Kapitel 5
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Magda nutzte die Gelegenheit, um Alexis besser kennenzulernen. Und ich hatte endlich mal Zeit, mich ganz in Ruhe mit Melinda zu unterhalten. In der Galerie kamen wir neben dem geschäftlichen Teil selten dazu, uns auch privat auszutauschen. Die Schwangerschaft und die baldige Hochzeit führten zusätzlich dazu, dass ich kaum noch malte und sie so noch weniger sah. Bisher hatte Melinda mir noch gar nicht richtig gratuliert und bestaunte nun meinen Babybauch.

 
 
 

Mama und Tante Joanna drehten die Musik auf und legten eine flotte Sohle aufs Parkett. Die beiden lieferten sich ein regelrechtes Tanz-Battle. Man konnte sehr gut erkennen, dass sie in ihren Jugendjahren viel Zeit in Clubs und Discos verbracht haben mussten und verlernt hatten sie davon nichts. Als ich die beiden so tanzen sah, kam mir der entsetzliche Gedanke, dass Magda einen Stripper engagiert haben könnte. Doch zum Glück kannte meine Cousine mich inzwischen gut genug um zu wissen, dass ich keinen Spaß dabei gehabt hätte, mir einen halb nackten, fremden Mann anzusehen und womöglich noch mit ihm tanzen zu müssen. Nein, da sah ich doch lieber meiner Mama beim Tanzen zu.

 
     
 

Alkohol war in meiner Situation ein absolutes Tabu. Das hielt aber meine übrigen Gäste nicht davon ab, das ein oder andere Gläschen Sekt zu trinken. Das führte dazu, dass sie noch ausgelassener tanzen und feiern wollten. Und irgendwann schnappte sich Magda sogar die Sektflasche, schüttelte sie kräftig, ließ den Korken knallen und richtete dann die Sektfontäne direkt auf ihre Mutter. Im ersten Augenblick dachte ich noch, Tante Joanna würde furchtbar böse werden, doch sie lachte nur und forderte Magda sogar auf, den Strahl direkt in ihren Mund zu richten. So ging die Party noch viele Stunden weiter und erst sehr, sehr spät kam ich in meinem Bett zur Ruhe.

 
   

 

 

 
   
 

Da mir Lady Eleonore und Alexis ohnehin alle Entscheidungen bezüglich der Hochzeit abnahmen und ich weder die Lust noch die Kraft hatte mich gegen die beiden aufzulehnen, konnte ich ganz in Ruhe die Adventszeit genießen. Alle paar Tage erhielt ich ein Update von den beiden, welches ich abnicken durfte, um wenigstens den Schein eines Mitspracherechts zu wahren. Heiligabend und die Festtage verbrachte ich abwechselnd bei meinen Eltern und bei Francescos Familie auf Schloss Hardsten. Aber es blieb mir auch noch genug Zeit um vermutlich zum letzten Mal mit Jamie und Magda zu feiern.

 
   
 

Die Bescherung hielten wir bereits am frühen Nachmittag des Heiligen Abends ab. Beide erhielten von mir eine Kleinigkeit, die aber von Herzen kam. Für meine Cousine hatte ich ein schönes Parfüm besorgt, um ihr noch einmal dafür zu danken, dass sie mir so dabei geholfen hatte abzunehmen und mein Styling zu verändern. Und Jamie erhielt eine signierte Ausgabe eines Romans seines Lieblingsautors. Aber das eigentliche Geschenk hatten die beiden schon einige Tage zuvor erhalten. Wir waren beim Notar und Magda und Jamie wurden offiziell als Eigentümer des Hauses eingetragen, sodass sie auch nach meinem Auszug unbesorgt hier wohnen bleiben konnten.

