Aufgabe1
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"Na du machst vielleicht Sachen, Spätzchen", Papa grinste breit und schüttelte mit dem Kopf. "Warum hast du mich dann nicht schon gestern gerufen? Deine Mutter wird Augen machen wenn sie hört, dass du in der Stadt bist. Wir sollten sie gleich anrufen."

 
 
 

Mein Vater war schon dabei, sein Handy aus der Tasche zu ziehen, als ich ihn stoppte. "Halt, Papa, bitte nicht!" Mein Vater runzelte verwirrt die Stirn. "Ich...ich", stotterte ich los, "ich muss erst mit dir allein sprechen...später. Jetzt möchte ich nur, dass du mir mit dem Bett hilfst, Papa. Ich verspreche dir, dass ich für alles eine Erklärung habe." Mein Vater wirkte zwar nicht glücklich mit dieser Antwort, aber schließlich nickte er. "Ok, dann lass uns mal zu deinem neuen Haus aufbrechen."

 
 

 

 

   
 
 
   

Mein Problem stand immer noch so vor der Haustür, wie ich es verlassen hatte. Als mein Vater das klobige Ungetüm sah, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. "Vielleicht sollten wir noch deinen Bruder herholen", schlug er vor. Doch in der nächsten Sekunde überlegte er es sich anders. "Na, lass es uns erst einmal so versuchen." Mein Vater griff das Bett am Fußende und ich stellte mich an das Kopfteil und mit vereinten Kräften hoben wir den Koloss aus Messing an.

 
 
 
 

Trotzdem war es ein Kampf, das Bett ins Schlafzimmer zu bekommen. Das Kopfteil war so sperrig, dass wir damit kaum durch die Eingangstür kamen, selbst als wir es quer stellten. Und nachdem wir die erste Tür überwunden hatten, standen noch zwei weitere bevor, nämlich die zum Wohn- und die zum Schlafzimmer. Aber nach etlichem Schieben, Drücken und Zerren stand das Bett an seinem Platz und ich ließ mich zufrieden darauf nieder. "Danke, Papa", seufzte ich aus tiefstem Herzen und mein Vater lächelte zufrieden zurück.

 
 
 
 

Anschließend führte ich Papa in meinem neuen Haus herum, auch wenn es nicht wirklich viel zu sehen gab. Nach der Hausbesichtigung bot ich ihm einen Saft an, da mein Kühlschrank leider nicht mehr hergab. Er trank ihn in aller Ruhe aus, doch dann konnte ich seinen Fragen nicht länger ausweichen. "So, Spatz", sagte er und stellte die leere Saftpackung auf dem Wohnzimmertisch ab, "und jetzt erklärst du mir hoffentlich, warum du dir klammheimlich ein Haus in Rodaklippa gekauft hast, ohne deine Mutter und mich in deine Pläne einzuweihen."

 
 
 
 

Ich blickte meinen Vater aus großen Augen an, wie ein Reh, das vom Scheinwerferlich geblendet wurde. Meine Lippen begannen zu beben und nur mühevoll brachte ich die Worte heraus, die kaum mehr als ein Flüster waren: "Ich habe die Abschlussprüfung nicht bestanden. Nicht beim ersten Versuch...und auch nicht beim Zweiten. Und das war es jetzt Papa. Noch eine Chance bekomme ich nicht. Ich habe das Mathematikstudium nicht geschafft."

   
 
 
   

Ich hatte erwartet, dass mein Vater wütend wird oder enttäuscht reagiert, aber alles was ich in seinem Blick sehen konnte, war tiefes Bedauern. "Spätzchen, du hast doch nicht versagt. Du hast die Uni nicht geschafft. Das kann passieren. Ich war auch nicht auf der Uni und deine Mutter hat ihr Abitur auch vorzeitig abgebrochen. Das ist doch keine Schande."

