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Frank schob mich mit seiner Hand auf meinem Rücken um den
Vorhang herum. Und dort lag mein Mitbewohner, leichenblass,
aber das langsame Heben und Senken seiner Brust verriet eindeutig,
dass er noch am Leben war. Doch auch er zeigte deutliche Spuren
von Verletzung im Gesicht und ein Schlauch steckte in seiner
Nase, um ihm das Atmen zu erleichtern. Frank beugte sich zu
Tristan hinüber und küsste ihn auf die Stirn. Tristan
versuchte die Augen zu öffnen, doch mehr als ein kurzes
Flackern gelang ihm nicht und er verlor umgehend wieder das
Bewusstsein.
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Landschwester Mphenikohl trat an uns heran. "Bitte, Herr
Linse braucht jetzt sehr viel Ruhe. Es ist sehr schön,
dass es so viele Menschen gibt, die um ihn besorgt sind, aber
wenn er wieder zu Kräften kommen soll, dann muss er sehr
viel Schlafen. Viel mehr kann ich für ihn nicht tun. Er
müsste ins Krankenhaus, aber das wird in der jetzigen Situation
nicht möglich sein. Wir haben versucht mit dem Krankenwagen
zum Hospital nach Seda Azul zu fahren, doch die Brücke
über den Rio Seco wurde ebenfalls von Raketen zerstört.
Wir mussten wieder umkehren und haben dann dieses Lazarett hier
errichtet."
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"Ich wünschte bloß, Dr. Reichardt wäre
in der Stadt. Aber er befand sich zum Zeitpunkt des Angriffes
offenbar im Krankenhaus von Seda Azul. Ich bin eine einfache
Landschwester und meine Fähigkeiten sind für eine
solche Katastrophe einfach nicht ausreichend. Aber ich werde
tun, was in meiner Macht steht, um ihren Freund und den anderen
verletzten zu helfen. Gehen sie nach Hause, Kindchen. Gehen
sie zurück zu ihren Kinder, denn die werden sie jetzt dringender
brauchen, als Herr Linse. Und er ist ja nicht alleine".
Mit einem Nicken deutete sie auf Frank und Lächelte. Ich
nickte schweigend. "Danke, Schwester Mphenikohl. Möge
Gott sie beschützen." Ich verabschiedete mich noch
von Tristan und Frank und fuhr dann auf direktem Weg zurück
in die Simlane.
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Der Regen wurde wieder stärker, als ich mich auf dem Weg
zurück in die Simlane machte. Vielleicht würde der
anhaltende Schauer dafür sorgen, dass die letzten lodernden
Brände in der Stadt bald erloschen. Zuhause angekommen
versicherte ich Anan, der bei den Kindern geblieben war, dass
wir drei in dieser Nacht alleine zurechtkommen würden und
schickte ihn nach Hause zu seiner Frau und Dominiks jüngeren
Geschwistern. Anschließend ging ich ins Schlafzimmer.
Die Kinder schliefen beide. Ich setzte mich auf den Nachttisch
und beobachtete schweigend Sky und Klaudia. Sie sahen so friedlich
aus und schienen die Schrecken des Tages fast vergessen zu haben.
Und das war auch gut so, denn sie brauchten Kraft für die
kommenden Tage. Wer konnte schon wissen, was noch alles auf
uns zukäme?
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Klaudia und Sky waren in Sicherheit, zumindest vorerst. Doch
ich hatte noch ein weiteres Kind und ich wusste nicht, wie es
ihm ging. Ich ging wie mechanisch in Kingas altes Zimmer, in
dem nun Sky zuhause war. Vielleicht hoffte ich so, meiner Tochter
näher zu sein. Obwohl Orion mir bereits gesagt hatte, dass
die Telefonverbindungen unterbrochen waren, nahm ich mein Handy
und wählte Joannas Nummer. Ich hatte meine Tochter in die
Obhut meiner Schwester gegeben und ich musste mich einfach versichern,
dass es ihr gut ging, dass es in SimCity zu keinem Angriff gekommen
war und Kinga nicht verletzt wurde. Doch alle meine Versuche
waren vergebens. Mein Handy hatte einfach keinen Empfang und
die Telefonleitung war ebenfalls tot.
