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Da Magda noch am gleichen Tag anfing zu arbeiten, konnte sie mir die gute Neuigkeit erst am nächsten Morgen mitteilen. Obwohl das Austeilen der Flyer insgesamt wenig anspruchsvoll war, war sie immer noch Feuer und Flamme für die Idee, ein Musik-Star zu werden. Sie sprang aufgeregt um mich herum, als sie mir die guten Neuigkeiten überbrachte und ich kann gar nicht sagen wie es passiert war, aber plötzlich rannten wir mit Kissen bewaffnet durchs Wohnzimmer und schlugen laut lachend aufeinander ein. In solchen Momenten war ich richtig dankbar, Magda bei mir zu habe. |
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Zur Feier des Tages entschlossen wir uns, unseren neuen Grill einzuweihen. Das Wetter war gut und ich hatte einfach riesigen Hunger auf Würstchen. „Für mich aber nur eines“, betonte Magda. „Ich muss auf meine Linie achten. So ein gesunder Apfel ist da viel besser.“ Sie ging zu unserem Apfelbaum und pflückte eine der reifen, roten Früchte. „Dir würde so ein Apfel übrigens auch nicht schaden, Claude. Ich will ja nichts sagen, aber deine Hose hättest du vielleicht lieber eine Nummer größer kaufen sollen.“ Tja, und das waren die Momente, in denen ich mich zurückhalten musste, Magda nicht die Augen mit der Grillzange auszustechen. |
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Und zu allem Überfluss brannten mir die ollen Würstchen auch noch an! Ich wusste selber nicht, wie das passieren konnte. Ich war so damit beschäftigt, mir eine schlagfertige Erwiderung für Magdas letzte Gemeinheit einfallen zu lassen, dass erst der beißende Qualm der zu Steinkohle verbrannten Würstchen mich wieder in die Realität riss.
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Missmutig schaute ich die verbrannten Würstchen an. Vielleicht konnte man die schwarze Kruste ja noch abschaben? Ich packte sie also auf einen Teller und wollte damit in die Küche, als plötzlich Frau Lutzenbacher auf mich zugelaufen kam. „Fräulein Blech! Fräulein Blech!“, rief sie energisch. „So geht das aber nicht! Sie können doch hier nicht so einen Qualm verursachen! Der ganze Rauch von ihrem Grill zieht direkt in mein Schlafzimmer!“
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„Oh, Frau Lutzenbacher, das tut mir aber furchtbar leid“, stammelte ich verlegen. „Das Essen ist einfach in Brand geraten. Ich hab ja gleich versucht es zu löschen, aber dadurch hat der Grill nur noch mehr gequalmt. Entschuldigen sie bitte.“ Doch Frau Lutzenbachers Miene blieb finster. „Das mit dem vielen Qualm ist ja nur der Gipfel“, keifte sie. „Sie hätten uns vorwarnen müssen, dass sie überhaupt grillen wollen!“
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Inzwischen war auch Magda zu uns beiden gestoßen und mischte sich in das Gespräch ein. „Frau Lutzenbacher, richtig? Ich bin Magda, Klaudias Cousine“, stellte sie sich höflich vor, doch Frau Lutzenbacher musterte sie lediglich abschätzig. Magda blieb davon unbeeindruckt und sprach im ruhigen Ton weiter. „Es ist doch ein wenig übertrieben, dass wir ankündigen sollen, wann wir in unserem eigenen Garten grillen. Es ist ja nicht so, dass wir das täglich machen würden.“ Doch Frau Lutzenbacher hörte ihr gar nicht zu. „Genug, reden sie gar nicht weiter. Es gehört einfach zum guten Ton, dass man unter Nachbarn Rücksicht aufeinander nimmt. Oder haben sie schon einmal erlebt, dass wir ihr Haus mit Grillgestank verpestet hätten? Nein! Und jetzt ist alles gesagt. Ich hoffe, so etwas wird nicht noch einmal vorkommen!“
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Ich stand wie angewurzelt da, zu geschockt, um irgendetwas sagen zu können. Frau Lutzenbacher drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verschwand in ihrem Haus. „Blöde Kuh“, hörte ich Magda grummeln. Dann warf meine Cousine einen Blick auf die verbrannten Würstchen und entschied sich lieber eine Kleinigkeit in der Stadt zu essen bevor ihre Schicht begann. Somit blieb ich alleine zurück. Ich nahm mir ein Würstchen, kratzte die Schwarze Kruste ab und begann es zu essen. Und als ich so am Esstisch saß, stiegen die Tränen in mir hoch und ich konnte sie nicht unterdrücken. Ich wollte Frau Lutzenbacher doch nichts Böses.
