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Orions Anweisungen waren eindeutig gewesen. Eine Tasche, für
mehr Gepäck war kein Platz. Ich eilte ins Schlafzimmer und
begann die Schränke zu durchwühlen. Es hatte keinen
Sinn Kleidung mitzunehmen. Die konnten wir ins SimCity neu kaufen.
Also kramte ich Dokumente, wie unsere Reisepässe, Geburtsurkunden
und die Sparbücher hervor. Etwas Bargeld und Schmuck nahm
ich auch mit.
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Die ganzen Möbel, die Bücher, Fotoalben, alles musste
hier bleiben. Vermutlich würde ich davon nichts mehr wiedersehen,
sollte ich jemals in die Sierra Simlone zurückkehren. Aber
von den Gemälden im Arbeitszimmer konnte ich mich einfach
nicht trennen. Sie zeigten meine Kinder, Dominik, meine Mitbewohner
und mein kleines grünes Häuschen, in dem alles begonnen
hatte. Unter dem Teppich im Wohnzimmer war eine Luke verborgen,
die zu einem winzigen Lagerraum führte. Viel mehr als die
Gemälde passte dort nicht hinein. Vielleicht würden
sie ja dort unten sicher vor den Simnistriern verborgen bleiben.
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Es fiel mir schwer mich mit dem Gedanken anzufreunden, alles zurücklassen
zu müssen. Mein ganzes Hab und Gut, mein Haus, meine Farm.
Aber noch viel schwere fiel es mir, alle meine Freunde, meine
Familie zurückzulassen, ohne die Möglichkeit, mich richtig
zu verabschieden. Orion hatte mir klar gemacht, dass ich niemandem
etwas von unserer Flucht erzählen durfte. Ich würde
mich daran halten, denn ich verstand, was für ein Risiko
wir mit der Flucht eingingen. Aber ich musste mich einfach von
einigen Leuten verabschieden, auch wenn diese nicht erfahren würden,
dass es möglicherweise unser letztes Wiedersehen war. Meine
Ex-Schwiegereltern gehörten zu diesem Kreis.Es passte wunderbar,
dass Anan vorbeikam und mich und die Kinder herüberbat, gerade
als ich die Portraits im Lagerraum verstaut hatte.
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Da es nicht danach aussah, als ob wir bald wieder Strom hätten,
mussten die Lebensmittel, die nicht schon vor Tagen verdorben
waren, schnellstens aufgebraucht werden. Also wurde mit der gesamten
Familie gegrillt. Es regnete dabei wie schon seit Tagen ohne Unterbrechung,
dennoch saßen wir im Freien unter einem Baldachin. Glinda
schaute immer wieder besorgt nach oben, denn das Wasser sammelte
sich über unseren Köpfen und drückte den Baldachin
gefährlich weit nach unten, aber wir blieben zum Glück
trocken.
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Trotz des Regens war es ein wundervoller Nachmittag. Selbst Glinda
unterließ jeden noch so kleinen Seitenhieb. Vermutlich saß
auch bei ihr der Schock ob der Zerstörung unserer Heimatstadt
zu tief. Doch ich war mir sicher, dass sie bald wieder die alte
Hexe sein würde, die mir mein Leben schwer machte, die ich
aber trotzdem nicht mehr in meinem Leben missen wollte. Obwohl
ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, entging es Anan
nicht, dass mir sehr viel durch den Kopf ging. "Was beschäftigt
dich, Tochter?", fragte er mich, als wir einen Moment ungestört
waren. Sein Blick war so fürsorglich, so voller Zuneigung,
dass ich ihm fast alles erzählt hätte. Ich war mir sicher,
dass Anan niemandem auch nur ein Wort verraten würde, aber
ich riss mich zusammen und schwieg.
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Er akzeptierte meine Ausflüchte, dass ich einfach nur aufgrund
der Ereignisse der letzten Tage angespannt wäre. So abwegig
war dies auch nicht, immer hin ist die halbe Stadt niedergebrannt
und viele Freunde und Bekannte wurden verletzt oder sind gar gestorben.
Aber irgendetwas in Anans Blick ließ mich vermuten, dass
er mich durchschaut hatte. Mein Schwiegervater kannte mich einfach
zu gut.
