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Entsetzt weiteten sich meine Augen. Nun war es also soweit. Die Ruhe vor dem Sturm war vorbei, das wusste ich instinktiv. "Hast du eine Ahnung, was sie vorhaben?", fragte ich Gerda, doch sie schüttelte verständlicherweise dem Kopf. Niemand konnte ahnen, was diese Invasoren vorhatten, doch mit Sicherheit war es nichts Gutes. "Gerda, bleibst du bitte bei mir und den Kindern?", fragte ich meine Freundin. "Wenn ich alleine bleibe und sie kommen, weiß ich nicht, was ich tun soll." Gerda verstand meine Ängste und versprach, mich nicht alleine zu lassen.


Ich rief sofort die Kinde zusammen und wies sie an, sich zusammen mit uns im Wohnzimmer aufzuhalten. Ich erzählte ihnen nicht, was los war. Aber da Gerda und ich ständig aus dem Fenster auf die Straße starrten und die Kinder sahen, wie nervös wir beide waren, merkten sie unweigerlich, dass etwas Bedrohliches bevorstand.


Und dann sahen wir den Jeep, der mit hoher Geschwindigkeit die Straße herunter raste. In meinem Inneren keimte die Hoffnung auf, dass er unser Haus einfach ignorieren würde, dass er vorbei brauste und nur eine Staubwolke zurückließ. Doch mit einem Schlag schob sich eine dunkle Wolke vor die gleißende Sonne und im selben Augenblick verlangsamte der Jeep seine Fahrt und bog in die Simlane ein. Gerda und ich liefen hastig zum Fenster, das zur Veranda hinaus ging. Immer noch hatte ich die Hoffnung, dass der Jeep einfach weiter fahren würde, dass er nur zufällig in die Simlane eingebogen war. Doch meine Hoffnungen wurden jäh enttäuscht. Mit quietschenden Reifen hielt der Jeep vor meinem Haus und drei bewaffnete Soldaten sprangen heraus und setzten ihren Fuß auf Grünspans staubigen Boden.


Die drei liefen auf das Haus zu. "Oh Gott, Gerda, sie kommen", rief ich aufgeregt. "Was sollen wir jetzt tun? Sollen wir weglaufen? Uns verstecken?". Doch Gerda konnte mir keine Rat geben. Sie war ebenso verängstigt und erschrocken wie ich. Ich konnte nicht einschätzen, wie sich die simnistrischen Soldaten verhalten würden. Aber wenige Tage zuvor hatten sie große Teile unserer Stadt ohne Vorwarnung in Schutt und Asche gelegt. Das ließ nichts Gutes hoffen.


Gerda und ich liefen eilig vom Fenster weg und ich scharte die Kinder dicht um mich. Im nächsten Moment flog die Tür mit einem lauten Knall auf. Einer der Soldaten hatte sich mit einem kräftigen Tritt Zugang zu meinem Haus verschafft. Dabei war die Tür nicht einmal verschlossen gewesen. Gerda, Klaudia und ich schauten voller Angst zu dem Mann hinüber, doch wir blieben halbwegs ruhig. Nur Sky konnte sich einen Angstschrei nicht verkneifen und klammerte sich fest an mich.


Die drei stürmten in das Haus hinein. Wir standen verängstigt in der Ecke. Ein der drei Soldaten brüllte uns an. "Auf den Boden! Auf den Boden!" Er richtete seine Pistole auf uns, doch dieser zusätzlichen Drohung hätte es gar nicht bedurft. Keiner von uns zögerte, sich hinzuhocken. "Kopf nach unten", brüllte er weiter. "Und ich will keinen Mucks hören!". Es kam mir so vor, als ob er diese Worte gezielt zu Sky gesagt hätte. Und auch der Junge hatte diese Warnung offensichtlich verstanden, denn augenblicklich verstummt sein Schluchzen und wurde zu einem kaum hörbaren Wimmern.


Der Typ, der auch schon die Tür eingetreten hatte, machte sich umgehend daran, das Haus zu demolieren. Er schmiss alles um, was ihm in den Weg kam. Er griff den Schachtisch und schleuderte ihn in die Mitte des Zimmers. Die darin aufbewahrten Schachfiguren ergossen sich über den Boden. Wild trat er auf die Korbsessel ein, die seinem festen Stiefeln keinen ernsten Widerstand bieten konnten. Und auch vor den Schränken machte er keinen Halt, die mit lautem Getöse auf den Holzboden krachten und ihren Inhalt freigaben.


