Kapitel 4
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Als dann der Winter Einzug hielt, hoffte ich, dass Magda es nun etwas ruhiger angehen lassen würde. Im tiefen Schnee konnte man beim besten Willen nicht mehr joggen und der Weg zum Fitnessstudio war uns bei dieser Wetterlage ebenfalls zu gefährlich. Doch ausruhen durfte ich mich dennoch nicht. Magda bestand darauf, dass wir regelmäßig Übungen auf der Terrasse hinter dem Haus machten. Das Freischaufeln war schon mal ein gutes Aufwärmtraining. Und auch die Kälte war für sie kein Argument, denn beim Sport wurde einem so richtig warm und man konnte sich ja zusätzlich dick einpacken.

 
 
 

Und so schmolzen meine Pfunde Dank Magdas unermüdlichem Ansporn weiter dahin. Doch leider wurde ich in den kommenden Tagen nicht nur mein Gewicht los, sondern auch einige meiner Wertsachen. Eines Abends kam ich nach Hause und wunderte mich darüber, dass Licht im Wohnzimmer brannte. Denn Magda sollte bei der Arbeit sein und Jamie war mit Freunden unterwegs. Als ich dann verdächtige Geräusche hörte, wurde mir klar, dass ich einen Einbrecher auf frischer Tat ertappte. Vielleicht hätte ich mich dem Dieb entgegenstellen sollen. Der Figur nach zu urteilen war es eine Frau und ich hätte sie vielleicht verjagen können. Aber ich hätte zu viel Angst. Stattdessen rief ich die Polizei.

 
     
 

Diese rückte auch sofort an, aber die Diebin hätte mein Telefongespräch wohl mitgehört und hatte sich schleunigst mit ihrer Beute davongemacht. Der nette Polizist könnte nur noch die Spuren sicher. Das Schloss der Terrassentür war aufgebrochen und die Schubladen in unseren Zimmern waren durchwühlt. Zum Glück wurde nur etwas Bargeld, Jamies iPod und ein paar von Magdas Schmuckstücken geklaut. Und leider sahen wir von unserem Geld und den Wertsachen nie wieder etwas.

 
     
 

Um uns in Zukunft vor weiteren Einbrüchen zu schützen, immerhin war es schon der zweite in diesem Haus, tauschte Jamie unsere Schlosser gegen solche aus, die sich nicht ganz so leicht knacken ließen und installierte auch noch eine Alarmanlage, die direkt mit der Polizei verbunden war. Hoffentlich würde der nächste Dieb dann nicht wieder einfach entkommen können.

 
   
 

Zum Glück gab es aber auch Freudiges zu berichten. Zu Beginn des Neuen Jahres erhielt ich einen Brief von der Stadtverwaltung, in dem ich dazu aufgefordert wurde, zum Rathaus zu kommen. In der Vorweihnachtszeit hatten sich meine Bilder sehr gut verkauft. Offenbare waren echte Gemälde dieses Jahr ein beliebtes Weihnachtsgeschenk. Und einer meiner besten Kunden arbeitete zufällig für die Stadt. Insgesamt hatte er vier Bilder von mir gekauft und eines davon hing sogar in seinem Büro, wie ich mich persönlich überzeugen konnte. Da ich den Ruf Rodaklippas mit meinen Bildern auch über die Grenzen dieser schönen Stadt hinaustrüge, wurde mir die „Gemalte Schärpe für Künstler“ verliehen.

 
   
 

Ich war wirklich stolz auf diesen Preis, auch wenn ich dafür auf den Fahrrad durch das Schneegestöber zum Rathaus und wieder zurück fahren musste. Die Auszeichnung fand anschließend einen schönen Platz an der Wand über meiner Kommode.

