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„Klaudia Virginia Blech, willst du den hier anwesenden Wilhelm Francesco Hartfels zu deinem Mann nehmen, ihn lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet, so antworte ‚Ich will‘“. Meine Stimme bebte. Immerhin musste ich vor Gott versprechen, diesen Mann mein Leben lang zu lieben. In diesem Moment kam ich mir wie niemals zuvor wie eine Heuchlerin vor. Aber ich sagte dennoch „Ich will“ und Francesco streifte mir meinen Ehering über. |
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„Und willst du, Wilhelm Francesco Hartfels“, setzte der Bischof nach einer kurzen Pause fort, „die hier anwesende Klaudia Virginia Blech zu deiner Frau nehmen, sie lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet so antworte ebenfalls mit ‚Ich will‘“. „Ich will“, antwortete Francesco im Gegensatz zu mir mit fester Stimme. Mit zittriger Hand nahm ich seinen Ring von dem Kissen, welches der kleine Junge bereit hielt, und steckte ihn Francesco an den Finger. |
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Der Bischof war zufrieden mit dem Verlauf der Zeremonie. Im Hintergrund ertönte bereits die Orgel als er sprach: „Im Namen Gottes und seiner Kirche bestätige ich den Ehebund, den ihr soeben geschlossen haben. Was Gott zusammengeführt hat, darf der Mensch nicht trennen. Ihr dürft euch nun küssen.“ Francesco legte seine Arme um mich und zog mich zu sich heran. Und als seine Lippen die meinen berührten, passierte etwas mit mir. Dieser Kuss war so anders als all die, die wir zuvor ausgetauscht hatten. Ich wusste nicht, ob der liebe Gott seine Hände im Spiel hatte, aber ich spürte ein herrliches Kribbeln im ganzen Körper. War das etwa…könnte es sein? Könnte es sein, dass ich wirklich begann Francesco zu lieben? |
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Ich hörte ein Seufzen durch den Kirchenbau gehen. Magda könnte ihre Tränen der Rührung nicht länger unterdrücken und heulte laut auf. Aber wer weiß, vielleicht waren es auch Tränen des Neids, da ich, ihr dicke, hässliche Cousine vor ihr einen Ehemann abbekommen hatte? Und dann auch noch einen Lord! Bei Magda konnte man nie wissen. Bei Papas Tränen zweifelte ich keine Sekunde, welchen Ursprung sie hatten. Er freute sich einfach für mich. Bei Mamas Tränen war ich mir nicht sicher. Waren es wirklich Freudentränen, oder trauerte sie doch, weil ich mich, wie schon sie vor mir, in eine Ehe ohne Liebe gestürzt hatte? Tante Joanna wirkte in jedem Fall höhst zufrieden, weil ihr Plan so gut aufgegangen war. Meinen Cousin schien die ganze Sache eher zu langweilen. Aber Onkel Orion freute sich ehrlich für mich und wurde darin nur noch von Jamie übertroffen, der selig grinste. |
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Unter lautem Orgelgetöse zogen wir aus der Kathedrale aus. Bevor Lady Eleonore etwas dagegen unternehmen könnte, stürzten sich schon meine Eltern, meine Familie und meine Freunde auf Francesco und mich, um uns mit Glückwünschen zu überhäufen. Aus dem Augenwinkel sah ich deutlich, wie vor Ärger eine Ader auf der Stirn meiner Schwiegermutter…ich hatte jetzt tatsächlich eine Schwiegermutter…hervortrat. Eine solch öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen war eindeutig nicht standesgemäß. Aber sie konnte sie jetzt nicht mehr verhindern, ohne ihr Gesicht noch weiter zu verlieren. Also machte sie gute Miene zum bösen Spiel. |
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In schwarzen Reisebusen mit getönten Scheiben wurde die gesamte Hochzeitsgesellschaft in das etwa zehn Kilometer von Rodaklippa entfernte Schloss Utökad gefahren. Als wir ankamen, setzte bereits die Dämmerung ein. Es war ein schönes altes Schloss, welches aber nur noch als Museum fungierte und von der Familie von Zeit zu Zeit für wichtige Empfänge genutzt wurde. Bei unserer Ankunft wurden wir mit einem Sektempfang begrüßt. Das war auch der Moment für Sky seinen Pflichten als Trauzeuge nachzukommen und eine Rede auf Francesco und mich zu halten. Und er meisterte diese Aufgabe mit Bravour. Ich war richtig stolz auf mein kleines Brüderchen. |
