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"Uns bleibt gar nichts anderes übrig, Oxana",
erklärte meine Schwester ruhig. Ich ließ mutlos die
Schultern sinken. "Wenn es hart auf hart kommen sollte,
wenn wir in SimCity nicht länger sicher sind, dann werde
ich dafür sorgen, dass wir alle das Land verlassen. Dank
"Justice" stehen mir einige Mittel und Wege offen.
Und das Fürstenhaus verhandelt ununterbrochen mit Staatschefs
aus aller Welt. Einer meiner Informanten im Fürstenpalst
in Sant Regina teilte mir vor wenigen Stunden mit, dass Simbirien
bereit ist, auf unserer Seite in den Krieg einzutreten. Und
Simbirien steht in einem militärischen Bündnis mit
Russland. Das könnte dem ganzen Krieg eine Wendung geben."
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Ich konnte Joannas Hoffnung nicht teilen. Was würde es
ändern, wenn Simbirien oder gar Russland in den Krieg eingriffen?
Beide Staaten waren tausende Kilometer von der SimNation entfernt.
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich versuchte
sie zu unterdrücken, denn ich wollte vor meiner Schwester
und ihrem Mann nicht schwach erscheinen. Also gab ich vor durstig
zu sein und eilte in die Küche, um mir ein Glas Wasser
zu holen.
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Doch meine Nerven lagen blank. Meine Hände zitterten so
sehr, dass mir das Glas aus den Händen glitt und in der
Edelstahlspüle in tausend Scherben zersprang. Und nun gab
es kein Halten mehr für mich. Ich fing an hemmungslos zu
weinen. Tobias erkannte, dass er sich jetzt besser zurückziehen
sollte und meine Schwester folgte mir umgehend in die Küche.
"Es ist doch nur ein bescheuertes Glas, Xana", redete
sie beruhigend auf mich ein.
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Joanna wusste genau, dass ich nicht wegen des Glases so aufgelöst
war. Ich musste endlich all die Dinge los werden, die mir nun
schon seit Tagen und Wochen auf der Seele lasteten. "Ich
musste meine engsten Freunde, meine Familie, mein Zuhause zurücklassen",
schluchzte ich. "Ich weiß nicht, ob ich sie jemals
wiedersehen werde. Und ich weiß nicht, ob ich Dominik
jemals wiedersehe. Er ist jetzt irgendwo dort in Simnistrien.
Ich habe miterlebt, was die Simnistrier den Menschen in der
Sierra Simlone angetan haben. Sie sind böse und grausam
und er ist ihnen schutzlos ausgeliefert. Und...und...ich weiß
nicht, wo meine kleine Kinga ist. Ich weiß nicht, ob es
meiner Tochter jetzt gut geht."
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"Kinga geht es gut, Oxana", versicherte mir meine
Schwester umgehend. Sie faste mich mit beiden Händen fest
an den Schultern und zwang mich, ihr in die Augen zu sehen.
"Du hast Kinga in meine Obhut gegeben und ich würde
niemals zulassen, dass ihr etwas zustößt. Kinga ist
in Sicherheit, Oxana." Ein Blick in Joannas Augen genügte
mir um zu wissen, dass sie die Wahrheit sprach. Ich schniefte
einige Male und nickte schließlich. Langsam hörten
die Tränen auf zu fließen. "Du schläfst
jetzt erst einmal, Schwesterherz. Nach all den Strapazen der
vergangenen Tage brauchst du vor allem etwas Ruhe. Und dann
sehen wir weiter. In Ordnung?" Ich nickte schwach und ließ
mich von Joanna in mein Schlafzimmer führen.
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Desdemona lag bereits im Bett. Wir würden uns für
die Zeit in SimCity das Zimmer teilen müssen. Ich war mir
sicher, dass sie gehört hat, wie ich vorhin wütend
geworden war. Und auch meine bitterlichen Tränen dürften
ihr nicht entgangen sein. Aber sie rührte sich nicht, als
ich mich ins Bett legte. Und ich war ihr dankbar dafür,
denn ich war nicht in der Verfassung, um mit ihr über meine
Gefühle zu reden. Sie war zwar meine Schwägerin und
ich mochte sie sehr gern, aber unsere Beziehung war nicht tief
genug, als dass ich ihr mein Herz ausgeschüttet hätte.
Mit einem letzten Gedanken an Dominik und Kinga fiel ich in
einen festen, traumlosen Schlaf.
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Geweckt durch Geräusche aus der Küche, schlug ich
meine Augen auf. Es war noch fast dunkel in dem Zimmer, aber
es dämmerte draußen bereits und die Sonne würde
bald aufgehen. Als ich die Küche betrat, entdeckte ich
Joanna, die Eier und Milch zu einem Waffelteig verrührte.
