Kapitel 5
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Francesco musste mich regelrecht aus dem Kinderzimmer in den nächsten Raum schleifen. „Und das hier wird dann dein Schlafzimmer werden.“ Ich betrachtete den in hellen Pastelltönen eingerichteten Raum mit dem großen Spiegel und dem gemütlich aussehenden Bett. Sogar die Bettwäsche entsprach meinem Geschmack. „Magda hat Anke dabei geholfen deine Sachen aus der Cilia Gade zu holen und sie hier in die Schränke zu räumen.“ Es war ein sehr schöner Raum, wie alle, die ich bislang gesehen hatte. Doch dann drangen Francescos Worte an mein Bewusstsein. „Dein Schlafzimmer“, hatte er gesagt.

 
 
 

„Was meinst du mit ‚mein Schlafzimmer‘. Du hast doch sicher gemeint, dass das unser Schlafzimmer sein wird. Ich gebe zu, es ist sehr feminin eingerichtet, aber das können wir doch sicher leicht ändern. Mit einer anderen Bettwäsche und anderen Vorhängen sieht es hier gleich ganz anders aus.“ „Aber Klaudia, wie stellst du dir das vor?“, erwiderte Francesco ruhig. „Ich arbeite viel und oft bis spät in die Nacht. Mein Schlafzimmer liegt daher direkt an meinem Arbeitszimmer. Ich will dich doch nicht immer wecken müssen, wenn ich ins Bett komme. Und wenn ich so nah am Kinderzimmer schlafen müsste, würde ich doch keine Nacht mehr durchschlafen können. Und das kann ich mir bei meiner Arbeit nicht erlauben, das verstehst du doch sicher. Und du hast doch in Monte Vista selbst gehört, dass ich schnarche und mich nachts viel hin- und her wälze. Nein, es wird für uns beide sehr viel bequemer sein, wenn jeder sein eigenes Schlafzimmer hat.“

 
     
 

Was? Aber nein! „Dein Schnarchen ist ganz leise und hat mich überhaupt nicht gestört. Und ich habe nicht mitbekommen, dass du dich herumwälzt“, entgegnet ich. „Das ist doch kein Grund, dass wir nicht zusammen in einem Raum schlafen sollten. Mich wird das nicht stören.“ „Klaudia, das ist beschlossene Sache. Ich werde mein eigenes Schlafzimmer haben“, erwiderte Francesco. Er sprach ruhig und leise, aber sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht mit sich diskutieren lassen würde und er keine Widerworte mehr von mir wünschte. Und ich…ich gab nach.

 
     
 

Augenblicklich kehrt bei ihm der beschwingte Tonfall zurück. Wir setzten den Rundgang fort, aber meine Hochstimmung war mit einem Schlag verflogen. Ich wollte mir sein Schlafzimmer gar nicht ansehen, dennoch folgte ich ihm. Francesco hatte seine Möbel aus Schloss Hardsten mitgenommen. Beim Anblick des mir wohlvertrauten Bettes musste ich an unsere gemeinsamen Nächte denken. Ich hatte gedacht, dass ich von nun jede Nacht an seiner Seite würde schlafen können. In den Flitterwochen war es doch so schön gewesen. Ich konnte nicht begreifen, warum er das nicht fortsetzen wollte.

 
   
 

Francescos Schlafzimmer war der letzte fertig eingerichtete Raum in unserem neuen Haus. Damit war die Besichtigung abgeschlossen. Francesco trug unser Koffer in das obere Stockwerk, welche die Taxifahrerin  in den Eingangsbereich des Hauses gestellt hatte. Dann verabschiedete er sich und brach zum Rathaus auf, um zu überprüfen, was sich in seiner Abwesenheit alles auf seinem Schreibtisch angehäuft hatte. Und ich begann traurig in meinem Schlafzimmer die Koffer auszupacken. Francesco hatte so vehement auf die getrennten Schlafzimmer bestanden. Könnte er es wirklich nicht ertragen, mit mir in einem Bett zu schlafen? Das hatte in Italien doch einen ganz anderen Eindruck gemacht. Ich konnte mich doch nicht so in seinen Gefühlen geirrt haben. Und daher durfte ich nicht so leicht aufgeben. Vielleicht hatte er noch nicht erkannt, wie viel er mir inzwischen bedeutete und glaubte, dass mir getrennte Schlafzimmer bei dem Zustandekommen unsere Ehe sogar lieber seien.

