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Sie stellte die Kanne auf einen niedrigen Tisch in einer Ecke
des Büros ab und goss zwei Tassen ein. Dann verließ
sie wortlos wieder den Raum. Joanna ging auf die dampfenden
Tassen zu, nahm sie in die Hand und reichte mir anschließend
eine davon. Dann forderte sie mich auf, mich auf die Couch am
Fenster zu setzen. "Du wirst noch jede Menge Gelegenheiten
haben, dich bei Kinga für alles zu Entschuldigen",
setzte sie unser Gespräch fort. "Aber es wäre
ein Fehler, wenn du sie jetzt sehen würdest, Xana. Kinga
ist noch nicht bereit dafür."
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Ich blickte Joanna verständnislos an. Meine Schwester fuhr
sich unsicher mit den Fingern durch die Haare und biss sich
auf die Unterlippe. Sie überlegte genau, was sie mir nun
sagen sollte. "Du hast mich vor zwei Jahren gebeten, mich
um Kinga zu kümmern, damit sie wieder ein geregeltes Leben
führen kann. Und ich habe dir versprochen, dass ich das
für dich tun werde...allerdings auf meine Art. Kinga hat
riesige Fortschritte gemacht. Du würdest sie kaum wiedererkennen.
Von dem unreifen Mädchen, das du in meine Obhut gegeben
hast, ist nicht mehr viel übrig." Es war das erste
Mal, dass Joanna und ich so offen über Kinga sprachen.
Und mein Herz machte einen Freudensprung als ich hörte,
wie gut Kinga sich in den letzten Jahren entwickelt hatte.
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Doch Joanna trübte meine Freude augenblicklich wieder.
"Aber Kingas Hass auf dich ist immer noch unverändert
stark, Xana. Es tut leid, aber ich fürchte, deine Tochter
würde dich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sehen wollen. All
die Briefe, die du ihr in den letzten Jahren geschrieben hast,
hat sie ungeöffnet zerrissen. Sie ist nicht bereit, dir
zu verzeihen. Möglicherweise wird sie irgendwann dazu in
der Lage sein, aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Wenn
ich dir aber jetzt erlauben würde, Kinga zu sehen, dann
befürchte ich, dass all die Narben, die bei ihr langsam
angefangen haben zu verheilen, wieder aufbrechen könnten.
Die zwei Jahre Arbeit, die ich in Kinga investiert habe, um
sie zu einer vernunftbewussten Frau zu erziehen, wären
dann umsonst gewesen. Und das möchtest du doch auch nicht,
nicht wahr? Ich werde dir daher nicht erlauben, sie zu sehen.
Noch nicht."
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Das war zu viel für mich. Die Tränen schossen mir
wieder einmal in die Augen und ich stand hastig vom Sofa auf.
Ich hielt die Kaffeetasse fest umklammert und blickte durch
das große Fenster hinaus auf die Dächer von SimCity.
Doch ich nahm die Stadt gar nicht wahr. Meine Gedanken waren
nur bei Kinga. Wie konnte ich es so weit kommen lassen, dass
meine eigene Tochter mich so sehr hasste? Wieso konnte ich es
nicht verhindern? "Kinga ist weit entfernt von jedem Kampfgeschehen",
setzte Joanna ruhig fort. "Sie ahnt noch nicht einmal,
dass die SimNation sich in einem Krieg befindet. Dein Besuch
würde ihr Leben, das so langsam wieder geordnete Bahnen
annimmt, nur durcheinanderwirbeln. Du musst mir einfach vertrauen,
dass ich mich gut um deine Tochter kümmere."
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"Ich vertraue dir doch, Jojo", versichert ich meiner
Schwester. "Sonst hätte ich die Zukunft meiner Tochter
nie in deine Hände übergeben. Ich weiß, dass
du nur das Beste für sie willst." Joanna kam auf mich
zu und nahm mich fest in den Arm. Es tat so gut, von ihr getröstet
zu werden. Sie gab mir den Halt, den ich mir in der jetzigen
Situation so sehr von Dominik gewünscht hätte. Aber
er war hunderte von Kilometern weit entfernt und ich konnte
nur dafür beten, dass er immer noch am Leben war.
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Die nächste Welle der Verzweiflung überrollte mich.
Joanna spürte das sofort. "Du denkst an Dominik, nicht
wahr?", fragte sie und ich nickte, während eine einzelne
Träne meine Wange herunterlief. "Du weißt nicht,
ob es ihm auch gut geht?", fragte ich meine Schwester verzweifelt.
Joanna schüttelte mit dem Kopf. "Nein, ich weiß
nicht mehr über Dominiks Verbleiben, als du". Meine
Schultern sackten zusammen und der kleine Hoffnungsschimmer,
der soeben in mir entflammt war, erlosch augenblicklich. Wenn
nicht einmal Joanna etwas über Dominiks Verbleib wusste,
dann war jede Hoffnung vergebens. Doch Joanna hört nicht
auf zu sprechen. "Ich habe keine weitern Informationen
über Dominik, aber heute Morgen ist jemand aufgetaucht,
der mehr weiß."
