Teil 1: 1 2 3 4 5 6 7 8
Teil 2:
1 2 3 4 5 6 7 R

 


Nach Stunden des Trainings ging ich erschöpft aber zufrieden nach Hause. Als ich die Tür öffnete fand ich Dominik und Klaudia spielend auf dem Wohnzimmerboden. Irgendwas schien unserem Pummelchen mal wieder nicht zu passen und sie protestierte lautstark. „Habt ihr schon gegessen, Dominik?“, fragte ich beiläufig nachdem ich meine Sporttasche in einer Ecke verstaut hatte und Dominik einen Kuss gab. „Nee, noch nicht“, antwortete der, ohne aufzublicken, immer noch in das Spiel mit Klaudia vertieft.


Also ging ich in die Küche und bereitet meinem Ehemann und meiner Tochter das Abendessen zu. Dominik setzte Klaudia in den Hochsitz und die Kleine wehrte sich zunächst, als ob der Hochsitz ein furchtbares Gefängnis wäre. "Dada, hier", rief sie immer wieder und versuchte sich an Dominiks T-Shirt fest zu klammern.


Doch als er ihr ihren Brei gab, kehrte Ruhe ein. Klaudia matschte mit dem Finger in dem Schüsselchen herum und verteilte das Essen mehr auf sich und dem Stuhl, als das sie aß, aber immerhin war sie beschäftigt.


So konnten Dominik und ich selbst in Ruhe essen. „Ich wollte heute mit ein paar Kollegen raus. Ist das in Ordnung für dich?“. „Ja“, antwortete ich gleich. „Ich wünsche Euch schon mal viel Spaß“. Seit unserer Hochzeit hatte Dominik das Bedürfnis entwickelt, mich um Erlaubnis zu fragen, wenn er ausgehen wollte. Ich hatte ihm zwar schon öfter gesagt, dass er machen könne, was er wolle, doch es änderte nichts an seinem Verhalten.

 

 


Als ich Klaudia gegen sieben ins Bett brachte, war Dominik bereits außer Hause. Und auch Tristan war nicht da. Er war bei Frank…glaubte ich. Und Kinga übernachtete heute bei Constance. Das hieß, ich hatte den ganzen Abend für mich. Klaudia streckte zwar ihre kleinen Händchen nach mir aus, als ich sie in ihr Bettchen legte, aber als die leise Musik des Mobiles über ihr ertönte, fielen ihre Augen wie ganz von selbst zu und sie glitt rasch in das Reich der Träume hinüber.


Auf Zehnspitzen schlich ich mich in das Arbeitszimmer. Ich hatte mir schon ein gutes Buch und meine Lieblings-CD rausgesucht und ein paar Duftkerzen aufgestellt. Mit dem Roman in der Hand ließ ich mich in den weichen Sessel plumpsen und Schlug das Buch auf der Seite auf, die mit einem Lesezeichen markiert war. Ich wollte unbedingt wissen, ob der Zauberer Raistlin wirklich die Dunkle Königin, die Göttin des Bösen, herausfordern würde.


Ich war schon in meinen Roman versunken, als die Türklingel mich wieder in die Realität zurück riss. Ich fragte mich, wer denn da klingeln konnte. Dominik und Tristan hatten einen Schlüssel und Besuch hatte sich eigentlich nicht angekündigt. Ich war nicht wenig erstaunt, als ich die Tür öffnete und in das lachende Gesicht meiner Schwester blickte. „Joanna, was machst du den hier? Du hättest doch was sagen können, dann hätte dich jemand vom Flughafen abgeholt“. Ich bat meine Schwester ins Haus und schloss sie in den Arm. „Keine Sorge, Xana“, erwiderte sie, „das mit dem Flughafen war kein Problem. Mein Privatjet ist auf dem alten Flugplatz hier in Sierra Simlone Stadt gelandet. Ich musste also nicht weit fahren“.


