Aufgabe2
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Teil 4

   
 

Bis zu diesem Moment hatte ich mich angeregt mit Gernot unterhalten. Doch als ich Frau Lutzenbachers Stimme vernahm, fuhr ich erschrocken zusammen und beeilte mich in den Garten zu kommen. Ein Blick auf den glühenden Grill genügte um zu erkennen, wo das Problem lag. „Frau Lutzenbacher, es tut mir leid“, entschuldigte ich mich. „Es war nicht geplant gewesen zu grillen. Mein Vater hat das ganz spontan entschieden, sonst hätte ich Ihnen Bescheid gegeben.“ „Dafür ist es jetzt ja wohl zu spät“, entgegnete sie schnippisch. „Meine Bettwäsche ist wieder einmal ruiniert. Und überhaupt, Sie können doch nicht einfach so mitten am Tag eine Party veranstalten. Es ist Mittagsruhe und mein Mann und ich wollen unsere wohl verdiente Ruhe genießen, aber bei dem Lärm aus Ihrem Haus ist das völlig unmöglich.“ Ich war ja ein Mensch, der nur selten in Rage geriet und dies schon gar nicht nach außen hin zeigte. Doch mit ihrer völlig unbegründeten Anschuldigung hatte es Frau Lutzenbacher zu weit getrieben. „Man kann unsere Gespräche im Haus doch kaum hier im Garten hören. Wir spielen ja nicht einmal Musik. Würden Sie hier nicht so rumbrüllen, Frau Lutzenbacher, dann hätten wir alle unsere Ruhe!“ Mein Vater unternahm noch einen letzten Versuch, die Situation aufzulockern. „Frau Lutzenbacher, kommen Sie und ihr Mann doch einfach rüber und essen Sie etwas mit uns“, dabei präsentierte er ihr den Würstchenteller. „Es besteht doch kein Grund für Streitereien.“

 
 
 

Doch das sah Agatha Lutzenbacher offenbar ganz anders. „Sie können sich Ihre Würstchen sonst wo hinstecken“, entgegnet sie giftig und gar nicht so damenhaft, wie sie sich sonst gerne gab. „Hätten Sie bei der Erziehung Ihrer Tochter nicht so eklatant versagt, dann hätten Wir heute auch keine Schwierigkeiten“, fügte sie schnippisch hinzu. Im selben Moment kam ihr Mann Franz Joseph auf uns zugelaufen. Ich hatte die leise Hoffnung, dass er seine Frau beruhigen wollte, doch dem war leider nicht so. Stattdessen stemmte er die Hände in die Hüften und blickte mich finster an. „Mein Frau Agatha hatte von vorneherein Recht, dass Sie und ihre Cousine mit zweifelhaftem Ruf uns nur Scherereien bereiten würden. In meinem Leben habe ich noch nicht so rücksichtslose Nachbarn wie Sie erlebt. Und das wo wir doch äußerst nachsichtig mit Ihren zahlreichen Vergehen waren.“

 
 
   
 

Von welchen zahlreichen Vergehen Herr Lutzenbacher sprechen mochte, würde mir auf ewig ein Rätsel bleiben. Ich hatte keine Idee, was Magda und ich verbrochen haben sollten, außer dem einen unangekündigten Grillabend von vor einigen Wochen. Aber ich hatte auch nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn mit einem Mal brach um mich herum das totale Durcheinander aus. Mein Vater begann erst heftig mit Frau Lutzenbacher zu diskutieren und lieferte sich dann ein hitziges Wortgefecht mit deren Mann. Wie aus dem nichts tauchten auch noch Adalbert und Eulalia Lutzenbacher auf, die beiden Kinder von Agatha und Franz Joseph, die mit ihren rund vierzig Jahren immer noch bei den Eltern wohnten. Die beiden mischten sich umgehend in den Streit ein und auf meiner Seite traten auch noch Magda und meine Mutter in die Schlacht.

 
   
 
 

Meine Mutter brüllte wütend Eulalia an, die es gewagt hatte, mich als „dicke Kuh“ zu bezeichnen. „Niemand beleidigt mein Pummelchen“, schrie sie diese an. „Besonders niemand, der eine Frisur wie ein Wischmopp auf dem Kopf trägt und dessen Nase wie eine angebissene Kartoffel im Gesicht klebt!“

 
 
 
 

Eulalia warf daraufhin meiner Mutter einige unschöne Kraftausdrücke an den Kopf, die mich innerlich erröten ließen. Für einen Moment dachte ich, meine Mutter würde sich auf meine Nachbarin stürzen und sich mit ihr prügeln. Und ich vermute, dass lediglich die Sorge um ihr schönes Abendkleid sie davon abhielt.

