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Es war nicht leicht, meine Kinder davon zu überzeugen,
dass sie erst einmal ohne mich aufbrechen sollte. Klaudia hatte
das Gespräch zwischen mir und ihrer Tante mitbekommen.
Obwohl auch sie zunächst darauf bestand, dass ich sie und
ihren Bruder begleiten sollte, verstand sie meine Beweggründe
für meine Reise nach Simtropolis. Auch in ihr war die Hoffnung
aufgekeimt, möglicherweise ihren Vater bald wiederzusehen.
Doch Sky verstand mich nicht. Ich konnte noch so oft beteuern,
dass ich in zwei Tagen nachkommen würde, er hatte trotzdem
furchtbare Angst, dass ich ihn verlassen könnte.
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"Versprich mir, dass du wiederkommst", flehte er mich
an. "Ich verspreche es, mein Schatz." "Versprochen
und niemals gebrochen?" "Versprochen und niemals gebrochen."
Ich drückte meinen kleinen Sohn fest an mich, und schmiegte
meine Wange an seine. Erst jetzt wurde mir klar, dass er Angst
hatte, von mir verlassen zu werden, so wie ihn seien leibliche
Mutter Ingrid verlassen hatte. Fast hätte ich meine Entscheidung
widerrufen und wäre doch mit den Kindern zusammen in die
unberührten Wälder von Simskelad geflohen. Aber meine
Hoffnung, in dem Flüchtlingslager bei Simtropolis Dominik
zu finden, war einfach stärker. Und ich wusste, dass meine
Kinder bei Desdemona und meinem Schwager Tobias in guten Händen
waren.
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Sobald Tobias und die Kinder in Richtung der Wälder von
Simskelad aufbrachen, machte auch ich mich auf den Weg nach
Süden. Ich wollte noch vor Einbruch der Nacht in Simtropolis
eintreffen. So wie Joanna es vorausgesagt hatte, waren die Autobahnen
für den Zivilverkehr gesperrt und in regelmäßigen
Abstanden behinderte eine Straßenblockade die Weiterfahrt.
Doch Dank des Passierscheines, den meine Schwester für
mich besorgt hatte, konnte ich meine Fahrt fortsetzen.
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Der Passierschein verschaffte mir auch Zugang zu dem Flüchtlingslager,
zu dem ansonsten nur Angehörige des Militärs und diverser
Hilfsorganisationen Zutritt hatten. Das Lager musste in aller
Eile errichtet werden. Auf einer Kasernenbrache wurden eiligst
Zelte aufgestellt und die notwenigsten sanitären Einrichtungen
installiert, um die 5000 Flüchtlinge unterbringen zu können.
Ich kannte die Bilder bereits aus dem Fernsehen, dennoch war
ich entsetzt von dem Elend, was ich hier sah. Diese Menschen
hatten zwar Glück, dass sie unverletzt aus der Sierra Simlone
entkommen waren, aber ich war dennoch froh, das meine Kinder
und ich bei meiner Schwester und nicht in diesem Lager Zuflucht
gefunden hatten.
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Und es waren so viele Menschen hier. Wie sollte ich da bloß
jemals Dominik finden? Ich schaute mich verloren in dem riesigen
Lager um, doch die Zelte sahen alle gleich aus und die Gesichter
der vielen Menschen waren mir unbekannt. Und dann hörte
ich plötzlich, wie jemand meinen Namen rief. "Tante
Oxana, Tante Oxana!" Ich drehte meinen Kopf in die Richtung,
aus der die Rufe erklangen und erblickte sofort Constance, Rolands
Tochter. Selbst aus der Ferne war sie aufgrund ihrer seltsam
verfärbten Haut, die ihre Ursache in einer erblichen Pigmentstörung
hatte, gut zu erkennen.
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Ich beschleunigte meinen Gang und bewegte mich zielstrebig auf
sie zu. "Constance, es geht dir gut", stieß
ich erleichtert aus, als ich nah genug war, dass sie mich gut
verstehen konnte und streckte meine Arme zu einer Umarmung aus.
Neben ihr stand Hektor, der Mann von Manuela Bretz, der erfreut
lächelte und mir zur Begrüßung zuwinkte. Constance
ließ sich von mir umarmen und drückte mir einen Kuss
auf jede Wange. Ich war wirklich erleichtert sie, und weitere
Bekannte aus der Heimat, wohlauf zu sehen.
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"Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht, Tante Oxana",
begann Constance zu erzählen. "Mutter konnte nur Berichten,
dass du plötzlich aus Sierra Simlone Stadt verschwunden
warst. Keiner wusste, was mit dir und deinen Kindern passiert
ist." "Ich bin nach SimCity geflohen", erklärte
ich ihr. "Meine Schwester hat es irgendwie geschafft, uns
der Sierra Simlone schaffen, bevor die Simnistrier die Stadt
besetzen konnten. Sie muss wohl gute Freunde bei der Armee haben",
setzte ich schnell hinterher und hoffte, dass dies Constance
als Erklärung dafür, wie Joanna uns aus der Wüste
geholt hatte, reichen würde.
