Aufgabe2
1 2 3 4 5 6 7 R

 

   
   
 

Ich hoffte für Magda, dass sie wirklich wusste, was sie tat. Und vielleicht stimmte es sogar. Immerhin hatte sie auf dem Gebiet Männer sehr viel mehr Erfahrung als ich. Ich sollte mich da also besser raushalten. Wenige Tage später rief meine Galeristin Melinda Casgrove bei mir an. „Kaludia, schön dass ich Sie erreiche. Ein Kund hat sich gestern einige Ihrer Bilder in meiner Mappe angesehen und war sehr angetan. Leider sind die Bilder, an denen er am meisten interessiert war, schon verkauft. Ich habe ihm dann von dem Bild berichtet, an dem Sie aktuell arbeiten, und er hörte sich sehr interessiert an. Er lässt fragen, ob Sie nicht persönlich bei ihm mit dem Bild vorbeikommen könnten. Er wäre auch bereit, sehr gut zu bezahlen, wenn das Bild wirklich so gut ist, wie ich es ihm versprochen habe.“

 
 
 

Melinda gab mir die Adresse des Kunden. Mein Herz raste zwar wie verrückt, weil ich mich einem Unbekannten stellen musste, aber ich wickelte die Leinwand dennoch in Papier, verstaute sie sicher in meinem Fahrradkorb und machte mich auf dem Weg. Am Ziel angekommen atmete ich tief durch und klingelte zaghaft, meine Worte bereits gut überlegt. Doch mein ganzes Konzept wurde durcheinander gewirbelt, als anstelle eines Mannes eine Frau mittleren Alters die Haustür öffnete. „Guten Tag“, begrüßte sie mich, ehe ich nur ein Wort sprechen konnte. „Sie müssen dann wohl Fräulein Blech sein, die Künstlerin von der uns Frau Casgrove erzählt hat. Kommen sie nur rein.“

 
 
   
 

Ok, Augen zu und durch. Die Frau stellte sich als Bethany Wendigo vor und führte mich gleich ins Wohnzimmer. „So, Fräulein Blech, hier sehen sie das Objekt des Grauens.“ Mit einer ausschweifenden Handbewegung deutete sie auf die kahlen weißen Wände in dem ohnehin nur sehr spärlich eingerichteten Raum. „Ich liege meinem Mann schon seit Monaten in den Ohren, dass wir hier etwas Farbe hinein bringen müssen. Und ich hoffe, dass Sie uns da weiter helfen können.“ Ich sah Frau Wendigo unsicher an. Das Bild, welches ich mitgebracht hatte, war durchaus farbenfroh. Und ich konnte mir sogar gut vorstellen, dass es in diesen Raum passte. Aber würde die Kundin das genauso sehen?

 
   
 
 

Das würde ich nur erfahren, wenn ich es versuchte. Ich entschuldigte mich kurz und lief schnell zu meinem Fahrrad, um das Bild zu holen. Ich brauchte das Papier nur anzuheben, um Frau Wendigo ein „entzückend“ zu entlocken. „Hängen Sie es bitte gleich auf“, forderte sie mich auf. Zum Glück befand sich in der Wand bereits ein Nagel, den ich nutzen konnte. Ich richtet das Bild ein letztes Mal aus, als ich Schritte im Wohnzimmer hörte. „Cuthbert, schau doch mal, was für ein hinreißendes Gemälde“, rief Frau Wendigo erfreut, als ihr Mann näher trat. Dabei schlug sie enthusiastisch die Hände zusammen. „Der Raum beginnt schon förmlich vor Freude zu strahlen.“

 
 
 
 

Während Frau Wendigo sich das Gemälde aus nächster Nähe besah, kam ihr Mann auf mich zu. „Sie können ja unschwer erkennen, dass meiner Frau ihr Werk sehr gefällt. Ich werde ihr wohl kaum ausreden können, es zu kaufen.“ Bei diesen Worten warf er seiner Frau einen spöttischen Blick zu. „Was wollen Sie also für das Bild?“ Mein Herz raste. Vor dieser Frage hatte ich die größte Angst gehabt. Was wenn ihm der Preis zu teuer war? Und was, wenn ich mich weit unter Wert verkaufte? Zum Glück hatte ich dieses Thema vorher mit Melinda besprochen. „320 §“, sagte ich daher so bestimmt wie möglich, wobei ich ein leichtes Zittern in der Stimme nicht unterdrücken konnte. Cuthbert Wendigo warf erneut einen Blick auf seine Frau, die jeden Pinselstrich einzeln mit dem Finger abfuhr. „Nun“, sagte er schließlich, „dieser Preis erscheint mir angemessen. Und wenn Sie noch weiter Bilder dieser Art haben, dann lassen sie es mich wissen. Ich sehe schon, dass meine Frau mit diesem einen Bild nicht befriedigt sein wird.“

