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Ich schritt langsam auf das Eingangsportal zu. Ich wusste, dass ich diese Kathedrale noch nie zuvor gesehen hatte. Ich hatte Simtropolis bisher nur sehr kurz besucht. Und trotzdem erschien sie mir so vertraut, ich wusste, nur nicht, woher. Ich streckte meine Hand aus und drückte gegen die Tür und zu meiner Überraschung war sie nicht abgeschlossen, sondern öffnete sich unter lautem Knarren. Mir war bewusst, dass es keine gute Idee war, ein Gebäude zu betreten, das erst kürzlich bombardiert worden war. Aber ich konnte nicht anders, als in die Dunkelheit des Kircheninneren einzutauchen.


Auch die Tür in das Hauptschiff der Kirche war nicht verschlossen. Mattes Dämmerlicht fiel durch die geborstenen Bleiglasfenster auf den Fußboden und der schwere Geruch von Weihrauch hing immer noch in der Luft. Der Boden war übersät mit Schutt. Ich blickte nach oben und erkannte, dass große Teile der Deckengewölbe bei dem Raketeneinschlag herabgestürzt waren. Und trotzdem hatte die Kathedrale nichts an Glanz verloren. Sie strahlte immer noch die Erhabenheit, eines uralten Gotteshauses aus. Und wieder überkam mich das Gefühl, dass ich diese Kirche kennen würde.


Das Atmen viel mir zunehmends schwerer. Meine Knie begannen zu zittern und ich musste mich an der Seitlehne einer der Sitzbänke abstützen. Doch anstatt mich zu setzen, hangelte ich mich von Seitenlehne zu Seitenlehen vorwärts und schritt immer weiter auf den Altar zu. Die letzten Meter musste ich ohne Stütze zurücklegen. Der Altarraum war völlig verwüstet. Auch hier war das Deckengewölbe eingestürzt. Doch das Bild unseres Herrn war unversehrt geblieben. Und als ich es anblickte, überfluteten mich auf einmal die Erinnerungen.


Bilder von mir im weißen Brautkleid, wie ich durch den Mittelgang einer Kirche, genau dieser Kirche, schritt. Bilder von Freunden und Verwanden, die mich anlächelten. Und Bilder von einem Mann, der vorne am Altar stand und auf mich wartete. Es war exakt der Traum, den ich vor vierzehn Jahren geträumt hatte. Und in den Jahren danach hatte ich mich so oft an diesen einen Traum geklammert. Immer und immer wieder hatte ich ihn mir ins Gedächtnis gerufen. Jede Einzelheit in mir aufgesogen. Nur so war der Schmerz über den Verlust von Albert für mich zu ertragen. Auch jetzt liefen die Bilder vor meinem inneren Auge ab. Ich ging auf den Altar zu und ein Mann wartet auf mich, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte. Und dann drehte er sich um und ich sah...


Und genau an dieser Stelle stimmte etwas nicht mehr mit meiner Erinnerung. Denn anstelle von Albert lächelte mich nun Dominik inmitten einer zerstörten Kirche an. Ich versuchte meine Hand nach ihm auszustrecken, doch sein Bild verblasst, ehe ich es zu fassen bekam.

Niamh Kavanagh - It's For You


"Dominik", schluchzte ich und sank weinend auf dem Kirchenboden zusammen. "Lass mich nicht allein", flehte ich ihn an, obwohl ich genau wusste, dass er mich nicht hören konnte. "Lass mich bitte nicht allein." Ich hob meinen Kopf leicht und blickte dem Bildnis Jesu Christi direkt in die Augen. "Bitte", flehte ich ihn an, "Herr, bitte führ Dominik zu mir zurück. Ich liebe ihn über alles. Ich liebe ihn, wie ich noch nie einen Menschen zuvor geliebt habe. Ohne ihn ist mein Leben so leer. Bitte, Herr, geleite ihn wohlbehalten zu mir zurück."