"Guten Morgen, Xana", begrüßte sie mich.
Die dunklen Ringe unter ihren Augen verrieten deutlich, dass
sie heute Nacht nicht gut geschlafen hatte. Vermutlich traf
das auch schon auf die vorherigen Nächte zu. Ich sammelte
ein paar dreckige Teller ein, die ich im Esszimmer fand, und
spülte sie ab.
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Joanna hielt die Schüssel in der einen Hand und rührte
den Teig kräftig mit der anderen, während sie unruhig
von Ecke zu Ecke schritt. "Eigentlich könnte auch
Sebastian, mein Buttler, das Frühstück vorbereiten",
erklärte sie, ohne dass ich danach gefragt hätte.
"Aber es ist für mich zu einem Ritual geworden, dass
ich das jeden Morgen selbst erledige. Das ist nur ein kleiner
Beitrag, den ich für meinen Mann und meine Kinder leiste,
aber "Justice" lässt mir nicht viele Möglichkeiten,
um mich intensiver um meine Familie zu kümmern. Ich werde
gleich nach dem Frühstück aufbrechen. Zurzeit passieren
einfach zu viele Dinge." Sie seufzte. "Ich möchte,
dass du heute Nachmittag zu mir in das Hauptquartier kommst",
setzte sie fort. "Dort können wir in Ruhe über
alles reden." Ich nickte.
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Gemeinsam mit den Kindern frühstückten wir und dann
verließ meine Schwester das Haus. Da wir bei unserer Flucht
aus Sierra Simlone Stadt so gut wie nichts mitgenommen hatten,
erlaubte mir Joanna, mir etwas aus ihrem Kleiderschrank rauszusuchen.
Beim Anziehen bemerkte ich zwar, dass wir Zwillinge waren, deshalb
aber nicht unbedingt einen identischen Körperbau hatten.
Joannas Sachen zwickten hier und da, und an manchen Stellen
waren sie mir einfach zu locker. Aber schließlich fand
ich etwas, mit dem ich zufrieden war.
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Ein kurzer Anruf von Joanna hatte genügt, damit Klaudia
und Sky sofort eine Schule in SimCity besuchen konnten. Ich
war mir zunächst unsicher, ob es klug war, die Kinder während
einer solchen Krise zur Schule gehen zu lassen. Aber Joanna
überzeugte mich davon, dass es besser für die Kinder
war, wenn der Alltag so normal wie möglich verlief. Niemand
konnte sagen, wie lange der Krieg von SimCity fern bleiben würde.
Und bis dahin sollten die Kinder ein normales Leben genießen
dürfen.
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Ich nutzte die Zeit, um mich gründlich in meinem Geburtshaus
umzusehen. Das Haus meiner Kindheit hatte sich stark verändert.
Es war nun über 20 Jahre her, dass ich es zum letzten Mal
betreten hatte. Und damals musste ich es im Streit mit meinen
Eltern verlassen. Ich hatte mich nicht mehr hier her getraut.
Für Joanna war dieses Haus hingegen immer ihr Zuhause geblieben.
Im Laufe der Jahre hatte sie es ihren Bedürfnissen und
ihrem Geschmack angepasst. Ich schaute die Bücherregale
durch, auf der Suche nach Büchern aus meiner Kindheit.
Doch ich entdeckte nichts Vertrautes. Das hier war zwar immer
noch das Haus meiner Eltern, auf der anderen Seite war es das
aber auch nicht mehr. Es war ein seltsames Gefühl, dass
sich nicht richtig beschreiben ließ.
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Die wenigsten Veränderungen hatte das Haus von außen
erfahren. Immer noch bildeten die roten Backsteinwände
einen wunderbaren Kontrast zu dem gelben Putz. Auch das Gewächshaus,
dass Dad immer ein Dorn im Auge gewesen war, stand noch im Garten.
Sicher, es gab auch einige Veränderungen, aber wenn ich
mir das Gebäude ansah, dann tauchten doch die ien oder
andere Kindheitserinnerungen auf.
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Und auch wenn das Haus aufgrund der vielen Veränderungen
nur bedingt Erinnerungen weckte, so taten es doch die vielen
Familienbilder, die in der oberen Etage hingen. Viele der gezeigten
Szenen waren mir unbekannt. Ich kannte nicht den 16 jährigen
Orion, der seine kleine Nichte auf dem Arm hielt, auch nicht
die vielen Zeitaufnahmen aus der Kindheit meines Neffen und
meiner Nichte. Als diese war zu einer Zeit geschehen, als ich
keinen Kontakt zu meiner Familie hatte. Dafür rührte
mich das Bild meines Paps fast zu Tränen. Ich besaß
keine Bilder von ihm, auch nicht von Dad. Paps noch einmal sehen
zu können, und sei es nur auf der Leinwand, war einfach
wunderbar.
