Kapitel 5
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„Erst einmal gar nichts“, entgegnete Lady Eleonore. „Wir werden das Ergebnis des Vaterschaftstests abwarten. Wenn herauskommt, dass mein Sohn der Vater Ihres Kindes ist, dann werden Sie ihn wie geplant heiraten und wir sind alle zufrieden. Solle das nicht der Fall sein, dann werden wir die Angelegenheit so diskret wie möglich lösen. Es liegt schließlich auch im Interesse des Hauses Hartfels, dass  mein Sohn nicht wegen Ihres unbedarften Handelns in die Schlagzeilen gerät. Trotz allem vertraue ich immer noch dem Urteil ihrer Tante, dass Sie eine gute Frau für Francesco sein werden. Es ist schon lange mein Wunsch, unsere beiden Familien zu verbinden. Sie müssen wissen, ich habe damals als junges Mädchen ihre Urgroßmutter Donna Justyna kennengelernt. Nie zuvor war mir eine so brillante und durchsetzungsstarke Frau begegnet. Ich bewundere sie und ihre Leistungen bis zum heutigen Tag und es ist nicht übertrieben, wenn ich sie als mein Vorbild bezeichne. Ihre Urgroßmutter hielt auch große Stücke auf mich. Es gab sogar eine Zeit, in der sie bemüht war, eine Ehe zwischen mir und ihrem Großvater Arkadiusz zu ermöglichen.“

 
 
 

„Nun, es ist niemals dazu gekommen, und ich heiratete stattdessen Wilhelm Hartfels von Rodaklippa. Dennoch besteht seit diesen Tagen ein enger Kontakt zwischen unseren beiden Familien. Ich hatte gehofft, dass es mit der Verbindung von Francesco und Ihnen endlich zu der Vereinigung kommen würde, die mir selbst verwehrt blieb. Daher liegt es auch in meinem ganz persönlichen Interesse, dass dieser Vaterschaftstest ein positives Ergebnis für uns alle bringt.“Ich wusste selbst nicht warum, aber diese Worte stimmten mich hoffnungsvoll. Trotz allem, was sie über mich herausgefunden hatte, sogar dass ich ein heimliches Verhältnis zu Gernot hatte, wünschte sie dennoch, dass ich die Frau ihres Sohnes werden sollte. Dafür musste ich einfach Dankbarkeit empfinden. „Vielen Dank, Lady Eleonore, dass Sie mir eine Chance geben, mich zu beweisen. Ich versichere Ihnen, dass der Vaterschaftstest eindeutig belegen wird, dass Francesco der Vater meines Kindes ist. Und ich werde Ihnen keinen weiteren Grund geben, an mir zu zweifeln, dass verspreche ich.“

 
 

 

 

   
   
   

Nach diesem Gespräch war ich einfach nur fertig und zu nicht mehr in der Lage, als mich den Rest des Tages unter der Bettdecke in meinem Zimmer zu verkriechen. Francesco würde also bald von seinem Kind erfahren. Aber es gab noch jemanden, der diese Neuigkeit so schnell wie möglich hören musste, denn für ihn würde sie ebenfalls weitreichende Konsequenzen haben. Gleich am nächsten Morgen besuchte ich also Gernot, der mir gestern schon per SMS zu verstehen gegeben hatte, wie sehr er mich vermisste und sich auf ein baldiges Wiedersehen freute. Freudestrahlend kam er auf mich zu, als ich das Haus der Lutzenbachers betrat. Aber das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, als ich auswich, als er mich umarmen wollte. „Nein, Gernot, nicht“, sagte ich mit belegter Stimme. „Wir dürfen das nicht länger tun.“

 
   
 

Er war verwirrt. „Klaudia, Schatz, was ist denn auf einmal los? Ich dachte, wir hätten alles besprochen. Du wolltest dich von Francesco trennen, sobald er wieder in der SimNation ist.“ Er wollte erneut auf mich zugehen und mich in den Arm nehmen, doch ich hielt ihn abermals auf Abstand. „Gernot, nein. Etwas hat sich verändert, etwas sehr entscheidendes. Ich kann Francesco nicht verlassen. Bitte versteh das.“