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Da mir nichts anderes blieb, betete ich zu Gott, dass er Kinga
beschützen, dass er seine schützende Hand über
uns alle halten möge. Auf einmal übermannte mich die
Müdigkeit. Den ganzen Tag hatte ich sie nicht gespürt,
doch jetzt merkte ich, dass auch ich am Rande meiner Kräfte
angekommen war. Ich überlegte erst, mich auf das Sofa zu
legen. Doch ich wollte so nah wie möglich bei meinen Kindern
sein. Also legte ich mich zwischen die beiden und war eingeschlafen,
sobald ich die Augen geschlossen hatte.
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In den ersten Sekunden nach dem Aufwachen hatte ich die vage
Hoffnung, dass alles nur ein böser Alptraum gewesen war.
Doch der Geruch von verbranntem Holz lag schwer in der Luft
und erinnerte mich daran, dass die halbe Stadt Opfer der Flammen
wurde. Klaudia musste schon länger wach im Bett gelegen
haben, denn sie schlüpfte aus dem Bett auf, sobald ich
die Decke anhob, um selbst aufzustehen. Als wir in die Küche
kamen, schlug uns bereits ein unangenehmer Geruch entgegen,
und ein Blick in den Kühlschrank genügte um festzustellen,
dass einige der Lebensmittel bereits schlecht geworden waren.
Das einzige essbare waren die trockenen China-Snacks, die ich
auch schon Glinda angeboten hatte.
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"Sky und du, ihr geht heute nicht zur Schule. Ich will
euch nicht aus dem Augen lassen", erklärte ich ihr.
Klaudia nickte bloß und aß stumm weiter. "Solange
wir nicht genau wissen, was geschehen ist, verlasst ihr beide
nicht das Haus". Wieder nickte Klaudia. Sie hatte ganz
offensichtlich den Ernst der Lage erkannt. Dann musste ich schlucken,
denn ich hatte ihr noch nichts von Tristans Verletzung erzählt.
Aber Klaudia war alte genug, um über alles informiert zu
werden.
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Sie nahm es besser auf, als ich vermutet hatte. Zwar konnte
ich genau erkennen, dass sie geschockt war, aber sie blieb ruhig.
Es gab kein Geschrei und keine Tränen. "Aber Onkel
Tristan wird wieder gesund, ja?", fragte sie schließlich
nach einer längeren Pause, in der wir beide an unseren
trockenen Nudeln herum kauten. "Schwester Mphenikohl ist
sehr zuversichtlich", versicherte ich ihr. "Und Frank
kümmert sich gut um ihn. Tristan ist also in besten Händen."
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Draußen regnete es immer noch. Doch das änderte nichts
daran, dass es immer wärmer wurde. Es war Sommer und wir
befanden uns in der Sierra Simlone. Dieses schwülwarme
Klima war die ideale Voraussetzung, damit Lebensmittel besonders
schnall verdarben. Bevor der Gestank in der Küche noch
schlimmer werden konnte, schnappte ich mir einen großen
Müllsack und schmiss alles hinein, was in unserem abgetauten
Kühlschrank bereits verdorben war oder kurz davor stand
zu verderben.
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Die asiatischen Snacks würden erst einmal für eine
Weile reichen, aber ich musste mich dennoch dringend nach etwas
richtigem zum Essen umsehen. Da weder Herd noch Mikrowelle funktionierten,
war der Grill die einzige Möglichkeit, etwas Warmes zuzubereiten.
Nur war alles was man hätte grillen können, verdorben.
Das fehlende fließende Wasser machte unsere Leben zusätzlich
schwierig. Aber immerhin hatten wir noch die Wasserpumpe hinter
dem Haus und eine Gießkanne neben der Toilette verrichtete
ebenfalls gute Dienste.
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Das Baden in der Holzwanne war hingegen für Klaudia und
mich eher unangenehm. Sky hingegen hatte sichtlich Spaß
daran. Ich wünschte mir, dass ich die Situation so leicht
nehmen könnte wie er es tat. Kinder hatten dafür einfach
eine Gabe, die mit dem Alter leider verlorenging.
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Der Tag ging ereignislos vorbei. Ich hatte versucht, im zerstörten
Stadtzentrum ein paare Lebensmittel zu besorgen, doch die nicht
zerstörten Läden waren bereits restlos ausverkauft.