Der dritte Soldat hatte sich aufgemacht, um das Haus nach weiteren Bewohnern abzusuchen. "Hier ist niemand mehr", teilte er seinem Kumpel mit, als er wieder in das Wohnzimmer kam. "Die Frauen und Kinder sind hier offensichtlich ganz allein". Die beiden Soldaten sprachen Simnistrisch miteinander, allerdings waren die Unterschiede zwischen unseren beiden Sprachen so gering, dass ich die Soldaten problemlos verstehen konnte.


Der Soldat, der soeben noch mein Haus zertrümmert hatte, grinste fies. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber es lief mir auch so kalt der Rücken hinunter. "Das heißt also, keiner ist da, der diese Schlampen beschützen könnte. Für mich klingt das so, als ob wir hier unseren Spaß haben könnten." Der Typ begann dreckig zu lachen und der dritte Soldat stimmte mit ein.


Der Soldat mit den schwarzen Haaren, die ihm in die eine Hälfte des Gesichtes hingen, schritt auf den älteren der drei Soldaten zu, der weiterhin die Waffe auf uns vier Gerichtet hielt, und klopfte ihm auf die Schulter. "Na, Bran, mit welcher willst du anfangen?", fragte er. Das dreckige Grinsen in seinem Gesicht wurde nur noch breiter. Obwohl sie es uns verboten hatten, blickte ich flehentlich auf. Ich richtete meinen Blick auf den älteren Soldaten, da ich die Hoffnung hatte, dass er der Vernünftigste von den dreien sein könnte. Doch ich hatte mich ganz offensichtlich geirrt. "Ich schnappe mir die kleine Dicke", sagte er uns grinste Klaudia an. "Du kannst dann die Alte in dem karierten Fummel haben. Adrian, du passt solange auf die verkniffene Schachtel und den kleinen Bastard hier auf", sagte er zu den dritten Soldaten. "Wir rufen dich dann, wenn wir fertig sind. Wird auch nicht lange dauern."


Das könnte ich nicht zulassen! Ich konnte nicht zulassen, dass diese Widerlinge sich an meiner Tochter vergingen. Ungeachtet der Warnungen und der auf mich gerichteten Waffen sprang ich auf. "Machen Sie mit mir was sie wollen, aber lassen sie meine Tochter in Ruhe", flehte ich die beiden Soldaten an. "Sie ist doch noch ein Kind!"


Doch die Soldaten zeigten nicht das geringste Mitgefühl. Ganz im Gegenteil. Der Typ mit den langen schwarzen Haaren machte zwei eilige Schritte auf mich zu und schlug mir mit seiner Pistole mitten ins Gesicht. "Halt dein dreckiges Maul, Schlampe", schrie er mich an. "Keiner sagt uns, was wir zu tun oder zu lassen haben. Und jetzt setzt dich wieder hin. Los, auf den Boden mit dir!"


Ich blieb stehen. Es war egal, ob er mich schlug. Ich würde nicht zulassen, dass diese Typen meinen Kindern etwas antaten. Das erkannte wohl auch der Soldat. Denn er nahm seine Waffe herunter und richtete sie direkt auf Gerdas Kopf. "Du setzt dich jetzt sofort hin oder ich blase der verkniffenen Alten den Schädel weg und das direkt vor deinen Kindern. Hast du mich verstanden?!" Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte Klaudia schützen, ich musste sie schützen. Aber ich konnte nicht zulassen, dass Gerda erschossen wurde. Ich blickte zu Gerda hinunter. Sie blickte nicht auf, aber ihre Augen waren weit geöffnet. Und sie betete. Man konnte zwar nichts hören, aber ihre Lippen bewegten sich stetig und formten ein "Ave Maria" nach dem anderen. Meine Hände zitterte vor hilfloser Wut.


Nein, ich konnte nicht zulassen, dass Gerda starb. Sie hat meinetwegen so viel durchmachen müssen und dennoch war sie mir immer eine gute Freundin gewesen. Selbst heute ist sie zum mir geeilt, um mich vor den anrückenden Soldaten zu warnen. "Bitte", flehte ich den Soldaten ein letztes Mal an, "nicht meine Tochter". Doch der fasste mich nur an den Schultern und drückte mich zu Boden. Meine Knie leisteten keinen Widerstand. Der ältere Soldat, Bran, fasste Klaudia am Ellbogen und riss sie hoch. "Gleich zeige ich dir was eine echter simnistrischer Mann ist", lachte er und musterte Klaudia dabei gierig. Meine Tochter versuchte sich zu wehren, doch gegen die Muskelkraft dieses Mannes kam sie einfach nicht an.


