Kapitel 4
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Ich riss meine Augen überrascht auf. War das…war das etwa ein Heiratsantrag gewesen? Unsicher blickte ich zur Seite. Ja, Francesco hatte Recht, wir beide wussten ganz genau, weswegen wir heuet Abend zusammen gekommen waren. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, mich jetzt sofort entscheiden zu müssen. Aber war es nicht das, was ich immer wollte? Einen Ehemann, Kinder, eine Familie? Er bot mir in diesem Moment all das an. Was sprach also dagegen, es anzunehmen? Er war kultiviert, sah gut aus und offenbar war er auch noch reich. Konnte ich es überhaupt besser treffen? Aber auf der anderen Seite hatten wir nicht wirklich viel gemeinsam. Er hatte kaum Interesse an meiner Arbeit gezeigt, auf die ich doch so stolz war. Und dass er beim Essen einfach für mich entschieden hatte, lastete immer noch auf mir. Und obwohl er gut aussah hatte ich keine Schmetterlinge im Bauch. Doch waren das wirkliche Argumente gegen diese Ehe oder übermannte mich wieder einmal die Panik und ich versuchte verzweifelt einen Grund zu finden, um wie so oft fliehen zu können?

 
 
 

Nein! Nicht diesmal. Ich würde nicht noch einmal davonlaufen und mir die Chance auf mein Glück verbauen. Ich würde Francesco noch besser kennenlernen…später…nach unserer Hochzeit. Und dann würden wir auch gemeinsam Interessen finden und schon bald wäre mein Bauch das reinste Schmetterlingshaus. „Ja, ich kann mir vorstellen, Ihre…deine Frau zu werden“, antwortete ich daher und blickte ihm vorsichtig in die Augen. Francesco kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. „Ich bin froh, das zu hören“, flüsterte er in mein Ohr. Ein Mann war froh, dass ich ihn heiraten wollte! Eigentlich hätte ich überglücklich sein müssen. Doch irgendwie…fühlte es sich nicht richtig an. Noch nicht. Ich musste einfach nur fest genug an mein Glück glauben. 

 
 

 

 

   
   
   

Doch meine Zuversicht schwand als ich Zuhause eintraf, das ungewohnte Haarband entfernte und das teure Kleid auszog. Mir wurde klar, dass ich mich wieder einmal hatte verkleiden lassen. Die Frau, die Francesco heute gesehen hat und die ihm offenbar auch gefiel, das war nicht wirklich ich gewesen. Das war die Frau, die meine Tante an diesem Abend aus mir gemacht hatte. Und je mehr ich über die Begegnung mit Francesco nachdachte, desto deutlich wurde mir, dass ich für ihn nichts empfand, ja, dass sein Benehmen mich teilweise sogar abgeschreckt hat. Konnte ich so einen Mann wirklich heiraten? Ich grübelte und grübelte über diese Frage nach und mit jeder Stunde die verstrich war ich eher dazu geneigt, diese Frage mit nein zu beantworten.

 
   
 

Irgendwann fiel ich doch in einen unruhigen Schlaf. Als mich die durch mein Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen weckten, wusste ich immer noch nicht, wie ich jetzt vorgehen sollte. Daher entschloss ich mich erst einmal eine Runde zu joggen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich hatte das Training in den letzten Tagen ohnehin zu sehr schleifen lassen. Als ich die Schublade meiner Kommode aufzog, um meine Sportsachen rauszusuchen, fiel mein Blick auf mein Handy, welches ich nach meinem katastrophalen Date mit Roman aus Wut und Enttäuschung dort hineingeworfen hatte.

 
   
 

Im Display leuchteten mehre Icons auf, die mich auf verpasste Anrufe und eingegangene Textnachrichten aufmerksam machen sollte. Ich griff hastig nach dem Handy und erstarrte, als ich sah, dass Roman angerufen hatte. Nicht nur einmal, sondern unzählige Male. Und er hatte mir Textnachrichten hinterlassen. „Klaudia, bitte melde dich.“ „Was immer ich getan habe, es tut mir leid.“ „Das war alles nur ein Missverständnis, lass uns in Ruhe über alles reden.“ „Klaudia, bitte, ich liebe dich!“

 
   
 

„Klaudia, bitte, ich liebe dich!“ Ich las diese Nachricht immer und immer wieder und traute meinen Augen dennoch nicht. Roman liebte mich! Er liebte mich wirklich! Und er wollte mir verzeihen! Ich hatte doch nicht alles ruiniert. Und hätte ich mein Handy mit zu meinen Eltern genommen, dann hätten wir uns längst aussprechen können. Aber das änderte alles. Ich konnte Francesco nicht heiraten, denn ich liebte ihn nicht. Und ich würde es auch niemals können solange ich wusste, dass Roman mich liebte. Und ich liebte ihn auch.