 
 
 
 

"Aber ich wollte euch doch Stolz machen", schluchzte ich und jetzt hielt nichts mehr die Tränen auf, die sich in meinen Augen angesammelt hatten. Mein Vater kam einen Schritt auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. "Wir sind stolz auf dich, was immer du machst, Spatz." Es tat gut, das zu hören, und ich klammerte mich weiter an meinen Vater fest wie ein kleines Mädchen. Er strich mir immer wieder behutsam über den Rücken. Schließlich lockerte ich meine Umarmung und auch mein Vater ließ mich wieder frei. Dafür strich er mir liebevoll über den Kopf. "Aber warum all die Geheimnisse?", fragte er. "Warum hast du uns das nicht sofort gesagt? Die Prüfungen waren doch schon vor drei Wochen."

 
 
 
 

Ich drehte mich von meinem Vater weg und ging ein paar Schritte im Raum auf und ab. Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf, als ich ihm antwortete. "Ich wollte euch keine Probleme bereiten. Du und Mama, ihr hattet es in den letzten Jahren schon schwer genug. Ich weiß doch, wie sehr Mama immer noch darunter leidet, dass ihr die Sierra Simlone verlassen musstet. Und wir haben doch schon ein Problemkind in der Familie." Damit sprach ich meine ältere Schwester Kinga an, die in die Obhut meiner Tante Joanna gegeben wurde musste, weil meine Eltern nicht mehr mit ihr fertig wurden. Das war schon vor über zehn Jahren und meine Schwester war seither nicht mehr bereit, auch nur ein Wort mit meinen Eltern zu wechseln.

   
 
 
 

"Und ihr habt so viel in meine Ausbildung investiert. Ich weiß doch, wie teuer die Studiengebühren sind. Und ihr habt auch meinen Lebensunterhalt finanziert. Da wollte ich es auch schaffen. Ich wollte euch Stolz machen. Und als ich es nicht geschafft habe, da habe ich mich geschämt. Ich wollte ohne eure Hilfe wieder auf die Beine kommen, deshalb habe ich euch nichts erzählt. Das Geld für das Haus habe ich während des Studiums zurückgelegt. Ich bin nie auf Partys oder so gegangen, daher musste ich auch nie viel ausgeben. Und mit Aushilfsjobs habe ich mir immer etwas dazuverdient und alles beiseitegelegt. Aber wie du siehst, Papa, habe ich es nicht einmal geschafft, alleine mein Bett in das Haus zu bekommen." Und wieder füllten sich meine Augen gefährlich mit dicken Tränen.

 
   
 
 

Und wieder musste mein Vater auf mich zukommen und mich tröstend in den Arm nehmen. Als mein Kopf seien Schulter berührte, waren die Tränen wieder fast wie weggeblasen. "Spatz, deine Mutter und ich haben Probleme mit deiner Schwester, aber das sind unsere Probleme. Du bist weder dafür verantwortlich, noch musst du für uns die perfekte Tochter spielen, als Ausgleich für Kingas Verhalten. Und das andere ist doch bloß Geld. Deine Mutter und ich haben uns hier in Rodaklippa eine gute, neue Existenz aufgebaut. Ja, am Anfang war es schwer, aber jetzt haben wir ein sicheres Einkommen. Und wir hätten dir in jedem Fall ein Studium ermöglicht. Es wäre wunderbar gewesen, wenn du erfolgreich deinen Abschluss gemacht hättest. Aber es ist kein Beinbruch, wenn es nicht geklappt hat."

 
 

Ich war erleichtert, diese Worte zu hören. Und gleichzeitig fühlte ich mich so dumm, weil ich eine andere Reaktion von meinen Eltern befürchtet hatte. Jetzt, wo mein großes Geheimnis offenbart wurde, konnte ich mich entspannt mit meinem Vater unterhalten. Wir unterhielten uns so lange, bis wir schließlich im dunklen Wohnzimmer kaum noch das Gesicht des anderen erkennen konnten und ich mich vom Holzboden erhob, um das Licht einzuschalten. Auch Papa stand auf und klopfte sich den Staub von der Hose. "Für mich wird es langsam Zeit, heim zu deiner Mutter und zu deinem Bruder zu gehen. Die beiden fragen sich bestimmt schon, wo ich geblieben bin." Ich begleitete meinen Vater noch vor das Haus und verabschiede mich dort von ihm. "Sag Mama, dass ich sie gleich morgen besuchen werde", bat ich meinen Vater. Der nickte zustimmend und machte sich auf den Weg zur U-Bahnstation.

