Aufgabe1
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Und so zog Jamie direkt am nächsten Tag bei uns ein. Viel mehr als einen Koffer mit ein paar Klamotten darin brachte er allerdings nicht mit. „Vielen Dank, das ihr euch für mich entschieden habt“, bedankte er sich bei mir. Ich musste ihm ja nicht direkt auf die Nase binden, dass er der einzige Kandidat gewesen war.

 
 
 

Jamie hatte uns ja erzählt, dass er beabsichtige, mit dem Schreiben von Kurzgeschichten Geld zu verdienen. Ich hatte eine seiener Geschichten probehalber gelesen und sie war wirklich gut, doch offenbar ließ sich mit Schreiben doch nicht so leicht Geld verdienen. Aber Jamie hatte auch andere Mittel, um das Geld für die Miete zusammen zu bekommen. Er durchwühlte tatsächlich die Mülltonnen unserer Nachbarn auf der Suche nach Dingen, die sich noch gewinnbringend auf Simbay verkaufen ließen.

 
     
 

Jamie fand zwar die ein oder andere kaum abgebrannte Kerze, einige Elektroteile, die noch voll funktionsfähig waren und sogar Stofftiere, die nach einer Runde in der Waschmaschine wieder wie neu aussahen, aber das ganz große Geld ließ sich damit nicht verdienen. Es war ein Glücksfall, dass er einen Aushang des wissenschaftlichen Institutes entdeckte. Die Wissenschaftler waren auf der Suche nach Schülern oder Studenten, die im Tropenhaus des Institutes bestimmte Schmetterlinge und andere exotische Tiere einfingen, damit diese von den Forschern katalogisiert und gründlich untersucht werden konnten. Magda schloss sich Jamie ohne zu Zögern an. Eine Gelegenheit, mehr Zeit mit diesem schnuckeligen Jungen zu verbringen würde sie sich nicht entgehen lassen. Zusätzlich von ganzen Schmetterlingsschwärmen umgeben zu sein, war auch nicht übel. Und das wissenschaftliche Institut bezahlte erstaunlich gut für die kleinen Falter.

 
   

 

 

 
   
 

An einem der folgenden Abende traf ich mich wieder einmal mit Gernot. Wir fuhren oft gemeinsam an den Strand, spazierten entlang der Küste, oder spielten, wie heute, auf der Promenade Schach. Ich war eine furchtbare Spielerin, aber Gernot zeigte mir geduldig die wichtigsten Strategien. Gernot war mein bester Freund geworden und eben darin bestand das Problem. Seit unserem beinah Kuss vor über zwei Monaten hat er nie wieder versucht, mich zu küssen. Er war nett zu mir und wir verbrachten viel Zeit miteinander, doch ich wusste nicht, ob er immer noch ein romantisches Interesse an mir hatte. Was wenn ich mir dieses Interesse von vorneherein nur eingebildet hatte und er in mir einfach nur die tollpatschige, pummelige Nachbarin sah?

 
   
 

Doch ich wollte für diesen Mann so viel mehr sein. „Wollen wir uns noch an den Stand setzen, Gernot?“, nahm ich daher meinen ganzen Mut zusammen und fragte, als wir unsere Partie beendet hatten. Diesmal hatte ich sogar nur äußerst knapp verloren. Irgendwie gab mir das zusätzliches Selbstvertrauen. „Es ist heute Nacht noch so schön warm. Aber die Herbststürme lassen bestimmt nicht mehr lange auf sich warten. Wer weiß, wie oft wir dazu noch die Gelegenheit bekommen.“ Ich wusste Gernot gar nicht weiter überzeugen. Wir suchten uns eine schöne Stelle am Strand mit Blick auf die Bucht und lauschten den Wellen. Eine Wolke schob sich zur Seite und das Mondlicht ergoss sich über die stille Bucht. Ich warf einen Blick auf Gernot, der gedankenverloren aufs Meer hinausblickte. Wie gut dieser Mann doch aussah. Seien schlanke Statur, seine weiches blondes Haar, die wunderbaren Sommersprossen auf seiner Nase. Ich liebte diesen Mann und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass auch er mich lieben würde.