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Dann wurde mir klar, dass Constance von "Mutter" gesprochen
hatte. "Ist Brandi auch hier? Und Roland?", fragte
ich aufgeregt. "Mutter und meine Geschwister sind dort
drüben", erklärte Constance und deutete auf eine
Gruppe von Zelten und ich erkannte sogleich Brandi, die sich
mit Manuela unterhielt. "Papa ist allerdings nicht hier",
fuhr Constance mit bedrückter Stimme fort. "Er meinte,
dass seien Fähigkeiten als Arzt dringend in der Sierra
Simlone von Nöten wären und er deshalb nicht fort
könne. Er hat darauf bestanden, dass Brandi und meine Geschwister
ohne ihn auf das simrokkanische Schiff steigen."
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Constance fasst meine Hand und führte mich zu ihrer Mutter.
Brandi konnte es erst fast nicht glauben, dass ich so unverhofft
vor ihr stand, doch dann umarmte sie mich freudestrahlend. Nachdem
ich auch sie über meine Flucht nach SimCity unterrichtet
hatte, erzählte sie mir von den Geschehnissen in Sierra
Simlone Stadt. Die Simnistrier waren tatsächlich in die
Stadt gekommen und hätten sich in meinem Haus niedergelassen.
Alle, Männer, die nicht verletzt oder zu alte waren, wurden
in der Schule festgehalten, um einen Aufstand zu verhindern.
Tristan hatte insofern Glück, als dass er ein gebrochenes
Bein hatte und somit keine Gefahr darstellte. Daher durfte er
in Franks Haus bleiben.
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Brandi holte einen Kessel mit heißem Wasser vom Lagerfeuer
und wir setzen uns mit einer heißen Tasse Tee in der Hand
vor das Zelt, dass nun ihr vorübergehendes Zuhause war.
"Papa hat gleich nach dem Einmarsch der Simnistrier zu
sich ins Krankenhaus nach Seda Azul geholt, um uns bei sich
zu haben", erzählte Sarah, die gemeinsame Tochter
von Roland und Brandi, die Geschichte weiter, als ich nach Rolands
Verbleiben fragte. "Als Arzt war er für die Simnistrier
natürlich nützlich, daher wurde er auch nicht eingesperrt.
Und auch wenn er es nicht unbedingt gerne tat, so hat er auch
die simnistrischen Soldaten verarztet. Er meinte, sein Hippokratischer
Eid würde keinen Unterschied zwischen Freund und Feind
machen. Also verarztete er auch die verletzten Simnistrier."
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Auf meine Frage, wie es der simrokkanischen Fregatte gelungen
war, die Seeblockade zu durchbrechen und die 5000 Flüchtlinge
aus Seda Azul zu befreien, hatten Brandi und die Mädchen
allerdings keine Antwort. Es handelte sich offensichtlich ein
Wunder. Dafür hatte Constance interessantes über ihre
Flucht zu berichten, denn sie war nicht mit dem Schiff nach
Simtropolis gekommen. "Kommilitonen von mir hatten ein
Funkgerät in ihrem Zimmer, mit dem sich sonst zum Spaß
den Polizeifunk von La Siesta Tech abhörten. Und an dem
Abend vor dem Angriff auf Sierra Simlone Stadt haben sie seltsame
Funksprüche auf einer Wellenlänge empfangen, die sonst
nie genutzt wurde. Ich hätte diese Funksprüche ignoriert,
aber meine beiden Kommilitonen waren felsenfest davon überzeugt,
dass etwas Schlimmes passieren würde und drängen mich
und meine Mitbewohnerinnen dazu, den Siesta Tech Campus zu verlassen
und nach SimVegas zu fahren. Ich dachte die ganze Zeit, die
beiden wollten sich mit uns Mädchen einen Spaß erlauben.
Ich hielt es für einen blöden Anmachversuch oder so
etwas in der Art."
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"Aber da ich ohnehin wieder einmal Lust hatte, etwas Spaß
in der Stadt zu haben, und einer der Jungs wirklich süß
war, entschloss ich mich, mit ihnen mitzufahren. Zwei meiner
Mitbewohnerinnen aus dem Wohnheim begleiteten uns. Und wir waren
kaum ein paar Stunden in SimVegas, als schon auf allen Sendern
über den Überraschungsangriff auf die Sierra Simlone
berichtet wurde. Ich hatte echt wahnsinniges Glück gehabt,
dass ich nicht mehr auf dem Campus war. Die Uni soll nämlich
stark bombardiert worden sein. Ich denke, die Simnistrier vermuteten
dort irgendwelche geheimen Forschungseinrichtungen."