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Meine Schwester fasst mich an den Schultern und drehte mich
um 180 °, so dass ich über ihren Schreibtisch hinweg
in die andere Ecke des Büros schauen konnte. Ich drehte
meinen Kopf nach hinten und blickte Joanna verständnislos
an. Doch mit einem Kopfnicken gab sie mir zu verstehen, dass
ich in die von ihr angedeutete Richtung schauen sollte. Und
da erst bemerkte ich die Gestalt, die nun langsam aus dem Schatten
hervortrat. Ich erkannte den Mann sofort, auch wenn er anders
aussah, als ich ihn in Erinnerung hatte. Dennoch dauert es einige
Sekunden, bis mein Gehirn das Gesehen verarbeiten konnte. Meine
Knie wurden weich und ich sackte zu Boden.
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"Dad." Meine Stimme war zuerst nicht mehr als ein
Flüstern, doch dann begann ich regelrecht zu schreien.
"Dad, Dad, Dad! Dad, du bist es!" Ich rappelte mich
so schnell es ging auf und lief auf meinen Vater zu, der in
der Ecke des Büros meiner Schwester stand. Ich sprang ihm
einfach in die Arme, so als ob ich nicht bereits 44, sondern
gerade einmal 16 wäre. Und Dad fing mich mit Leichtigkeit
auf. Trotz seiner bereits deutlich über 60 Jahre spürte
ich die Kraft in seinem Körper. "Meine, Oxana",
sagte er und drückte mich fest an sich. "So wild wie
eh und je."
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Dad setzte mich wieder ab und ich konnte meinen Blick gar nicht
von ihm wenden. Er war älter geworden. Die Haare waren
nicht mehr leuchten rot, sondern inzwischen grau und unzählige
Falten waren in seinem Gesicht erschienen. Aber er war es ganz
sicher. Seine Augen waren immer noch so kornblumenblau und strahlend,
wie ich sie aus meiner Kindheit kannte. Und auch er betrachtet
mich ganz aufmerksam. Ich versuchte zu ergründen, was ich
für diesen Mann empfand, denn ich nun seit 20 Jahren nicht
mehr gesehen hatte und der mir so viel Leid und Schmerzen zugefügt
hat. Doch da war keine Spur von Hass mehr. Ich war einfach nur
wahnsinnig froh, meinen Vater, den ich nie um Verzeihung bitten
konnte und den ich schon seit Jahren für Tod hielt, wiederzusehen.
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"Wo warst du all die Zeit?", war das erste, was ich
ihn fragte. Ich wunderte mich nicht darüber, dass Dad noch
lebte. Ich hatte immer geahnt, dass er es war, der mich damals
vor Joannas Ex-Lover Giovanni gerettet hatte. Aber ich wollte
zu gerne wissen, warum er all die Jahre vorgegeben hatte, tot
zu sein. Dad antwortet mir nicht sofort. Stattdessen ging er
hinüber zu dem Regal, in dem Joanna ihren Alkohol aufbewahrte,
und zog eine Flasche Whiskey heraus. "Diese Frage wird
dir deine Schwester sicherlich bei Gelegenheit gerne beantworte",
erwiderte er schließlich, nachdem er ein Glas mit der
bräunlichen Flüssigkeit gefüllt hatte und genüsslich
einen Schluck davon nahm. "Heute aber bin ich hier, um
dir etwas über den Verbleib von Dominik zu erzählen."
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"Dominik? Du weiß wo mein Mann ist? Geht es ihm gut?
Du musst mir alles darüber erzählen, Dad", stürmte
ich auf meinen Vater ein. Joanna kam auf mich zu und legte ihre
Hand auf meinen Rücken um mich etwas zu beruhigen, aber
ihrem Blick konnte ich entnehmen, dass sie genau so neugierig
darauf war zu erfahren, was mit Dominik geschehen war, wie ich.
Dad setzte das Whiskyglas an seinen Lippen an und leerte es
in einem Zug. "Sehr guter Tropfen, Kleines", lobte
er Joanna und stellte das Glas ab. "Nun denn", wandte
er sich wieder uns zu, "dann setzt euch mal hin, die Geschichte
ist etwas länger."
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"Du darfst nicht glauben, dass deine Schwester nicht ein
wachsames Auge auf deinen Mann gehabt hätte, Oxana. Und
zwar war das mein Auge. Ich habe in den letzten zwei Jahren
immer mal wieder in Simnistrien nach dem Rechten gesehen und
überprüft, ob die Lage dort ruhig blieb. In den letzten
Wochen begann es sichtlich zu brodeln, also habe ich ein Lager
in der Nähe der Bohrtürme aufgeschlagen, für
deren Sicherheit Dominik zuständig war, um ihn besser im
Auge behalten zu können."