 
   
 

Ich wartete auf Francescos Rückkehr. Doch es wurde spät und ich überbrückte die Wartezeit mit Telefonanten mit meinen Eltern und Magda, die alles über unsere Hochzeitsreise wissen wollten. Gegen neuen machte ich mich fertig fürs Bett. Noch während ich im Badezimmer war, hörte ich, dass Francesco wieder nach Hause kam. Doch offenbar hatte er wieder Arbeit mit nach Hause gebracht, denn er breitete seine Unterlagen auf dem Esszimmertisch aus und starrte konzentriert auf seinen Laptop. Er sah nicht einmal auf, als ich das Esszimmer betrat. Ich musste alles auf eine Karte setzen. Magda hatte mir beigebracht, dass Männer Frauen mochten, die genau wussten was sie wollten. Und ich wollte Francesco. Ich schritt hinter ihn und strich ihn mit meinen Fingerspitzen über den Nacken. „Komm, bitte ins Bett, Francesco…zu mir. Ich habe alleine Angst in diesem neuen großen Haus. Ohne dich kann ich nicht einschlafen.“ Es dauerte eine Weile, bis Francesco aufhörte eifrig zu tippen. Er starrte weiterhin fest auf den Bildschirm, als er grummelnd seine Zustimmung gab. „Gib mir noch eine halbe Stunde, dann komme ich zu dir hoch.“

 
     
 

Und tatsächlich öffnete sich nach genau dreißig Minuten die Tür meines Schlafzimmers. Francesco kam herein und legte sich zu mir unter die Decke. „Es ist so schön, dass du gekommen bist“, murmelte ich bereits im Halbschlaf, bevor ich glücklich in die Traumwelt hinüberglitt. Er war wirklich gekommen. Es würde sich als alles zum Guten wenden.

 
     
 

In der Nacht gaben die Wolken die Sicht auf den nahezu vollen Mond frei. Der Mondschein fiel genau durch das Fenster auf mein Bett. Die unerwartete Helligkeit ließ mich wach werden. Es dauert einige Sekunden, bis ich begriff, wo ich mich eigentlich befand. Meine Hand tastete nach der anderen Bettseite. Doch dort, wo sich mein Ehemann befinden sollte, herrschte nur gähnende Leere. Ich wartete fünf, zehn, fünfzehn Minuten darauf, dass er wiederkommen würde. Bestimmt war er nur auf der Toilette. Doch mit jeder Minute die verstrich wurde deutlicher, dass dies nicht der Grund für sein Verschwinden war.

 
   
 

Etwas in meinem Inneren sagte mir auch, dass er nicht einfach nach unten gegangen war, um weiter zu arbeiten. Nein, ich wusste genau, wo ich ihn finden würde. Im Dunkeln tappste ich barfuß zu seiner Schlafzimmertür. Mein Herz klopfte wie wild, doch ich brauchte Gewissheit. Langsam drehte ich den Türknauf und drückte vorsichtig gegen die Tür. Doch diese gab keinen Millimeter nach. Sie war von innen verschlossen.

 
     
 

Nein, bitte nicht. Er hatte mich doch nicht bewusst ausgeschlossen? Nein, es war bestimmt nur Gewohnheit. Bestimmt schloss er in Hardsten seine Zimmertür auch immer ab. Also klopfte ich. Mein Herz pochte so wild, dass ich glaubte, es würde meine Brust sprengen. Aber es kam keine Reaktion. Also klopfte ich ein zweites Mal, beherzter. Bestimmt hatte er das erste Klopfen nicht gehört. Aber dieses musste er hören. Es war nicht zu überhören. Doch wieder folgte keinerlei Reaktion. Ich war versucht ein drittes Mal zu klopfen, seinen Namen zu rufen. Aber ich wusste, dass es nichts geändert hätte. Und ich wollte mich nicht mehr erniedrigen, als ich es ohnehin schon getan hatte. Ein wenig Stolz besaß auch ich.

 
   
   

Erst als ich in meinem Zimmer war, ließ ich meinen Gefühlen freien Lauf. Wie ein Häufchen Elend sank ich auf den Boden. Francesco liebte mich nicht. Er hatte es nie getan und er würde es niemals tun. Ich hatte mir alles nur eingebildet…wieder einmal. Hatte ich aus der Geschichte mit Israel nichts gelernt? Ich war so dumm, so dumm! Francesco erfüllte einfach nur seinen Job. Für ihn war ich ein Geschäftsabschluss und er erfüllte gewissenhaft wie immer seine Pflicht. Zum Vertrag gehörten eine Hochzeit und die Flitterwochen, es gehörte dazu, ab und an mit mir zu schlafen und in der Öffentlichkeit den Eindruck eines glücklichen Paares zu machen. Aber mit Liebe hatte das rein gar nichts zu tun.

 
   

Aber nach Liebe hatte ich auch nicht gefragt. Nein, ich wollte einen Ehemann und ich wollte Kinder. Beides hatte Tante Joanna mir verschafft. Ich verstand zwar immer noch nicht, welchen Vorteil sie daraus zog, aber sie hatte ihren Teil der Vereinbarung erfüllt. Und jetzt war es an mir, den Preis zu bezahlen. Ich hatte mich auf eine Vernunftehe eingelassen und die hatte ich bekommen. Ich musste endlich anfangen, meine Ehe mit Francesco als genau das anzusehen. Vielleicht würden wir ja mit der Zeit Freunde werden, aber ich musste aufhören, mir mehr zu erhoffen.