Doch ich erhielt keine Antwort. Das Bild blickte weiterhin gütig auf mich hernieder, als ob es mir Trost spenden wollte. Doch das Lächeln wirkte eher traurig. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, doch mir wurde klar, dass ich vielleicht umsonst hoffte. Langsam richtete ich mich wieder auf und wischte mir den Staub von den Knien. Ein letztes Mal blickte ich auf das Altarbild, blickte auf das Herz auf der Brust unseres Herrn. Aber es geschah kein Wunder. Mir blieb nichts anderes übrig, als in die Weisheit und Güte des Dreifaltigen zu vertrauen.


Und dann durchbrach ein Donnern die Stille. "Ich bin doch hier, Brodlowska." Ich erstarrte zu einer Salzsäule. Mein Herz begann so schnell zu rasen, dass ich fürchtete, meine Brust würde jederzeit bersten. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und blickte über meine Schulter. Ganz vorsichtig, aus Angst, ich könnte mir die Stimme nur eingebildet haben. Mein Kopf war leicht gesenkt und erst, als ich mich vollständig umgedreht hatte, wagte ich es, ihn zu heben. Und vor ungläubigem Erstaunen blieb mein Mund offen stehen.


In der Mitte des Ganges, zwischen all den Trümmern, stand er. Dominik. War das alles nur ein Traum? Spielten meine Sinne mir nur einen grausamen Streich? Die Männergestallt rührte sich nicht. Meine Knie begannen erneut zu zittern und ich drohte wegzunicken. Doch dann setzte ich einen Schritt nach vorne und ging auf ihn zu. Erst einen Schritt, dann einen zweiten. Und plötzlich setzte sich auch die Männergestallt in Bewegung.


Langsam, Schritt für Schritt, kamen wir aufeinander zu. Genau an dem Punkt, wo sich das Lang- und das Querschiff kreuzten, kamen wir zum stehen. In meinem Kopf drehte sich alles. Langsam streckte ich meine Hand aus, immer noch voller Angst, dass die Erscheinung sich in Luft auflösen könnte…dass alles nur Illusion war.


Und dann spürte ich ihn. Dominik ergriff meine Hand und drückte sie. Seine Haut war rau und voller Schwielen, aber für mich war es die wundervollste Berührung, die ich jemals gespürt hatte. Ich drückte seine Hand immer fester und meine Fingernägel gruben sich in seien Haut. Doch Dominik zuckte nicht einmal zusammen, sondern sah mir nur in die Augen. Er war real. Dominik stand wirklich vor mir.


Und dann zog er mich zu sich heran und küsste mich. Tränen schossen mir in die Augen, als seien spröden Lippen die meinen berührten. Dominik war wieder bei mir. Ich wusste nicht wie das möglich war, aber er war hier. Er lebte und er war gesund. Ich umklammerte ihn so fest ich es nur konnte, als ob ich ihn nur so daran hindern konnte, wieder zu verschwinden. Denn ich würde nie wieder zulassen, dass er von mir fortging.

 

 


In den folgenden Stunden kamen und gingen meine Tränen mehrere Male. In der einen Sekunde war ich überwältigt vor Freude, Dominik wohlbehalten wieder bei mir zu haben. In der nächsten Sekunde überwältigten mich die Erinnerungen und die Angst der vergangenen Wochen. Aber jetzt, wo Dominik wieder bei mir war, würde ich alles überstehen können. Wir verließen die Kathedrale und ließen uns auf ein Stück Rasen direkt vor der Kirche nieder. Und schon bald lagen wir eng umschlungen nebeneinander.


Ich berichtete Dominik über den Überfall auf Sierra Simlone Stadt und unsere Flucht nach SimCity. Schon alleine deswegen, weil er nun neben mir lag, erschien mir das Geschehene nur noch halb so schlimm. Und die Kinder waren auch in Sicherheit und bald wären wir alle wieder vereint. "Ich liebe die Dominik", flüsterte ich zum wiederholten Mal. "Das weiß ich doch, Brodlowska", erwiderte er und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Welche Frau könnte sich denn nicht in mich verlieben?" Er grinste breit und zwinkerte mir zu. Ein langer Kuss war die einzige Antwort, die er erhielt.