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Den Rest des Tages verbrachte ich an der Staffelei in der Sicherheit meiner vier Wände. In den Garten wagte ich mich nicht mehr hinaus. Dennoch schweiften meine Gedanken immer wieder zu dem Streit mit Frau Lutzenbacher ab. Hatte meine Nachbarin vielleicht Recht? War ich wirklich zu rücksichtslos gewesen und hätte sie wegen des Grills vorwarnen müssen? Ich war mir vollkommen unsicher. Und eh ich es mich versah, hatte ich eine düstere, schwarz-braune Leinwand vor mir, die exakt das wiederspielgelte, was in meinem Inneren vor sich ging.
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Na toll, jetzt hatte ich auch noch eine Leinwand versaut. Dabei waren die doch so teuer und auf meinem Konto sah es nicht rosig aus. Meine Laune war auf dem Tiefpunkt angelangt, als ich unverhofft eine mir wohlbekannte Melodie von der Straße vernahm. Konnte es sein? Ja, wirklich! Trotz der späten Stunde fuhr ein Eiswagen die Straße herunter. Ich legte Palette und Pinsel hastig beiseite und lief auf die Straße hinaus. „Halt, ich will ein Eis!“, rief ich laut winkend. Der Wagen stoppt und um mich selbst für diesen furchtbaren Tag zu entschädigen, gönnte ich mir ein schönes, großes Erdbeereis mit Streuseln.
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Als Magda von ihrer Arbeit wiederkam, steuerte sie als erstes unseren Tiefkühlschrank an und holte sich ebenfalls ein Eis. In ihren abgetragenen Arbeitsklamotten, die im krassen Gegensatz zu der modischen und femininen Kleidung stand, die sie sonst im Alltag trug, hätte ich meine Cousine kaum erkannt. „Du wirst nicht glauben, wer auch in der Konzerthalle arbeitet, Claude“, begann sie aufgeregt zu erzählen, als ich mich zu ihr an den Tisch setzte. „Der Mann von der ollen Lutzenbacher, Franz Josef! Also wirklich, wer heißt denn heute noch so? Und er arbeitet dort nicht alleine, sondern auch noch mit seiner Tochter. Die hat einen noch bescheuerteren Namen als er. Eulalia. Aber das passt irgendwie, denn sie sieht auch aus wie eine Eule und sollte das Haus lieber nur nachts verlassen.“
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Am nächsten Morgen bat mich Magda, sie in ein Café in der Stadt zu begleiten. Eigentlich hätte ich an meinem Bild weiter malen müssen und versuchen sollen zu retten, was zu retten war. Aber meiner Cousine lag dieser Besuch wirklich am Herzen, sodass ich schließlich zustimmte. Erst als wir uns an einen Tisch vor dem Café setzten und unseren Vanillelatte genossen, rückte sie mit dem Grund für diesen Ausflug heraus. „Claude, ich will dir endlich Ron vorstellen. Er hat versprochen, dass er mich in seiner Frühstückspause hier trifft.“
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Das weckte auch meine Neugier. Während Magda und ich auf das Erscheinen ihres geheimnisvollen Freundes warteten, unterhielten wir uns, hauptsächlich über den Auftritt von Frau Lutzenbacher am gestrigen Nachmittag. Doch Magda war nicht wirklich bei der Sache und schaute immer wieder ungeduldig auf ihre Uhr. Plötzlich sprang sie von ihrem Stuhl hoch. „Da ist er ja endlich“, rief sie entzückt. Ich folgte ihrem Blick, neugierig, wer mich da erwarten würde, doch bis auf einen Mann in mittleren Jahren im weißen T-Shirt und kurzen Hosen konnte ich niemanden entdecken.