 
 
 
 

Magda brüllte in der Zwischenzeit Agatha Lutzenbacher an, die sie zum wiederholten Mal als Flittchen bezeichnet hatte. „Ja, verdammt, ich habe Brüste“, schrei sie und deutete auf ihre Oberweite. „Und ich schäme mich auch nicht, sie zu zeigen. Sie sind doch nur neidisch, weil sie nur noch zwei vertrocknete Backpflaumen da oben haben!“

 
 
   
 

Und ich musste mich mit dem stotternden Adalbert rumärgern. Ein ums andere Mal warf er mir vor, seine Eltern mit meinem unverschämten Verhalten noch ins Grab zu bringen. Ich wusste genau, dass er mir in jeder anderen Situation damit ein schlechtes Gewissen hätte einreden können, aber nicht heute. Die Glücksmomente des heutigen Tages gaben mir ungewohnte Selbstsicherheit. Außerdem hatte ich mir einfach nichts vorzuwerfen und diese unbegründeten Anschuldigungen ließen eine ungekannte Wut in mir aufsteigen. „Es waren deine Eltern die den Streit begonnen haben“, schrie ich ihn an. „Wenn sie einer ins Grab bringt, dann sie sich selbst mit ihrer Kleinlichkeit und Streitsucht.“

 
   
 
 

Ich glaube wirklich, dass wir alle uns im Gras wälzend und an den Haaren ziehenden geendet hätten, wäre Gernot nicht eingeschritten. „Mama, Papa, reißt euch zusammen“, rief er seine Eltern zur Besinnung. „Adalbert, Eulalia, ihr benehmt euch ja schlimmer als kleine Kinder. Es ist mir peinlich, Teil eurer Familie zu sein!“ Irgendwie drang er mit seinen Worten zu seiner Sippe durch, denn das Geschrei hörte mit einem Mal auf. „Geht ins Haus! Bitte!“, forderte er seine Eltern und Geschwister auf und diese leisteten, wenn auch widerwillig, folge.

 
 
 
 

Dann wand er sich an mich. „Klaudia, es tut mir ja so wahnsinnig leid. Ich weiß auch nicht, was in meine Familie gefahren ist. Ich kann mich nur vielmals für ihr Benehmen bei euch allen Entschuldigen und hoffe, dass ihr meine Entschuldigung annehmt.“ Er blickte erst mich und dann auch den Rest meiner Familie reumütig an. Und dieser liebe Blick genügte, dass ich ihm keine Sekunde böse sein konnte und auch bereits begann zu vergessen wie seine Eltern und Geschwister sich noch eben aufgeführt hatten. „Schon in Ordnung“, erwiderte ich daher und Gernot nickte dankbar. „Ich werde lieber nach meiner Familie sehen und versuchen, sie zu beruhigen“, fügte er hinzu und lief dann schnellen Schrittes ins Haus seiner Eltern.

 
 
   
 

Mein Vater war immer noch ganz außer Atem von der Aufregung, die sich eben ereignet hatte, und die Pulsader an seinem Hals trat deutlich hervor. „Ich hätte denen nur zu gerne eine rein gehauen, Brodlowska“, gestand er meiner Mutter. „Es ist vielleicht besser, dass du das nicht gemacht hast, Nick“, entgegnete diese. „Wir sind gleich wieder auf unserer Farm, aber unser Spatz muss Tag ein Tag aus neben diesen Verrückten leben. Die können ihr das Leben noch ganz schön schwer machen, wenn sie wollen.“ Meine Mutter drehte den Kopf in Richtung des Hauses der Lutzenbachers und sah gerade noch, wie Franz Joseph sich hinter der Hausecke versteckte. Offenbar hatte er uns noch aus der Fern beobachtet.

