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Einige Minuten lang blieb es ruhig, sodass fast eine entspannte
Situation aufkam. Doch dann gab es wieder einen Knall, lauter,
als alles was wir bis dahin vernommen hatten. Die Regale im
Keller zitterten und einige der Bücher fielen heraus. Diesmal
hörte man vereinzelte Schreckensschrei, die sich auf alle
Anwesenden ausweiteten, als Sekunden später das Licht im
Keller ausfiel. Selbst Direktorin Bartelt konnte einen entsetzten
Aufschrei nicht unterdrücken. Überall rückten
die Schüler enger zusammen, nahmen Jungs ihre Freundinnen
in den Arm oder gaben sich zwei Freunde gegenseitig halt. Die
nun herrschende Dunkelheit nahm uns die Sicht, doch sie konnte
das leise Wimmern und Schluchzen aus allen Ecken nicht verbergen.
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Auch Klaudia, Sky und ich rückten näher zusammen.
Klaudia konnte ihre Tränen nicht länger unterdrücken
und schluchzte leise. Sky blieb tapfer, vermutlich, weil ihm
nicht ganz klar war, was um uns herum geschah. Aber er spürte
instinktiv, dass etwas überhaupt nicht in Ordnung war.
Ich drückte meine Kinder fest an mich und betete. Ich betete
dafür, dass wir gesund aus diesem Keller kamen, dass Frau
Jolowitz das einzige Opfer dieses Wahnsinns bliebe und das wir
noch ein Zuhause hätten, in das wir zurück kehren
konnten, wenn wir diesen Keller verließen.
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Ich weiß nicht, wie lange wir in diesem Keller ausharten.
Ich hatte mein Zeitgefühl vollkommen verloren. Das Licht
im Keller blieb aus. Immer wieder hörten wir dumpfe Einschläge,
mal weiter weg, mal näher und von Zeit zu Zeit erbebte
das gesamte Gemäuer. Doch dann blieb es still. Wir warteten
lange, sehr lange, bis wir uns ins Freie wagten. Und ich wünschte
mir fast, wir wären im Keller geblieben, denn der Anblick
der Stadt verschlug mir die Sprache und trieb mir fast die Tränen
in die Augen.
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Um uns herum brannte es lichterloh. Dichter Qualm durchzog die
Straßen und nahm uns den Atem. Die Schule war zum Glück
weitestgehend unbeschädigt geblieben. Lediglich direkt
vor dem Klassenzimmer von Sky befand sich ein tiefer Krater
in der Straße. Die Scheiben der Fenster waren zersprungen
und Asphaltstücke hatten sich in das Gebäude gebohrt.
Doch die Schule war aus Stein erbaut worden. Ein der Raketen
hätte direkt in das Gebäude einschlagen müssen,
um es ernsthaft zu beschädigen. Die kleinen Geschäfte
aus Holz in der Umgebung der Schule hatten hingegen sofort Feuer
gefangen und die Flammen griffen rasend schnell um sich. Entsetzt
blickten meine Kinder und ich auf den brennenden Friseursalon,
der einstmals Ingrid, Skys leiblicher Mutter gehört hatte.
Selbst wenn die Feuerwehr sofort einträfe, das Gebäude
war nicht mehr zu retten.
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"Los Kinder, steigt schnell in den Wagen", wies ich
Klaudia und Sky an, nachdem ich mich wieder halbwegs gefasst
hatte. Mein Pickup war wie durch ein Wunder unbeschädigt
geblieben. Ich konnte den Anblick der brennenden Stadt kaum
ertragen. Der Langhorn-Saloon, das Café, das Stadtzentrum...
alles stand in Flammen. Klaudia weinte hemmungslos. Die Stadt
in der sie geboren wurde, sie lag in Trümmern.
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Heute Morgen war Klaudia noch durch eine heile Kleinstadt zur
Schule gefahren und diese Stadt gab es auf einmal nicht mehr.