 
   
 

Aber natürlich konnte er das nicht, solange ich ihm den Grund dafür nicht nannte. Es hatte keinen Sinn, lange um den heißen Brei herum zu reden. Es gab keine schonenden Worte, um es ihm begreiflich zu machen. Also sprach ich es einfach aus. „Ich bin schwanger. Ich erwarte ein Kind von Francesco.“ Gernot sah mich an, wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Er hatte damit gerechnet, dass ich erneut Gewissenbisse bekommen hätte, aber nicht mit einer solchen Neuigkeit. „Schwanger?“, wiederholte er tonlos und die Farbe wich ihm mehr und mehr aus dem Gesicht.

 
   
 

„Aber, kann man da nichts gegen machen?“, fragte er schließlich nach einer kurzen Pause. „Ich meine, du kannst noch nicht sehr weit sein. Es ist also noch Zeit für eine Abtreibung. Dann wären wir alle Probleme los.“ Ich konnte einfach nicht fassen, dass Gernot das gerade vorgeschlagen hatte. „Gernot, das kann doch nicht dein Ernst sein“, erwiderte ich entrüstet. „Ich kann doch nicht ein unschuldiges kleines Wesen umbringen, nur damit wir uns eine schöne Zeit machen können. Das könnte ich niemals mit meinem Gewissen vereinbaren. Und ich bin schockiert, dass du an diese Möglichkeit überhaupt denken kannst.“ Ich sprach aus tiefster Überzeugung. Bis zu diesem Augenblick war es mir noch nicht einmal in den Sinn gekommen, das Problem auf diese Weise zu lösen. Nein, eines stand ganz fest, ich wollte dieses Kind haben und ihm eine liebende Mutter werden. Das war mir wichtiger als alles andere.

   
   
   

Meine klaren Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Gernot schaute bekümmert auf den Boden. Es war eindeutig, dass er sich selbst seiner Worte schämte. Und dafür liebte ich ihn. Oh, verdammt, warum musste ich ihn denn so lieben. Gab es nicht doch noch eine Chance für uns beide, nein für uns drei? Ich musste einfach einen Versuch wagen. „Gernot, könntest du dir vorstellen, dieses Kind zu lieben. Könntest du dir vorstellen, es als dein eigenes anzunehmen und es niemals spüren zu lassen, dass du nicht sein Vater bist?“

 
   
 

Wäre Gernot dazu bereit gewesen, ich hätte mich gegen Francesco, gegen seine Mutter und sogar gegen meine Tante Joanna gestellt. Ich hätte alle Mühen auf mich genommen, um mit ihm und meinem Kind glücklich zu werde. Doch ein Blick in Gernots Augen genügte um zu wissen, dass er es einfach nicht konnte. Und ich machte ihm deswegen keinen Vorwurf. Dies war ein Opfer, das man nicht ohne weiteres erwarten konnte. Und es würde nicht ausreichen, wenn er nur mit halbem Herzen dabei war. Dafür war mir das Wohlergehen meines Kindes einfach zu wichtig.

 
   
 

Trotzdem wollte ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben. „Leider scheint es, als ob das Schicksal uns beide nicht vereint sehen wollte. Aber niemand zwingt uns, auf das Schicksal zu hören. Denk in Ruhe über alles nach, Gernot und entscheide dich dann.  Und wenn du zu dem Schluss kommen solltest, dass du, ich und das Kind eine Zukunft haben, dann weißt du, wo du mich findest. Ansonsten danke ich dir für die wunderschöne Zeit, die wir gemeinsam hatten.“ Sanft drückte ich ihm einen Abschiedskuss auf die Wange. Und mit dem ahnungsvollen Gefühl, dass dies unser letzter Kuss gewesen war, verließ ich das Haus.