 
   
 

Also überwand ich für einen Moment all meine Ängste und Zweifel und legte meine Hand vorsichtig auf seine. Ich traute mich nicht, ihn anzusehen, weil ich mich vor seiner Reaktion fürchtete. Und ich spürte, wie sich seine Hand bei meiner Berührung verkrampfte. Hätte ich in sein Gesicht geblickt, wären mir auch die großen überraschten Augen aufgefallen.

   
   
   

Mein Herz setzte beinah aus, weil ich befürchtete, dass er seien Hand wegziehen und so schnell wie möglich weglaufen würde. Doch das tat er nicht. „Ich dachte schon, du würdest niemals einen Versuch wagen“, sagte er stattdessen. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und sah sein glückliches Lächeln. „Klaudia, ich wollte schon so lange deine Hand nehmen. Aber nachdem du das letzte Mal so verstört reagiert hast, wollte ich dir Zeit lassen, so viel, wie du brauchst. Ich wollte dich zu nichts drängen. Ich hoffe, du bist mir deswegen nicht böse.“

 
   
 

Wie hätte ich ihm denn in diesem Moment böse sein sollen? Ich liebte ihn doch! „Darf ich näher zu dir rücken?“, fragte er ruhig. Mein Herz drohte meine Brust zu sprengen und ein eifriges Nicken war alles, was ich als Antwort zustande brachte. Gernot legte seinen Arm um meine Hüfte und zog mich zu sich heran.

 
   
 

Noch nie war ich einem Mann so nah gewesen. Ich konnte seien Wärme spüren, seinen Duft riechen, ja, ich bildete mir sogar ein, sein Herz schlagen zu hören. Gernot zeigte auf den Himmel, wo gerade eine Sternschnuppe zu sehen war. Doch ich nahm seien Worte nicht einmal war, noch bemerkte ich die Sternschnuppe. Alles was für mich zählte war, dass ich jetzt hier in seinen Armen lag. Die Sternschnuppe hätte direkt auf uns herunterstürzen können, ich wäre trotzdem als die glücklichste Frau der Welt gestorben.

   
   
 

Doch ich ahnte nicht einmal, was noch folgen sollte. Gernot und ich hatten gefühlte Stunden eng umschlungen im Sand gesessen. Langsam wurde es doch ziemlich frisch und Zeit, um nach Hause zu gehen. Wir standen auf und ich klopfte mir den Sand von der Hose, als Gernot erneut ganz nah zu mir herantrat. „Klaudia, hättest du etwas dagegen, wenn ich dich heute Abend küssen würde?“, fragte er. Ich blickte schüchtern zu Boden, aber das zarte Nicken meines Kopfes verdeutlichte, dass ich mir nichts sehnlicher als diesen Kuss wünschte.

 
     
 

Und dann geschah es tatsächlich. Gernot trat noch einen Schritt näher an mich heran, griff meine Hände und dann berührten seien weichen Lippen meinen erwartungsvoll gespitzten Mund. Es war wunderschön. Noch nie hatte ich etwas Vergleichbares gespürt. Wellen des Glücks durchströmten meinen Körper und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als das Gernots Lippen sich nie wieder von meinen lösen würden.

 
 

Diesmal erlaubte ich Gernot natürlich, mich nach Hause zu begleiten. Hand in Hand schlenderten wir durch die Altstadt und Gernot brachte mich bis vor meine Haustür, obwohl er dafür einen kleinen Umweg gehen musste. Und zum Abschied küssten wir uns ein weiteres Mal. Ich sah, dass bei Magda im Schlafzimmer noch Licht brannte. Ich musste einfach jemandem erzählen, was heute passiert war und Magda war inzwischen, trotz ihrer Art, meine beste Freundin geworden. Ohne zu klopfen riss ich die Tür auf und stürmte aufgeregt in ihr Zimmer. Magda sah überrascht von ihrem Buch auf.