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Sky und Jakób würden erst in ein paar Stunden von
der Schule wiederkommen und bis zu meinem Treffen mit Joanna
hatte ich auch noch etwas Zeit. Ich bat Tobias um eine Leine
für Goya und machte mich anschließend auf dem Weg
zum Friedhof. Die Gräber meiner Eltern waren im tadellosen
Zustand. Ich hatte von Joanna auch nichts anderes erwartet.
Da es wieder ein warmer Tag zu werden versprach, goss ich lediglich
die Blumen und zündete eine Kerze an.
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Eine für Paps, aber auch eine für Dad. Ich hatte Dad
inzwischen seine Fehler verziehen. Ich wusste nicht genau, wann
es geschehen war. Vermutlich kurz nachdem ich auf der Mission,
auf die Joanna mich für "Justice" geschickt hatte,
umgekommen wäre. Ich hatte immer noch das Bild in meinem
Kopf, wie ich halb Tod im Wald liege, und ein Engel mich zur
Straße trägt. Und dieser Engel hatte verblüffende
Ähnlichkeit mit Dad.
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Ich verbrachte einige Stunden auf dem Friedhof. Zum ersten Mal
fand ich seit Tagen wieder etwas Ruhe und innere Zufriedenheit.
Da der Tag inzwischen weiter vorangeschritten war, brachte ich
Goya wieder zum Haus meiner Schwester und machte mich anschließend
auf den Weg, um mich mit Joanna zu treffen. Ich fand ihren Arbeitsplatz,
das Gebäude der "Sky Meal", der Catering-Agentur
der Fluggesellschaften in der SimNation, ohne Schwierigkeiten.
Die Dame am Empfang hatte mein Kommen offenbar bereits erwartet,
denn sie unterbrach ihr Telefongespräch bei meinem Anblick
und schickte mich sofort hoch in die dritte Etage, wo sich das
Büro meiner Schwester befand.
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Mit dem Fahrstuhl fuhr ich in das oberste Stockwerk und klopfte
an Joannas Bürotür. Umgehend wurde ich von ihr hereingebeten.
Joanna saß an ihrem riesigen Schreibtisch und tippte eifrig
an ihrem Computer. Ein Lächeln überzog ihr Gesicht,
als sie vom Bildschirm aufblickte und sah, dass ich ihrer Einladung
tatsächlich gefolgt war. Offenbar war sie sich bis zum
Schluss nicht sicher gewesen, ob ich bereit wäre, das Hauptquartier
von "Justice", der Mafia-ähnlichen Organisation,
der meiner Schwester vorstand, zu betreten. Und diese Befürchtung
war durchaus berechtigt. Mein bisher einziger Kontakt mit "Justice"
hätte für mich fast mit dem Tod geendet und dementsprechend
hielten sich die Sympathien für die Organisation meiner
Schwester in Grenzen.
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Joanna beendet die e-mail, an der sie gerade schrieb, und klappte
den Bildschirm ihres Computers herunter. Sie kam auf mich zu
und begrüßte mich mit einem Kuss auf die Wange. Doch
bevor sie noch etwas sagen konnte, fiel ich ihr ins Wort. "Wo
ist Kinga? Ich muss sie einfach sehen! Ich muss mich mit eigenen
Augen davon überzeugen, dass meine Tochter wohlauf ist."
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"Xana, ich habe dir doch schon gestern Abend erklärt,
dass es Kinga gut geht", erwiderte meine Schwester. "Ich
muss sie trotzdem sehen, Jojo. Wir haben uns nie ausgesprochen.
Ich habe Kinga einfach fortgeschickt. Wir hatten nie die Chance
das Geschehen richtig aufzuarbeiten. Ich konnte Kinga nie richtig
erklären, warum ich ihr nie erzählt habe, dass Albert
und nicht Dominik ihr Vater ist. Und ich konnte ihr nicht erklären,
warum ich sie von Zuhause wegschicken und in deine Obhut geben
musste. Und jetzt ist da dieser Krieg. Ich habe Angst, dass...dass
ich nicht mehr die Gelegenheit haben könnte, sie um Verzeihung
zu bitten. Ich habe mich bereits von Dad und Paps im Streit
getrennt. Und wir beide wissen, dass ich nicht mehr die Möglichkeit
hatte, mich mit ihnen auszusöhnen. Mit Kinga soll mir das
nicht auch passieren." Joanna streichelte mir behutsam
den Rücken. Genau in diesem Moment wurde die Tür geöffnet
und die junge Frau vom Empfang betrat mit einer Kanne Kaffee
in der Hand das Büro.
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