Aufgabe1
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Ich wollte Magdas Worten wirklich Glauben schenken. Wir unterhielten uns noch ein wenig, doch schnell merkten wir beide, wie müde wir waren und machten uns fertig fürs Bett. Tja, und bereits in der dritten Nacht in meinem eigenen Haus musste ich nicht mehr alleine schlafen.

 
 

 

 

 
 
 
Meine Cousine entpuppte sich als Langschläferin. Während sie also noch schön vor sich hin träumte, holte ich meine Pinsel und Farben hervor, und vertrieb mir die Zeit an der Staffelei. "Was machst du denn da, Claude?" Magda kam mit verschlafenen Augen aus dem Badezimmer und starrte mein Bild an. "Ich glaub, du bist da mit dem Pinsel ausgerutscht. Also diesen hässlichen dicken schwarzen Punkt solltest du lieber noch mal übermale", bemerkte sie.
   
 
 
   

Hässlicher schwarzer Fleck? Das war do die Pupille eines Drachenauges! Und in dieser Pupille sollte sich die Welt wiederspiegeln. Konnte man das denn wirklich nicht erkennen? Niedergeschlagen blickte ich auf den Boden. Das bemerkte auch Magda. "Ach komm schon, Claude. Es ist nicht eben jeder zu Maler geboren." Diese Worte trösteten mich allerdings keineswegs. Denn bislang hatte ich mir eingeredet, dass ich zwar nicht viel konnte, aber ganz sicher eines, und das war Malen. Aber offensichtlich war das doch nicht der Fall.

 
 
 
 

Kurz vor Mittag klingelte es überraschend an der Tür. Es war meine Mutter, die vorbeigekommen war, um sich mein neues Haus anzusehen. Ich führte sie als herum und zeigte ihr auch die Schotterterasse hinter dem Haus. "Und, Mama, was hältst du davon?", fragte ich unsicher uns zeigte auf das Gebäude. "Es ist wirklich nett, Spatz", antwortete meine Mutter und an ihrem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass sie es ernst meinte. "Das Haus erinnert mich ein wenig an das Haus deiner Großväter in SimCity. Ich denke, du kannst dir hier mit ein wenig Arbeit ein schönes Zuhause schaffen."

 
 
 
 

"Und hier in dieser Ecke konntest du einen schönen Gemüsegarten anlegen", meine Mutter deutete auf ein Stück Rasen, das gut geschützt im Schatten einer kleinen Birke lag. "Ich könnte dir mit allerlei Samen aushelfen, Spatz." Die Idee eines Gartens gefiel mir sogar richtig gut. Ich würde meine Mutter tatsächlich darauf ansprechen müssen. Aber an einen Garten sollte ich vielleicht erst denken, wenn ich einen Herd in der Küche stehen hatte und mich nicht länger von Saft und Eiscreme ernähren musste. Das war zwar lecker, aber ich merkte leider schon, dass meine Hosen begannen mehr zu zwicken, als sie es ohnehin schon taten.

 
 
 
 

Dann fiel mir plötzlich auf, dass meine Mutter ganz still geworden war. Als ich zu ihr rüber schaute, sah ich ihren wehmütigen Blick und sofort wurde mir der Grund dafür klar. Sie hatte eben von Zuhause gesprochen. Und obwohl sie sich hier in Rodaklippa wohl fühlte, so war ihr Zuhause doch die Sierra Simlone. Dort hatte sie sich ein Zuhause eingerichtet, eine Farm aus dem Boden gestampft, meinen Vater kennengelernt und drei Kinder aufgezogen. Und durch einen schrecklichen Krieg wurde ihr das alles entrissen. Sie war eine Vertrieben, die sich danach sehnte, wieder nach Hause zurück kehren zu können. Und obwohl diese Ereignisse schon 8 Jahre zurück lagen, war ihr Heimweh nicht kleiner geworden.

