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"Der Direktor hat erlaubt, dass ihr auf unbefristete Zeit die Schule besuchen dürft", fuhr ich fort. "Ich weiß nicht, wie lange wir noch in SimCity bleiben werden, aber immerhin muss ich mir jetzt keine Sorgen mehr um eure Schulbildung machen." Klaudia lächelte zufrieden und setzte einen ihrer Bauern ein Feld nach vorne. Ich konnte genau sehen, dass auch sie froh war, dass es in diesen hektischen Zeiten wenigstens etwas Stabilität in ihrem Leben gab.


Klaudia gewann unser Spiel. Inzwischen war es schon späte geworden und Zeit für die Kinder ins Bett zu gehen. Ich gab Klaudia und Sky einen Gutenachtkuss und machte mich dann selbst fürs Bett fertig. Ich wusste, dass ich im Schlafzimmer Desdemona begegnen würde, also ließ ich mir viel Zeit. Als ich das Zimmer betrat, hockte meine Schwägerin zusammengekauert auf dem Bett. Sie wagte es nicht, mir direkt in die Augen zu sehen, aber ich konnte sehen, dass sie gerade eben erste geweint haben musste. Die Tränen auf ihren Wangen waren noch nicht ganz getrocknet.


Ich setzte mich zu Desdemona auf die Bettkante und klopfte mit meiner Handfläche auf die leere Stelle neben mir, um zu signalisieren, dass sie sich zu mir setzen sollte. Desdemona kämmte mit ihren Fingern ihre Haare zurück und kam an meine Seite. "Ich muss gestehen, dass du mir heute Morgen die Sprache verschlagen hattest. Und ich war wütend auf dich", begann ich das Gespräch. "Orion ist mein kleiner Bruder und ich kann einfach nicht mit ansehen, wie er verletzt wird. Doch dann habe ich versucht, mich in dich hinein zu fühlen. Und das war gar nicht so schwer, wie ich erst vermutet hatte."


"Du musst wissen, auch in meinen Leben gab es einen anderen Mann. Kinga war schon lange auf der Welt und ich mit Dominik verheiratet. Ich hätte glücklich sein müssen. Doch dieser andere Mann...er war einfach unglaublich. Und ich hätte Dominik vermutlich verlassen, wenn...wenn dieser Mann nicht durch einen schrecklichen Unfall von mir gerissen worden wäre." Ich erwähnte nicht, dass dieser Mann Desdemonas Vater war. Ich wusste nicht, ob sie von der Affäre zwischen mir und ihrem Vater wusste. Wenn ja, dann hatte sie die Anspielung deutlich verstanden. Und wenn nicht, dann gab es keinen Grund das Andenken an ihren Vater jetzt noch zu beschmutzen.


"Was soll ich jetzt tun, Oxana?", fragte sie mit bebender Stimme. Ich lächelte betrübt. "Das kann ich dir leider auch nicht sagen. Ich bitte dich nur darum, deine Ehe nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Triff keine übereilten Entscheidungen, vor allem nicht jetzt. Warte, bis du wieder bei Orion bist und sich die Situation beruhigt hat. Wenn du dann merkst, dass du meinen Bruder nicht mehr genügend liebst, dann steht es dir frei ihn zu verlassen. Gefühle können sich ändern und auch wenn ich meinen Bruder liebe, so muss ich doch akzeptieren, dass auch du ein Recht darauf hast, glücklich zu werden."


Ich sah Desdemona an, dass sie sich wünschte, von mir in den Arm genommen zu werden. Aber dazu konnte ich mich dann doch nicht überwinden. Mehr als ein weiteres trauriges Lächeln brachte ich nicht zustande. Da nun alles gesagt war, legten wir uns hin. Doch keine von uns beiden konnte schlafen. Desdemona war immer noch hin und her gerissen und schluchzte leise von Zeit zu Zeit. Und ich dachte nur an Dominik. Ja, Gefühle konnten sich im Laufe der Zeit ändern. Ich hatte Dominik am Anfang gehasst und ihn als notwendiges Übel betrachtet. Doch dann waren Vertrauen und Freundschaft entstanden und inzwischen liebte ich ihn aus ganzem Herzen. Und es zerriss mich innerlich, dass ich nicht wusste, wo er war. Nicht zum ersten Mal betet ich inständig zu Gott und allen Heiligen, dass sie Dominik wohlbehalten zu mir zurückbringen würden.