Privatjet, alles klar. Ich wollte schon anfangen zu lachen, als ich bemerkte, dass meine Schwester keineswegs einen Scherz gemacht hatte. „Privatjet?!“, fragte ich deshalb ungläubig. „Wo um Gottes Willen hast du denn einen Privatjet her? Bei deiner Arbeit wirst du doch wohl kaum so viel Geld verdienen, ganz abgesehen davon, dass du gar keine Privatjet brauchst“. Joanna arbeitete bei der SimAir. Sie hatte dort als Flugbegleiterin angefangen, inzwischen kümmerte sie sich aber hauptsächlich um die Logistik im internationalen Flughafen von SimCity. Trotzdem war es undenkbar, dass ihr Gehalt einen Privatjet erlauben würde.


„Xana, setz dich bitte“, forderte sie mich auf. In meinem Magen breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Ich wusste, dass gleich eine Bombe platzen würde. Ich wollt es bloß noch nicht wahr haben. Wir gingen also hinüber zur Sitzgruppe im Esszimmer. Ich nahm Platz, so wie sie es gewollt hatte und schaute sie erwartungsvoll an. „Ich arbeite nicht für die SimAir, Xana. Ich kümmere mich weder um die Logistik am Flughafen, noch war ich jemals Flugbegleiterin.“ „Aber du bist doch ständig geflogen“, protestierte ich. „Wie kann das sein?“. Meine Verwirrung stand mir ins Gesicht geschrieben. Es gab doch so viel Fotos von ihr in der Uniform. Ich selbst bin schon mit meiner Schwester geflogen!


„Dieser ganze Job ist nur eine Tarnung, Xana. Ja, es stimmt, ich war Flugbegleiterin. Aber das war nie meine eigentlich Aufgabe.“ „Was dann?“, flüsterte ich obwohl ich schon jetzt Angst vor der Antwort hatte. „Ich arbeite für eine Organisation, Xana. Es ist eine Organisation, die aus dem Untergrund arbeitet. Eine Organisation, die für den Untergrund arbeitet. Lass es mich so ausdrücken, Xana: Wenn jemand etwas will und bereit ist, dafür zu bezahlen, dann holen wir es ihm. Und manchmal wollen wir selber etwas haben, was jemand anderes nicht bereit ist heraus zu geben. In solch einem Fall holen wir es uns auch.“


„Du bist eine Diebin? Eine Verbrecherin?“, keuchte ich. Es war so unglaublich, dass ich es nicht fassen konnte. Meine eigene Schwester war eine Kriminelle! „So könnte man es auffassen, Xana. Aber ich erwarte nicht, dass du es verstehst“. „Warum erzählst du es mir dann? Gott, Jojo, warum konntest du nicht einfach schweigen und alles beim Alten belassen?“ „Weil ich deine Hilfe brauche, Xana. Deshalb!“


Meine Hilfe? Meine Schwester erzählte mir gerade, dass sie eine Verbrecherin war und erwartete auch noch Hilfe von mir. Ich konnte nicht mehr länger sitzen bleiben. Wenn sie nicht meine Schwester wäre, meine Zwillingsschwester, dann hätte ich umgehend die Polizei gerufen. Ich schüttelte entschieden denn Kopf. Ich würde ihr ganz sicher nicht helfen. „Ich versteh, dass es ein Schock für dich sein muss, Xana. Aber du musst mir helfen. Ich verlange es von dir und ein Nein werde ich nicht gelten lassen“.


Langsam drehte ich mich um und sah sie ungläubig an. War diese Frau wirklich meine Schwester? Ich erkannte nichts von dem lebenslustigen, fröhlichen Mädchen, mit dem ich aufgewachsen war. Ihr Blick war so eindringlich, dass mir ein kalter Schauer den Rücken herunter lief. „Diese Organisation, Xana, das ist nicht irgendein belangloser Verein. Es ist ein Familienbetrieb. Und du gehörst auch zu dieser Familie, Xana. Du bist eine Brodlowska und als solche stehst du in deiner Pflicht. Unsere Großmutter, Justyna Brodlowska, hat diese Familienorganisation gegründet. Und Dad hat sie fortgeführt, genauso, wie ich es jetzt tue“.