Sie wurde überraschend und ohne Vorwarnung von einem unbekannten
Feind in Schutt und Asche gelegt. Der Regen prasselte unaufhörlich
auf die Erde herab, versuchte mit aller Kraft, die Flammen zu
löschen, doch es war ein aussichtsloser Kampf. In mir wuchs
die Angst. Was war mit Grünspan? Stand mein kleines grünes
Haus noch oder war es wie der Rest der Stadt denn Flammen zum
Opfer gefallen?
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Ich drückte aufs Gaspedal. Die Geschwindigkeitsbegrenzungen
interessierten mich nicht mehr, ich wollte nur noch zu meinem
Haus. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung entfuhr meiner Brust
als ich sah, dass die Außenbezirke der Stadt offenbar
nicht von Raketen getroffen worden waren. Das Haus meines Bruder,
das Haus von Klaudias und Skys Großeltern und auch Grünspan,
sie alle standen unversehrt.
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Doch meine Freude währte nur kurz. Ich war noch nicht ganz
aus dem Auto gestiegen, als ich Sky Schreien hörte. "Feuer!
Es brennt!". Klaudia und ich liefen in seine Richtung.
Entsetzt schrie ich auf und raufte mir panisch die Haare, als
ich die Flammen erblickte, die an der Veranda züngelten.
"Oxana, einen Feuerlöscher, schnell", hörte
ich meine ebenfalls panische Nachbarin Sandra Monschau brüllen.
Es war offensichtlich, aber genau diese Worte hatte ich gebraucht,
um mich aus meiner Panik zu reißen.
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Ich rannte ins Haus und ries den Feuerlöscher aus dem Küchenschrank
unter der Spüle. In mir stieg die Wut auf. Dieses Feuer
würde nicht mein Haus zerstören. Es würde mir
und meinen Kindern nicht das Zuhause nehmen. Ich richtete den
Schaumstrahl auf die Flammen und schrie all die Angst, das Entsetzen
und die furchtbare Wut, die sich in mir aufgestaut hatte, aus
mir heraus. Ich schrie noch lange weiter, selbst als die Flammen
bereits erloschen waren.
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Die Sonne ging langsam unter. Mit der einkehrenden Dunkelheit
wurde deutlich, dass der Strom nicht nur im Schulkeller ausgefallen
war. Auch in unserem Haus gab es kein Licht. Sky ist fast augenblicklich
in einen tiefen Schlaf gefallen, sobald wir endlich die Sicherheit
unserer vier Wände erreicht hatten. Klaudia hatte sich
wieder beruhigt, aber sie wollte um keinen Preis allein sein.
Und ich wollte meine Kinder nicht aus den Augen lassen, also
beschlossen wir, alle gemeinsam in meinem Zimmer zu übernachten.
Doch bevor es ins Bett ging, brauchte ich dringend eine Dusche.
Der Geruch von Pferden, Rindern, Schweiß und Feuer klebte
an mir und ich wollte nur noch raus aus diesen Klamotten.
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Klaudia legte sich zu Sky ins Bett und war eingeschlafen, noch
ehe ihr Kopf das Kissen richtig berührte. Ich ging hinüber
ins Badezimmer. Automatisch tastete ich nach dem Lichtschalter,
bis mir wieder einfiel, dass es keinen Strom gab. Ich ließ
die Tür zum Wohnzimmer offen, um wenigstens etwas Licht
in den fensterlosen Raum zu bekommen, zog mich aus und stellte
mich unter die Dusche. Doch das ersehnte Nass kam nicht. In
den Leitungen ertönte ein lautes Gurgeln, gefolgt von einigen
Spritzern trüben Wassers. Dann blieb es trocken. Der Stromausfall
betraf natürlich auch die Wasserpumpen. Somit hatten wir
nicht nur kein Strom, sondern auch kein Wasser mehr.
