Kapitel 6
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Rocky betrachtete die Würmer skeptisch. „Für mich sehen die wie ganz normale Regenwürmer aus“, sagte er schließlich. „Ach, Rocky, du bist ja noch so ein Baby. Das sind köstliche Zuckerwürmer. Die fressen im Sommer die ganzen Erdbeeren und Himbeeren und schmecken dann ganz süß“, erklärte Karlotta. Und um es ihm zu beweisen, steckte sie sich einen Wurm in den Mund. „Mmmh, köstlich! Du musst auch einen probieren.“ Na wenn seine große Cousine - ein Mädchen - den Wurm gegessen hatte, dann wollte er ihr in nichts nachstehen. Er nahm sich einen Wurm von Karlottas Hand, steckte ihn sich in den Mund und biss beherzt zu…um ihn gleich wieder auszuspucken. Denn natürlich war es kein Zuckerwurm, sondern ein gewöhnlicher Regenwurm. Und Karlotta hatte nur so getan, als ob sie einen gegessen hätte.

 
 
 

„Haha, Rocky, du bist ja so blöd“, lachte Karlotta ihren Cousin aus. „Du fällst ja auf jeden Trick rein.“ Auch Annabell fiel in das Gelächter mit ein. „Rocky ist ein Blödkopf, Rocky ist ein Blödkopf!“, begannen beide gleichzeitig zu singen und schnitten dabei fiese Grimassen. Rocky wusste gar nicht wie ihm geschah. Am liebst hätte er geweint. Aber das hätte ihn in den Augen seiner Cousine noch mehr wie ein Baby aussehen lassen und diese Genugtuung wollte er ihr nicht gönnen.

 
     
 

Aber Rocky war kein nachtragender Mensch. Bereits nach wenigen Minuten hatte er seiner Cousine den Scherz wieder verziehen. Eigentlich war es ja sogar ganz lustig gewesen. Und er konnte jetzt immerhin vor seinen Freunden angeben, dass er einen echten, lebenden Regenwurm gegessen hatte. Thassilo hatte so etwas bestimmt noch nie gemacht. Als die Kinder abends dann alle in ihren Schlafsäcken lagen, hegte er keinen Groll mehr gehen Karlotta und ihre Freundin.

 
     
 

Nur war Karlotta noch nicht fertig mit ihrem Scherz. Nein, der Höhepunkt sollte erst noch kommen. Als sie sicher war, dass alle fest schliefen, schlich sie sich nach oben und nahm Pinsel und Farbe aus meinem Atelier. Dann beugte sie sich über Rockys friedlich schlafendes Gesicht und malte ihn an. Erst ganz vorsichtig, da sie Angst hatte, ihn zu wecken. Aber als sie merkte, dass ihr Cousin wie ein Stein schlief, trug sie die Farbe gleich etwas dicker auf.

 
   
 

Am Morgen wurde Rocky von lautem Gelächter geweckt. „Guckt euch sein Gesicht an“, gluckste Annabelle. „Der ist ja ganz vollgeschmiert!“ „Bestimmt hat er versucht Farbe zu essen“, sagte Shamika. „Der ist ja so doof.“ Rocky wusste gar nicht wie ihm geschah und sah sich erschrocken um.

 
   
 

Ich war ebenfalls schon wach und bereitete in der Küche das Frühstück zu. Als ich den Lärm aus dem Zimmer der Kinder hörte, ging ich rüber, um nach dem Rechten zu sehen. Und als ich dann Rockys verschmiertes Gesicht erblickte, bekam ich einen richtigen Schrecken. „Rocky, was ist denn bloß passiert?“ Mein Neffe sah mich ratlos an und die Mädchen kicherten alle bloß. Ihm stiegen die Tränen in die Augen.