   
   
   

„Claude, hast du schon mal was von Anklopfen gehört?“, beschwerte sie sich. “Ich hätte nackt sein können, oder Herrenbesuch haben, oder beides gleichzeitig!“ Ich ignorierte ihr Gemecker einfach und warf mich schwungvoll auf die leere Bettseite neben ihr. „Magda, du wirst nicht glauben, was passiert ist. Gernot und ich haben uns geküsst! Und es war so, so, so wunderschön!“ Ich ließ meinen Blick nach oben schweifen und dachte an den wundervollen Abend an Gernots Seite zurück. Magda konnte es in der Tat nicht glauben….und zwar das ein Kuss von Gernot schön sein konnte.

 
   
 

Aber auch diese Bemerkung ignorierte ich. Und an Magdas zufriedenem Grinsen konnte ich sehen, dass auch sie sich für mich freute. „Es war dein erster Kuss, oder?“, fragte sie und ich nickte. „Und liebst du ihn?“, hakte sie weiter nach. „Ja“, hauchte ich nur. Zufrieden faltete ich die Hände auf meinem Bauch zusammen und stellte mir Gernots Gesicht vor. Wie er mich anlächelte, wie er mit mir sprach, wie er mich küsste…Ja, ich liebte ihn. Auch wenn ich es ihm noch nicht gesagt hatte, so war es doch wahr. Und ich war mir sicher, dass er mich auch liebte. Nach dem heutigen Abend konnte es keinen Zweifel mehr daran geben.

 
   

 

 

Teil 3

   
   
 

Unser neuer Mitbewohner hatte die Angewohnheit, gerne mal leicht bekleidet im Haus herum zu laufen. Es störte ihn offenbar kein bisschen, sich vor Magda und mir nur in Boxershorts bekleidet zu zeigen. Das hatte er offenbar mit seinem Vater gemein, der seinen Körper auch zu gerne zur Schau gestellt hatte. Ich verstand ja, dass er keine Lust hatte, sich jedes Mal komplett anzukleiden, wenn er morgens von seinem Zimmer ins Bad ging. Aber spätestens am frühen Nachmittag hätte er sich ruhig anziehen können, statt weiterhin halbnackt zu bleiben und gemütlich im Wohnzimmersessel rumzulungern und Fern zu sehen oder in einem Roman zu schmökern.   

     
 

Zum Glück fiel Jamie bald auch, wie unangenehm es mir war, wenn er fast unbekleidet im Haus herumlief. Deshalb achtete er schon bald darauf, sich wenigstens ein Hemd überzuwerfen, wenn er sein Zimmer verließ. Magda hingegen hatte rein gar nichts daran auszusetzen, dass Jamie gerne viel Haut zeigt, zumal er eine sehr schöne Haut hatte, wie sie fand, und einen noch schöneren Körper obendrein. Und wenn er schon nicht mehr oben ohne durch das Wohnzimmer lief, so konnte sie ihn doch wenigstens durch sein Schlafzimmerfenster beobachten.

   
   
 

Es sollte nun aber nicht der Eindruck entstehen, wir hätten uns mit Jamie ein faules Ei ins Nest gelegt. Es stimmte, Jamie schlief gern lange und wenn er dann einmal aufgewacht war, dann verbrachte er den restlichen Nachmittag gerne faul vor dem Fernseher. Aber am Abend verzog er sich immer in die Bibliothek, um an seinen Kurzgeschichten zu schreiben. Dort arbeitete er dann oft bis tief in die Nacht hinein. Aber es lohnte sich offenbar, denn es fand sich ein Online-Verlag, der bereit war, einige Geschichten von ihm zu veröffentlichen. Reich würde Jamie damit nicht werden, aber es reichte, um pünktlich seine Miete bezahlen zu können.

 

 

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kor. 26.05.2014