Kapitel 4
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Aber vielleicht tat Roman das ja. Vielleicht war es noch nicht zu spät. In mir keimte die Hoffnung auf und ich holte mein Handy aus der Handtasche. Doch ein Blick auf das Display verschaffte mir Gewissheit. Kein entgangener Anruf wurde wir angezeigt und es war auch keine SMS eingegangen. Roman hatte also nicht einmal versucht, mich zu erreichen und mich um eine Erklärung zu bitten. Er hatte mich demnach tatsächlich abgeschrieben.

 
 
 

Plötzlich überkam mich eine furchtbare Wut auf mein Handy, weil es mich in dieser schweren Situation  einfach im Stich gelassen hatte. Zornig riss ich die oberste Schublade meiner Kommode auf, warf mein Mobiltelefon in die hinterste Ecke und knallte die Schublade wieder zu.

 
     
 

Doch das half nicht, meine Wut und Enttäuschung zu mindern. Denn ich wusste ja, dass mein Handy keine Schuld traf. Ich war diejenige, die nicht in der Lage war, eine Beziehung einzugehen. Meine eigene Unsicherheit verschreckte jeden Mann. Entweder trieb sie ihn in die Arme einer anderen Frau oder einfach nur weit von mir weg. Ich drückte meinen geliebten Kuschelpanda fest an mich und hockte mich in die Nische zwischen meinem Bett, der Wand und dem Nachtisch. Nach wenigen Minuten war Kuschelpandas Fell tränengetränkt. Und ich wurde immer verzweifelter. Ich würde niemals den Mann fürs Leben finden. Ich würde niemals heiraten und niemals Kinder bekommen. Und unter dieser Erkenntnis brach ich fast zusammen. Ich wollte nicht einsam und verbittert sterben, ich wollte das einfach nicht.

 
   

 

 

 
   
 

Es gab nur eine Person die mich in dieser Situation trösten konnte und das war meine Mama. Ich musste jetzt zu ihr. Also eilte ich mit tränenverschmierten Gesicht zu meinem rostigen Fahrrad und fuhr hinaus in den ländlichen Randbezirk von Rodaklippa. Schon als ich das Haus meiner Eltern in weiter Ferne oben auf dem Hügel erblickte, wurde mir etwas leichter ums Herz.

 
   
 

Die Tür zu meinem Elternhaus war wie so oft einen Spalt weit geöffnet, sodass ich einfach hinein gehen konnte. Ich wollte gerade nach meiner Mutter rufen, als ich ihre Stimmen aus dem Wohnzimmer hörte. „Nein, das kannst du nicht machen“, hörte ich Mama aufgebracht einwenden. „Ich verbiete es!“ Daraufhin antwortete eine weitere Frauenstimme: „Aber ich will ihr doch nicht schaden, Xana. Klaudia ist doch auch meine Nichte.“ Die Stimme gehörte eindeutig zu Tante Joanna. Ich wusste gar nicht, dass sie in der Stadt war. Aber viel neugieriger machte es mich, warum meine Mutter mit ihrer Zwillingsschwester über mich in Streit geraten war. Lautlos schlich ich mich zur Tür und spähte ins Wohnzimmer.

 
   
 

Die beiden waren so in ihren Disput vertieft, dass sie mich nicht bemerkten. „Es tut mir leid, wenn ich an deinen guten Absichten manchmal so meine Zweifel habe, Jojo“, antworte meine Mutter. „Ich habe dir zwar schon vor langer Zeit verziehen, aber ich habe dennoch nicht vergessen, in welche Gefahr du mich mit deinen Machenschaften damals in Samara gebracht hast. Also vergib mir, wenn ich dir nicht abkaufe, dass du diesmal keine Hintergedanken hast. Aber selbst wenn, Klaudia ist mein Tochter und ich werde nicht zulassen, dass du sie an irgendeinen deiner Geschäftspartner verschacherst.“

   
   
   

Tante Joanna erwiderte empört: „Du tust ja gerade so, als ob ich sie auf einem Basar an den Höchstbietenden verkaufen wollte. Aber glaub mir Schwester, dem ist gewiss nicht so. Der Mann den ich für Klaudia ausgesucht habe, gehört zu einer sehr angesehenen Familie. Ich habe ihn gründlich durchleuchten lassen und er hat sich nichts Verwerfliches zu schulde kommen lassen. Und wenn es dich beruhigt, er ist auch nicht in meine Geschäfte involviert. Ich gebe zu, die Verbindung seiner und unserer Familie würde durchaus zu meinem Vorteil sein, aber diese Verbindung wäre auch sehr Vorteilhaft für Klaudia. Und es ist nicht so, dass ich Klaudia zu etwas zwingen will. Ich wollte nur zuerst mit dir, ihrer Mutter, sprechen, bevor ich selbst auf sie zugehe.“