 
 

 

 

   
   
   

Die Monate vergingen und die dicke Schneedecke, die Rodaklippa über Wochen bedeckt hatte, verschwand. Der Frühling hielt Einzug und das erste zarte Grün war an den Bäumen zu erkennen. Nach unserem morgendlichen Joggingritual nahm mich Magda zur Seite. „Claude, es ist so weit. Deine Figur ist perfekt. Du bist jetzt fast so schlank wie ich…aber nur fast. Jetzt wird es Zeit, diese Raupe endgültig in einen Schmetterling zu verwandeln.“ Zusammen machen wir uns auf den Weg zu einem Stylisten in der Innenstadt. „Meine Cousine hier braucht eine komplette Umgestalltung“, erklärte Magda der Stylistin. „Neue Klammotten, Haare, Make-Up, das volle Programm.“ Bei diesen Worten wurde mir doch etwas mulmig zumute. Andererseits, wenn ich mich so im Spiegel anschaute, dann könnten neue Klamotten wirklich nicht schaden. Seitdem ich abgenommen hatte, hingen alle meine alten Sachen nur noch schlaff an mir herunter. Selbst ein Kartoffelsack hätte mir da besser gepasst.

 
   
 

Ich wurde in einen Nebenraum geführt, wo die Stylistin und Magda eine neue Garderobe für mich aussuchen. Durch das Fenster konnte ich sehen, wie der Himmel sich rot färbt und die Straßen sich langsam in Dunkelheit hüllten. Nachdem die beiden sich auf ein Outfit geeinigt hatten, waren meine Haare und das Make-up an der Reihe. Ich hatte bei all diesen Entscheidungen nichts mitzureden und bekam das Resultat vorerst auch nicht zu sehen. Und als ich schließlich nicht mehr daran glaubte, erklärte die Stylistin, dass das Werk vollbracht sei. Magda forderte mich auf, die Augen zu schließen und führte mich zu dem großen Spiegle im Hauptraum des Salons. „Und jetzt darfst du deine Augen öffnen“, flüstert sie und klang dabei genauso aufgeregt, wie ich mich selbst fühlte.

 
   
 

Natürlich war ich neugierig. Aber gleichzeitig hatte ich furchtbare Angst. Was, wenn es mir nicht gefiele, was ich im Spiegel sah? Aber es gab nur eine Möglichkeit das herauszufinden. Langsam öffnete ich meine Augen und blickte eine unbekannte Frau im Spiegle an. War…war das wirklich ich?

   
   
 

„Und, was sagst du, Claude?“, fragte Magda und blickte mich erwartungsvoll an. Ich konnte weiterhin nur staunen. Durch die eng anliegende Hose und ein ebensolches Oberteil konnte ich zum ersten Mal richtig erkennen, wie schlank ich jetzt war. Aber das unglaublichste war mein Gesicht. Ich sah eine wunderschöne Frau im Spiegel. Das Make-up war so dezent, dass ich es erst kaum bemerkte. Aber die Wirkung war unbeschreiblich. Und erst die Haare! Magda hatte mich schon seit Monaten dazu angehalten, sie nicht mehr zu schneiden. Doch ich hatte mir angewöhnt, sie unter einer Mütze zu verstecken, weil sie mir ständig im Gesicht herumhingen. Doch so, wie sie jetzt hergerichtet waren, sahen meine Haare nur wunderschön aus. Überglücklich klatschte ich in die Hände. „Ich liebe es, Magda“, antworte ich meiner Cousine.

 
     
 

Vor Glück schwankend stieg ich vom Podest herunter und drückte meine Cousine fest an mich, die im ersten Moment sichtlich überrascht wirkte. „Danke Magda“, hauchte ich. „Ohne dich hätte ich mich nie dazu entschlossen, abzunehmen. Und ich hätte mich nie getraut, mich so zu verändern.“ „Das war das Mindeste, was ich für dich tun konnte“, antwortete Magda und eine Träne lief ihre Wange hinunter.

 
 

Jamie bekam mich erst am nächsten Morgen zu Gesicht. Das Erstaunen war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Klaudia, du siehst einfach fantastisch aus. Also nicht, dass du vorher schlecht ausgesehen hättest, aber…wow!“ Sofort schoss mir die Schamesröte ins Gesicht bei diesem Kompliment. Aber ich freute mich wahnsinnig darüber. Offenbar wirkte ich nun wirklich anziehender auf Männer. Vielleicht würde ich es also nun wirklich schaffen, einen Mann zu finden, der mich wahrlich liebte. Dann konnte ich das Kapitel Gernot endgültig abschließen.

