Kapitel 5
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Ja, die Entscheidung meinen Vater auch als Kingas Vater auszugeben, hielt meine Mutter für absolut richtig. Aber mit einem anderen Entschluss hatte sie schon seit Jahren schwer zu kämpfen. Und auch das musste jetzt geklärt werden. „Kinga, Schatz, war es die richtige Entscheidung von mir, dich damals in die Obhut meiner Schwester zu geben? Es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht vorwerfe, dass ich mich nicht genug angestrengt habe, dir aus eigener Kraft zu helfen. Vielleicht…vielleicht hätten wir eine Therapie versuchen sollen. Vielleicht hättest du nur mehr Zeit gebraucht, um…“

 
 
 

Kinga unterbrach sie. „Nein Mutter, das hätte nichts gebracht. Dafür steckte ich schon viel zu tief im Sumpf aus Hass, Alkohol und Drogen. Wie oft habe ich dich dafür verflucht, dass du mich zu Tante Joanna geschickt hast. Aber wenn ich heute daran denke, was aus mir ohne diese Entscheidung geworden wäre, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Ich war am Ende, Mutter. Aber dein Mut mich gehen zu lassen, hat mich gerettet. Es war hart, aber dadurch habe ich in Justice einen neuen Lebensinhalt gefunden.“ Die Erwähnung von Justice, der Mafia-ähnlichen Organisation der Tante Joanna vorstand, von der ich aber nichts wusste, löste in Mama nicht den Schrecken aus, den sie selbst erwartet hatte. Tief im Inneren hatte sie immer geahnt, dass ihre Zwillingsschwester einen Preis für ihre Hilfe einfordern würde. Doch solange dieser Preis gut für Kinga war, und danach sah es aus, war sie gerne bereit ihn zu bezahlen. „Mutter, ich werfe dir vieles vor, aber in diesem Fall hast du richtig entschieden.“

 
 

 

 

   
   
   

Wir blieben noch bis zum späten Abend bei Kinga und Mama erhielt auch noch die Gelegenheit, Kingas Ehemann Olek kennenzulernen. Ich hatte meine Mutter selten so zufrieden erlebt, wie bei unserer Rückfahrt mit dem Taxi zur Pension. Umgehend rief sie Papa an, um ihm zu berichten, was sich ereignet hatte. Während ich auf einer Gitarre spielte, die ich im Aufenthaltsraum gefunden hatte, lauschte ich, wie sie ein ums andere Mal zwischen herzlichem Lachen und Freudentränen wechselte.

 
   
 

Zum Schluss drückte sie mir den Telefonhörer in die Hand. „Spätzchen“, hörte ich meinen Vater mit zittriger Stimme sagen, „ich bin dir so dankbar, dass du das für Mama gemacht hast.“ „Nicht nur für Mama“, entgegnete ich sogleich. „Ich hab das auch für dich gemacht. Ich weiß doch, wie sehr du Kinga lieb hast.“ Ich hörte ein Schluchzen am anderen Ende der Leitung. Dann räusperte sich mein Vater. „Verdammtes Regenwetter. Da hab ich mich doch glatt erkältet“, versuchte er sich herauszureden, aber ich wusste genau, wie gerührt er war. Endlich, nach so vielen Jahren, kehrte wieder Frieden in unsere Familie ein.

 
   
 

Natürlich trafen wir uns auch am nächsten Tag mit Kinga. Diesmal kam sie zu uns in die Pension. Und auch sie bedankte sich bei mir dafür, dass ich sie dazu gezwungen hatte, mit Mama zu reden. Und sie entschuldigte sich für die harschen Worte, die sie mir am Vortag an den Kopf geworfen hatte.

 
   
 

Natürlich verzieh ich ihr. Um ehrlich zu sein, hatte ich unsere Auseinandersetzung bereits völlig vergessen. Und jetzt konnte ich mit ihr auch die Freude über meine Schwangerschaft teilen. Und ich erzählte ihr von Francesco. Nicht die geschönte Story, die ich sonst berichtete, sondern die Wahrheit, wie sie auch Mama und Tante Joanna kannten. „Und du willst diesen Francesco wirklich heiraten?“, fragte sie, als ich geendet hatte. Auch darüber hatte ich hier in Twinbrook noch einmal in Ruhe nachdenken können. Und die Antwort war ja. Ich wollte Francesco heiraten, denn mein Kind gehört einfach zu seinem Vater.