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Die Kinder wollten noch etwas Zeit mit ihren Großeltern
verbringen. Da ich nicht wusste, wann sie wieder die Gelegenheit
dazu haben würden, ließ ich sie gewähren. Ich
nutzte derweil die Zeit, um mich noch ein letztes Mal mit Gerda
zu treffen. "Mutter, schau, Oxana kommt", bemerkte Miranda,
als sie mich auf das Farmhaus der Kappes zukommen sah. Miranda
hielt ihre Tochter Franziska auf den Arm und man konnte an ihrem
dicken Kugelbauch erkennen, dass der nächste Nachwuchs nicht
mehr lange auf sich warten ließ. Meine beste Freundin, die
im Arm ihres Mannes Volker auf der Bank vor dem Haus saß,
blickte auf.
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Es tat gut, Gerda so strahlen zu sehen. Offensichtlich hatte sie
den gestrigen Vorfall mit den Soldaten gut überwunden. Gerda
konnte sich auf ihre Familie verlassen, auf ihren Ehemann und
auf ihre Kinder, die nicht zulassen würden, dass sie in Depressionen
verfiel. Gerda war ebenfalls erleichtert, mich wohlauf zu sehen.
So wie ich mir Sorgen um sie gemacht hatte, hatte auch meine Freundin
sich um mein Wohlergehen gesorgt.
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Und offensichtlich kam Gerda auch besser ohne Strom zurecht als
ich. "Willst du einen Kaffee, Oxana", fragte sie mich.
Als ich sie verwundert ansah, lachte sie nur und führte mich
hinters Haus. Und dort stand eine alte Eisentonne, in der ein
Feuer brannte und auf dem Rost stand eine Kanne, mit frisch gebrühten
Kaffee. Mit dem heißen Kaffee in der Hand, dem ersten seit
über fünf Tagen, setzten wir uns an den Küchentisch
und unterhielten uns. Fast hätte ich vergessen, dass eine
Invasionsarmee auf unsere Stadt zumarschierte und ich noch in
dieser Nacht fliehen würde.
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Ich hätte stundenlang so mit ihr weiterreden können.
Aber die Zeit drängt. Sobald die Sonne untergangen war, würde
Joannas Kontaktmann kommen, um uns sicher nach SimCity zu bringen.
"Pass auf dich auf, Gerda", sagte ich meiner Freundin
zum Abschied. "Ich fürchte, dass ist unser letzter friedlicher
Tag in Sierra Simlone Stadt. Sobald die Simnistrier einmal hier
sind, wird sich alles ändern." Doch Gerad lächelte
zuversichtlich. "Ich vertraue Gott, Oxana. Es wird sich alles
zum Guten wenden. Das hat es bis jetzt noch immer getan".
Dabei schaute sie zufrieden lächeln durch die Scheibe der
Eingangstür zu Volker hinüber. In diesem Moment erkannte
ich, wie sehr Gerda diesen Mann liebte. Er war ihre große
Liebe.
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"Pass auch gut auf dich auf, Oxana", fuhr Gerda fort.
"Und habe ein wachsames Auge auf Desdemona. SimCity ist eine
große, aufregende Stadt, nicht zu vergleichen mit diesem
kleinen Nest. Ich habe Angst, dass meine Mona sich in diesem Großstadtdschungel
leicht verirren könnte. Sie braucht jemanden, der sie wieder
auf den rechten Weg führt." Mir fiel die Kinnlade hinunter.
Gerda wusste also von unserer Flucht und sie hat sich nichts anmerken
lassen. Gerda grinste breit und zwinkerte mir zu. Dann hielt sie
sich den Zeigefinger vor die dünnen Lippen um mir zu signalisieren,
dass sie kein Wort verraten würde. Und ich vertraute meiner
Freundin. Bei ihr war unser Geheimnis in guten Händen.
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Es fiel mir schwer, mich von Gerda zu verabschieden. Doch die
Dämmerung setzte bereits ein und es wurde allerhöchste
Zeit aufzubrechen. Auf dem Weg zurück zur Simlane, kam mir
die gesamte Situation so surreal vor. Der Regen war in ein leichtes
Nieseln übergegangen. Die ganze Stadt wirkte vollkommen ruhig.
Nichts deutete darauf hin, was für eine Zerstörung wir
in den letzten Tagen erlebt hatten. Selbst der beißende
Geruch nach verbrannten Holz und brennendem Öl ist von dem
Regen weggespült worden. Ich begann ernsthaft daran zu zweifeln,
ob es nicht ein Fehler war, die Sierra Simlone zu verlassen. Und
dann vernahm ich ein seltsames Geräusch. Es hörte sich
an wie Feuerwerk, doch ich realisierte schnell, dass es sich vermutlich
um das Knattern einer Maschinenpistole handeln musste. Das Geräusch
kam aus dem Süden, aus Richtung Ganado Alegro. Ich konnte
nicht einschätzen, wie nah die simnistrischen Soldaten schon
sein mussten, aber der Lärm der Maschinengewehre war deutlich
zu hören.
