. Doch inzwischen war ihr Zorn weitestgehend verflogen. Daher war ich auch nicht überrascht, als Alexis eines Morgens unerwartet vor der Haustür stand. „Möchtest du deine Nichte sehen?“, fragte ich und ließ sie aus dem Regen in das trockene Haus hinein. „Lottchen ist schon wieder gewachsen. Und sie lächelt jetzt immer, wenn ich mich über ihr Bettchen beuge“, berichtete ich begeistert. „Ja, natürlich bin ich auch wegen Lottchen hier, aber nicht nur“, erklärte Alexis. „Eigentlich muss ich mit dir sprechen. Du weißt doch, dass Francesco am Wochenende eine Rede vor dem Rathaus halten wird. Mutter und ich sind der Meinung, dass das der ideale Zeitpunkt wäre, um dem Volk die künftige Lady von Rodaklippa zu präsentieren.“

 
       
 

Diese Ankündigung überraschte mich nicht. Francesco hatte bereits angedeutet, dass wir unsere Tochter öffentlich präsentieren müssten. Und für mich war dieser Zeitpunkt genauso so gut…oder auch nicht gut; mir graute jetzt schon vor der Vorstellung, mich vor all den Leuten zu Schau stellen zu müssen…wie jeder andere. Aber es waren Alexis nächste Worte, die mich trafen. „Bevor es so weit ist, müssten wir aber erste einmal über deine Garderobe reden.“ Ihr Blick wanderte kritisch von meinem Kopf zu den Füßen und unweigerlich krümmte ich mich zusammen. „Nimm es mir nicht übel, Klaudia, aber du siehst nicht aus wie eine Lady von Rodaklippa. Während deiner Schwangerschaft konnten wir das noch durchgehen lassen. Auch das Volk hat da ein Auge zugedrückt. Aber jetzt erwartet es mehr von seiner Lady als…nun als das.“ Sie deutete auf mich. Erschrocken sah ich an mir herab. Sah ich den wirklich so furchtbar aus?

 
 
   

Offenbar schon, denn Alexis ließ mir keine Wahl. Mein erneutes Umstyling war beschlossen. Inzwischen hatte ich aufgehört, mitzuzählen. Und die Sache war gut geplant. In der Limousine vor dem Haus wartete ein Kindermädchen, das sich um Karlotta kümmern würde, während der Stylist im Schönheitssalon sich meiner Haare und meiner Kleidung annahm. Meine Haare wurden geglättet und zu einer ähnlichen Frisur gekämmt, wie ich sie bei meiner ersten Verabredung mit Francesco getragen hatte. Das Glätteisen bekam ich als Geschenk gleich mit. Immerhin ließ mir Alexis die Wahl zwischen einigen Kleidungsstücken, die sie mit dem Stylisten für mich zuvor ausgesucht hatte. Und offenbar waren sie mit meiner Auswahl einverstanden. „Du siehst toll aus, Klaudia“, schwärmte meine Schwägerin, als ich mich in einem rot-weißen Sommerkleid vor dem Spiegel drehte. „Für den Alltag oder ein Gartenfest ist dieses Kleid perfekt. Aber für deinen Auftritt am Wochenende brauchen wir noch etwas Edleres…“

 
     

Nun, das hatte ich mir schon gedacht. Aber ich musste zugeben, dass mir dieses Umstyling wirklich Spaß machte. Alexis gab mir das Gefühl, dass ihr meine Meinung nicht gleichgültig war. Sie drängte mir keinen fremden Stil auf, sondern versuchte, das Beste aus mir herauszuholen. Und ja, das Ergebnis gefiel mir. Ich hätte es nicht selbst ausgesucht. T-Shirt und Jeans wären mir immer lieber gewesen. Damit fiel ich eben nicht so sehr auf, konnte mich verstecken. Jetzt, in diesem Kleid, mit dieser Frisur, musste ich die Blicke auf mich ziehen. Und das machte mir Angst. Andererseits musste ich als Lady von Rodaklippa damit umzugehen lernen. Und wenn ich mich so um Spiegel betrachtete, konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Menschen…mein Volk…schlecht von mir denken würden.

   

 

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kor. 27.05.2015