 
 

 

 

 
     
 

Die Feiertage vergingen und das neue Jahr begann. Und ehe ich es mich versah war der Januar bereits zur Hälfte vorbei und der Tag meiner Hochzeit stand bevor. Bereits am frühen Morgen wurde ich von der Limousine abgeholt und auf Schloss Hardsten gebracht. Eine Stylistin wurde beauftragt, meine wilde Mähne zu zähmen und mein Make-up für den Tag perfekt zu machen. Eine Schneiderin half mir anschließend in mein Hochzeitskleid und nahm letzte Änderungen vor, damit es sich perfekt um meinen Babybauch legte. Und dann stand ich vor dem Spiegel und konnte es selbst nicht fassen, wie wunderschön ich aussah. Aus dem hässlichen, dicken Entlein war tatsächlich ein anmutiger Schwan geworden.

 
     
 

Alexis betrat das Ankleidezimmer und musterte mich anerkennend. „Du siehst wunderschön aus, Klaudia. Jedes Mädchen in ganz Simskelad wird dich heute beneiden.“ Damit hatte Francescos Schwester sicherlich Recht. Doch ich bezweifelte stark, dass sie mich immer noch beneiden würden, wenn sie wüssten, dass es doch nur schöner Schein war. Francesco liebte mich nicht…und ich ihn auch nicht. Alexis bat mich, am Frisiertisch Platz zu nehmen. Als ich saß, überprüfte sie den festen Halt der Blumen in meinem Haar. Und dann bat sie mich, die Augen zu schließen und sie erst wieder zu öffnen, wenn sie mich dazu aufforderte.

 
   
 

Ich kam ihrer Bitte nach und hörte, wie sie sich einige Schritte entfernte und eine Truhe öffnete. Dann kam sie wieder zurück und befestigte etwas in meinem Haar. „So, jetzt darfst du die Augen wieder öffnen“, verkündete sie schließlich. Ich tat es. Und der Anblick, der sich mir im Spiegel bot verschlug mir die Sprache. Ein Diadem! Ich drehte behutsam meinen Kopf und sah zu, wie das Licht der Lampen sich in den Steinchen zu unzähligen Regenbogen brach. „Sind das…sind das etwa echte Diamanten?“, fragte ich atemlos. Alexis nickte lachend. „Das Diadem ist schon seit vielen Jahren im Besitz unserer Familie. Meine Mutter hat es bei ihrer Hochzeit getragen und davor schon ihre Mutter. Du wirst heute zur Lady von Rodaklippa, Klaudia, und damit steht es von nun auch dir zu, ein solches Diadem zu tragen.“

 
     
 

Damit war ich bereit. Francesco, Alexis und Lady Eleonore fuhren bereits vor, während ich wenig später mit einer eigenen Limousine zur erst vor wenigen Jahren errichteten Kathedrale gefahren wurde. Am Straßenrand entdeckte ich die Sicherheitskräfte, die die Schaulustigen, aber auch die Paparazzi zurückhielten. Ich fröstelte leicht, als ich aus dem Wagen stieg, und das lag nur zum Teil an den frostigen Januartemperaturen. Aber ich fand augenblicklich Trost in dem Anblick meines Papas, der mich bereits erwartet hatte. „Du siehst wunderschön aus, Spätzchen“, stellte er mit stolzgeschwellter Brust fest.

 
   
   

Ich errötete bei seinem Kompliment. Dann reichte ich ihm meine Hand, damit wir gemeinsam die Kathedrale betreten konnten. Doch überraschend hielt Papa mich zurück. „Spätzchen, dir ist doch klar, dass du das nicht zu tun brauchst.“ Ich sah ihn verwundert an. Wusste er etwa, dass ich Francesco nicht aus Liebe heiratete? Der besorgte Blick in seinen Augen ließ keinen Zweifel daran, dass Mama ihn eingeweiht haben musste. „Nur weil du ein Kind von diesem Mann erwartest, musst du noch lange nicht seine Frau werden. Ich habe Ingrid, die leibliche Mutter deines Bruders Sky auch geheiratet, weil ich es damals für meine Pflicht hielt. Aber es hat weder mir noch ihr und schon gar nicht deinem kleinen Bruder Gutes gebracht. Und auch mit deiner Tante werden wir fertig. Lass nicht zu, dass jemand anderes dein Leben bestimmt.“

 
   