   
 

 

 

 
   
   

Ich hoffte den Rest des Tages auf eine Nachricht von Gernot. Doch schließlich musste ich einsehen, dass er nicht bereit war, das Kind eines anderen zu akzeptieren. Somit stand für mich fest, dass ich bei Francesco bleiben würde. Und nun konnte ich meinen Eltern auch endlich die frohe Botschaft übermitteln. Ich fuhr hinaus zu ihrem Haus und wartete, bis Mama ihre Arbeit bei den Rindern beendete und sich gemeinsam mit Papa im Wohnzimmer einfand. Anders als bei Lady Eleonore oder Gernot freute ich mich richtig, es ihnen zu sagen, auch wenn ich ein wenig die Reaktion meiner Mama fürchtete. Doch zu meiner großen Erleichterung begann ihren Augen zu strahlen, als sie von dem Kind erfuhr.

 
   

Und auch Papa war hellauf begeistert. Sofort legte er sein Ohr an meinem Bauch um zu horchen, ob sich darin schon etwas tat. „Papa, das Baby ist doch noch viel zu winzig, als dass du es wahrnehmen könntest.“ Doch das war meinem Vater egal. Auch wenn meine Eltern schon eine Enkelkind hatten, David, den Sohn meiner älteren Schwester Kinga, so hatten sie aufgrund des Zerwürfnisses in der Familie keinen Kontakt zu ihm. Mein Kind würde also ihr erster Enkeln werden, dessen Aufwachsen sie aus nächster Nähe mitverfolgen und den sie mit ihrer Liebe überschütten konnten.

 
   
 

Papa musste leider kurz darauf zur Arbeit aufbrechen. Aber das gab mir die Gelegenheit, mich ganz in Ruhe mit meiner Mutter zu unterhalten. Ich begleitete sie nach draußen und wir nahmen auf der Bank Platz. Anders als mein Vater wusste sie sehr genau, dass ich Francesco nicht aus Liebe heiraten wollte. „Spätzchen, jetzt sei ganz ehrlich zu mir, wie geht es dir wirklich?“, fragte sie besorgt. Ich musste einen kurzen Moment überlegen. „Ich freue mich auf das Kind, wirklich. Aber ich weiß nicht, ob ich mit Francesco glücklich werden kann. Ich bin mir überhaupt nicht im Klaren, was ich für ihn empfinde. Es ist ganz sicher keine Liebe. Da gibt es…gab es einen anderen. Aber jetzt wo ich schwanger bin, spielt das alles ohnehin keine Rolle mehr.“

 
     
 

„Ach, Pummelchen, ich hätte mir so sehr gewünscht, dass du es einmal leichter in Liebesangelegenheiten haben würdest, als ich. Aber wir Brodlowska-Frauen scheinen das Unglück förmlich anzuziehen“, seufzte meine Mutter. Doch dann lächelte sie. „Es ist aber schön zu hören, dass du dich auf das Kind freust. Ich hätte viel darum gegeben, wenn es damals bei meiner Schwangerschaft mit deiner Schwester Kinga ebenso gewesen wäre. Ich erwartete ein Kind von einem Mann den ich abgöttisch liebte, aber für das Kind konnte ich nur Kälte aufbringen, weil es mein und sein Leben so durcheinanderbrachte. Und du, du erwartest ein Kind von einem Mann, der dir fremd ist. Und trotzdem liebst du das Kind jetzt schön. Das Schicksal spielt manchmal seltsame Streiche mit uns.“

 
   
   