   
   
   

„Wirst du zu meiner Hochzeit kommen?“, fragte ich hoffnungsvoll. Kinga sah mich erst überrascht an, aber dann begann sie zu lächeln. „Das werde ich mir doch nicht entgehen lassen. Schließlich habe ich doch nur eine Schwester. Außerdem bin ich auf meinen Schwager gespannt. Ein echter Lord also?“ Ich war überglücklich. Am liebsten hätte ich Kinga noch gefragt, ob sie meine Trauzeugin werden wollte. Aber ich ahnte, dass ich damit den Bogen vielleicht überspannt hätte. Die Wunde begann gerade erst zu verheilen und die Narben konnten jeden Moment wieder aufbrechen, wenn wir nicht vorsichtig waren.

 
 

 

 

Teil 3

 
   
 

Wieder Zuhause angekommen wurde es höchste Zeit, sich mit den Hochzeitsvorbereitungen zu beschäftigen. Dazu traf ich mich mit meiner zukünftigen Schwiegermutter Lady Eleonore und Francescos Schwester Alexis auf Schloss Hardsten. „Ich habe mir überlegt, dass die Trauung in der kleinen Kapelle oben auf den Klippen stattfinden könnte“, begann ich zu erzählen, als ich nach meinen Vorstellungen gefragt wurde. „Von dort oben hat man so eine schöne Aussicht aufs Meer. Und ihr beiden und meine Familie würden dort sicherlich Platz finden. Und die Feier könnten wir dann hier auf Hardsten ausrichten. Hier ist ja mehr als genug Platz.“

 
     
 

„Aber Klaudia, Kind, was redest du denn da für einen Unsinn. Eine fürstliche Hochzeit in einer winzigen Kapelle!“, empörte sich Lady Eleonore. „Nein, der Lord von Rodaklippa wird natürlich in der Kathedrale getraut. Ich habe bereits mit dem Bischof gesprochen und er ist hoch erfreut. Und in der Kathedrale wird auch genug Platz für alle Gäste sein. Wir werden natürlich eine Einladung zum Herzog nach Simnorsk schicken. Und dass die Lords und Ladys der benachbarten Lordschaften eingeladen werden, ist bereits beschlossene Sache.“

 
   
   

„Und die Hochzeitsfeier wird auf Schloss Utökad abgehalten, wie es seit Generationen üblich in unserer Familie ist“, stimmt Alexis mit ein. „Ach, Klaudia, du wirst eine wunderschöne Braut sein, in deinem weißen Atlaskleid und dem Schleier aus französischer Chantilly-Spitze. Ich kann es kaum erwarten, dich den Mittelgang der Kathedrale entlangschreiten zu sehen.“ Ich erkannte entsetzt, dass ich bei meiner eigenen Hochzeit kein Mitspracherecht haben würde. Wie konnte ich nur so dumm gewesen sein zu glauben, dass ich tatsächlich mitentscheiden durfte? Lady Eleonore und Alexis hatten bereits alles bis ins Detail geplant. Ich sollte dankbar dafür sein, dass sie mich wenigstens im Voraus über ihre Pläne in Kenntnis setzten.

 
   

Wie wenig ihnen an meiner Meinung gelegen war wurde deutlich, als ich nur zu bereitwillig die Erlaubnis erhielt mich für eine Weile in den Garten zurückziehen zu dürfen. Auf diese Weise konnten Lady Eleonore und Alexis in Ruhe die Hochzeit planen. Die frische Abendluft tat mir gut. Zwar litt ich nicht mehr länger unter Morgenübelkeit, aber dafür spielte mein Kreislauf manchmal etwas verrückt. Ich atmete gerade tief durch, als mich der Klang einer vertrauten Stimme zusammenzucken ließ.

 
   
 

„Na, hast du genug von dem Gerede von Mutter und meiner Schwester?“Ich war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich Francesco gar nicht auf der Steinbank unter der Eiche bemerkt hatte. „Die beiden können sehr anstrengend werden, wenn sie sich erst einmal für ein Thema begeistern. Und dann wird es schwierig,  gegen sie anzukommen. Ich hab es mir daher angewöhnt, gleich das Feld zu räumen. Das spart Zeit und Nerven.“

 
     
 