 
 

 

 

 
 
 
 

Doch nicht nur ich verzeichnete erste berufliche Erfolge, nein, auch Magda kam ihren Wunsch, ein Star zu werden, ein klein wenig näher. „Ich soll einfach nur tanzen? Drei Stunden lang? Und ganz sicher angezogen?“, fragte sie immer wieder, als ihre Chefin ihr von einem Zusatzjob erzählte, den sie erledigen konnte. Und dafür sollte es auch noch 1000 § geben. Magda musste nicht lange überlegen und gab ihr Bestes auf der Tanzfläche. Das Problem war nur, dass in der Disko gähnende Leere herrschte. Ihre Gage erhielt sie zum Glück trotzdem.

   
 
 
   

Doch zu ihrem Leidwesen sah ihr Arbeitsalltag nicht immer so glamourös aus. In der städtischen Konzerthalle fanden nicht eben viele Vorstellungen statt, also war Magda auch nicht zu oft damit beschäftigt, Flyer zu verteilen. Aber wie sie schon selbst bei ihrem ersten Besuch bemerkt hatte, hatte die Konzerthalle ihre besten Jahre bereits hinter sich. Und so gab es an jeder Ecke etwas auszubessern. Und weil echte Handwerker natürlich viel zu teuer sind, wurde Magda kurzerhand als eine Art Hausmeisterin eingewiesen.

 
 
 
 

Ich verbrachte die nächsten Tage und Wochen vor meiner Leinwand. Der erfolgreiche Verkauf eines meiner Bilder inspirierte mich zu vielen weiteren Werken. Und diesmal hatte ich Lust viele, kräftige Farben zu verwenden. Mit den düsteren Bildern war es endgültig vorbei. Melinda schlug vor, dass wir eine Ausstellung nur mit Bildern von mir bei ihr in der Galerie veranstalten könnten. Diese Aussicht motivierte mich noch zusätzlich ein besonders großes Werk zu schaffen…im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht das ich gerade heiß darauf war, mich den Blicken unzähliger Menschen zu stellen, aber meine Bilder durften sie ruhig bewundern. Ich würde mich einfach hinter einer der Statuen in der Galerie verbergen und alles aus meinem Versteck heraus beobachten.

 
 
 
 

Natürlich hätte Melinda das nie zugelassen. Ihrer Auffassung nach musste ich auf die Leute zugehen, damit sie auch die Künstlerin hinter den Bildern kennen lernten und bereit waren, noch ein bisschen mehr für meine Arbeiten auszugeben. Ich malte fast vier Wochen am Stück und gönnte mir nur kurze Unterbrechungen. Aber dann hatte ich eine Serie von sieben Bildern fertig und Melinda kündigte die Ausstellung an. Als ich am Tag der Eröffnung klopfenden Herzens die Galerie betrat, fiel mein Blick sofort auf meine Bilder, die gut ausgeleuchtet an den weißen Wänden hingen. Ein Gefühl des Stolzes breitete sich bei diesem Anblick in meiner Brust aus.

   
 
 
 

Meine Familie wurde zur Eröffnung selbstverständlich auch eingeladen. Mama betrachtete aufmerksam mein Hauptwerk, das große Landschaftsbild. Da sie mit dem Rücken zu mir gewandt stand, fiel mein Blick unweigerlich auch ihr hinten unheimlich tief ausgeschnittenes Abendkleid und ich errötet leicht bei diesem Anblick. Im selben Augenblick trat Papa an meine Seite. Auch er hatte Mama beobachtet „Ist deine Mutter nicht wunderschön?“, fragte er mich ohne einen Blick von ihr zu wenden. „Ja“, hauchte ich tonlos und ein zufriedenes Lächeln erschien auf den Lippen meines Vaters.

 
   
 
 

Mama musste unsere Blicke gespürt haben, die auf ihrem Rücken ruhten, denn sie schaute mit einem Mal über ihre Schulter und sah in unsere Richtung. Ihr Blick fiel auf Papa und augenblicklich erschien ein zauberhaftes Lächeln auf ihrem Gesicht und ihre Augen begannen zu leuchten. In diesem Moment erschien sie wieder wie ein junges Mädchen.

 
 

Ein ähnlicher Gesichtsausdruck beherrschte auch das Gesicht meines Vaters. Selbst ein Fremder hätte jetzt die Verliebtheit bemerkt, die zwischen meinen Eltern herrschte und das mehr als 30 Jahre nach ihrem Kennenlernen. Ja, die beiden hatten ihre schweren Zeiten gehabt, aber die hatten sie überwunden, weil ihre Gefühle füreinander stärker waren als alle Widrigkeiten, die sich ihnen in den Weg stellten.