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Eines wurde deutlich, sollte dieser Krieg vorüber sein,
so hatten wir alle unsere Geschichte zu erzählen. Jeder
hatte Schrecken erlebt, jeder hatte Angst verspürt. Das
Leben würde nicht mehr sein wie vorher. Doch im Augenblick
war ich nur froh, dass es so vielen meiner Freunde und Bekannten
gut ging. Doch ich war aus einem bestimmten Grund nach Simtropolis
gekommen. "Habt ihr vielleicht Dominik hier im Lager entdeckt?",
fragt ich hoffnungsvoll. Ich hatte so viel Menschen wiedergetroffen,
Dominik musste auch darunter sein.
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Brandi sah meinen flehentlichen Blick und es zerbrach ihr fast
das Herz. Mit der der rechten Hand fasst sie sich an die Brust
und schüttelte traurig den Kopf. "Glaubst du wirklich,
wir würden so lange mit dir plaudern, wenn dein Mann hier
wäre? Nein, Dominik ist nicht hier und er war auch nicht
hier im Lager. Es tut mir wahnsinnig Leid, Oxana. Ich kann erahnen,
wie sehr du jetzt leiden musst. Auch ich weiß nicht, wie
es Roland jetzt ergeht. Aber immerhin weiß ich, wo er
sich aufhält. Der Gedanke, nicht einmal das zu wissen,
würde mich um den Verstand bringen."
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Ich hatte eine solche Antwort befürchtet. Und trotzdem
waren Brandis Worte wie ein Stich in mein Herz. Diese Lager
war meine letzte Hoffnung gewesen. Das war der einzige Ort,
an dem Dominik mich zu finden hoffen konnte. Und wenn er nicht
hier war, dann bedeutete dies, dass er nicht in der SimNation
war. Das könnte sogar bedeuten, dass er nicht einmal mehr
am...Nein, so etwas durfte ich einfach nicht denken. Ich durfte
die Hoffnung nicht aufgeben, dass er zu mir zurückkehren
würde, auch wenn das mit jedem Tag unwahrscheinlicher wurde.
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Der Himmel begann bereits, sich rot zu färben. Bald würde
es dunkel sein und es wurde allerhöchste Zeit, mich auf
den Rückweg nach SimCity zu machen. Ich erkannte, wie dumm
es gewesen war, meine Kinder alleine zu lassen, nur um einer
Hoffnung hinterherzurennen. Ich nutzte also, die letzten Minuten,
um mich von Brandi und Constance, aber auch von Manuela und
ihrer Familie, zu verabschieden. Ich wünschte ihnen alles
Gute und hoffte, dass wir uns bald alle wieder in der Sierra
Simlone treffen würden.
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Ich ging zurück zum Auto, das ich am Eingang des Flüchtlingslagers
abgestellt hatte, und stieg hinein. Der Weg zurück nach
SimCity war lang und ich würde die ganze Nacht durchfahren
müssen. Doch kaum war ich die ersten hundert Meter gefahren,
schweiften meine Gedanken zu Dominik ab. Man sagt immer, Menschen,
die sich lieben, können spüren, ob es dem anderen
gut geht, oder nicht. Doch ich konnte gar nichts fühlen.
Da war nur diese Angst, dass Dominik nicht mehr...nicht mehr
am Leben sein könnte. Meine Augen begannen sich mit Tränen
zu füllen. Und obwohl ich versuchte, sie wegzuwischen,
konnte ich bald schon die Straße nicht mehr deutlich erkennen.
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Wir blieb nichts anderes übrig, als ranzufahren. Ich bog
in die nächste Einfahrt ein und brachte den Wagen zum stehen.
Meine zittrigen Hände umklammerten das Lenkrad so stark,
dass die Knöchel weiß hervortraten. Ich bemühte
mich darum, ruhig ein und aus zu atmen, und langsam beruhigte
ich mich wieder. Doch an Weiterfahrt war jetzt nach nicht zu
denken. Ich riss die Autotür auf und stellte meine Beine
auf die Straße, wobei ich im Fahrersitz sitzen blieb.
Die frische Luft tat mir gut und meine Gedanken begannen sich
wieder zu ordnen.
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Dann blickte ich auf und entdeckte erst jetzt, dass ich direkt
vor einer Kirche, nein, einer Kathedrale, gehalten hatte. Und
mit Entsetzen musste ich feststellen, dass dieses Gotteshaus
stark beschädigt war. Der linke der beiden Fronttürme
war zerstört und der Kirchenvorplatz mit Trümmern
übersät. Offenbar war eine Rakete bei einem der letzten
Luftangriffe auf Simtropolis in die Kathedrale eingeschlagen.
Ich wusste nicht, was mich dazu trieb, aber ich stieg aus dem
Auto aus und ging langsam auf die Kirche zu.
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