Aufgabe1
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Ich wusste selbst nicht, was in mich gefahren war, aber ich riss mich zusammen und lud Jennifer einfach auf eine Tasse Kaffee ein. Dabei fragte ich sie behutsam darüber aus, wie man es am besten anstellte, Geld mit seiner Malerei zu verdienen. Und offenbar war es gar nicht so schwer. Der erste Schritt war natürlich das Malen von guten Bildern, und das konnte ich ja. Als nächstes musste man sich nur im Rathaus als Künstler registrieren lassen. Dann war man in der Kartei der Stadt und wurde zu solchen Veranstaltungen, wie der Ausstellung im Büro, eingeladen. Und wenn man Glück hatte, fand man dort Käufer für seine Bilder oder wurde zu anderen Ausstellungen eingeladen.

 
 
 

Bereits in der folgenden Nacht plagten mich Zweifel, ob es wirklich eine gute Entscheidung war, sich als freischaffende Malerin zu versuchen. Und ich wusste, mir würden immer mehr Gründe einfallen, mich nicht registrieren zu lassen, je länger ich mit der Entscheidung wartete. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ging am Morgen ins Rathaus. Und wider Erwarten wurde ich dort nicht ausgelacht, weil ich eine solch unsichere Zukunft wählte, sondern vom Sachbearbeiter zu meinem Entschluss beglückwünscht. Und so verließ ich beschwingt das Rathaus als offiziell registrierte Malerin.

 
 
   
 

Der Sachbearbeiter hatte mich auch darüber informierte, dass die örtliche Galerie immer mal wieder Bilder von unbekannten Künstlern aufkaufte. Ich könne es ja immerhin mal probieren, mein Bild anzubieten. Also fuhr ich zurück nach Hause und nahm mein letztes Werk von der Staffelei.

 
   
 
 

Doch je näher ich der Galerie kam, desto unsicherer wurde ich mir, ob mein Bild wirklich gut war oder bloß einfaches Gepinsel. Irgendwie sah es doch ein wenig aus wie die Arbeit eines Grundschulkindes. In der Galerie angekommen, traute ich mich dann gar nicht mehr, die Leiterin anzusprechen. Stattdessen versteckte ich mich eingeschüchtert hinter einer großen Löwenstatue und grübelte angestrengt.

 
 
 
 

Mehrmals war ich kurz davor, die Stufen zum Büro der Galeristin hinaufzusteigen, doch jedes Mal zuckte ich wieder zurück. Was wenn sie mich auslachen würde? Oder wenn sie mich anschrie, weil ich ihre kostbare Zeit verschwendete? Aber ich würde es nie erfahren, wenn ich es nicht ausprobierte. Ich stieg als die Treppe hoch und klopfte zaghaft an der Tür. Als ich keine Antwort bekam, öffnete ich die Tür einen Spalt breit und spähte in den Raum. Und tatsächlich saß die Galeristin, Melinda Cosgrove, wie ich dem Schild an der Tür entnahm, vor ihrem Rechner. Also wagte ich mich geräuschlos an ihren Schreibtisch heran. "Frau Cosgrove? Frau Cosgrove?", versuchte ich sie von dem Bildschirm loszureißen. "Ich...ich habe da ein Bild, dass ich ihnen gerne anbieten würde." Melinda Cosgrove hörte mit einem Schlag auf zu tippen und sah mich direkt an. "Dann aber schnell, zeigen Sie mir das Bild. Los, los!"

