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Ich hatte nicht mit einer Antwort gerechnet, aber Anan überraschte mich und antwortete sofort. "Simnistrien!" Ich runzelte zweifelnd die Stirn. "Simnistrien ist tausende Kilometer weit entfernt auf der anderen Seite des Atlantiks. Ich glaube wirklich nicht..." Doch Anan ließ mich nicht weite aussprechen. "Ich sage dir Oxana, das war das Werk von Simnistrien". Um seine Aussage Nachdruck zu verleihen, schlug er mit seinen Mittel- und Zeigefinger in seine offene linke Handfläche. "Simnistrien hasst uns, seit dem Krieg zwischen unseren beiden Nationen vor über 40 Jahren. Die SimNation mag diesen Krieg inzwischen überwunden haben, aber in Simnistrien ist kein Tag vergangen, an dem die Regierenden dieses Landes nicht Rache geschworen hätte."


"Ach, Anan", unterbrach ihn seine Frau müde. "Für dich ist Simnistrien doch am gesamten Leid der Welt schuld. Selbst wenn unser Hund schief Pupst, dann war es Simnistrien. Wir sollten erst einmal den morgigen Tag abwarten. Lass die von der Regierung kommen und alles gründlich aufklären. Es bringt doch nichts, wenn wir wild mit haltlosen Anschuldigungen um uns werfen." Obwohl ich Glindas Hunde-Bemerkung mehr als unpassend fand, musste ich ihr doch zustimmen. Wir wussten einfach zu wenig, um die Ereignisse beurteilen zu können.


"Es war Simnistrien", schrie Anan nun wütend. Ichzuckte erschrocken zusammen, denn ich war eine solch heftige Reaktion von meinem Ex-Schwiegervater nicht gewohnt. Er erkannte seinen Fehler und senkte die Lautstärke seiner Stimme wieder. Dennoch blieb er hoch erregt. "Ich habe vor 40 Jahren in Simnistrien gekämpft. Es war ein furchtbarer, sinnloser Krieg, und ich schäme mich dafür, dass die SimNation diesen Krieg damals heraufbeschworen hat. Aber dadurch kenne ich das simnistrische Militär. Genau diese Hubschrauber haben sie auch schon vor 40 Jahren eingesetzt. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Simnistrien uns angegriffen hat. Und nach all den Spannungen zwischen unseren Ländern in den letzten Jahren, überrascht es mich nicht einmal."


Anan klang felsenfest überzeugt von seiner Aussage. Vielleicht stimmt es ja sogar. Zumindest würde es erklären, warum ich seit Wochen Dominik nicht mehr erreichen konnte, der für einen privaten Wachdienst in Simnistrien arbeitete. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkte, dass jemand das Haus betreten hatte. Erst, als der Mann in den Schein des Kamins trat, erkannte ich meinen jüngeren Bruder Orion.


Sofort sprang ich aus dem Sessel auf und drückte meinen Bruder fest an mich. Ihm ging es gut, und auch Desdemona war bei dem Angriff nicht verletzt worden. Auch der Rest der Kappes war nicht zu Schaden gekommen. Gerda, ihr Mann Volker, Hans, Mika und Elvira hatten alle Zuflucht in einem alten unterirdischen Lagerraum inmitten der Maisfelder gesucht. Die Farm der Kappes, Norman, stand noch unversehrt. Meine Familie hatte bei dieser Katastrophe sehr viel Glück gehabt. Gott musste seine schützende Hand über uns gehalten haben.


"Können wir kurz ungestört sprechen?", bat mich Orion und winkte mit dem Kopf in Richtung Küche. Ich runzelte die Stirn, nickte aber und wir entfernten uns von Dominiks Eltern, die zwar neugierig hinübersahen, aber keine Fragen stellten. Fragend sah ich meinen Bruder an. "Deine Schwiegereltern wissen doch nichts von Justice". Darum ging es als! Ich schüttelte den Kopf. "Natürlich nicht. Nicht einmal Dominik weiß Bescheid." Ich senkte meine Stimme, soweit ich es vermochte, dennoch befürchtete ich, dass Glinda und Anan etwas von dem Gespräch aufschnappen können. Besorgt sah ich zu den beiden hinüber. Meine Ex- und Hoffentlich-bald-wieder-Schwiegereltern mussten nicht erfahren, dass meine Schwester die Patin der Mafiaorganisation "Justice" in SimCity war.