 
 
 
   

In dem ganzen Gemenge waren die Würstchen irgendwann auf dem Rasen gelandet. Da hatten wir uns also wegen des Grills so in die Haare bekommen und konnten jetzt nicht einmal mehr etwas von dem Grillgut essen. Aber wir sahen jetzt erst recht nicht ein, warum wir unsere Feier abbrechen sollten. Also bereiteten Mama und ich in der Küche schnell ein paar Nudeln mit Käsesoße zu. Als wir dann am Tisch im Garten saßen, drang das ganze Ausmaß des Streites zu mir durch. „Was, wenn sie uns jetzt wegen jeder Kleinigkeit an den Hals gehen?“, fragte ich besorgt. „Ich will mich in meinem eigenen Haus nicht wie eine Gefangene fühlen.“

 
 
 

Mein Bruder Sky verfiel für einen Moment ins Schweigen, doch dann erschien ein schelmisches Grinsen auf seinen Lippen. „Nun, Schwesterherz, mir würden da schon ein paar Streiche einfallen, die wir deinen lieben Nachbarn spielen könnten. Die werden sich noch wünschen, sich niemals mit einer Blech angelegt zu haben.“

 

 

 

   
 
 
   

Magda traf sich weiterhin regelmäßig mit Ron. Ich hatte den großen Altersunterschied der beiden nicht mehr weiter thematisiert. Vielleicht war es ja wirklich egal, dass er 20 Jahre älter war? Wenn die beiden sich liebten und glücklich waren, dann hatte ich mich da nicht einzumischen. In der Regel traf sich Magda mit Ron bei ihm zuhause, so dass ich von den beiden ohnehin kaum etwas mitbekam.

 
 
 
 

In der ersten Zeit war ich verwundert, dass Magda nie bei ihm übernachtete. Ich vermute ja zunächst, dass die beiden es etwas langsamer angehen lassen wollten, aber Magda war eine sehr freizügige Person und so erfuhr ich immer sehr genau, was die beiden alles so getan hatten…ganz unabhängig davon, ob ich es hören wollte oder nicht. Als ich Magda darauf ansprach, warum sie denn anschließend nicht bei Ron übernachtete, antwortete sie, dass er morgens immer sehr früh zur Arbeit müsste und es so für beide einfacher wäre. Ich konnte ihrer Stimme aber deutlich entnehmen, dass ihre eigenen Worte in ihren Ohren wie eine Ausrede klangen.

 
   
   
 

Bei uns konnte Ron natürlich auch nicht übernachten. Immerhin teilten Magda und ich uns ein Bett. Das hielt Magda allerdings keineswegs davon ab, sich mit Ron darin zu vergnügen. Immer wieder geriet ich in die peinliche Situation, dass ich nichtsahnend nach Hause kam und plötzlich ein halbnackter Mann in meinem Wohnzimmer stand. Ich hätte jedes Mal vor Scham im Boden versinken können. Zum Glück war Ron so nett, sich in einer solchen Situation so schnell wie möglich wieder anzukleiden.

 
 

 

 

   
 
 

Jedoch wurde die Situation mit meinen Nachbarn nicht entspannter. Ganz im Gegenteil. Selbst wenn ich auf dem Weg nach Hause einfach nur am Haus der Lutzenbachers vorbei ging, kam einer der Bewohner herausgelaufen um mich übelst zu beschimpfen. Ich verstand wirklich nicht, wie es so weit hatte kommen können.

   
   
 

Nach dem letzten verbalen Angriff von Eulalia konnte ich mich auch nicht mehr zusammenreißen. Ohne ein Wort zu erwidern hatte ich ihr Gezeter über mich ergehen lassen und bin schnellen Schrittes nach Hause geeilt. In der Küche fing ich wie mechanisch an abzuspülen. Die Tränen stiegen mir immer weiter in die Augen und dann schließlich glitt mir das Geschirr einfach aus den Händen. Ich begann bitterlich zu schluchzen und die Tränen liefen mir am Gesicht herab. Ich war so froh, dass Magda in dem Moment nicht zuhause war und mich in dieser Verfassung sah.

 
   
 
 

So konnte es nicht weiter gehen. Also tat ich etwas, was ich eigentlich nicht tun wollte. Ich rief meinen kleinen Bruder Sky an. „Und du bist dir ganz sicher, dass wir das tun wollen?“, fragte er mich, als wir vor dem Haus der Lutzenbachers standen. „Ja!“, sagte ich bestimmt und ballte meine Hände zu Fäusten zusammen. „Vielleicht merken die dann endlich, dass ich mir nicht alles gefallen lasse.“ Sky klatschte zufrieden in die Hände. „Wunderbar, dann lass uns gleich anfangen.“

 
 

Und dann taten wir etwas sehr Dummes…dadurch aber nicht weniger Befriedigendes. Wir begannen das Haus der Lutzenbachers mit faulen Eiern zu bewerfen. Eine Welle der Genugtuung stieg in mir auf, jedes Mal wenn eines der Eier mit einem klatschenden Geräusch an der Haustür der Lutzenbachers zersprang und seinen fauligen Geruch entfaltete.

 

 

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kor. 06.04.2014