   
   
   

Sofort wählte ich Romans Nummer und wartete sehnsüchtig darauf, seine Stimme zu hören. Doch während ich auf das Freizeichen wartete wurde plötzlich die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen und Magda kam mit einer Zeitung in der Hand herein stolziert. „Claude, du hinterhältiges Luder du!“, sagte sie grinsend. „Wie konntest du mir so etwas verheimlichen! Mir, deiner eigenen Cousine. Verlobt! Und das mit dem Lord von Rodaklippa! Ich fasse es einfach nicht, Claude. Und ich hatte mir Sorgen gemacht, dass du nach dem Fiasko mit Gernot und Israel in eine Depression verfallen würdest. Aber stattdessen angelst du dir den ganz dicken Fisch und gaukelst uns auch noch vor, mit irgendeinem Roman anzubändeln. Das war bestimmt, um die Journalisten zu verwirren. Sehr schlau, Claude, sehr schlau. Aber du hast ja auch von der Meisterin gelernt.“

 
   
 

Was? Wie konnte Magda davon wissen, dass ich Francesco gestern gesagt hatte, dass ich ihn heiraten würde? Hatte es ihre Mutter ihr etwa gesagt? Aber warum redete sie dann vom Lord von Rodaklippa? Magda setzte sich auf meine Sessel und schlug das Titelplatt der Tageszeitung auf. Sofort erkannte ich ein großes Bild von mir und Francesco. Und die Schlagzeile lautete „Lord von Rodaklippa gibt Verlobung mit Großrundbesitzertochter bekannt“. Meine Augen weiteten sich vor Unglauben. Magda las indes den Artikel weiter laut vor. „Dem Hause Hartfels und der Lordschaft Rodaklippa steht eine feudale Hochzeit bevor. Wie der Sprecher der Familie mitteilte haben sich Lord Wilhelm Francesco Hartfels von Rodaklippa (31) und Klaudia Virginia Blech (25) am gestrigen Abend verlobt. Die zukünftigen Braut ist Tochter der Großgrundbesitzer Oxana und Dominik Blech, Eigentümern der Blech’schen Apfelplantagen, und darüber hinaus eine bekannte lokale Malerin. Das Paar kennt sich erst seit wenigen Wochen, doch beide seien sich sicher, diesen großen Schritt wagen zu wollen. Der genau Termin der Hochzeit steht noch nicht fest, aber es wird vermutet, dass sich das Paar im Frühjahr das Ja-Wort geben wird.“

 
   
 

Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich, darum kam mir Francesco so bekannt vor. Er war der Lord von Rodaklippa! Nur das ich ihn sonst nur unter seinem ersten Vornamen Wilhelm kannte. Als ich damals zum Studieren nach Nantesim zog, war noch sein Vater Lord gewesen. Und nach meiner Rückkehr nach Rodaklippa hatte ich mich für die Lokalpolitik nicht sonderlich interessiert. Hätte ich bloß öfter die Lokalnachrichten geschaut, dann hätte ich sofort erkannt, war da vor mir saß. Kein Wunder das Francesco so grinsen musste, also ich ihn fragte, was er beruflich tat. Und er hat mit keinem Wort etwas verraten und sich sogar über meine Unwissenheit amüsiert. Aber warum wusste die Zeitung von unserem Vorhaben zu heiraten? Ich hatte doch vor wenigen Minuten noch den Entschluss gefasst Tante Joanne mitzuteilen, dass ich Francesco nicht heiraten wollte. Aber wie sollte ich jetzt noch einen Rückzieher machen, wenn es doch schon in die ganze Welt hinausposaunt worden war?