 
     
 

Da erst wurde mir klar, dass er selbst keinen Schimmer davon hatte, wie sein Gesicht aussah. Ich nahm Magdas Ältesten daher bei der Hand und führte ihn zum Spiegel im Flur. Ein lauter Entsetzenschrei entfuhr seinen Lippen, als er sein Gesicht sah. „Bin ich krank, Tante Klaudia?“, fragte er panisch. Dahingehend konnte ich ihn schnell beruhigen. „Nein, Rocky, das ist nur…“, mit etwas Spucke befeuchtete ich meinen Finger, wischte etwas von der Bemalung ab, und probierte es, „…nur Acrylfarbe. Aber wie kommt die in dein Gesicht?“

 
     
 

Genau das wollte ich in Erfahrung bringen. Ich rief die Mädchen zu mir. Natürlich lag die Vermutung nahe, dass eine von Lottchens Freundinnen Rocky angemalt hatte. Aber die Mädchen beteuerten glaubhaft, dass sie nicht wüssten, wie die Farbe in Rockys Gesicht gekommen war. Und Lottchen verbürgte sich dafür, dass keine ihrer Freundinnen so etwas Kindisches tun würde. Tja, und weil auch Rocky nicht die geringste Ahnung hatte, was passiert sein konnte, blieb dieses Rätsel ungelöst.

 
   
 

Es blieb mir nichts anderes übrig, als mit Rocky ins Bad zu gehen und die Farbe abzuwaschen. Zum Glück ging sie mit viel Seife und kräftigem Schrubben gut ab. Ein leichter violetter Schatten verblieb zwar auf seinem Gesicht, aber der fiel kaum auf, wenn man nicht gerade darauf achtete. Und in ein paar Tagen würde der sicher auch verschwunden sein. Trotzdem ließ es mir keine Ruhe, wer das Rocky angetan hatte. Es konnten ja nur Annabelle oder Shamika gewesen sein. Es behagte mir nicht, dass sich mein Lottchen mir solchen Mädchen abgab.

 
 

 

 

   
   
 

Aber mein kleines Mädchen war nun einmal kein Kleinkind mehr. Sie suchte sich ihre Freunde selbst aus und mir blieb nur zu hoffen, dass ich ihr beigebracht hatte, gute von schlechten Menschen zu unterscheiden. Wie schnell sie älter wurde, wurde mir mit jedem weiteren Geburtstag vor Augen geführt. Es kam mir so vor, als hätte ich Lottchen erst gestern das Laufen beigebracht, und heute wurde sie bereits neun Jahre alt.

 
     
 

Die ganze Familie hatte sich versammelt, um dieses Ereignis zu feiern. Das Wetter war schön und so wurde die Feier im Garten ausgetragen. Von ihren Freunden war heute nur Shamika anwesend. Aber das war für Lottchen nur ein kleiner Wehmutstropfen, wusste sie doch genau, dass sie bereits nächste Woche eine Party mit all ihren Schulfreunden feiern durfte. Und dann würde es auch eine Hüpfburg geben und einen Clown und ein Pony und…

 

 

 

Teil 2

 
   
 

Einige Wochen nach Lottchens neuntem Geburtstag, erhielt mein Bruder Sky ein Jobangebot von einer Kanzlei auf Isla Paradiso. Zunächst erzählte er niemandem davon und flog alleine zu dem Vorstellungsgespräch in den Süden der SimNation. Und er war auf Anhieb begeistert von der Kanzlei. Sein Chef war sehr symphytisch, die Kollegen freundlich und aufgeschlossen. Das musste wohl der Einfluss des ständigen Sonnenscheins sein. Wieder in Rodaklippa angekommen, musste er nur noch Tamara erklären, dass er das Angebot sehr gerne annehmen würde. Er hatte Angst, wie sie reagieren würde. Würde sie ihn überhaupt begleiten wollen? Würden die beiden im Zweifelsfall eine Fernbeziehung überstehen? All diese Gedanken hätte er sich sparen könne, denn ohne lange zu überlegen teilte Tamara ihm mit, dass sie ihn selbstverständlich zusammen mit Thassilo begleiten würde. Nichts hatte mein Bruder sich sehnlicher erhofft. Und so zogen Sky, Tammy und mein Neffe Thassilo auf das gut 2000 km weit entfernte Isla Paradiso. Kurz nach ihrer Ankunft dort erhielt ich ein süßes Selfie der beiden vor ihrem neuen Domizil. Entweder musste mein Bruder sehr gut in seinem neuen Job verdienen oder die Mieten auf Isla Paradioso waren einfach unglaublich niedrig, wenn sie sich so ein Haus leisten konnten.