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Nach der Rede hatte ich endlich etwas Zeit, mich meinen Gästen zu widmen. Ich war sehr froh, dass Onkel Orion es geschafft hatte zu kommen. Seit unserer Flucht aus der Sierra Simlone hatte ich nur wenige Gelegenheiten gehabt, Mamas jüngeren Bruder zu sehen. Und es tat gut, wieder Neuigkeiten aus der alten Heimat zu hören und zu erfahren, wie es den alten Freunden und auch Verwandten erging, da der Kontakt aufgrund der angespannten politischen Situation nach wie vor schwierig, wenn nicht gar unmöglich war. |
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Nach dem Sektempfang nahmen unsere Gäste an der U-förmigen Tafel Platz. Die Tische waren mit weißen Damast-Tischtüchern ausgelegt und mit aufwändigen Rosengestecken, Rosenblättern und vielen Kerzen dekoriert. Das zahlreiche Besteck ließ schon erahnen, dass es mehrere Gänge geben würde. Das Menü wurde direkt am Tisch serviert, sobald sich alle Gäste gesetzt hatten. Nach einer kräftigen klaren Brühe und einem Chicoreesalat mit Steinpilzen folgte dann der Hauptgang: Kapaun mit Wirsing und Trüffeln. Ungelogen, ich hatte in meinem Leben noch nie so etwas Leckeres gegessen. |
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Unseren adeligen Gästen wurden Plätze an der Tafel zugewiesen, die ihrer Stellung angemessen waren. Außerdem hatte meine Schwiegermutter sie so alle in Gesprächsweite und konnte das Angenehme gleich mit dem Nützlichen verbinden und die politischen Verbindungen festigen. Die übrigen Gäste hatten hingehen freie Platzwahl. Papa und Kinga wählten Plätze dich beisammen um die Möglichkeit zu einem ruhigen Gespräch zu bekommen. Und bei der Gelegenheit lernte Kinga auch endlich ihren Stiefbruder Sky kennen, den sie bislang nur als Baby einmal kurz zu Gesicht bekommen hatte. Mama entschied sich ganz bewusst dafür, abseits von den dreien zu sitzen. Trotz der Aussprache mit meiner Schwester war ihr Verhältnis weiterhin angespannt und sie wollte der Aussöhnung zwischen Papa und Kinga nicht noch zusätzliche Steine in den Weg legen. Stattdessen saß sie bei ihrem Bruder Orion und seiner Frau Desdemona und saugte begierig alle Neuigkeiten aus der Sierra Simlone auf. |
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Polonaise
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Nach dem Essen wurde es Zeit, den Tanz zu eröffnen. Um dem Schauplatz und Francescos…und nun auch meiner…sozialen Stellung gerecht zu werden, geschah dies in Form einer Polonaise. Nicht nur konnte bei diesem Schreittanz jeder mitmachen, nein, man kam auch mehrere Male an jedem der Tanzenden vorbei und war so in der Lage selbst bei einer noch so großen Gesellschaft jeden Gast persönlich zu begrüßen. |
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Für die musikalische Untermalung des Abends sorgten wie bereits in der Kirche Magda, die nun auch ihr Können am Klavier unter Beweis stellen konnte, und der Organist, der aber genau so begabt am Kontrabass war. Je nach Lied begleiteten sie den Klang ihrer Instrumente zusätzlich gesanglich. |
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Patti Page - Moon River
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Nach der Polonaise erfolgte dann auch die klassische Eröffnung des Hochzeitstanzes in Form eines Langsamen Walzers. Zu den sanften Klängen von Moon River, gesungen von Magda, schwebten Francesco und ich über die Tanzfläche. Er war ein göttlicher Tänzer der selbst mich Tanzlegastheniker wie eine Elfe auf der Tanzfläche erschienen ließ. Wir hatten diesen Tanz in den letzten Wochen immer und immer wieder geprobt, aber niemals ist er uns so gut gelungen wie heute. Und niemals hatte ich mich so sicher und geborgen in Francescos Armen gefühlt. Diese simplen zwei Worte vorhin in der Kirche hatten irgendwie alles verändert…und das zum Besseren. |