Ich musste bei seinen Worten lächeln. Aber glücklich machte es mich nicht, kein Mitspracherecht bei meiner eigenen Hochzeit zu haben. Und leider sah es nicht danach aus, als ob ich in dieser Hinsicht Unterstützung von Francesco erwarten konnte. Das führte wiederum dazu, dass ich erneut die gesamte Hochzeit in Frage stellte. Meine Unsicherheit war so groß, dass ich sie zum ersten Mal auch Francesco gegenüber zur Sprache brachte. „Bist du dir sicher, dass wir das richtige tun? Ich meine…warum willst du überhaupt mich heiraten? Du könntest doch vermutlich jede haben. Warum also ausgerechnet ich?“

 
   
   

Francesco blickte mich ernst an und ließ sich einen Moment Zeit für seine Antwort. „Der Hauptgrund, Klaudia, ist, dass meine Mutter unsere Hochzeit für eine gute Idee hält. Sie hat dich für mich als passende Frau ausgesucht und ich vertraue ihrem Urteil in dieser Hinsicht blind. Sie war immer um mein Wohl, aber insbesondere das Wohl unserer Familie bedacht. Und wenn Mutter sagt, du bist die richtige Frau, um Lady von Rodaklippa und Mutter des nächsten Erben zu sein, dann stelle ich das nicht in Frage.“

   
   
 

„Und die letztere Aufgabe hast du ja bereits glänzend erfüllt…oder zumindest fast.“ Seine Mine wurde deutlich freundlicher bei diesen Worten. „Du erwartest mein Kind. In diesem Fall bleibt uns gar keine andere Wahl, als die Ehe einzugehen. Und ich hätte es weitaus schlimmer treffen können. Optisch gibt es an dir wenig zu bemängeln, Klaudia, und im Gegensatz zu vielen anderen Frauen denke ich nicht unentwegt, dass ich meine Zeit auch sinnvoller hätte nutzen können, als sie in deiner Gegenwart zu verbringen.“ Sollte das ein Kompliment gewesen sein? Ich war mir nicht sicher, ob ich versuchte einfach, es als solches aufzunehmen. Immerhin wusste ich jetzt genau, dass Francesco nicht an unserer Entschluss zu heiraten zweifelte. Und das gab mir Mut, es auch nicht zu tun.

   

 

 

 
     

Einige Wochen später bat mich Magda, mich etwas aufzubrezeln. Das war leichter gesagt als getan, dann bedingt durch die Schwangerschaft passten mir meine normalen Klamotten nicht mehr so richtig. Aber schließlich grub ich doch noch etwas aus dem Schrank, was bei Magda Anklang fand und in das ich dennoch hinein passte. Dann verdeckte sie mir die Augen und führte mich ins Wohnzimmer. Der Sinn des Ganzen wurde mir offenbart, als sie die Hände von meinen Augen nahm und eine Horde von Frauen wild „Überraschung!“ schrie. „Ein Junggesellinnenabschied?“, fragte ich überwältigt und Magda nickte eifrig.

   
   
   

Magda hatte Mama, Tante Joanna, Alexis und meine Galeristin Melinda zu diesem Anlass eingeladen. Eigentlich hatte sie geplant, mit mir und den anderen Frauen die Innenstadt von Rodaklippa unsicher zu machen. Aber Alexis hatte darauf hingewiesen, dass sich so ein Benehmen für die zukünftige Lady nicht gehörte. Und Magda musste schließlich nachgeben und sich mit einer intimen Privatparty begnügen, die auch noch möglichst weit vor dem eigentlichen Hochzeitstermin datiert war, damit die Presse gar nicht erst auf die Idee kam, dass sich etwas ereignen könnte. In diesem Fall war ich sehr froh über das Eingreifen meiner baldigen Schwägerin, denn ich hätte mir nichts schlimmeres Vorstellen können, als verkleidet und umringt von einer Horde betrunkener Frauen von Kneipe zu Kneipe zu ziehen und fremde Leute anzusprechen, die mir etwas abkaufen oder Spielchen mit mir spielen sollten. Stattdessen konnte ich mich in ruhiger Atmosphäre mit den Menschen unterhalten, die mir wichtig waren und ihren Lobreden auf meine baldige Heirat lauschen.

 
   

Aber es wurde nicht nur geredet. Ich weiß gar nicht wer damit begonnen hatte, aber plötzlich liefen alle mit Kissen bewaffnet umher und schlugen aufeinander ein, dass die Federn nur so umherflogen. Ich bekam vor lauter Lachen beinah keine Luft mehr. Und das die ein oder andere Feder im Salat landete, war uns in der Situation auch egal.

 

 

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kor. 11.01.2015