   
   
 

Magda schien meine Bestürzung nicht zu bemerken. Stattdessen legte sie die Zeitung beiseite und nahm mich herzlich in den Arm. „Ich freue mich ja so für die, Claude. Lady Klaudia Hartfels von Rodaklippa.  Hört sich das nicht wundervoll an? Du wirst eine echte Prinzessin, na ja…zumindest so etwas in der Art. Wer hätte das vor wenigen Monaten noch für möglich gehalten?“

 
     
 

Ich ganz sicher nicht. Und um ehrlich zu sein, suchte ich verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser Situation. Doch mir blieb keine Zeit zum Nachdenken, denn kaum hatte ich mich angezogen, standen auch schon meine Eltern und mein Bruder vor der Haustür. „Wieso hast du uns denn nichts gesagt, Spätzchen“, fragte mein Vater nachdem er mir gratuliert und mich überschwänglich in den Arm genommen hatte. „Ich hätte mich heute Morgen fast an meinem Kaffee verschluckt, als ich die Zeitung aufschlug.“ Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, aber überraschenderweise kam mir meine Mutter zu Hilfe. „Ich bin mir sicher, dass Klaudia dem Hause Hartfels versprechen musste, nichts zu früh an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Und du weißt ja, wie pflichtbewusst unser Spätzchen ist, da hat sie nicht einmal ihren eigenen Eltern etwas erzähl.“ Ich nickte Mama dankbar zu.

 
 

„Dann zeig uns mal deinen Verlobungsring, Schwesterchen“, verlangte mein Bruder aufgeregt. Alle drei blickten sofort auf meine linke Hand, die ich schnell hinter meinem Rücken verbarg. „Hast du ihn gar nicht auf?“, fragte Sky verwundert. „Nein, der Ring ist...“, begann ich zu stottern und wieder war es Mama die mir beistand. „War der Ring etwa noch nicht fertig gewesen?“, fragte sie und ich begann heftig zu nicken, als ich verstand, worauf sie hinauswollte. „Ja, Francesco hat sich vielmals entschuldigt, dass der Ring, den er hat anfertigen lassen, nicht rechtzeitig beim Juwelier in Rodaklippa angekommen ist.“ Meine Mutter begann zu lachen. „Ach diese Männer. Erst lassen sie einen eine gefühlte Ewigkeit auf den Antrag warten und wenn es dann so weit ist, können sie sich nicht einen Tag länger gedulden, die Frage zu stellen.“ Ich warf ihr erneut einen dankbaren Blick zu.

   
   
   

Wenig später bat ich meine Mutter unter einem Vorwand, mir in mein Zimmer zu folgen. Sie hatte natürlich sofort durchschaut, dass ich über etwas ganz anderes mit ihr sprechen wollte. „Du bist nicht so glücklich, wie du einen Tag nach deiner Verlobung sein solltest“, stellte sie fest. Damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen und ich berichtete ihr von meinem Dilemma, dass ich Francesco zwar zugesagt hatte, aber dann von Romans Nachrichten erfahren hatte. „Ich wollte Tante Joanna gleich heute Morgen mitteilen, dass ich es mir anders überlegt habe. Aber dann stand auch schon alles in der Zeitung. Was soll ich denn jetzt tun, Mami?“

 
   
 

„Wenn du Francesco nicht heiraten willst, dann wirst du es eben nicht tun!“, erklärte meine Mutter entschieden. „Es ist schließlich den Leben.“ „Aber es wird sicherlich einen riesigen Skandal geben, wenn ich die Verlobung jetzt wieder löse“, entgegnete ich. „Und Tante Joanna wir sicherlich auch furchtbar böse werde.“ Beim Klang des Namens ihrer Schwester stemmte meine Mutter wütend die Hände in die Hüften. „Joanna!“, spie sie den Namen ihrer Schwester aus. „Ich werde ihr solch eine Ohrfeige dafür verpassen, dass sie dich in diese Situation gebracht hat, dass ihr noch Tagelang die Ohren davon klingeln werden. Ich hatte doch gleich gesagt, dass es eine Schnapsidee ist, dich verheiraten zu wollen.“ Nach einer Weile beruhigte sie sich wieder etwas. „Spätzchen, du rufst jetzt sofort diesen Roman an und erklärst ihm die ganze Geschichte. Dann können wir immer noch überlegen, wie wir weiter vorgehen wollen.“

 
       
 