Als die Sonne unterging, stellte ich Kerzen im Wohnzimmer auf,
damit wir wenigstens etwas Licht hatten. Klaudia und Sky verbrachten
den Abend damit, Schach zu spielen. Und trotz seines jungen
Alters war Sky ein ernstzunehmender Gegner für Klaudia.
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Ich machte es mir mit einem Buch auf dem Sofa bequem. Es hätte
in idyllischer Abend sein können, wäre am Tag zuvor
nicht unsere Stadt angegriffen worden. Ich versuchte erst, einen
Roman zu lesen, doch es gelang mir nicht, mich auf das Gelesene
zu konzentrieren. Ich las zwar die Worte, aber mit meinen Gedanken
war ich ganz woanders. Schließlich legte ich den Roman
beiseite und holte ein Geschichtsbuch aus dem Regal. Anan und
auch Orion waren überzeugt, das Simnistrien der Angreifer
war. Der Krieg zwischen Simnistrien und der SimNation vor 45
Jahren war mir aus meiner Schulzeit zwar noch ein Begriff, aber
ich wollte mehr über die Hintergründe erfahren und
darüber, wie der Krieg damals geführt wurde. Und die
Brutalität, mit der die SimNation damals gegen Simnistrien
vorgegangen war, erschreckte mich. Ich konnte nur hoffen, dass
die Simnistrier nicht auf Rache aus waren.
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Mit dem nächsten Tag kehrte wieder so etwas wie Normalität
ein. Es war Samstag und der seit Tagen andauernde Regen hörte
auf. Die letzten Flammen in der Stadt waren bereits letzte Nacht
erloschen. Nur auf den Ölfeldern brannte es immer noch,
allerdings trieb der Wind die Rauchschwaden weg von der Stadt.
Sky nutzte das Wetter, um mal wieder im Pool zu planschen. Ich
hielt ihn nicht davon ab. Sollte der Kleine ruhig etwas Spaß
haben.
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Klaudia fand ihre eigene Zuflucht. Die Staffelei in ihrem Zimmer
benutzte sie schon immer häufig. Doch in diesen Tagen malte
sie ununterbrochen, solange das wenige kostbare Tageslicht es
zuließ.
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Und für mich wurde es Zeit, mich wieder um die Farm zu
kümmern. Die Rinder würden auch gut ein paar Tage
ohne mich zu Recht kommen und das Pferd war sicherlich von alleine
wieder auf die Weide zurückgekehrt. Durch den Regen der
letzten Tage musste ich mir auch keine Sorgen um die Bewässerung
der Felder machen. Zum Glück wurden die Wasserpumpen dort
alle über einen Dieselgenerator angetrieben. Aber die Bäume
auf der Plantage brauchten mal wieder etwas Pflege.
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Ich wusste selber, dass die Arbeit auf der Plantage auch eine
Art Flucht für mich war. Sie hielt mich davon ab, mir zu
viele Gedanken zu machen. Gedanken, über das, was noch
auf uns zukommen mochte, Gedanken über den Tod von Skys
Lehrerin und von Benny, Gedanken über die zerstörte
Stadt, Gedanken über meine Tochter, von der ich nicht wusste,
ob es ihr gut ging, oder nicht und Gedanken über Dominik,
der in dem Land war, dass einen Krieg gegen uns angefangen hatte.
Hier auf der Plantage, bei strahlendem Sonnenschein, schien
die Welt noch in Ordnung.
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Doch das war sie nicht. Das wurde mir wieder bewusst, als ich
Gerda völlig außer Atem auf dem Fahrrad die Straße
entlang strampeln sah. Sie entdeckte mich in der Plantage und
steuerte direkt auf mich zu. Flink sprang sie vom Fahrrad, lehnte
es an einen der Orangenbäume und lief die letzten Meter
auf mich zu. "Oxana, sie kommen", stieß sie
schwer atmend aus. "Langsam, Gerda", beruhigte ich
meine Freundin. "Wovon redest du? Wer kommt?" "Die
Soldaten", keuchte Gerda. "Ein Konvoi ist unterwegs
aus Richtung Süden. Es sind mindestens zwei Transportfahrzeuge.
Hans hat sie von unseren Feldern aus gesehen. Und es sind nicht
unsere Leute, Oxana. Hans schwört, dass er die Simnistrische
Flagge an den Jeeps gesehen hat."
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