   
 

 

 

 
   
 
 

Es war wunderbar entspannend, die Nacht in einem richtigen Bett zu verbringen. Außerdem schlief es sich umso besser, wenn man kein schlechtes Gewissen mehr haben musste, weil man seine Eltern belog. Meine gute Laune wurde aber getrübt, als ich am Morgen in das Badezimmer ging, und plötzlich in einer großen Pfütze stand.

 
 
 
   

Die Verzweiflung stand mir ins Gesicht geschrieben. Wo kam bloß all das Wasser her? Ich schaute mich hektisch im Badezimmer um und erkannte schnell, dass es außen an den Wänden der Duschkabine entlang floss. Und als ich die Kabine öffnete, sah ich auch, dass das Wasser aus dem Rohr der Brause in alle Richtungen spritzte. Ich hatte schon bei meinem Einzug eine Rohrzange auf dem Fensterbrett im Bad gefunden und jetzt wurde mir auch klar, warum diese dort lag. Offenbar passierte solch eine Überschwemmung nicht zum ersten Mal.

   
 
 
 

Ich schraubte eine Weile an der Brause herum, macht damit zunächst alles nur noch viel schlimmer, aber schließlich versiegte das Wasser. Nur damit war die Arbeit noch längst nicht beendet. Das ganze Bad stand unter Wasser und dieses musste aufgesammelt werden. Das war wirklich ein schöner Start in den neuen Tag.

   

 

 

 
 
   

Doch nach gefühlten Stunden hatte ich das Badezimmer wieder trocken gelegt. Erschöpft ließ ich mich in meinen Sessel fallen, doch dann wurde mir klar, wie einsam es in diesem großen Haus doch war. Also entschloss ich mich kurzerhand wie versprochen Mama zu besuchen. Ich schwang mich also auf mein Fahrrad und radelte los. Leider hatte ich vergessen, dass meinen Eltern auf einer Anhöhe über der Stadt lebten und ich deshalb ziemlich ins Schwitzen kam. Vielleicht hätte ich doch lieber die U-Bahn nehmen sollen? Doch die Natur um mich herum und der tolle Anblick der Stadt unten im Tal entschädigten für die Strapazen.

   
 
 
   

Doch irgendwann kam ich doch oben an. Ich war zwar erschöpft, aber gleichzeitig stolz auf meine Leistung. Das Haus meiner Eltern hatte sich seit meinem letzten Besuch zu Weihnachten nicht verändert. Die sandfarbenen Backsteine und der weiße Putz strahlten im Sonnenschein. Nachdem meine Familie unser Zuhause in der Sierra Simlone, der heutigen Sierra Simnistria, verlassen musste, hatten meine Eltern hier in Rodaklippa einen altes, halb zerfallenes Bauerhaus gefunden und es mit viel Arbeit und Mühe zu dem gemacht, was man heuet hier auf den Hügel stehen sah.

 
 
 

Ich klopfte gar nicht erst an, sonder betrat einfach das Haus. Immerhin wohnten hier meine Eltern und auch ich habe in diesem Haus ein paar Jahre gelebt. Und auch wenn ich schon länger nicht mehr hier wohnte, so war es doch mein Zuhause. Ich hatte meine Mutter bereits durch das Fenster hindurch in der Küche entdeckt. Offenbar hatte sie mich nicht das Haus betreten hören, denn als ich vorsichtig gegen den Türrahmen klopfte, drehte sie sich erschrocken herum. Und als sie dann aber mich entdeckte, klatschte sie entzückt in die Hände.

 

 

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kor. 18.01.2014