   
 
 
   

So sehr ich mich für meine Eltern auch freute, ich konnte ein Gefühl der tiefen Traurigkeit nicht verdrängen. Das was die beiden verband würde ich vermutlich nie kennenlernen. Kein Mann hatte mich bislang so angesehen, wie Papa es gerade bei Mama tat. Ich war 23 und immer noch ungeküsst. Doch wer konnte es den Männern auch verübeln? Ich war nun mal nicht schön. Aber ich wünschte mir doch so sehr einen Partner an meiner Seite, einen Mann, mit dem ich die Freunde über den heutigen Tag hätte teilen können, mit dem ich irgendwann eine eigene Familie gründen würde. Aber das schien für mich aussichtslos.

 
 
 
 

Mama kam auf mich zu und riss mich aus meinen trüben Gedanken. „Ich bin so stolz auf die, Klaudia“, sagte sie und legte liebevoll ihre Hand auf meinen Oberarm. Ihre Augen leuchteten und ich wusste, dass sie diese Worte vollkommen aufrichtig meinte.

 
   
   
 

Mama war wahrhaftig stolz auf mich! Ein breites Grinsen erschien auf meinem Gesicht. Endlich, nach all den Jahren, nach all meinen Misserfolgen sah ich, dass meine Mutter voll und ganz von mir überzeugt war. Ich hatte es geschafft, aus dem Schatten meiner älteren Schwester Kinga zu treten. Mir war klar, dass dieser Moment schnell wieder vorbei gehen könnte, daher versuchte ich ihn in mich aufzusaugen, um so lange wie möglich davon zehren zu können. Sie war stolz auf mich!

 
 
   

Wir blieben etwa zwei Stunden in der Galerie. Im Anschluss lud ich meine Familie und Melinda zu mir nach Hause ein, um mit ihnen noch den Erfolg meiner ersten Ausstellung feiern zu können. Mama hatte extra dafür schon am Morgen einen Korb mit leckeren Speisen im Schlafzimmer deponiert, den sie nun auspackte. Es waren auch einige der Besucher der Galerie mitgekommen. Einer von ihnen war mein Nachbar Gernot, den ich bislang nur flüchtig vom Sehen her kannte, der sich aber in der Galerie sehr nett mit mir über mein gelbes Bild mit der Weinflasche unterhalten hatte.

 
 
   

Nach dem Streit mit seiner Mutter vor ein paar Wochen, war ich zunächst nach eingeschüchterter als sonst beim Umgang mit mir unbekannten Menschen. Doch Gernot schien sehr nett und meine Bedenken, dass er mir wegen des Streites böse sein könnte verflogen spätestens, als er mir ganz überraschend einen Blumenstrauß überreichte. „Als Dankeschön dafür, dass Sie uns mit ihren wundervollen Bildern erfreut haben, Klaudia.“ Ich war sprachlos und überwältigt zur gleichen Zeit. Noch niemals hatte mir jemand einen Blumenstrauß überreicht…und schon gar nicht ein Mann. „Vielen Dank“, rief ich schließlich übermütig und nahm den duftenden Strauß entgegen. Meine Mutter beobachtete die Szene mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen.

   
 
 
   

In diesem Moment hatte ich alles andere um mich herum vergessen und so bemerkte ich auch nicht, wie Magda und Sky begannen Stühle und Tische nach draußen zu tragen und Papa den Grill anfeuerte und begann, Würstchen aufzulegen. Magda hatte offenbar schon wieder vollkommen vergessen, dass wir unserer Nachbarin Frau Lutzenbacher versprochen hatten, nicht ohne Vorankündigung im Garten zu grillen. Und ich war zu abgelenkt, um meinen Vater rechtzeitig von seinem Vorhaben abzubringen.

 
 
 

Und so kam es, dass wenige Minuten später eine wütende Frau Lutzenbacher auf Papa zugelaufen kam. Ihr Gesicht glühte rot vor Zorn und sie schnaufte schwer, angestrengt von dem Sprint, den sie hingelegt hatte. „Sie! Sie können hier nicht einfach so einen unerträglichen Qualm verbreiten“, brüllte sie meinen Vater an. „Frau Blech! Kommen sie sofort heraus“, schrie sie dann in Richtung des Hauses. „Ich muss ihnen wohl noch Anstand und Ordnung beibringen!“

 

 

1 2 3 4 5 6 7 R

kor. 23.03.2014