 

 


In den folgenden Tagen präsentierte sich der Spätsommer von seiner schönsten Seite. Die Temperaturen stiegen und es war keine Wolke am Himmel zu sehen. Die Kinder spielten vergnügt am Pool. Während die Jungs im Wasser herumtobten, alberten Klaudia und Magdalena am Beckenrand herum und bewarfen sich mit Wasserbomben. Ich lag entspannt im Liegestuhl und beobachtet die ausgelassenen Kinder. Es war in diesem Augenblick so einfach, all die Schrecken des Krieges auszublenden.


Doch kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, erklang in unmittelbarer Nähe das Heulen einer Sirene. Die Kinder schauten sich verwirrt um. "Das kommt drüben von der Kirche", rief Klaudia und zeigte mit dem Finger zum Kirchturm. Wenige Sekunden später erkläng das Heulen der Sirenen auch aus anderen Richtungen. Benommen sackte ich in dem Liegestuhl zusammen. Nein, das durfte nicht sein. Nicht auch noch hier!


Doch ich musste, dass ich mir einen Moment des Zögerns nicht leisten konnte. "Jakób, Sky, kommt sofort aus dem Wasser!", rief ich noch während ich mich blitzschnell aus dem Liegestuhl erhob. Der Klang der Sirenen hatte die Kinder so verschreckt, dass sie ohne zu zögern gehorchten. "Lauf sofort ins Haus und holt euch trockene Kleider und dann kommt ihr sofort zu Keller. Und trödelt auf keinen Fall." Doch ich sah in den erschrockenen Gesichtern der Kinder, dass diese Warnung überflüssig war. Alle vier liefen ohne weitere Fragen zu stellen auf das Haus zu.


Desdemona schloss sich uns an, als wir das Haus betraten und reichte mir meine trockenen Kleider. Es dauerte keine Minute, bis die Kinder ebenfalls angezogen vor mir standen und ich dirigierte alle in den Kellerraum, den Joanna mir bereits Tage zuvor für den Notfall gezeigt hatte. Der Raum war zwar nicht gemütlich, aber es gab hier Nahrung und Wasser für einige Tage und genug Decken, damit wir nicht frieren mussten. In den ersten Minuten herrschte absolute Stille. Sky und Klaudia hatten bereits einen Bombenangriff im Keller überstanden. Auf der einen Seite machte sie das etwas ruhiger, weil es eine vertraute Situation war, auf der anderen Seite hatten sie auch die Schrecken erlebt, wenn man den sicheren Bunker wieder verließ. Doch Jakób und Magdalena waren einfach nur verängstigt.


Auch Desdemona hatte Angst. Ihre Augen waren weit aufgerissen und obwohl sie sich zusammenriss, konnte sie nicht verhindern, dass Tränen an ihren Wangen herabflossen. "Wir sollten das Radio einschalten", durchbrach sie mit zittriger Stimme die Stille. Ich nickte zustimmend. Ein Kurzwellensender war bereits voreingestellt und eine automatische Bandansage ertönte, als Desdemona das Geräte einschaltete: "Bitte bewahren Sie Ruhe. Suchen Sie Schutz in einem ausgewiesenen Bunker oder einem sicheren Keller. Gehen Sie nicht auf die Straße. Bitte bewahren Sie Ruhe. Suchen Sie Schutz..."


Die monotone Stimme auf dem Band hatte tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf uns alle. Im Gegensatz zu dem Angriff auf Sierra Simlone Stadt hörten wir diesmal keine Einschläge. Auch der Strom fiel diesmal nicht aus. Daher entspannte sich die Situation rasch wieder. Innerlich hoffte ich, dass es sich nur um einen Fehlalarm handelte und SimCity vor Zerstörung bewahrt wurde. Auch die Kinder entspannten sich und bald schon plapperten die Mädchen leise miteinander und die Jungs spielten zusammen.


Wir lachten alle gerade alle über einen von Skys Witzen, als plötzlich das Knarren der Kellertür zu hören war. Alle blickten in die Richtung, aus der das Geräusch erklang und Jakób erkannte als erstes die Gestalt, die aus dem Schatten trat. "Mami", rief er laut und lief direkt in die weit ausgestreckten Arme seiner Mutter hinein. "Alles ist gut, mein Liebling", beruhigte meine Schwester ihren Sohn und küsste ihn sanft auf den Kopf.