 
 
 
 

Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich das Bild unten in der Galerie vergessen hatte. Melinda Cosgrove stöhnte laut, als sie das hörte, aber sie erhob sich von ihrem Stuhl und begleitete mich nach unten. Nachdem sie einen Blick auf mein Bild geworfen hatte, forderte sie mich auf, es in einen der Rahmen zu stecken, die in der Ecke standen und es probehalber an die Wand zu hängen. Ich tat, was sie verlangte und stellte mich mit zittrigen Knien neben mein Bild, während sie es eindringlich begutachtete. Ihr Nachdenken erschien mir wie eine Ewigkeit. Doch dann öffnete sie ihre Lippen. "Ich denke, ich werde es an den Mann bringen können. Es ist nicht gerade überragend, aber dieser infantile Stil hat etwas für sich. Außerdem brauche ich immer wieder Werke für das niedrige Preissegment. Wenn sich das hier gut verkauft, dann können sie mir noch ein paar Bilder vorbei bringen."

 
 
   
 

Mein Herz raste vor Glück. Melinda wollte mein Bild! Sie wollte es tatsächlich und glaubte sogar daran, dass sie es würde verkaufen können. Ich war so aufgedreht, dass ich laufen musste. Und nur das Meer hielt mich davon ab, immer weiter zu laufen. "Ich hab es geschafft!", brüllte ich laut gegen das Getöse der Welle an und riss einen Arm in die Luft. "Ich werde die neue Frida Kahlo!" Zufrieden beobachtete ich, wie die Sonne langsam im Meer versank.

 
   

 

 

 
 
 
 

Magda hatte sich die letzten Tage im Schlafzimmer verkrochen. Die Angst vor ihrer Mutter saß offenbar wirklich tief. Doch nachdem nach ein, zwei, ja selbst nach drei Tagen nichts passierte, hellte sich ihre Stimmung wieder auf. Meine muffigen vier Wände wurden ihr zu eng, also entschloss sie sich, die Stadt zu erkunden und landet schließlich in der Saftbar am Strand. Der Barkeeper war zwar schon etwas älter, sah aber immer noch sehr heiß aus, wie Magda befand. Von ihm ließ sie sich gerne einen Cocktail mixen. Und die übrigen Herren in der Bar waren auch nicht gerade unansehnlich.

 
 
 
 

Leider wurde sie von keinem dieser Herren angesprochen, was ihrem Selbstbewusstsein einen kleinen Knick verpasst. Andererseits, rief sie sich ins Gedächtnis, war das hier nicht SimCity, sondern nur das verschlafene Rodaklippa. Vielleicht waren die Männer hier einfach nur schüchtern und frau musste selbst Initiative ergreifen. Also reichte sie gleich dem nächsten Mann in ihrer Nähe die Hand, und dieser stellte sich im Gegenzug seinerseits als Eric Pierce vor.

   
 
 
 

Der andere süße Typ in der Bar war Noah Rothman. Nachdem sie eine Weile zu dritt gequatscht hatten, wagten sie ein Spielchen am Kicker. Zu Magdas Unmut stellte sich im Verlauf des Gespräches heraus, das Eric verheiratet war. Gut, das war kein unüberwindbares Hindernis, aber Magda wollte es in Rodaklippa lieber ruhig angehen lassen und schenkte stattdessen für den Rest des Abends Noah ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.

 
   
 
 

Beim Tanzen kamen die beiden sich auch immer näher und Magda wartete nur darauf, dass Noah endlich seien Hände um ihre Hüften legen würde. Doch nichts geschah. Und als Magda bemerkte, das Noah seien Hüften noch besser schwingen konnte, als sie selbst, dämmerte ihr langsam, dass vermutlich Eric die besseren Chancen hätte, Noahs Aufmerksamkeit zu erregen. Na, immerhin war Happy Hour. Und nach drei weiteren Drinks torkelte Magda, zu ihren Verdruss ganz allein, zurück nach Hause.

 
 

Doch so leicht ließ Magda sich nicht entmutigen. Einen Tag später, ich wollte mir gerade etwas aus dem Kühlschrank holen, stand sie plötzlich aufgedonnert vor mir. "Claude, wir können doch nicht jeden Abend hier in der Bude hocken. Da draußen tobt das Nachtleben. Los, zieh dir was anderes an und dann las uns los gehen. Die Bar gleich bei uns an der Ecke sieht doch echt nett aus. Und ich dulde keine Widerworte! Versauern konnten wir immer noch, wenn wir 30 sind."