Mir wurde schwindelig. Ich musste träumen, eine andere Erklärung gab es nicht. „Aber Dad hat doch für ein Transportunternehmen gearbeitet“, flüsterte ich heiser. „Und unsere Großmutter Justyna ist seit Jahren verschwunden. Das ist doch alles nicht möglich.“ „Es ist möglich, Xana. Hast du dich nie gewundert, warum Dad nachts ständig fort war? Warum sollte er für eine Transportfirma ausgerechnet mitten in der Nacht arbeiten. Nein, Xana, Dad war ein geschickter Schmuggler und ein raffinierter Einbrecher, der sich einen Namen in der Unterwelt von SimCity gemacht hat. Und unsere Großmutter Justyna, Dads Mutter, hat die ganze Zeit über ihn gewacht und ihn in die richtige Richtung gelenkt. Ich kann dir ihre Tagebücher zeigen, Xana. Sie hat alles aufgeschrieben“.


Ich wusste nicht warum, aber ich glaubte ihr. Auch wenn mir Joanna in diesem Moment wie eine Fremde erschien, so war sie meine Zwillingsschwester. Ich hätte es gespürt, wenn sie mich jetzt angelogen hätte. Trotzdem spürte ich, wie meien Beine nachzugeben drohten und setzte mich rasch wieder hin. „Ist Dad wirklich tot?“, schoss es aus mir heraus. Wenn alles, was ich über meine Familie zu wissen glaubte, eine Lüge war, dann war vielleicht Dad auch noch am Leben. „Nein, Xana, Dad ist tot“. Ich sah den Schmerz in Joannas Augen und wusste, dass sie nicht log. Sie hatte Dad immer bewundert und geliebt, etwas, was ich nie verstanden hatte. „“Er hat Paps Tod nie verkraftet. Und die Organisation hatte ihn überfordert. Nein, er ist tot. Genauso, wie unsere Großeltern Justyna und Don Carlos“.


„Dads Eltern sind tot?“. Ich war entsetzt. Großmutter Justyna hatte ich nie wirklich kennen gelernt, aber abuelo Carlos hatte ich in mein Herz geschlossen. Mit Tränen erinnerte ich mich daran, wie er meine Schwester und mich zu unserem 18. Geburtstag mit wunderschönen Kleidern überrascht hatte. Ich bekam ein Rotes und Joanna ein Weißes, beide im kubanischen Stil, dem Heimatland von abuelo Carlos. „Wie?“, hauchte ich. Joanna fiel es schwer weiter zu sprechen. Also war doch noch die Schwester in ihr, die ich einmal gekannt hatte.


Abuelo Carlos hat unsere Großmutter erschossen. Kurz danach hat er sich eine Kugel in den Kopf gejagt“. Ich sah meine Schwester entsetzt an. „Großmutter Justyna hatte zuvor versucht, Dad zu töten….dabei hatte sie aber mich statt ihm getroffen“. Noch während sie sprach hob Joanna ihr Oberteil und enthüllte mir eine Narbe an der Seite ihres Bauches.


„Das war an meinem Hochzeitstag, Xana. Kannst du dir vorstellen, was damals in mir vorging? Ich stand da in meinem weißen Kleid, mit einem Blutfleck, der immer größer wurde. Und vor mir lagen meine erschossenen Großeltern. Dad war nicht mehr in der Lage klar zu denken und Paps war vom Krebs schon zu geschwächt. Tante Ewa weinte bloß hysterisch. Also musste ich handeln. Ich musste die Leichen beseitigen und die Trauung durchziehen, als ob nichts gewesen wäre. An diesem Tag habe ich mich endgültig der Organisation angeschlossen, mit Herz und Seele. An diesem Tag erkannte ich zum ersten Mal, welche Verantwortung auf meinen Schultern lastete“. Ich war wie geschockt. Es war einfach zu viel für mich. Zu viele Informationen, die auf mich niederprasselten.


„Hör auf, Jojo! Hör auf!“ Ich sprang vom Sessel auf und hielt mir die Ohren zu. Es war alles zu schrecklich. Doch sie hörte nicht auf. „Du, Xana, unser Bruder Orion und ich, wir sind jetzt für die Organisation verantwortlich. Wir müssen dafür sorgen, dass sie stark und auf Kurs bleibt, dass sie weiterhin so geführt wird, wie unsere Großmutter, Donna Justyna, es gewollt hat“. „Nein, Jojo! Nein! Ich will nichts damit zu tun haben. Ich will nichts von dieser Organisation wissen“.

 

Teil 1: 1 2 3 4 5 6 7 8
Teil 2:
1 2 3 4 5 6 7 R