Es war unbeschreiblich schön zu hören, dass mein Vater mich unterstützen würde, wie immer ich mich auch entschieden sollte. Aber ich war inzwischen schon zu weit gegangen, um noch einmal umkehren zu können. Und ich hatte viel Zeit gehabt, um nachzudenken. „Papa, ich werde Francesco heute heiraten. Ich habe mir das sehr gut überlegt. Ich glaube einfach, dass ich mit ihm und unserem Kind glücklich werden kann. Ich muss es zumindest versuchen. Alles andere würde ich mir ein Leben lang vorwerfen.“ Diese Antwort schien meinen Vater zufrieden zu stelle. Ich hakte mich bei ihm ein und Seite an Seite betraten wir das Gotteshaus.

 

Leona Lewis - Ave Maria

   
 

In der Vorhalle der Kathedrale wartete Alexis bereits auf mich. Sie befestigte einen langen Schleier an meiner Frisur und überreichte mir einen Blumenstrauß aus rosaroten Rosen. Nachdem sie sich versichert hatte, dass mein Kleid gut saß, betrat sie eilig das Längsschiff und nahm ihren Platz auf der Seite links des Altars ein. Dann ertönte die imposante Orgel. Ich atmete tief durch, hakte mich bei Papa unter und gemeinsam schritten wir durch das Portal. Ich spürte wie alle Blicke auf mich gerichtet waren. Meine Wangen glühten vor Nervosität und meine Knie fühlten sich an wie aus Gummi. Aber ich nahm all meine Selbstbeherrschung zusammen und schritt entschlossen auf den Altar zu.

 
     
 

Relativ weit hinten sitzend entdeckte ich meine ältere Schwester Kinga und ihren Mann Olek. Sie waren also tatsächlich gekommen. Diese Erkenntnis zauberte ein Lächeln auf meine Lippen. Und ich freute mich nicht nur für mich, sondern auch für meine Eltern. Für Mama, aber auch ganz besonders für Papa, der Kinga nun zum ersten Mal seit vielen Jahren wiedersehen würde. Mein Einmarsch wurde nicht nur von der Orgel, sondern auch gesanglich von Magda begleitet. Am liebsten hätte ich meine Cousine als meine Trauzeugin gesehen. Doch Lady Eleonore machte mir entschieden deutlich, dass Magda aufgrund ihres Rufes in der Stadt für diese Rolle gänzlich ungeeignet wäre. Doch es gelang mir immerhin, sie als Sängerin an meiner Seite zu haben. Und Magda war sehr zufrieden damit, dass sie ihre Stimme einem so großen und bedeutenden Publikum präsentieren durfte.

 
   
   

Begleitet von ihrem Ave Maria schritt ich auf den Altar zu. Ich wusste, dass ich damit mit jedem Schritt unausweichlich einer Ehe mit einem Mann näher kam, den ich nicht aus Liebe heiraten wollte. Und all meine Denkweisen und Erfahrungen sagten mir, dass das nicht richtig war. Aber ein Blick in die erwartungsvollen Gesichter meiner Familie ließ mich in meinem Entschluss nicht wanken. Mama sah aus, als ob sie sich wirklich für mich freuen würde. Es war keine überschwängliche Freude, die sie zur Schau stellte, aber ihr Gesichtsausdruck ließ erkennen, dass sie sich mit meinem Entschluss zu heiraten inzwischen angefreundet hatte. Ich vermutete, dass meine Schwangerschaft maßgeblich dazu beigetragen hatte. Jamie schien der Glücklichste von allen zu sein, vermutlich weil er nicht ahnte, wie es zu dieser Ehe gekommen war. Aber das zeigt mir doch, dass ich für Außenstehende offensichtlich eine hervorragende Wahl getroffen hatte und das ließ mich hoffen, dass ich keinen zu großen Fehler beging. Auch Tante Joanna, Onkel Tobias und mein Cousin Jakób, der jüngere Bruder von Magda, saßen dort. Und sogar Onkel Orion, der jünger Bruder meiner Mutter, und seine Frau, Tante Desdemona, hatten es nach Rodaklippa geschafft. Dies war keine Selbstverständlichkeit, den selbst zehn Jahre nach Kriegsende war es schwierig eine Ausreisegenehmigung aus der früheren Sierra Simlone, der heutigen Sierra Simnistria, zu erhalten.