   
 
 
   

Magdas helle Stimme riss meine Mutter aus ihren trüben Gedanken heraus. "Hallo. Tante Oxana!", rief sie begeistert und winkte meiner Mutter zu, die sich umdrehte um zu erkenne, wer da noch ihr rief. "Ist das etwa Magda?", fragte meine Mutter ungläubig. Zur Antwort lächelte ich nur dümmlich. "Ähm...ja. Sie stand gestern einfach vor meiner Tür und wollte für ein paar Tage bleiben. Ich konnte sie ja schlecht auf der Straße schlafen lassen."

 
 
 
 

Meine Mutter war von Magdas Besuch genauso so überrascht, wie ich. Während die beiden sich im Garten unterhielten, holte ich die Zeitung aus dem Briefkasten, die in Rodaklippa täglich kostenlos geliefert wurde, und lass mir die Stadtneuigkeiten der letzten Tage durch. Etwas wirklich Spannendes war nicht passiert, aber immerhin konnte ich ein paar Coupons für reduziertes Krokodils-Fleisch ergattern. Blieb nur noch die Frage, worauf ich es kochen sollte. Ein Coupon für einen Herd wäre da schon nützlicher.

 
 
 
 

Und dann wagte ich mich doch noch einmal zurück an mein Bild und malte es zu Ende. Meine Mutter betrat das Haus in demselben Augenblick, in dem ich den Pinsel zur Seite legte. "Das ist sehr schön, Spatz", bemerkte sie. "Ein Drachenauge, nicht wahr?" "Ja, genau!", rief ich begeistert und beschrieb meiner Mutter die Details des Bildes. "Du hast Talent, Klaudia. Hast du nie überlegt, vielleicht doch Kunst zu studieren?"

   
 
 
 

"Ich...ich hab es sogar versuch", gestand ich meiner Mutter. "Im zweiten Semester habe ich ein paar Vorlesungen besucht. Aber auch dafür war ich zu dumm. Ich hab fast nichts von dem verstanden, was unser Professor erzählte. Und durch die Prüfung bin ich dann auch auf mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Ich kann vielleicht gut malen, aber für ein Kunststudium reicht das leider nicht." In den Augen meiner Mutter war für eine kurze Zeit ein Hoffnungsschimmer aufgekeimt, der jetzt jäh erlosch. "Ok, Spatz. Aber das Bild ist wirklich hübsch", bestärkte sie mich noch einmal, doch irgendwie klang dieser Zuspruch plötzlich hohl. Kurz darauf verabschiedete sich von Magda und mir und brach nach Hause auf.

 
   

 

 

 
 
 

Am Abend schlug Magda vor, doch irgendwo in der Stadt essen zu gehen, da sie schon nach einem Tag keinen Saft und kein Eis mehr sehen konnte. Also gingen wir rüber zum Chinesen und trafen dort zufällig auch meinen Bruder Sky, der sich uns anschloss. "Müsstest du nicht eigentlich jetzt an der Uni sein?", fragte Sky unsere Cousine, während er von seiner Frühlingsrolle abbiss. "Das Semester ist doch noch gar nicht zu Ende."

 
   
 

"Ach, weißt du Sky, ich hatte irgendwie genug vom Studium", antworte Magda ganz gelassen, während sei weiter von ihrem Hähnchen-Süß-Sauer aß. "Die ständigen Vorlesungen, Hausarbeiten und Prüfungen gingen mir einfach nur noch auf die Nerven. Und studieren wird eh überbewertet. Also hab ich mir gedacht, ich probiermal was Neues. Und da ich zufällig mitgehört habe, wie Tante Oxana meiner Mutter am Telefon erzählt hat, das Claude sich hier ein Haus gekauft hat, dachte ich mir, ich besuche meine Lieblingscousine einfach mal."