   
 
 
   

Mich zu wehren hätte keinen Sinn gehabt. Magda warf einen Blick in meine Koffer und suchte etwas heraus, was ihrer Meinung nach gerade noch akzeptabel war. Und dann machten wir uns auf den Weg zu Sammie's Jazz Review, einer Bar gleich bei uns um die Ecke. Der Laden war schicker, als ich erwartet hatte. Ein Pianist spielte sanfte Klänge und auch ansonsten sah es hier sehr edel aus. Bei dem Preis für das Essen verging mir fast der Appetit, aber ich musste zugeben, dass es lecker war.

 
 
 
 

Ich hatte erwartet, dass Magda mich in irgendeine Disco schleppte. Aber die Atmosphäre in dieser Bar gefiel mir sogar. Und nachdem ich einen kleinen Drink getrunken hatte, bemerkte ich, dass ich irgendwie redseliger wurde. Meine Schüchternheit schwand ein Stück weit, und ich traute mich sogar, ein Gespräch mit einem netten Mann mittleren Alters zu beginnen, der sich dann lustiger Weise als der Ehemann von Jennifer Martinez entpuppte, meiner Bekannten, die mir geholfen hatte, eine selbstständige Malerin zu werden.

 
   
   
 

Anschließend vertrieb ich mir die Zeit mit Darts spielen. Ich hatte meinen Spaß, aber Magda wirkte erneut niedergeschlagen.

 
 
   

Der einzige Gast in der Bar war verheiratet und unterhielt sich zu allem Überfluss mit mir. Gab es in dieser Stadt denn wirklich keine gutaussehenden Singles? Frustriert spülte Magda ihren Cocktail hinunter. "Komm Claude, lass uns abdüsen", rief sie mir zu, nachdem sie ihr geleertes Glas abgestellt hatte. "Hier ist ja eh nichts los." Schade, eigentlich wäre ich gerne noch etwas länger geblieben. Aber ohne Magda hier zu bleiben, das traute ich mich selbst mit Alkohol nicht. Also verließen wir gemeinsam die Cocktailbar.

 
 

 

 

   
   
 

Im Gegensatz zu Magda hatte ich mit gut amüsiert. Leider wurde meine Freude am nächsten Morgen gleich wieder getrübt. Ich war kaum aufgestanden, als es an der Tür klingelte. Eine wenig freundliche Frau stellte sich als Gerichtsvollzieherin vor und zeigte mir einen Brief, dem nach ich eine Rechnung trotz mehrmaliger Aufforderung nicht beglichen hätte. Ich versuchte sie davon zu überzeugen, dass das Ganze nur ein Versehen war und ich ihr das Geld auch gleich geben könnte, doch die Frau blieb hart. Sie schaute sich in meiner karg eingerichteten Wohnung um und entschied, dass der schöne, grün-gelb gestreifte Sessel genau den Gegenwert der Rechnung entsprechen würde.

 
   
 
 

Und so war ich plötzlich eines meiner ohnehin wenigen Möbelstücke los. Niedergeschlagen durchwühlte ich die Mülltonne nach dem angeblichen Mahnbrief, konnte aber nichts finden. Man, das war doch so ungerecht!

 
 
 

Aber was passiert war, war passiert. Ich hatte noch etwas Geld auf dem Konto, das war nicht das Problem. Aber noch so einen Sessel hatten sie in dem Antiquitätenladen nicht und das machte mich so traurig. Aber bevor ich mich weiter über meine eigene Dummheit ärgerte, ging ich zu der Baustelle auf dem Nachbargrundstück hinüber. Vor ein paar Tagen waren die Bagger angerückt und die Bauarbeiten machten große Fortschritte. Ich fragte mich, was hier wohl für Leute einziehen würden. Ich hoffte, dass es nette Nachbarn werden würde.

   

 

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kor. 01.02.2014