   
   
 

Von den Mitgliedern meiner Familie schweifte mein Blick hinüber zum Altar. Und dort stand er, Francesco, der Vater meines ungeborenen Kindes und mein zukünftiger Ehemann. In seinem schwarzen Smoking sah er noch besser aus als sonst. Was auch immer ich von Francesco halten sollte, man konnte meiner Tante nicht vorwerfen, dass sie mir einen unansehnlichen Mann ausgesucht hätte. Natürlich war Aussehen nicht das Wichtigste, aber ich hatte am eigenen Leib erlebt, dass ein schönes Äußeres einige Dinge vereinfachte. Und ich mochte sein Aussehen, ich mochte es wirklich sehr. Vielleicht liebte ich es sogar. Und wenn ich erst sein Aussehen liebte, dann würde ich vielleicht auch ihn bald lieben. Und wenn ich ihn erst liebte, dass musste auch er anfangen mich zu lieben. Anders konnte es gar nicht sein.

     
 

Gleich hinter Francesco stand mein kleiner Bruder Sky, der mein Trauzeuge sein würde. Er lächelte mir breit zu, als ich mich nährte. Und das gab mir die Gewissheit, dass alles gut werden würde. Auch Francesco lächelte…nun ja, soweit man bei ihm jemals von einem Lächeln sprechen konnte. Als Papa und ich  fast bei ihm waren, streckte er seine Hand aus, um meine in Empfang zu nehmen. Papa streichelte zärtlich über meinen Handrücken und legte dann meine Hand in die von Francesco. „Lass mir niemals zu Ohren kommen, dass mein kleines Mädchen unglücklich ist“, sprach mein Vater eine deutliche Warnung aus. Doch Francesco blieb davon unbeeindruckt. „Sie wird immer gut versorgt sein“, erwiderte er gelassen. Das war nicht die Antwort, die Papa zu hören gehofft hatte. Aber er beließ es dabei. Was blieb ihm auch anderes übrig? „Ich hoffe, du wirst sehr glücklich, mein Spätzchen“, sagte er daher an mich gewandt, hauchte einen Kuss auf meine Wange und nahm auf einer Bank neben meiner Mutter Platz.

   
   
 

Hinter dem Altar stand der Bischof von Rodaklippa, gekleidet in ein grünes Prachtgewand und mit der Mitra auf dem Kopf. Ich hatte schon einige Weihnachts- und Ostermessen mit ihm gefeiert und er hatte immer einen sympathischen Eindruck auf mich gemacht. Es hielt eine überzeugende Predigt und führte gekonnt durch die Liturgie. Schließlich wurden Francesco und ich dazu aufgefordert uns vor dem Altar niederzuknien und empfingen den Segen des Bischofs.

 
     
 

Ein kleiner Junge, der Sohn von Lord und Lady Sanftmuth von Lugenlund, brachte die Ringe herbei, die nun ebenfalls vom Bischof gesegnet wurden. Der Baron von Simskelad hatte sich herzlich für unsere Einladung bedankt, sah sich aber außer Stande zu kommen. Dafür waren aber neben den Sanftmuths noch die Lords und Ladys Forstwacht von Djupenskog und Lachsigton von Mörksjön, zwei weiterer benachbarter Lordschaften Rodaklippas der Einladung gefolgt. Sie alle saßen auf der linken Seite der Kathedrale bei Francescos Mutter. Und dann war der Moment gekommen. Aus verständlichen Gründen hatten wir beschlossen, auch eigene Gelübde zu verzichten. Das war eine der wenigen Entscheidungen, bei der ich Lady Eleonore aus vollem Herzen hatte zustimmen können. Daher stellte der Bischof die alt hergebrachten Fragen.

 

 

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kor. 08.02.2015