"Joanna hat mich gewarnt, dass in den nächsten Wochen oder Monaten großer Ärger anstehen könnte", erklärte Orion. "Es gab Gerüchte in der Unterwelt, aber niemand konnte genaueres sagen. Joanna hatte mir bereits Anweisungen gegeben, dich und deine Familie nach SimCity zu bringen, aber der Angriff kam viel zu früh." "Wer hat uns angegriffen?", fragte ich nun meinen Bruder, denn er schien mehr zu wissen, als wir anderen. "Laut Joannas Informationen, und die sind nun auch einige Wochen alt, plante wohl Simnistrien diesen Überfall. Diese Informationen waren allerdings nicht sehr zuverlässig."


Also hatte Anan recht. Es war unglaublich befreiend, dem Feind endlich ein Gesicht geben zu können. Gleichzeitig stieg die Angst in mir auf. Wenn der Angreifer wirklich Simnistrien war, dann befand sich die SimNation im Krieg mit ihrem schlimmsten Feind. Und dieser Krieg würde morgen nicht vorbei sein. Er würde vermutlich noch Wochen andauern.


"Tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten habe, Oxana", entschuldigte sich mein Bruder bei mir. "Mein Kontakt zu Joanna ist mit den Angriffen abgebrochen. Das gesamte Handy- und Telefonnetz ist zusammengebrochen. Außerdem scheinen die Simnistrier Störsignale auszusenden. Es ist mir nicht gelungen, Fernseh- oder Radionachrichten zu empfangen. Wir sind zurzeit isoliert vom Rest der SimNation und ich habe keine Ahnung, welches Ausmaß diese Angriffe hatten. War nur Sierra Simlone Stadt betroffen? Oder waren es gezielt Angriffe auf alle Stadt der Sierra Simlone oder gar des ganzen Landes? Du solltest in jedem Fall schon mal die notwendigsten Sachen packen. Es könnte sein, dass wir jeden Tag nach Norden aufbrechen und versuchen werden, uns nach SimCity durchzuschlagen. Allerdings können wir nur dich und die Kinder mitnehmen. Dein Mitbewohner Tristan wird hier bleiben müssen."


Oh Gott, Tristan! Bei all der Aufregung hatte ich meinen Mitbewohner vergessen. Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen. "Ich habe Tristan seit dem Angriff nicht gesehen", erklärte ich meinem Bruder, der mich verwirrt anstarrte. "Ich war so in Sorge um die Kinder und so unendlich müde, dass es mir nicht in den Sinn gekommen war, nach Tristan zu sehen. Oh Gott, Orion, er arbeitet doch auf den Ölfeldern, dort wo die Angriffe begonnen haben."


Ich lief sofort zu Tristans Zimmer und riss die Tür auf. Doch wie nicht anders zu erwarten, fand ich das Zimmer leer vor. Die Bettdecke war noch so zerwühlt, wie Tristan sie am Morgen zurückgelassen hatte. Tristan durfte nichts passiert sein. Das durfte einfach nicht sein! Und was war ich für eine Freundin, die nicht einmal daran dachte sich zu vergewissern, dass ihr Mitbewohner, der nun schon seit 20 Jahren das Haus mit ihr teilte, bei einem verheerenden Angriff auf die Stadt nicht zu Schaden gekommen war?


Ich musste ihn suchen gehen! "Anan, Glinda, bleibt bitte hier und passt auf die Kinder auf", bat ich meine Ex-Schwiegereltern im Vorbeilaufen und griff nach den Autoschlüsseln, die im Regal neben dem Kamin lagen. "Wo willst du suchen?", fragte Orion. "Auf den Ölfeldern", antwortete ich gehetzt. "Vielleicht liegt Tristan dort irgendwo verletzt. Ich muss einfach nachschauen". Orion überlegte einen Moment, ob er mich aufhalten sollte, doch dann nickte er nur und ich lief hinaus und durch den anhaltenden Regen hindurch zu meinem Wagen.