Ich fühlte mich so machtlos. Meine Tochter war in größter Not und ich konnte ihr nicht helfen ohne Gerdas oder Skys Leben zu gefährden. Ich brauchte ein Wunder. Gott, schick mir ein Wunder! Noch nie hatte ich Gottes Hilfe so nötig gehabt, wie in diesem Augenblick. Er musste eingreifen. Er musste Klaudia einfach vor diesem Schicksal bewahren. Er durfte es nicht zulassen, er durfte einfach nicht!


Und dann hörte ich IHRE Stimme. "Soldaten Abromawitsch, Jukow und Dabratsch, was ist hier los?" Ich wagte es aufzublicken und obwohl das Sofa mir die Sicht auf die Frau versperrte, erkannte ich, dass sich das Verhalten der drei Soldaten mit einem Schlag verändert hatte. "Wir, ähm...", stotterte Bran, der älteste der drei, doch die Frau ließ ihn gar nicht erst aussprechen. "Ihr solltet nach einem geeigneten Hauptquartier Ausschau halten und es beanspruchen. Von mehr war nie die Rede gewesen". Die drei Soldaten ließen betroffen die Köpfe sinken. "Geht mir aus den Augen", herrschte die Frau sie an. "Kehrt zum Lager bei Seda Azul zurück und kommt mir in den nächsten Tagen lieber nicht mehr unter die Augen." "Jawohl, Frau Kommandantin", stammelten die drei und verließen eiligst das Haus.


Die Frau gehörte offensichtlich zu der simnistrischen Armee. Dennoch hatte sie uns gerade gerettet und dafür würde ich ihr auf ewig dankbar sein. Wir spürten alle intuitiv, dass wir nun in Sicherheit waren. "Mami", schluchzte Klaudia laut und warf sich mir um den Hals. Bis eben war sie tapfer geblieben. Trotz ihrer Angst und bei vollem Bewusstsein, was sie erwartet hätte, hatte sie ihre Tränen unterdrückt. Doch jetzt ließ sie alles heraus und mir erging es nicht anders. "Es ist alles gut, mein Schatz", flüsterte ich ihr immer wieder zu und drückte ihren vor Weinkrämpfen bebenden Körper fest an mich.


Und dann trat ER durch die Tür. Kasimir! "Ich danke ihnen noch einmal vielmals, für ihre Unterstützung, Kommandantin Ermanowa". Die Frau nickte Kasimir knapp zu. "Halten sie sich bereit, wenn wir ihre Unterstützung brauchen, Herr Tellermann", erwiderte sie. Dann sah sie sich kurz im Haus um. "Dieses Gebäudes scheint wirklich geeignet, genau so, wie sie es beschreiben haben, Herr Tellermann. In zwei Tagen werden wir hier unser Hauptquartier einrichten. Ich würde ihnen und ihrer Familie", sie blickte zu mir und den Kindern herüber, "raten, dann nicht mehr hier zu sein. Ich werde meine Männer nicht immer zurückhalten können und ich habe nicht vor, rund um die Uhr ein Auge auf sie zu haben. Wir sind im Krieg und wir alle wissen, was das bedeutet." Damit drehte sie sich um und sie und ihre zwei verbliebenen Soldaten verließen das Haus.


Im ersten Moment war ich zu verdutzt, um zu reagieren. Ich verstand nicht, wieso Kasimir plötzlich aufgetaucht war. Aber er hatte uns gerettet. Als mir das klar wurde, gab es kein Halten mehr für mich. Ich lief auf ihn zu und warf mich ihm um den Hals. Kasimir war überrascht von solch einem Gefühlssaubruch. Doch nachdem die erste Schrecksekunde verklungen war, schloss er mich fest in seine Arme. Und zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich mich sicher. Jetzt war es nicht mehr ich, die stark sein musste für die Kinder. Jetzt konnte ich mich fallen lassen und Kasimir war da, um mich aufzufangen.


"Alles in Ordnung, Perle", beruhigte er mich. Dabei strich er mit seiner Hand über meine Wange und wischte die letzten Tränen weg. Ich genoss diese Berührung. Zu lange hatte ich niemanden mehr gehabt, der mich auf diese Art berührt hätte. "Wieso bist du hier?", fragte ich flüsternd. "Wegen dir", antwortete er ohne Umschweife. "Ich musste einfach wissen, wie es dir geht." Ich lächelte ihn an. Es tat so gut zu wissen, dass es jemanden gab, der sich um einen sorgte. "Ich habe Kommandantin Ermanowa gebeten, mich nach Sierra Simlone Stadt mitzunehmen. Die simnistrische Armee hat in Seda Azul ihr vorläufiges Lager aufgeschlagen."

 

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