 
   
 

Und ich hatte ja bald schon jemand anderes, den ich lieben konnte und der mich lieben würde. Behutsam strich ich mir über meinen Bauch und spürte deutlich die Bewegungen darin. Dank meiner Vereinbarung mit Tante Joanna würde ich bald Mutter werden. Und das war mehr, als ich jemals zu hoffen gewagt hatte. Dafür sollt ich dankbar sein. Und ich würde es.

 
   

 

 

Teil 5

 
   
 

Als ich nach einer unruhigen Nacht am nächsten Morgen hinunterging, hatte Francesco bereits das Frühstück vorbereitet. Er erwähnte mit keinem Wort den Vorfall der letzten Nacht. Es erklärte mir sein plötzliches Verschwinden nicht und schon gar nicht entschuldigte er sich dafür. Ich hatte es auch nicht erwartet, aber ein kleiner Funken Hoffnung war da doch gewesen, der nun vollends erstickt wurde. Schweigend nahmen wir unser Frühstück ein und ich ahnte, dass meine Morgen in Zukunft alle nach diesem Muster ablaufen würden.

 
       
 

Nur die Aussicht bald ein kleines Kind in den Händen wiegen zu können, bewahrte mich davor bei dieser Aussicht in totale Verzweiflung zu verfallen. Wenige Tage später hatte ich einen Termin zur nächsten Vorsorgeuntersuchung bei meinem Arzt. „So, Lady Hartfels, dann wollen wir mal sehen, ob uns das Kleine heute verrät, was es wird“, sagte Dr. March, während er auf den Bildschirm des Ultraschallgerätes schaute. Neugierig drehte auch ich meinen Kopf in diese Richtung. „Ah, da ist es ja“, sagte der Doktor und auch ich erkannte den kleinen Menschen, der sich in grauen Streifen auf dem Bildschirm abzeichnete. Es war schon alles da, der Kopf, die Hände, die Füße und…“Und, sehen sie es?“, fragte mich der Arzt. Doch so sehr ich mich anstrengte, ich konnte zwischen den kleinen Beinchen nichts erkenne. Also schüttelte ich den Kopf. „Dann darf ich ihnen zu einer Tochter gratulieren, Lady Hartfels“, entgegnete Dr. March lachend, „einer kerngesunden, wenn ich das hinzufügen darf.“

 
 
   

Dr. March führte noch einige weitere Untersuchungen durch, aber zum Glück war sowohl mit mir als auch mit meiner kleinen Tochter alles in bester Ordnung. Nach der Untersuchung bat er mich, an seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, damit wir die Details der Geburt durchsprechen konnten. Ich würde mich dahingehend noch mit Mama beraten müssen, aber ich fühlte mich hier im Krankenhaus von Rodaklippa und in Dr. Marchs Händen sehr gut aufgehoben.

 
     

Nach unserem Gespräch verließ ich das Krankenhaus. Eine Tochter! Ich würde tatsächlich eine Tochter bekommen. Überglücklich stampfte ich bei strahlender Wintersonne durch den tiefen Schnee zurück nach Hause. Bislang hatte ich mir eingeredet, dass es mir egal sei, welches Geschlecht mein Kind haben würde. Aber jetzt, wo ich wusste, dass es ein Mädchen werden würde, wurde mit klar, dass ich mir immer eine Tochter gewünscht hatte.

   
   
   

Und jetzt, wo das Geschlecht meines Kindes feststand, konnte ich mich in die Einrichtung und die Dekoration des Kinderzimmers stürzen. Diese Ablenkung tat mir so unendlich gut. Ich konnte in Möbelkatalogen blättern, mir Stoffe und Farbmuster ansehen und die wundervollsten Spielsachen kaufen. Mit vielem würde meine Tochter erst in einigen Jahren spielen können, aber ich konnte mich einfach nicht bremsen. Einmal probierte ich es, Francesco in die Planung mit einzubeziehen. Doch er drückte mir lediglich die Kreditkarte in die Hand und versicherte mir, dass ich das schon allein hinbekommen würde. Nun, daran hatte ich auch nicht gezweifelt. Dennoch holte ich mir Mama zur Unterstützung und gemeinsam tapezierten und strichen wir die Wände und stellten die gelieferten Möbel auf. Das Kinderzimmer nahm von Tag zu Tag mehr Gestalt an und schließlich blieb uns nur noch das Einräumen der Babyutensilien und Spielsachen. „Geschafft!“, rief Mama, als ich das letzte Kinderbuch in das Bücherregal stellte.

 
   

Zufrieden betrachteten wir unser Werk. Das Bettchen, der Wickeltisch, die bunten Vorhänge…es war alles so schön! Ja, hier würde sich meine kleine Maus wohl fühlen. Ich konnte es kaum noch abwarten, bis sie endlich auf der Welt war.

 

 

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kor. 08.03.2015