 

 


Als ich im Auto saß, kam mir der Gedanke, dass Tristan womöglich bei Frank und damit in Sicherheit war. Eilig fuhr ich in die Dustlane, doch niemand reagierte auf mein beharrliches Hämmern gegen die Tür. Offenbar war das Haus verlassen. Also hetzte ich zurück zum Wagen und fuhr eiligst zum Bohrturm Nr. 5, Tristans Arbeitsstelle. Der Anblick der brennenden Anlage verschlug mir die Sprache. Der Bohrturm war in sich zusammengebrochen. Die Gebäude waren zerstört, offenbar direkt von einer Rakete getroffen. Die Hitze schlug mir ins Gesicht und der dichte Qualm nahm mir die Luft zum Atmen.


Der grelle Schein der Flammen nahm mir die Sicht, sodass ich das Zelt in direkter Nachbarschaft zur brennenden Ruine zunächst nicht bemerkte. Ein Krankenwagen stand daneben und ich erkannte, dass es sich wohl um eine Art Lazarett handeln musste. Eilig lief ich darauf zu. Als ich näher kam, erblickte ich Frank, der zusammengekauert mit gesenktem Kopf vor dem Eingang des Zeltes hockte. Dieser Anblick ließ mich das Schlimmste befürchten und ich wurde unweigerlich langsamer, um die schreckliche Gewissheit noch einige Momente länger hinauszögern zu können.


Er hörte meine Schritte und blickte zu mir auf. Sofort sprang er von der Holzkiste auf. Trotz der Dunkelheit konnte ich genau erkennen, dass er geweint hatte. Oh Gott, nein, das durfte nicht wahr sein. Ich wollte in das Innere des Zeltes hineinschauen, doch Frank hielt mich zurück. "Oxana, es ist etwas passiert", begann er mit bebender Stimme zu sprechen. "Die Rakete...alles explodierte...er…er…"


Ich konnte nicht länger zuhören, ich musste es mit eigenen Augen sehen. Ich riss mich von Frank los und schaute ins Innere des Lazarettzelts. Und da sah ich ihn. Ich brauchte keinen Arzt um zu wissen, dass er tot war. Niemand konnte solche Verletzungen überlebt haben. Die Tränen schossen mir in die Augen. Die ersten Tränen, die ich an diesem Tag vergoss.


Benny! Eingetrocknetes Blut bedeckte sein ganzes Gesicht. Niemand hatte offenbar bis jetzt die Zeit gefunden, es zu waschen. Aber immerhin waren seine Augen geschlossen. Ich streckte meine Hand aus und strich eine Haarsträhne zurück, die sich auf seine Stirn geklebt hatte. Doch ein schauer durchfuhr meinen Körper, als ich seinen kalten Leichnam berührte. Benny musste sofort beim ersten Angriff ums Leben gekommen sein.


Nun kam auch Frank ins Zelt und legte mir tröstend den Arm auf den Rücken. "Ich glaube nicht, dass er lange leiden musste", versuchte er mich zu beruhigen. Vermutlich stimmte das sogar, doch das war kein Trost für mich. Ich hatte Benny geliebt, auch wenn das nun schon viele Jahre zurück lag. Er war der erste Mann für mich gewesen und unsere Trennung war schmerzhaft verlaufen, insbesondere für ihn. Wir hatten nie die Gelegenheit gehabt, uns auszusprechen und ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Wie schon bei meinen Vätern hatte ich die Chance zur Wiedergutmachung verpasst.


"Ich hab ihn direkt neben Tristan gefunden", erklärte Frank, "aber ich konnte nichts mehr für ihn tun. Ich bin zu spät gekommen". "Tristan, was ist mit ihm?", bedrängte ich Frank, da ich noch immer nichts über das Schicksal meines Mitbewohners in Erfahrung gebracht hatte. "Er ist schwer verletzt, aber er lebt. Ich konnte ihn gerade noch aus den Trümmern ziehen, bevor der Turm über ihm zusammenbrechen konnte. Er liegt gleich hinter dem Vorhang."

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