   
 

 

 

 
     
 

Und die Gelegenheit dazu bekam ich schon wenige Tage später. Inzwischen herrschten fast schon sommerliche Temperaturen in Rodaklippa und das Frühlingsfest war in der Stadt. Seit der Umstyling-Aktion waren Magda und ich wieder enge Freundinnen. Also gingen wir gemeinsam auf das Festgelände und genossen die Blumenpracht und das schöne Wetter bei einer Tasse Kaffee. Doch Magda hatte nicht vergessen, dass sie mich nicht nur umstylen, sondern dass sie mir auch zu einem Partner verhelfen wollte. Und eine Möglichkeit dazu bot sich just an diesem Tag. „Schau unauffällig nach links“, flüsterte sie mir zu. „Dort hinten steht ein Typ, der immer wieder zu dir herüberschaut.“

 
   
   

Ich blickte mich vorsichtig um und entdeckte tatsächlich einen gutaussehenden Mann. Hastig drehte ich meinen Kopf wieder weg, als er erneut in meine Richtung blickte. Doch Magda starrte ihn weiter unverhohlen an. „Der sieht wirklich gut aus“, entschied sie. „Ich dachte ja erst, er würde zu mir rüberschauen. Nicht, dass er das nicht auch getan hätte. Aber was soll‘s, ich nehme es als Kompliment, dass ich eine ansehnliche Frau aus dir gemacht habe, Claude.“

   
   
 

„Und was soll ich jetzt tun?“, fragte ich meine Cousine verunsichert. Mein Herz klopfte wie wild, aber ich hatte keine Idee, was ich tun konnte, um mit diesem Mann ins Gespräch zu kommen. Und vielleicht wollte ich das gar nicht. Irgendwie war es beängstigend, dass jemand Interesse an mir zeigte. „Du musst gar nichts tun, Claude. Das ist ja das tolle daran, wenn man gut aussieht. Die Initiative wird ganz von ihm allein kommen. Geh einfach in seine Nähe, dann ergibt sich der Rest schon. Vertrau mir.“

     
 

Ich hatte daran ja berechtigte Zweifel. Trotzdem stand ich vom Tisch auf und ging einfach in die Richtung des Mannes. Dabei versuchte ich fieberhaft zu überlegen, was ich denn sagen könnte, wenn von ihm keine Reaktion käme. Doch das stellte sich als vollkommen unbegründet heraus. Denn er machte tatsächlich den ersten Schritt, auch wenn dieser noch recht holprig war. „Hi, ich…ich hab dich schon eine Weile beobachtet…also nicht das ich ein Stalker wäre…ich meine du siehst einfach toll aus und da wollte ich dich gerne kennen lernen. Und jetzt wo du in meine Richtung gekommen bist...“

   
   
 

Als er meinen verschreckten Gesichtsausdruck bemerkte, holte er noch einmal tief Luft. „Also noch mal ganz von vorne. Hi, ich bin John.“ „Und ich bin Klaudia“, piepste ich. John, dieser Name klang wie Musik in meinen Ohren. Und er sah wirklich gut aus. Aus der Ferne hatte man das nur erahnen können. Doch er war gut gebaut und er hatte die schönsten grünen Augen, die ich je gesehen hatte. Und offensichtlich gefiel auch ich ihm aus der Nähe genau so gut wie aus der Ferne. Vor ein paar Wochen hätte das sicherlich noch ganz anders ausgesehen.

 
     
 

Als ich mich zu dem Tisch umdrehte, an dem Magda und ich gesessen hatten, stellte ich fest, dass meine Cousine verschwunden war. Ich war also auf mich allein gestellt. Aber das war kein Problem, denn John stellte sich als ein sehr sympathischer Zeitgenosse heraus. Außerdem waren wir hier in der Öffentlichkeit, ich brauchte mir also wirklich keine Sorgen zu machen. Nur das Wetter machte uns einen Strich durch die Rechnung. Es begann zu regnen. Doch zu meiner Überraschung wollte John dennoch noch nicht gehen und wir suchten Schutz unter einem Dach, unter dem sich auch einige Hufeisenwurffelder befanden.

 

 

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kor. 22.08.2014