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Uns blieb keine Wahl, wir mussten so schnell es ging die Sierra
Simlone verlassen. Aber es fiel mir so unendlich schwer. Als ich
das Haus betrat und das verwüstete Wohnzimmer betrachtet,
kamen mir unweigerlich die Tränen. Warum tat Simnistrien
uns das an? Ich konnte es einfach nicht verstehen. Wie tief musste
der Hass auf die SimNation sitzen, dass sie unser Land überfielen,
unsere Häuser verwüsteten und unsere Leben zerstörten.
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Noch hatte ich die Kinder nicht über unsere Flucht informiert.
Zum einen war die Gefahr zu groß, dass sie sich verplappert
hätten. Zum anderen wusste ich auch nicht wie ich ihnen vermitteln
sollte, dass wir unsere Heimat, möglicherweise für immer
verlassen mussten. Sky lief mir zuerst in die Arme. Ich wischte
mir hastig die Tränen aus dem Gesicht und hoffte, dass mein
Sohn das feuchte Glänzen bei dem fahlen Kerzenschein nicht
entdecken würde. "Geh in dein Zimmer und pack deine
zwei Lieblingsspielsachen in deinen Rucksack, Schatz", wies
ich ihn sanft an. "Und dann komm wieder ins Wohnzimmer."
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"Was ist los, Mama?" Klaudia hatte mein Gespräch
aus der Küche heraus belauscht. An ihrem Tonfall erkannte,
dass sie bereits etwas ahnte. Die Schüsse draußen waren
inzwischen so laut, dass wir sie selbst im Haus hören konnten.
"Gewehre?", fragte Klaudia ängstlich und ich nickte.
"Du hast gerade gehört, was ich zu deinem Bruder gesagt
habe", setzte ich mit zitternder Stimme an. "Packe zwei,
drei Sachen ein, die du unbedingt mitnehmen möchtest. Ich
habe schon alle Dokumente, also nimm mit, was du möchtest.
Wir werden gleich abgeholt."
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"Dein Tante Joanna hat einen Transport nach SimCity organisiert,
für Sky, dich, mich und Tante Desdemona. Der Wagen wird gleich
hier sein." Mein stimme begann sich zu überschlagen
und die Tränen nahmen mir die Sicht. "Ich habe keine
Ahnung, wann...und ob wir jemals zurückkommen werden".
Klaudia biss sich auf die Lippen. Auch sie kämpfte mit den
Tränen. Ich hatte die Sorge, dass sie widersprechen, sich
mir widersetzen würde. Kinga hätte dies mit Sicherheit
getan. Aber Klaudia erkannte den Ernst der Lage, hatte ihn vor
wenigen Tagen am eigenen Leib zu spüren bekommen. Sie nickte
stumm und eilte in ihr Zimmer.
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Klaudia war kaum in ihrem Zimmer verschwunden, als auch schon
ein schwarzer Van vor dem Haus hielt. Durch die Scheibe hindurch
erkannte ich Desdemona, die auf dem Beifahrersitz saß. Ich
rief die Kinder und schickte sie hinaus zum Wagen, während
ich mich noch ein letztes Mal im Haus umsah.
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"Du verschwindest also." Kasimir hatte sich von hinten
an mich heran geschlichen und ich erschrak heftig. Gleichzeitig
hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil ich ihm nichts
von meinem Weggang erzählt hatte. Daher nickte ich nur, ohne
ihm direkt in die Augen zu schauen. "Vielen Dank für
alles, was du für mich getan hast Kasimir. Aber ich muss
an meine Kinder denken. Es ist zu gefährlich, wenn wir hier
bleiben." Das verstand auch Kasimir. Entschuldigend strich
ich über seinen Oberarm und stieg dann zu meinen Kindern
in das Auto.
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Als der Wagen losfuhr, warf ich einen letzten Blick auf Grünspan.
In diesem kleinen grünen Haus hatte ich viel Leid, aber auch
so viel Freude erlebt. Meine Kinder waren hier aufgewachsen, ich
hatte Dominik hier geheiratet. Ich war immer davon ausgegangen,
in diesem Haus meinen Lebensabend zu verbringen. Der Gedanke,
es jemals verlassen zu müssen, war mir nie gekommen.
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