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Teil 2:
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Zu ihrem zweiten Geburtstag konnte Pummelchen schließlich alleine das Töpfchen benutzen, laufen und soweit sprechen, dass man nicht mehr raten musste, was genau sie von einem wollte. Da sie mit ihren zwei Jahren noch keine Freunde hatte, wurden zum Geburtstag die Familie und unsere Freunde eingeladen. Den Anfang der Party verschlief Klaudia auch getrost. Dominik ging in seiner Rolle als Grillmeister voll auf und ich durfte mir mal wieder einen Vortrag von meiner Schwiegermutter anhören, dass es ja unmöglich sei, das ich mein Kind am Nachmittag schlafen ließ. Es sei so kein Wunder, dass sie nachts nicht durchschlafen würde. Bei ihr hätte es so etwas ja nicht gegeben.


"Und sie sind einer von diesen Homosexuellen, ja?", fragte Glinda dann Tristan. "Ich habe davon ja schon viel im Fernsehen gehört. Wie läuft das denn bei ihnen im Bett? Verkleiden sie sich dann als Frau oder macht das ihr Macker?" Tristan verschluckte sich fast an seinem Hotdog und ich konnte ihm nicht weiter helfen, als ihn entschuldigend anzublicken. Bis jetzt hat er sich um eine Begegnung mit meiner Schwiegermutter meist drücken können, doch heute gab es kein Entkommen für ihn.


Zum Glück entging wenigstens Frank, Tristans Freund, dem Überfall meiner Schwiegermutter. Während die zweite Ladung Hot Dogs vor sich hin brutzelte, vertrieb er sich die Zeit bei einer Runde Darts mit Roland. Brandi leistete den beiden Gesellschaft, wobei sie ihren Ordentlichkeitswahn nicht unterdrücken konnte und die Schachfiguren wieder ordentlich auf dem Brett anordnete. Ich fragte mich, wie sie es in dem Chaos aushalten würde, das entstand, wenn erst einmal ihr Baby mit Roland auf die Welt kam. Denn langsam aber sicher war ihr kleines Bäuchlein nicht mehr zu übersehen.


Pünktlich mit dem Sonnenuntergang wurde auch das Geburtstagskind wach. Glinda hatte ihrer kleinen Enkelin extra eine Torte gebacken. Warum sie sie aber mit vier Kerzen dekorierte, blieb mir ein Rätsel. Etwa für jedes halbe Jahr eine? Oder wollte sie einfach alle vier Kerzenfarben auf dem Kuchen haben? Ich holte die Kleine zum Kuchen und die übrigen Gäste bewaffneten sich mit Tröten und Luftschlangen, um das Geburtstagskind ordentlich zu bejubeln. Und Klaudia freute der ganze Trubel wahnsinnig und sie wusste gar nicht, wo sie überall hin gucken sollte.


Nur die Torte würdigte sie mit keinem Blick. Als ich mich rüberbeugte, um ihr beim Auspusten der Kerzen zu helfen, beobachtete sie lieber quietschend, wie Mama ihre Backen aufblies, anstatt die Kerzen zu bewundern. Bei vier Kerzen hatte ich Hilfe aber auch nicht wirklich nötig. Und da Klaudia noch zu klein war, um sich etwas zu wünschen, übernahm ich das für sie. Sie sollte in einer glücklichen, intakten Familie aufwachsen.


Die Gäste bedienten sich anschließend am Kuchen. Ich gab Klaudia auch ein Stück zum probieren, doch sie verzog das Gesicht und schob den Teller von sich. Ein wenig Schadenfreude stieg in mir auf, weil meine Tochter Glindas Kuchen verschmähte. Aber leider musste ich gestehen, dass der Kuchen wirklich ausgezeichnet war. Klaudia bekam auch einen Haufen Geschenke, wobei sie sich besonders in den Kistenclown verliebte. Dominik brauchte ihr nur einmal zu zeigen, wie sie den Clown aus der bunten Schachtel locken konnte und von da an war Klaudia fleißig am Kurbeln, quietschte laut, jedes Mal wenn der Clown heraussprang und knuddelte ihn dann bis zum Umfallen.


Wir Erwachsenen amüsierten uns auf ganz andere Weise. Im Wohnzimmer wurde die Stereo-Anlage laut aufgedreht und ausgelassen zur Musik getanzt. Ich weiß nicht mehr, wer das Stichwort "Schlambada" in den Raum warf, aber Augenblicklich wurde die CD gewechselt und der beliebte Partytanz aufgeführt.