 
     
 

Gerade Tammy war es sehr schwergefallen, meinen Eltern den anstehenden Umzug zu verkünden. Sie hatte das Gefühl, die beiden zu verraten. Immerhin hatte sie sie bei sich aufgenommen, als sie von ihren eigenen Eltern verstoßen worden war. Selbst als sie nicht mehr länger mit Sky zusammen war, hatten meine Eltern weiterhin zu ihr gehalten, ja, sie wie eine Tochter behandelt. Sie hatte ihnen so viel zu verdanken. Auch wenn es Mama schwerfiel, Sky und Tamara ziehen zu lassen, so wusste sie doch, dass Kinder lernen mussten, auf eigenen Beinen zu stehen. Und in der Tat lebten sich die drei schnell in ihrem neuen Zuhause ein und Tamara fand sogar schnell einen neuen Job in der Buchhaltung des Kinos von Isla Paradiso.

 
   
   

Natürlich war es zu Beginn schwer für die drei. Sky musste viel und lange arbeiten, Tammy musste sich in ein neues Arbeitsfeld einarbeiten und Thassilo sich an der neuen Schule zurechtfinden. Aber das Gute an Isla Paradiso war, dass man hier wunderbar entspannen konnte. Nach der Arbeit konnte man einfach seine Badehose einpacken, und hinunter zum Strand gehen. Ein gutes Buch, ein entspannendes Sonnenbad oder das Bauen einer großartigen Sandburg ließen die kleinen Alltagssorgen schnell in Vergessenheit geraten.

   
   
 

Gerade Sky fühlte sich durch die fast immer warmen Temperaturen an seien Kindheit in der Sierra Simlone erinnert. Nur gab es hier auch Wasser, welches ihm in unsere Wüstenheimat gefehlt hatte. Und ich spreche jetzt nicht von einem öden Pool, denn den hatten wir durchaus bei uns im Garten, sondern vom großen Ozean, mit seinen Wellen und den unterschiedlichsten farbenfrohen Fischen, die nur darauf warteten, beobachtet zu werden.

     
 

Die malerische Natur Isla Paradisos bot Sky und Tammy darüber hinaus viele Möglichkeiten, sich für ein paar Stunden zurückzuziehen und ihre Zweisamkeit zu genießen. Noch ahnte Tammy nicht, was passieren sollte, als Sky sie an einem warmen Frühlingstag zu einem Picknick an einem versteckten Teich in den Bergregionen der Insel einlud.

   
   
 

Die Überraschung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, als mein kleiner Bruder nach dem Essen während eines Spaziergangs um den Teich plötzlich vor ihr auf die Knie sank und einen Verlobungsring zückte. Sky war zuvor super nervös gewesen. Immerhin hatte er Tammy schon einmal gefragt, ob sie seine Frau werden wolle, damals, als sie mit Thassilo schwanger war. Und damals hatte sie abgelehnt. Noch eine Abfuhr würde er nicht verkraften. Doch dazu kam es nicht. Tammy nahm überglücklich seinen Antrag an. Sie liebte meinen Bruder. Und diesmal war sie sich sicher, dass er sie wirklich aus Liebe und nicht nur aus Pflichtgefühl heiraten wollte. Sky und sie, sie hatten beide zwischendurch andere Partner gehabt, aber mit keinem hatten sie sich jemals so geborgen gefühlt, wie miteinander. Es bestand kein Zweifel mehr daran, dass sie zusammengehörten.

 

 

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kor. 29.06.2023