 
   
 

„Wenn dieser Mann eine so gute Partie ist, warum willst du dann nicht deine eigene Tochter mit ihm verheiraten, Jojo? Warum musst du da mein kleines Mädchen mit hineinziehen?“ Meine Mutter redete sich immer weiter in Rage, doch Tante Joanna hatte nur ein müdes Lächeln dafür übrig. „Ach, Xana, du kennst doch Magda. Wie lange glaubst du würde diese Ehe gut gehen? Ich will unsere beiden Familien zusammenbringen und ich fürchte Magda würde leider allzu schnell dafür sorgen, dass ein unüberwindbarer Graben zwischen uns entsteht. Und damit wäre niemandem geholfen. Nein, deine ruhige, zurückhaltende Tochter Klaudia ist die ideale Wahl.“

 
   
 

„Aber sie ist doch mein kleines Mädchen“, schluchzte meine Mutter. „Egal wie angesehen die Familie auch sein mag, Klaudia sollte nur aus Liebe heiraten. Ich selbst war jahrelang in einer Ehe ohne Liebe gefangen und habe darunter furchtbar gelitten. Und auch mein Mann hat darunter gelitten. Ich will nicht, dass es meinem Spatz ebenso ergeht.“ „Aber mit der Zeit ist Dominik zur Liebe deines Lebens geworden, willst du das etwa abstreiten, Xana?“, warf Tante Joanna ein. „Wer sagt denn, dass es Klaudia nicht ebenso ergehen wird?“

   
   
 

Doch meine Mutter wollte davon nichts hören. Aufgebracht sprang sie vom Sofa auf. „Nein, Jojo, nein! Es kommt einfach nicht in Frage. Wir leben schließlich nicht mehr im Mittelalter. Klaudia wird nicht verheiratet. Und das ist mein letztes Wort. Sie wird ganz von selbst einen Mann finden, den sie liebt. Und diesen Mann wird sie dann vielleicht auch heiraten. Aber ganz bestimmt nicht irgendeinen Typen, den du für sie ausgesucht hast. Basta!“

 
     
 

„Und was ist, wenn ich diesen Typen gerne kennenlernen würde?“ Überrascht drehten meine Mutter und Tante den Kopf zur Wohnzimmertür, durch die ich gerade geschritten war. Auf dem Gesicht meiner Mutter war blankes Entsetzen zu erkenne. „Klaudia, Spätzchen, wie lange hast du uns schon zugehört?“ Meine Tante hingegen lächelte lediglich, amüsiert über die plötzliche Wendung der Situation. „Lang genug, Mami, um zu verstehen, dass Tante Joanna mich mit einem ihrer Geschäftspartner verheiraten möchte. Und ich…ich bin damit einverstanden.“

 
 

Das Entsetzen im Gesicht meiner Mutter wurde noch größer und einen Moment glaubte ich, sie würde ihn Ohnmacht fallen. Doch sie wankte nur kurz und eilte dann schnell auf mich zu. „Spätzchen, das kannst du nicht ernst meinen. Allein der Gedanke ist schon absurd.“ Doch ich hatte meine Entscheidung bereits getroffen. Natürlich hatte mich der Gedanke, verheiratet zu werden zunächst schockiert. Doch als ich darüber nachdachte, konnte das genau die Lösung all meiner Probleme bedeuten. „Mami, verstehst du denn nicht, dass das die einzige Chance für mich sein könnte zu heiraten? Ich würde endlich all das bekommen, was ich mir schon immer gewünscht habe. Einen Mann, Kinder, eine richtige Familie.“ „Aber das kannst du doch alles haben, ohne dass dir deine Tante einen Mann vorsetzen muss!“

   
   
   