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"Doch wochenlang geschah nichts. Die simnistrische Regierung
machte es den simnationalen Ölfirmen zwar nicht gerade
leicht, ihrer Arbeit nachzugehen, aber bis auf verstärkte
Kontrollen der Transporter und des Personals geschah nichts
weiter. Dominik ging seiner Arbeit nach, die aber im Wesentlichen
darin bestand, Diebe vom Gelände der Ölfirmen fern
zu halten, die sich immer wieder im Dschungel rumtrieben und
hofften, etwas von dem Öl mitgehen lassen zu können."
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"Die Nacht vor drei Wochen war eigentlich wie jede andere
zuvor auf. Etwa gegen Mitternacht wurde der Schichtwechsel vollzogen.
Dominik hatte die letzten vier Stunden vor den Toren des Geländes
Wache gehalten und wurde jetzt von einem seiner Kollegen aus
dem Sicherheitsteam abgelöst. Ich bin mir sicher, dass
er sich auf ein paar Stunden Schlaf nach einem anstrengenden
Tag freute."
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"Doch der wurde ihm an diesem Tag verwehrt. Kaum dass dein
Mann die Tore hinter sich geschlossen hatte, sprang eine Gruppe
bewaffneter simnistrischer Soldaten aus dem Unterholz und stürmte
auf das Gelände der Ölgesellschaft zu. Geblendet von
dem hellen Licht der Laternen, die zu beiden Seiten des Tores
hingen, erkannte der Sicherheitsmann am Tor die Gefahr erst,
als es für ihn bereits zu spät war."
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"Und er wird auch keine Gelegenheit mehr bekommen, diesem
Fehler wieder gut zu machen. Ohne ein Wort der Warnung eröffneten
die Simnistrier das Feuer und der überraschte Mann fiel
tot zu Boden, noch ehe er begriffen hatte, was da genau vor
sich ging."
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"Dominik hingegen zögerte nicht einen Augenblick.
Er brauchte nicht erst die Leiche seines jungen Kollegen zu
sehen, um zu begreifen, dass alle Mitarbeiter der Ölgesellschaft
in großer Gefahr waren. Er hängte sich das Gewehr
über die Schulter und stieg hastig die Leiter zu einem
der Wachtürme hinauf. Er sah die simnistrischen Soldaten
mit ihren Pistolen in den Händen und handelte augenblicklich.
Zwei Schüsse erklangen und zwei der simnistrischen Angreifer
gingen zu Boden. Die anderen Soldaten erkannten die Gefahr und
suchten Deckung hinter dicken Baumstämmen, während
Dominik selbst hinter der niedrigen Betonmauer Schutz suchte."
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"Dominiks Ganze Aufmerksamkeit galt den Soldaten vor dem
Tor, die sich verschanzten und immer wieder Schüsse auf
ihn abgaben, denen er zum Teil nur knapp entgehen konnte. Aber
immerhin hielt er sie in Schacht. Dominik war eindeutig in der
besseren Position und hätte diesen Angriffstrupp sogar
zum Rückzug zwingen können. Doch einem der Simnistrier
war es gelungen, unbemerkt über das Tor zu klettern und
nun schlich er sich heimtückisch an deinen Mann heran,
der die Gefahr in seinem Rücken nicht bemerkte."
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"Du warst nah dran, Witwe zu werden, Tochter. Doch zu Dominiks
Glück war ich nicht nur in Simnistrien um ihn zu beobachten,
sondern auch um ihn zu schützen. Ich hatte genau beobachtet,
wie der Soldat über das Tor geklettert war. Auch ich hatte
meine Wege, hinter die Mauern des Ölbohrturmgeländes
zu kommen. Der Soldat hat wohl nicht mit weiteren Sicherheitskräften
gerechnet, denn dann wäre er nicht ohne Deckung einfach
die Leiter hinaufgeklettert. So stellte er ein Leichtes Ziel
für mich dar und ich konnte Dominik das Leben retten."
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"Doch in Sicherheit war er deswegen nicht. Der kurze Moment
der Ablenkung genügte und die restlichen Soldaten, die
im Dschungel Deckung gesucht hatten, stürmten auf das Tor
zu. Dominik hatte keine Chance mehr sie aufzuhalten. Und mit
Schrecken stellte er fest, dass die Simnistrier keine Gnade
zeigten. Sie schossen wahllos auf jeden, der sich auf dem Gelände
befand. Die Bohrturmarbeiter, die durch die Schüsse aus
ihrem Schlaf gerissen wurden und aus den Schlafsälen lugten,
um zu sehen, was es mit dem Lärm auf sich hatte, wurden
kaltblütig niedergeschossen. Dominik erkannte, dass er
hier niemandem mehr helfen konnte, zumal weitere Soldaten aus
dem Dschungel stürmten. Er tat das einzig Richtige und
sprang die vier Meter vom Wachturm. Und dann rannte er in den
Dschungel, so schnell und so weit wie er konnte."
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