Doch dann wurde Dominik ernst. "Ich habe nicht mehr geglaubt, dass ich dich und die Kinder noch einmal wieder sehen würde", gestand er mir und richtete sich auf. Ich hatte ihn bereits berichtet, was ich von seinem Aufenthalt in Simnistrien von meinem Vater wusste, also musste er nicht ganz am Anfang beginnen. "Als die Soldaten das Ölbohrturmgelände stürmten, dachte ich, dass ich sterben würde." Dominiks Tonfall konnte ich entnehmen, dass er diese Worte vollkommen ernst meinte und ganz instinktiv griff ich nach seiner Hand, um ihm Trost zu spenden. Als er zu erzählen fortfuhr, wurden seine Augen glasig.


"Ich sprang von dem Wachturm in der Mauer, die das Bohrturmgelände umgab, herunter und lief einfach in den Dschungel hinein. Ich konnte hören, dass mindestens einer der Soldaten mich verfolgte. Aber in dem Dickicht verlor nicht nur ich schnell die Orientierung. Auch mein Verfolger hatte nach wenigen Metern jede Spur von mir verloren. Und vermutlich hielt er es nicht für notwendig, mich zu verfolgen. Der Dschungel ist gefährlich und er ging wohl davon aus, dass mich die wilden Tiere bald zur Strecke bringen würden."


"Und damit hatte er gar nicht einmal so Unrecht. Ich lief immer weiter, so weit weg von dem Bohrturm, wie ich nur konnte. Die Schrei der Ölmitarbeiter und die Schüsse aus den Waffen der Simnistrier klangen mir noch deutlich in den Ohren. Aber ich wusste, dass ich als einzelner Mann nichts unternehmen konnte. Die Mission war gescheitert und mein einziges Ziel bestand nur noch darin, zu dir und den Kindern zurückzukehren. Ich lief die halbe Nacht, ohne auch nur eine Vorstellung davon zu haben, wo ich eigentlich hin wollte. Und irgendwann brach ich vor Erschöpfung einfach zusammen. Ohne ein Feuer, dass die wilden Tier verscheucht hätte, grenzt es an ein Wunder, dass ich diese Nacht überlebte."


"Als ich am nächsten Morgen erwachte, wünschte ich fast, ich wäre bei dem Überfall tatsächlich gestorben. Jeder einzelne Knochen in meinem Körper schmerzte und die Erinnerung an den Überfall ließ mich fast wahnsinnig werden. Doch dann rief ich mir dich, Sky, Klaudia und Kinga ins Gedächtnis. Und da wusste ich, dass ich all meine Kraft aufbringen musste, um zu euch zu gelangen. Aufgrund der hohen Bäume konnte ich mich im Dschungel nicht an der Sonne orientieren. Ich wusste also nicht einmal, in welche Richtung ich lief. Bis ich dann auf einen breiten Fluss stieß. Und da jeder Fluss zum Meer führt, entschloss ich mich einfach, seinem Lauf zu folgen. Oft genug musste ich direkt in das Wasser steigen, um weiter voran zu kommen, da hungrige Tiere nur darauf warteten, über mich herfallen zu können."


"Doch es gelang mir den Räubern aus dem Weg zu gehen. Ich hatte gelernt, wie man ohne Feuerzeug im Dschungel Feuer machen konnte, und mit Stöcken und Steinen gelang es mir, selbst ein Rudel Wölfe in die Flucht zu schlagen. Doch um zu überleben, musste ich selbst zum Räuber werden. Hier und dort fand ich Früchte und Beeren, von denen ich wusste, dass sie essbar waren. Aber meine Kräfte schwanden und ich begann, wilde Hühner und andere Vögel zu jagen. Zunächst mit wenig Erfolg, aber ich wurde schnell geschickter darin, mich lautlos an die dummen Tiere heranzuschleichen."

 

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