Aber genau da irrte sich meine Mutter und ich musste es ihr begreiflich machen. „Bis zu meinem 24. Lebensjahr hat mich kein Mann angesehen, geschweige denn geküsst. Ich dachte, es läge nur daran, dass ich hässlich bin. Aber selbst als ich schlank und hübsch wurde, hatte ich kein Glück mit den Männern. Und inzwischen habe ich begriffen, dass das an meinem Wesen liegt. Ich bin einfach zu schüchtern und zu ängstlich, Mama. Ich habe es wirklich versucht, doch ich komme mit den Ungewissheiten, die eine neue Beziehung mit sich bringt einfach nicht zurecht. Ich bekomme Angst und möchte nur noch fliehen und damit mache ich immer alles kaputt. Und sag jetzt bitte nicht, dass ich noch jung bin und viele Männer treffen werde. Denn das stimmt einfach nicht. Selbst jetzt bin ich keine Sexbombe, nach der sich die Männer umdrehen. Und mit jedem weiteren Tag der vergeht, setze ich mich mehr und mehr unter Druck endlich den Mann fürs Leben zu finden. Und wenn ich ihn dann vermeidlich gefunden habe, lähmt meine innere Angst mich und macht alle Hoffnungen zunichte. Aber wenn diesmal Tante Joanna mir den Mann aussucht und für uns beide klar ist, worauf es hinauslaufen wird, dann könnte es klappen, Mama. Ich fühle es. Kannst du das nicht auch sehen?“

 
   
 

Diese Worte brachten meine Mutter zum verstummen. Doch in ihren Augen sah ich, dass sie meine Entscheidung nicht guthieß. Nun erhob sich auch Tante Joanna aus ihrem Sessel. „Es war zwar nicht geplant, dass du auf diese Weise davon erfährst, aber nun müssen wir die Dinge nehmen, wie sie kommen. Und ich bin froh, dass du meinen Vorschlag annehmen willst. Doch du musst dir sicher sein. Ein Rückzieher würde mich und unsere Familie in einem sehr schlechten Licht dastehen lassen.“ Ich nickte. „Das heißt aber keinesfalls, dass du den Mann ungesehen heiraten musst. Wir werden ein Treffen vereinbaren, wo du ihn kennenlernen kannst. Nach diesem Treffen kannst du immer noch die Reißleine ziehen. Tust du dies allerdings nicht, gibt es kein Zurück mehr. Das ist kein Spiel, Klaudia.“

 
       
 

Ich verstand. „Für mich ist es auch kein Spiel, Tante Joanna. Es ist die Möglichkeit, mir endlich meine Träume zu erfüllen.“ Meine Tante nickte zufrieden. „Schlaf noch mal in Ruhe darüber“, bat sie mich. „Morgen früh rufst du mich dann an, und wenn du es immer noch willst, werde ich alles in die Wege leiten und das Treffen arrangieren. Und ich werde auch nicht böse sein, wenn du morgen deine Meinung geändert haben solltest. Aber vertrau mir, ich habe dir einen guten Mann ausgesucht.“ Tante Joanna drückte meine Hand, verabschiedete sich von meiner zur Salzsäule erstarrten Mutter mit einem Wangenkuss und fuhr in ihr Hotel.

 
 

 

 

 
   

In dieser Nacht blieb ich bei meinen Eltern. Inzwischen hatten sie das Gästezimmer ausgebaut, sodass ich einen festen Platz zum Schlafen hatte. Als ich alleine im Zimmer war, starrte ich zufrieden an die Decke. Ich würde heiraten! Ich würde tatsächlich heiraten! Heute Nachmittag hätte ich das noch nicht für möglich gehalten. Die Aussicht auf eine baldige Hochzeit hatte alle trüben Gedanken und den Schmerz bei der Erinnerung an Roman verdrängt. Als meine Mutter in das Zimmer kam fürchtete ich kurz, sie wolle mir die arrangieret Hochzeit doch noch ausreden. Doch sie hatte ein anderes Anliegen auf dem Herzen. „Wie sollen wir das bloß deinem Vater erklären?“, fragte sie nachdem sie den Stuhl ans Bett geschoben und sich gesetzt hatte.

 
     

Über Papa hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er mit einer arrangierten Hochzeit nicht einverstanden gewesen wäre. Und meine Mutter wusste das auch. „Ich will ihn nicht anlügen müssen“, gestand sie. Doch darüber wollte ich mir keine Gedanken machen. Zumindest noch nicht. Erst einmal wollte ich diesen Mann kennenlernen, den Tante Joanna für mich ausgesucht hat. Und wenn ich wirklich bereit war, ihn zu heiraten, dann würde ich auch einen Weg finden, es meinem Vater zu erklären. Und wer weiß, vielleicht würde ich mich im ersten Augenblick unsterblich in diesen Mann verlieben? In diesem Fall gäbe es überhaupt kein Problem und ich könnte Papa erklären, dass ich die Liebe meines Lebens gefunden hatte.

   

 

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kor. 19.10.2014