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Meine Augen weiteten sich überrascht, als Magda genau auf diesen Mann zulief und ihn begeistert küsste. Das war also Ron? Aber…aber der war doch mindestens 40! Er hätte fast ihr Vater sein können.
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Magda löste sich widerstrebend von den Lippen ihres älteren Freundes. „Ron, ich möchte dir meine Cousine Claude vorstellen.“ Magda deutete in meine Richtung. Ron kam auf mich zu und reichte mir die Hand. „Schön dich endlich kennen zu lernen“, sagte er. „Magda hat mir viel von dir erzählt.“ Nun, von dir hat sie mir offensichtlich nicht genug erzählt, schoss es mir durch den Kopf. Magda war neben Ron getreten und blickte mich mit großen erwartungsvollen Augen an, sofort eine positive Bewertung zu ihrem neuen Freund erwartend. Und ich hätte ihr den Gefallen liebend gerne getan. Doch ich sah in Rons Gesicht und konnte die Falten, die deutlich auf seiner Stirn und um seien Augen herum zu sehen waren, nicht ignorieren.
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Ich starrte sie regelrecht an. Es war mir peinlich, aber ich konnte einfach nicht wegsehen. Es war wie bei einem schrecklichen Autounfall. „Schön…schön dich auch kennen zu lernen“, stotterte ich schließlich. Oh man, am liebsten wäre ich im Boden versunken. Hätte Magda mich nicht vorwarnen können? Dann wäre die ganze Situation weniger peinlich für uns alle geworden.
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Ron trank einen Kaffee mit uns zusammen, musste dann aber schnell wieder zurück zu seiner Arbeit. Ich wechselte nur wenige Worte mit ihm. Grundsätzlich schien er wirklich nett zu sein, wäre da bloß nicht sein Alter. Ich konnte nicht verstehen, wieso Magda sich ausgerechnet in diesen Mann verliebt hatte. Zumal sie jeden Mann haben konnte. Ich lag auf dem Bett und las in einem Krimi, als Magda abends nach Hause kam. Sie begrüßte mich knapp und ging dann direkt auf den Spiegel im Schlafzimmer zu. „Findest du eigentlich, dass mich diese Arbeitsklamotten fett machen, Claude?“, fragte sie, strich sich ihre Haare sorgfältig aus dem Gesicht und mustert sich selbstkritisch im Spiegel.
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„Nein, überhaupt nicht“, versicherte ich meiner Cousine, was sofort ein zufriedenes Grinsen in ihr Gesicht zauberte. Langsam blätterte ich in meinem Krimi weiter, ohne auch nur eines der Worte auf der Seite gelesen zu haben. „Du Magda“, fragte ich ganz beiläufig, „wie alt ist Ron eigentlich?“ Magda warf mir einen fragenden Blick zu. „Ich hab noch gar nicht gefragt“, gestand sie. „Aber ich schätze mal, dass er so Anfang 40 ist.“
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Ich legte das Buch hastig zur Seite, ungeachtet der Tatsache, dass ich dabei mehrere der Seiten einknickte, und sprang vom Bett auf. Aufgeregt ging ich auf meine Cousine zu. „Aber Magda, findest du nicht, dass er viel zu alt für dich ist?“, fragte ich. „Euch trennen zwanzig Jahre, Magda. Zwanzig!“
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Doch Magda schien das ganz gleichgültig zu sein. Sie hob die Hände in Richtung Decke und zuckte mit den Schultern. „Was sind schon zwanzig Jahre, wenn man sich wirklich liebt?“, fragt sie. Ich erkannte, dass sie die Worte vollkommen ernst meinte. Ihr war der Altersunterschied tatsächlich egal. „Ron sieht immer noch fantastisch aus und ist fitter als so mancher in unserem Alter.“ Bei diesen Worten pikste sich mir in den Bauch um mir zu zeigen, dass er in jedem Fall fitter war, als ich. „Außerdem weiß er, wie man eine Frau behandelt, was man von den meisten Jungs in unserem Alter nicht behaupten kann. Und jetzt lass es gut sein, Claude. Ich weiß schon, was ich tue.“
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