Auch Magda fiel ihrer Mutter um den Hals und drückte sie so fest, wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Und plötzlich brachen bei den Kindern alle Dämme. "Maaamaaa", schluchzte Jakób bitterlich und vergrub sein Gesicht in Joannas Seite. Und auch Magda lies ihrer Angst, die sie zuvor noch so gut verbergen konnte, freien Lauf und weinte sich an der Schulter ihrer Mutter aus. "Es ist alles gut", flüsterte meine Schwester immer wieder beruhigend und strich ihren Kindern liebevoll über den Rücken.


Und plötzlich weinte auf mein kleiner Junge, der den ganzen Tag über so mutig gewesen war. Ich trat zu ihm herüber und er vergrub seinen Kopf in meinem Bauch. Erst nach einigen Minuten hatte Sky sich wieder beruhigt und wischte sich die Tränen aus den Augen. Dieser Tag war an keinem von uns spurlos vorbeigegangen. Die gesamten letzten Wochen waren es nicht. Dieser Krieg würde bei uns allen tiefe Wunden auf der Seele hinterlassen. Meine Kinder würden nie wieder eine solch unbeschwerte Kindheit haben, wie vor diesem sinnlosen Angriff. Und daran waren nur die Simnistrier Schuld und ich hasste sie dafür.


Als wir den Keller verließen, stellte ich erschrocken fest, dass die Sonne bereits untergegangen war. Wir mussten dort also mehrere Stunden ausgeharrt haben. Fast zeitgleich mit Joannas Erscheinen erklang im Radio die Durchsage, dass man die Schutzräume wieder verlassen könne. "Zeit ins Bett zu gehen", sagte ich zu meinen beiden Kindern, nachdem wir für einige Minuten die wohltuende frische Abendluft eingeatmet hatten. Es gab keine Widerworte. Die Erschöpfung hatte Klaudia und Sky fest im Griff. "Schlaf gut, mein Kleiner", verabschiedete ich mich von Sky, als er müde in sein Bett gefallen war. Ich hatte noch nicht einmal das Licht gelöscht, da glitt er bereits in das Reich der Träume. Ich küsste ihn noch einmal auf die Stirn und zog seien Bettdecke hoch.


Bevor ich das Zimmer verließ, sah ich auch nach Klaudia, die im Nachbarbett lag und ebenfalls bereits tief und fest schlief. Ich strich meinen Pummelchen über das Haar und sie seufzte zufrieden bei dieser sanften Berührung. Ein schwacher Mondschein fiel durch das Fenster auf ihr Gesicht. Sie sah so friedlich aus. Und wie bereits bei Sky, erkannte ich auch ihn ihrem Gesicht deutlich Dominik wieder. Auf der einen Seite tröstete mich dieser Gedanke ungemein und ich musste lächeln. Was auch immer noch passierte, ein Teil von Dominik würde immer bei mir sein. Aber auf der anderen Seite zerriss es mir förmlich das Herz, dass ich ihn womöglich nie wieder sehen würde.


Als ich die Wendeltreppe vom Dachboden herabstieg, erblickte ich durch die Fenster im Flur des ersten Stocks Joanna, die auf dem Balkon stand und in die Ferne blickte. Ich schob also die Schiebetür zur Seite und trat zu meiner Schwester ins Freie. Als sie das Geräusch der sich bewegenden Tür hörte, drehte sie ihren Kopf in meine Richtung und ging langsam auf mich zu, sobald sie mich im Halbdunkeln erkannte. Trotz des schlechten Lichts konnte ich sehen, dass sie dieser Tag ebenso mitgenommen hatte, wie uns alle.


"Wie sieht es in der Stadt aus", fragte ich sie. Bislang hatte ich keine Gelegenheit, mich über den Grund für den Fliegeralarm zu informieren. Joanna seufzte. "Es hätte schlimmer sein können. Es wurden hauptsächlich das Industriegebiet und der Flughafen beschossen. Allerdings sind auch Raketen in die Residenz des Herzogs eingeschlagen. Wir haben Glück, dass die Simnistrier bislang darauf verzichten, Wohngebiete zu bombardieren." Also hatte es tatsächlich einen Angriff gegeben. Und die herzogliche Residenz, Sitz der Regierung der Provinz Simster, war nur etwa zwei Kilometer vom Haus meiner Schwester entfernt. Unweigerlich lief mir ein kalter Schauer bei diesem Gedanken den Rücken hinunter.

 

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