Gegen Mitternacht verschwanden dann auch die letzten Gäste. Da man bei den in der Sierra Simlone herrschenden Temperaturen lieber nichts über Nacht liegen ließ, macht ich mich gleich ans Aufräumen, wobei ich dabei Unterstützung von Dominik erhielt. Die Mülltonne war sicher kein romantischer Ort, aber trotzdem spürte ich wieder, wie es zwischen mir und Dominik knisterte. Und Dominik fühlte genau das gleiche. "Wie wäre es, wenn mir diesen Abend noch auf eine ganz andere Art und Weise ausklingen lassen?", fragte er mich. Dabei schmiegte er sich von hinten an meinen Rücken und seine Hände wanderten langsam hinauf zu meinem Busen. Ich stöhnte erregt. Liebend gerne wäre ich jetzt mit ihm ins Bett gegangen, aber weder Kinga, noch Klaudia schliefen schon.


"Wir müssen es ja nicht unbedingt im Schlafzimmer treiben", wischte Dominik meinen Einwand beiseite und schob mich hinüber zu unserem Auto. Ich sah ihn ungläubig an. Wollte er etwa, dass wir im Wagen miteinander schliefen. Ein aufgeregtes Kribbeln breitete sich in meinem Magen aus. Ich schaute mich kurz um und stellte fest, dass das Auto in der Dunkelheit kaum zu sehen war. Also ließ ich mich darauf ein. Als ich wieder aufwachte, lag ich nackt, eingekuschelt in Dominiks Arm und der rosafarbene Himmel über der Wüste kündigte bereits den nächsten Morgen an.

 

 


Mein Leben verlief wunderbar, so, wie ich es mir immer erträumt hatte. Ich hatte zwei wundervolle Kinder. Ich liebe Klaudia abgöttisch und zu Kinga fand ich mehr und mehr Zugang. Ich empfand sie schon lange nicht mehr als das sichtbare Zeichen meiner Sünde. Vielmehr hatte ich durch sie die Gelegenheit, meinen Fehler von damals zu korrigieren, indem ich alles Erdenkliche tat, um ihr den Start ins eigenständige Leben zu erleichtern und sie zu einer aufrechten Christin zu erziehen. Und ich hatte einen Mann, der mich liebte, und den auch ich über alles liebte.
Und trotzdem wachte ich beinah jede Nacht Schweiß gebadet auf. Nachts, wenn ich schlief, war alles wieder da, all die Schmerzen, die Qualen, die Todesängste die ich in Giovannis Verlies verspürt hatte.


Ich hielt das ganze nur aus, weil ich meine Familie hatte, weil Dominik da war und mich beschützen würde. In solchen Momenten der blanken Angst schmiegte ich mich ganz fest an seinen Körper. Ich spürte seine Stärke und wusste, dass mir nichts Schlimmes passieren konnte, wenn er nur bei mir war. Ich hasste es, nachts nicht mehr schlafen zu können. Aber auf eine seltsame Art war ich auch dankbar. Hätte ich diese Hölle nicht durchlebt, hätte ich womöglich nie erfahren, wie sehr ich Dominik doch liebte.


Dominik gab mir Kraft, die Erinnerung an meine Schmerzen und meine Angst zu ertragen. In seiner Nähe konnte ich meine eignen Qualen vergessen. Was ich nicht konnte, war es Giovannis entsetzten Gesichtsausdruck, als die Kugel ihn traf, aus meinem Gedächnis zu verbannen. Ich hatte einen Menschen getötet. Durch meine Hand wurde ein anderes Leben ausgelöscht. Immer wieder versuchte ich mir einzureden, dass es Notwehr war. Hätte ich nicht Giovanni erschossen, dann hätte er mich umgebracht. Aber es war nur ein geringer Trost. Fast täglich ging ich hinüber ins Kloster des heiligen Ansbald und betete zur Gottesmutter Maria. Nicht um Gnade für meine unverzeihliche Tat, sondern für die Kraft, mit dieser Sünde weiter zu leben.


Ich wusste nicht, ob die Gottesmutter mich erhörte. Doch ich musste weiter beten. Welche andere Möglichkeit blieb mir denn sonst? Meistens konnte ich nur wenige Augenblicke im Kloster verweilen, an anderen Tagen wiederum verbrachte ich Stunden in der Stille der Kapelle. Hin und wieder gesellte sich Schwester Martha zu mir und sand ein eigenes stummes Gebet an die Gottesmutter. Ich wusste es nicht, aber sie betete für mich. Sie betete, dass ich endlich die Ruhe fand, nach der ich so intensiv in meinem Glauben suchte.