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Wütend schlug ich mit der Faust gegen die Fliesen. Doch
dann fiel mir die manuelle Wasserpumpe ein, die hinter dem Haus
installiert war. Die Wanne wurde sonst nur zum Baden von Goya
benutzt, aber das war mir in diesem Augenblick egal. Ich pumpte
so lange, bis die Wanne voll war und stieg in das, zugegebenermaßen
kalte, Wasser um mich von Staub, Ruß und Gestank zu befreien.
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Anschließend war ich sauber, aber ich war so müde,
dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Ich wollte
zu den Kindern ins Schlafzimmer und mich auf das Sofa legen.
Ich verzichtete darauf, meinen Schlafanzug anzuziehen und zog
stattdessen normale Kleidung an. Wer konnte wissen, was in dieser
Nacht noch alles gesehen würde? Vielleicht wurde es nötig,
dass wir das Haus schnell verließen? Ich wollte auf alles
vorbereitet sein.
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Da klopfte es an der Tür. Erschrocken riss ich den Kopf
zur Seite. Doch vor der Tür stand kein Feind, sondern Anan,
Dominiks Vater, den ich durch die Scheibe der Eingangstür
hindurch erkannte und der ins Haus hinein lugt. Erleichtert
lief ich ins Freie und warf mich dem Großvater meiner
Kinder in die Arme.
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Doch Anan, der mich nach meiner Scheidung von Dominik immer
noch wie seine eigene Tochter behandelt hatte, war nicht allein
gekommen. Auch Dominiks Mutter Glinda war da. Uns beide verband
ein schwieriges Verhältnis. Ihrer Meinung nach war ich
nie gut genug für Dominik gewesen und sie hatte unserer
Ehe keine Träne nachgeweint. Doch zum ersten Mal in all
den Jahren, in denen ich diese Frau schon kannte, schien sie
sich ernsthaft darüber zu freuen, mich wohlauf zu sehen.
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"Den Kindern geht es gut", versicherte ich den beiden,
noch ehe sie fragen konnten. Ich konnte sehen, wie ihnen ein
Stein vom Herzen fiel. Schnell führte ich sie ins Wohnzimmer
und zündete ein Feuer im Kamin an, damit wir wenigstens
ein wenig Licht hatten. Glinda bat um etwas zu Essen. Ich konnte
ihr allerdings nur eine Packung trockener Asia-Snacks anbieten,
die sie dennoch dankbar annahm. Dann berichtete ich von den
Ereignissen des heutigen Tages und wie die Kinder und ich uns
im Schulkeller versteckt hatten. "Und euch ist nicht passiert?",
fragte ich besorgt. "Wurde niemand verletzt?"
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"Uns geht es allen gut", antwortete Glinda. "Mark
und Kira haben uns sofort ins Auto gescheucht, als die ersten
Raketen in der Nähe der Stadt einschlugen. Wir haben uns
so schnell und so weit es ging von den Bohrtürmen und der
Stadt entfernt und haben uns draußen in der Wüste
versteckt. Siana und ihr Mann und auch Dennis, Stev und die
Kinder haben sich selbst in Sicherheit gebracht. Es ist zum
Glück niemanden etwas passiert. Allerdings haben Dennis
und Stev kein Dach mehr über dem Kopf. Ihr Haus ist komplett
niedergebrannt". Ich keuchte entsetzt auf. Wie viele meiner
Freunde hatten wohl noch ihr Zuhause verloren? Auch Glinda wirkte
unglaublich müde und erschöpft. Sie schien in den
letzten Stunden um Jahre gealtert und wirkte nun wie eine gebrochene,
alte Frau.
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"Aber wer waren diese Aggressoren?", fragte ich weiter.
Es war eine Frage, die mich schon seit Beginn des Angriffes
beschäftigte. "Wer hätte einen Grund unsere friedliche
Stadt ohne Vorwarnung anzugreifen und zu zerstören?"
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