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Als das Lied zu Ende war und das nächste erkläng, gesellten sich auch die übrigen Gäste zu uns auf die Tanzfläche. Erst unsere Trauzeugen, dann auch Lady Eleonore und meine Eltern und schließlich auch alle anderen. Doch ich hatte nur Augen für Francesco und wollte die Tanzfläche nie wieder verlassen. |
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Ganz ähnlich schien es auch meinen Eltern zu ergehen die eng umschlungen auf der Tanzfläche standen und sich gemächlich zum Takt der Musik wiegten. Die beiden sahen so glücklich aus. Dabei war ihre Ehe auch nicht ideal gestartet. Es hatte keine Liebe gegeben…zumindest nicht auf Seiten meiner Mutter. Und doch liebten sie sich inzwischen innig. Das gab mir die Zuversicht, dass es bei Francesco und mit ähnlich werden würde. Mit der Zeit würden wir auch unsere Liebe zueinander finden. Und ich fühlte genau, dass sich die Knospe der Liebe bereits zu öffnen begann. |
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Auch Magdas Eltern, Tante Joanna und Onkel Tobias, sahen immer noch frisch verliebt aus. Und in Sachen Tanzen konnte den beiden niemand das Wasser reichen. Mit ausgefallenen Figuren stellten sie ihr Können unter Beweis. Mama, Tante Joanna, Kinga…das Liebesglück schien eindeutig in unserer Familie zu liegen, warum sollte es da bei mir anders sein? Ich hatte einfach nur Starthilfe gebraucht um meine Schüchternheit zu überwinden. Jetzt, wo mir Tante Joanna bei diesem ersten und schwierigsten Schritt geholfen hatte, würde sich alles Weitere zum Guten wenden. Und zusammen mit unserem ungeborenen Kind würde mein Glück mit Francesco perfekt sein. |
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Pünktlich um Mitternacht wurde die Hochzeitstorte angeschnitten. Eigentlich sah sie ja viel zu schön aus, um sie zu essen, aber was sein musste, musste sein. Obwohl ich den Brauch eigentlich gut kannte, griff ich dennoch als erste zum Messer, was zur Folge hatte, dass meine Hand die untere auf dem Messer war. Dem Brauch folgend würde also Francesco das Sagen in unsere Ehe haben. Ganz unglücklich macht mich dies nicht, denn ich wusste ja nur zu gut, wie schwer mir manche Entscheidungen fielen. Ich war dankbar dafür, dass mir jemand diese Last in Zukunft abnahmen konnte. |
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Magda musste selbstverständlich nicht den ganzen Abend auf der Bühne stehen und singen. In ihren Pausen kam sie zu mir und gemeinsam hielten wir nach einem geeigneten Ehemann für meine Cousine Ausschau. Zu Magdas Leidwesen waren die anwesenden Lords alle bereits verheiratet und hatten ihr ledigen Brüder und Söhne Zuhause gelassen. Dann würde sie sich doch einen Mann aus dem einfachen Volk suchen müssen. Und der ein oder andere brauchbare Kandidat war sogar dabei. |
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Im späteren Verlauf des Abends ging es auf der Tanzfläche dann etwas lockerer zu. Walzer, Quickstepp und Slowfox wurden von moderneren Klängen abgelöst. Wobei „modern“ immer noch relativ war, denn es wurde hauptsächlich Rock’n’Roll gespielt, der in Lady Eleonores Augen sicherlich schon verrucht genug war. Meine Familie hatte dennoch ihren Spaß. Magda tanzte mit ihrer neusten Eroberung Mathew Glover-Pandora, Tante Joanna und Onkel Tobias hatten die Tanzfläche offenbar nicht für eine Sekunde verlassen, Jamie tanzte (und flirtete) mit Frida Appleby-Stardust und ich hatte mir Onkel Orion geschnappt. |
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Aber auch unser hochgeborenen Gäste waren dieser Art der Unterhaltung nicht abgeneigt, wie mein Bruder Sky bei seinem wilden Tänzchen mit Lady Graziella Forstwacht von Djupenskog unter Beweis stellte. Man, konnte die Dame ihre Hüften schwingen! Und auch die Geistlichkeit war gut in Schwung. Nachdem der Bischof sich den bisherigen Abend damit begnügt hatte den übrigen Gästen beim Tanzen nur zuzusehen, konnte ihn Mama schließlich doch noch dazu bewegen, ein Tänzchen zu wagen. |
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