Aber sie fragte nie, was mich bedrückte. Sie wusste, dass jeder Mensch sein eigens Kreuz zu tragen hatte und sie vertraute darauf, dass Gott den Menschen die nötige Stärke gab, es zu ertragen. "Verzeiht Gott uns jede Sünde, Sw. Martha?", fragte ich sie, als mir schweigend im Innenhof spazierten. "Gott ist ein liebender Vater, Oxana, und wir sind seien Kinder. Und wie ein Vater seinem Kind jeden Fehler verzeiht, verzeiht Gott uns auch unsere Fehler. Vielleicht ist er enttäuscht von uns, aber er würde uns niemals fallen lassen. Darauf musst du immer vertrauen, Oxana". Ich versuchte es. Ich versuchte es wirklich, aber es war nicht leicht.


Sw. Martha hat von Gott als Vater gesprochen. Bei diesen Worten kehrte plötzlich eine Erinnerung an einen Engel zurück, der mir half aus Giovannis Gewalt zu entfliehen. Ich hatte es vollkommen verdrängt, aber in meiner Erinnerung hatte dieser Engel die Stimme und das Gesicht meines Dads gehabt. Ich wusste, dass es nicht möglich war, Dad war tot, aber ich hätte schwören können, dass er in dieses Verlies gekommen ist, um mich zu befreien. Ich hatte Dads Grab nicht ein einziges Mal besucht, so tief reichte meine Wut auf ihn. Unterbewusst lief ich vom Kloster direkt auf den Friedhof von Sierra Simlone Stadt. Sw. Martha hatte davon gesprochen, dass ein Vater seinem Kind alles verzeihe. Vielleicht mussten Kinder ihren Vätern auch verzeihen? Vielleicht war es nach all diesen Jahren an der Zeit, Dad zu vergeben? Ja, er hatte Fehler begangen, aber jeder Mensch beging Fehler. Wer wusste das besser als ich?

 

 


Es wurde leichter mit der Zeit. Mit jedem Tag, jeder Woche, jedem Monat, jedem Jahr wurde es ein Stück leichter. Jedes Mal nur ein winziges Stück, aber die Erinnerung an all die Schmerzen und Ängste verblasste und die Albträume wurden seltener, bis sie auch nur noch wie eine Erinnerung schienen. Das einzige, was blieb, war die Angst vor mir selbst, dass ich in der Lage war, jemanden zu töten. Aber vielleicht war es auch gut so, dass sich dieses Gefühl nicht unterdrücken lies. Es zeigte, dass für mich ein Leben den höchsten Stellenwert hatte. Selbst das Leben eines Mannes, der mit entführt und gequält hatte.


"Mami, hör auf so viel nachzudenken! So macht das Spiel doch überhaupt keinen Spaß". Klaudia blickte mich empört an. "Schon gut, Pummelchen, Mami konzentriert sich wieder ganz auf das Spiel", entschuldigte ich mich lächelnd. "Du sollst mich doch nicht Pummelchen nennen, Mami!". Klaudia verzog ihr Gesicht und ich entschuldigte mich schnell bei ihr. Mein kleiner Schatz hatte seinen Babyspeck noch immer nicht runter und war deshalb etwas empfindlich, wenn man sie, Pummelchen nannte. Der einzige, der es weiterhin durfte, war Dominik, aber auch nur, wenn niemand sonst zuhörte.


"Mama, denkst du auch an die Torte? Constance und die anderen Mädchen kommen gleich und ich hab Angst, dass dann noch nicht alles fertig ist". Kinga klang wirklich besorgt und nervös. Ich konnte es gut nachvollziehen. Immerhin war heute ihr vierzehnter Geburtstag und es war die erste Party, die sie für ihre Freundinnen gab. Da sollte nichts schief gehen. "Keine Sorge, Kinga", beruhigte ich sie. "Es ist alles vorbereitet. Ich muss den Kuchen nur noch in den Backofen schieben, damit er auch schon frisch ist, wenn deine Freundinnen kommen".


Bevor die Gäste eintrafen, kontrollierte Kinga noch einmal, ob auch wirklich alles in Ordnung war. Die riesige Plastikannanas war mit einer leckern Fruchtbowle gefüllt und ihr Papa hatte auch die versprochenen Böller besorgt. Dank der CD, die sie sich von ihrer Freundin Marissa geborgt hatte, war auch für Musik gesorgt. und wenn jetzt auch noch die Nervensäge von kleiner Schwester verschwinden würde, wäre alles perfekt.

 

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