Gebannt lauschte ich den Worten meiner Mutter. Noch nie hatte sie so offen mit mir über ihre Gefühle für Kinga oder zu Kingas leiblichem Vater, Albert Kappe, mit mir gesprochen. „Mami, du hast Papa am Anfang auch nicht geliebt, nicht wahr? Wie hast du es trotzdem ausgehalten, bei ihm zu bleibe? Und warst du immer unglücklich in dieser Zeit?“ Meine Mutter blickte mich zunächst schockiert an und ich hatte Angst, eine Grenze überschritten zu haben. Doch dann wurde mir bewusst, wie schwer es ihr fallen musste zuzugeben, dass sie meinen eigenen Vater nicht geliebt hatte, zumindest für eine sehr, sehr lange Zeit nicht. Keine Mutter gab das gerne zu. „Nein, ich war nicht immer unglücklich. Ich war es oft, das muss ich gestehen, aber nicht immer. Immerhin wohnte der Mann den ich liebte nur wenige Straßen entfernt. Er war so nah und doch so unerreichbar. Und dass ich deiner Schwester nicht die liebevolle Mutter sein konnte, die sie verdiente, bereitete mir auch viele schlaflose Nächte. Aber auch wenn ich deinen Vater nicht immer liebte, so schätzte ich ihn doch sehr als Freund und Vertrauten. Das machte es erträglich für mich. Und ich schöpfte Kraft aus der Überzeugung, das Richtige getan zu haben, als ich behauptete Kinga wäre die Tochter deines Vaters, um Albert und seine Familie zu schützen.“

   
   
 

„Es war also kein Fehler, bei Papa zu bleiben?“ „Spätzchen, nein, das war es ganz sicher nicht. Immerhin habe ich ihn ihm zum Schluss die große Liebe gefunden. Wäre ich nicht bei deinem Vater geblieben, dann gäbe es heute weder dich noch Sky. Darauf möchte ich um keinen Preis verzichten. Und Dominik war in der Lage, deiner Schwester die Liebe zukommen zu lassen, die ich ihr nicht geben konnte.“ „Glaubst du denn, dass auch ich eines Tages Francesco lieben werde?“ „Ich wünsche es dir von ganzem Herzen, Spätzchen. Aber setze nicht zu viel Hoffnung in diese Vorstellung. Ich hatte seltenes Glück mit deinem Vater. Liebe ist eine wundervolle Sache, aber man kann auch ohne sie auskommen. Das wird dir so niemand sonst sagen, aber ich weiß es aus eigener Erfahrung. Und auch Freundschaft und Vertrauen kann ein starkes Fundament für eine dauerhafte Beziehung und ein zufriedenes Leben sein. Vergiss das bitte niemals.“

   

 

 

 
     

Ich wollte diesen wertvollen Rat stets beherzigen. Einige Tage später hatte ich den Termin beim Frauenarzt, um eindeutig zu belegen, dass Francesco der Vater meines Kindes war. Bereits am Tag zuvor war mir Blut entnommen worden um daraus die DNA meines Kindes zu isolieren und sie mit der von Francesco abzugleichen. Und heute würde ich das Ergebnis erfahren. Lady Eleonore hatte den Arzt ausgesucht und sie bestand auch darauf, bei der Verkündung des Ergebnisses anwesend zu sein. Da ich mir keine Sorgen zu machen brauchte, dass Francesco nicht der Vater war, ging ich sehr entspannt an diesen Termin heran. Allerdings stieg mehr und mehr der Ärger darüber auf, dass Lady Eleonore mir so wenig Vertrauen entgegen brachte. Wie nicht anders zu erwarten bestätigte uns der Arzt was ich immer gewusst hatte. Und gemeinsam mit meiner zukünftigen Schwiegermutter konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen.

   
   
   

Der Gesichtsausdruck von Lady Eleonora als der Arzt das Ergebnis verkündet, ließ keinen eindeutigen Schluss zu, ob sie erfreut über das Resultat war. Aber auf der Straße versicherte sie mir, dass sie mir immer vertraut hatte. „Ich habe niemals daran gezweifelt, dass mein Sohn nicht der Vater deines Kindes ist, Klaudia. Aber du musst verstehen, dass ich absolut sicher sein musste. Aber jetzt sind alle Unwägbarkeiten für immer aus dem Weg geräumt. Ich freue mich darauf, dich und meinen Enkel in der Familie willkommen zu heißen. Endlich werden unsere beiden Familien vereint. „Ihre Worte klangen zu schön um wahr zu sein und standen im klaren Gegensatz zu dem kalten Verhalten, welches sie mir noch vor wenigen Minuten entgegengebracht hatte. Dennoch war ich froh zu hören, dass sie mir zumindest offiziell nicht länger grollte.

 

 

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