Und das tat ich dann auch. Mama verließ mein Zimmer und ich nahm mein Handy und wählte Romans Nummer. Lange Zeit hörte ich nur das Freizeichen, doch dann ging Roman tatsächlich ran. „Ja?“, war die einzige Begrüßung, die ich erhielt. „Hallo Roman, ich bin’s, Klaudia“, stellte ich mich vor. Hatte er meinen Namen etwa noch nicht im Display gesehen? Als keine Reaktion von ihm folgte, fuhr ich fort. „Ich hab erst jetzt gesehen, dass du versucht hast mich zu erreichen. Ich hatte mein Handy verlegt. Das war eine ganz dumme Geschichte, du wirst lachen, wenn ich sie dir erzähle. Aber jetzt habe ich deine vielen Nachrichten gelesen. Und ich bin so glücklich darüber. Ich liebe dich nämlich auch!“ Spätestens jetzt hatte ich eine Reaktion erwartet. Doch Roman blieb stumm. „Willst du denn nichts dazu sagen?“, flehte ich schließlich.

 
 
   

„Was soll ich denn dazu sagen!“, antwortete er endlich. Doch er klang keineswegs glücklich über meine Liebeserklärung. Ganz im Gegenteil. „Soll ich dann dein Liebhaber werden und mich zu dir ins Herrenhaus schleichen, wenn dein Verlobter, der Lord, nicht anwesend ist? Was bist du bloß für eine Frau, Klaudia? Wir haben uns oft gesehen und du hieltst es nicht einmal für nötig mir mitzuteilen, dass du bereits einen Freund hast! Und jetzt muss ich aus der Zeitung erfahren, dass du verlobt bist. Ich hatte mir Sorgen um dich gemacht, als ich dich nicht erreichen konnte. Aber du hast ja offenbar eine großartige Verlobungsparty im Schloss gefeiert. Und dann hast du die Dreistigkeit mir mitzuteilen, dass du mich liebst? Auf so eine Liebe kann ich verzichten, Klaudia! Ich gratuliere deinem Verlobten, da hat er sich ja eine feine Schlange ins Nest geholt. Ich jeden falls bin fertig mit dir. Ruf mich bitte nicht mehr und heb dir deine falschen Liebesschwüre für deinen zukünftigen Mann auf.“

 
     

Damit beendete er das Gespräch. Ich überlegte kurz, ob ich ihn noch einmal anrufen sollte. Aber ich fühlte, dass er nicht erneut rangehen würde. Ich an seiner Stelle hätte es auch nicht getan, denn die Sachlage war zu offensichtlich. Er würde mir niemals glauben, dass ich Francesco erst gestern Abend kennengelernt hatte und dass unsere Verlobung lediglich von meiner Tante arrangiert worden war. Es hörte sich ja auch zu verrückt an. Nein, ich hatte Roman endgültig vergrault.

   
   
   

Mir war nach Heulen zumute, aber ich wusste, dass das auch nichts geändert hätte. Aber hinaus zu meiner Familie konnte ich auch nicht gehen. Stattdessen hockte ich mich aufs Bett und starte meine Füße an. Nach einer Weile hörte ich ein leises Klopfen an der Tür und meine Tante meldete sich zu Wort. „Darf ich rein kommen?“, fragte sie. Ich erlaubte es ihr und stand vom Bett auf, als sie das Zimmer betrat. „Deine Mutter rief mich an und meinte, ich müsste dringend mit dir sprechen.“ Sie streckte mir die Hand entgegen und forderte mich auf diese Weise auf, näher an sie heran zu treten. „Ich vermute, es geht um die Verlobung mit Francesco? Lass mich eines vorweg sagen: Ich war selbst überrascht, bereits heute von eurer Verlobung in der Zeitung zu lesen. Ich hatte angenommen, mich vorher noch einmal mit dir besprechen zu können.“

 
   

„Können wir diese Verlobung wieder lösen?“, fragte ich hoffnungsvoll. Doch der der verkniffene Gesichtsausdruck meiner Tante verriet, dass dies nicht einfach werden würde. „Klaudia, ich hatte dich sehr eindrücklich gewarnt, dass deine Entscheidung bindend sein würde. Deshalb antworte mir ganz ehrlich, hast du oder hast du nicht gestern Abend Francesco zugesagt, seine Frau zu werden?“ Mutlos ließ ich meine Schultern hängen. „Ich habe zugesagt“, antworte ich. „Aber doch nur, weil er mich mit der Frage so überfahren hat“, fügte ich immer leiser werdend hinzu.

 

 

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kor. 19.10.2014