 
   
 
 

"Und Tante Joanna hat dich einfach so die Uni abbrechen lassen?", fragte Sky skeptisch und zog die Augenbraue hoch. Tante Joanna war manchmal…etwas herrisch. Ich mochte sie wirklich gerne, keine Frage, aber Magda und ihr Bruder Jakób taten mir als Kind immer leid, weil sie so eine strenge Mutter hatten. Daher war Skys Frage durchaus berechtigt. Doch Magda zuckte nur leichtfertig mit den Schultern. "Was Mom nicht weiß, macht sie nicht heiß. Und solange ihr niemand was von meinem Aufenthalt erzählt, hab ich erst einmal meine Ruhe vor ihr."

 
 
 
   

"Dir ist aber schon klar, dass du dich meiner Mutter, der Zwillingsschwester deiner Mutter, heute nur zu bereitwillig gezeigt hast?", warf ich ein. "Und so oft wie die beiden miteinander telefonieren, kannst du dir sicher sein, dass deine Mutter spätestens morgen weiß, dass du in Rodaklippa bist." Magda verschluckte sich an ihrem Essen und begann zu husten. "Mist...", fluchte sie niedergeschlagen und ließ den Kopf hast auf ihren Teller sinken.

   
 

 

 

 
 
   

Magda war an diesem Abend kaum noch ansprechbar, also gingen wir schnell nach Hause und meine Cousine verkroch sich unter die Bettdecke. Am nächsten Morgen wollte sie das Bett auch nicht verlassen. Ich hingegen hatte in der Zeitung gelesen, dass im Cjnjd-Tower, einem Bürogebäude im Gewerbegebiet der Stadt, eine Kunstausstellung stattfinden sollte. Als schwang ich mich auf mein Fahrrad und radelte dort hin. Als ich dann jedoch vor dem Büroturm stand, war ich mir nicht sicher, ob ich mich nicht doch im Ort oder Datum geirrt hatte. Es waren hier weder Menschen zu sehen noch deutete ein Schild auf die Ausstellung hin.

 
 
   

Aber als ich erst einmal das Foyer betrat, wurde mir klar, dass ich mich nicht verlesen hatte. Die Ausstellung zeigte Bilder von Künstlern aus der Region und diese wurden auch zum Verkauf angeboten. Obwohl das nüchterne Ambiente in dem Bürokomplex nicht sehr inspirierend war, konnte ich doch beobachten, dass so manches Bild einen neuen Besitzer fand. Viele Bilder hier waren einfach atemberaubend und ich konnte mir vorstellen, dass die Maler noch eine große Zukunft vor sich haben würden. Andere Bilder waren…nun ja, sagen wir mal, dass mein Drachenauge eindeutig künstlerisch wertvoller war. Aber auch diese Bilder fanden ihre Käufer. Und so formte sich in meinem Kopf die Idee, mit meinen Bildern etwas Geld zu verdienen. Auf dem Weg zurück nach Hause machte ich einen Stopp im Wingate Park und ließ mich von den Bäumen, Sträuchern und Springbrunnen zu neuen Ideen inspirieren. Ja, dieser Brunnen würde sicherlich ein gutes Motiv abgeben.

   
 
 
   

Und die gesammelte Inspiration setzte ich noch am gleichen Abend in ein neues Bild um. Die Frage war nur noch, wie ich es schaffen konnte, meine Bilder an den Mann zu bringen.

 
 
 

Der Zufall wollte es dann, dass ich am nächsten Tag einer der Künstlerinnen über den Weg lief, die bei der Ausstellung im Bürogebäude ihre Bilder gezeigt hatte. Ich nahm mir fest vor, sie anzusprechen, aber schlussendlich langte mein Mut dazu doch nicht. Doch das Glück war auf meiner Seite, denn die Frau erkannte mich wieder und sprach mich von sich aus an. "Guten Tag, sie waren doch auch bei der Ausstellung gestern, nicht wahr?", fragte sie. Ich nickte eifrig. "Ihre Bilder haben mir sehr gut gefallen, Frau Martinez, nicht wahr?" Die Frau lächelte mich an, erfreut darüber, dass ich mir ihren Namen gemerkt hatte. "Genau, Jennifer Martinez."

 

 

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kor. 01.02.2014