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Im Gedränge des Flughafens von Samara verlor ich Joanna schnell
aus den Augen. Am Gepäckband wartete ich erst eine halbe
Ewigkeit auf mein Gepäck, bis mir einfiel, dass ich ja nach
Joannas Koffer Ausschau halten musste. Und als auch diese Hürde
genommen war, verließ ich Flughafengebäude, unsicher,
was mich jetzt erwarten würde. Mit Boris hatte ich nicht
gerechnet. Der rundliche Mann im schwarzen Augen und roter Nase,
die sicherlich vom zu vielen Wodka stammt, empfing mich überschwänglich,
sobald ich die Tür durchschritten hatte. Ich wusste nicht,
ob ihm bewusst war, dass ich nicht die war, die ich vorgab zu
sein. Doch das Spiele keine Rolle. Ich stieg also in den silbernen
Wagen und fuhr mit Boris davon.
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Der Himmel über Samara verfinsterte sich und es begann zu
regnen. Das Auto fuhr schnell durch die tristen Vororte der Stadt,
die mich stark an die Plattenbau-Siedlungen Warschaus erinnerten.
Nur die ungewohnte Schrift verriet, dass ich nicht in Polen war.
Schließlich hielt Boris vor einem stattlichen Gebäude
im historischen Stadtzentrum Samaras, dem Hotel Bristol-Zhiguly.
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Das Hotel war luxuriös. Schon von außen hatte die prächtige
Jugendstillfassade mich beeindruckt und im Inneren setze sich
dieser Eindruck fort. Der dunkelgrüne Marmorboden glänzte
und war mit edlen Teppichen bedeckt und die Wände waren mit
poliertem Edelholz vertäfelt. Ein flüchtiger Blick in
das angegliederte Restaurant verriet mir, dass dieses Hotel durchaus
beliebt zu sein schien. Und der Service war ausgezeichnet, denn
ich hatte kaum die Empfangshalle betreten, als auch schon ein
Angestellter des Hotels auf mich zukam, mir einen Tee anbot und
sich umgehend um mein Gepäck kümmerte. Er sprach mich
direkt als Frau Brodlowska an. Scheinbar kehrte Joanna öfters
in diesem Hotel ein.
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Ein Page führte mich in mein Zimmer. Ich war verwirrt, als
er neben der Tür stehen blieb und keine Anstalten machte
zu gehen, bis mir einfiel, dass er ein Trinkgeld erwartete. Anschließend
konnte ich mich ungestört in dem weitläufigen Zimmer
umsehen, welches deutlich heller gestaltet war, als die Empfangshalle,
aber nicht weniger edel. Ich öffnete den Koffer, der neben
dem großen Bett stand und den Joanna für mich vorbereitet
hatte. Neben einigen Kleidungsstücken, einer Pistole und
einem Handy befand sich dort auch ein Notebook. Ich versuchte
die Waffe zu ignorieren, aber mich ließ der Gedanke nicht
los, wie Joanna die Pistole unbemerkt in das Flugzeug bekommen
hatte. Das würde ich sie bei Gelegenheit fragen müssen.
Vorausgesetzt, ich würde je wieder ein Wort mit ihr wechseln.
Ich konnte immer noch nicht fassen, dass sie mich zu dieser ganzen
Aktion gezwungen hatte.
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Ich legte die Waffe beiseite und schaltete das Notebook ein. Natürlich
erwartete mich gleich das nächste Problem, denn es war mit
einem Passwort gesichert. Ein Tatsache, die Joanna mir verschwiegen
hatte. Doch ganz intuitiv probierte ich es mit dem Wort AINIGRIV
und erhielt umgehend Zugang. Dieses Passwort hatten meine Schwester
und ich als kleine Mädchen immer verwendet. Es war der Name
unserer Mutter rückwärts geschrieben.
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Auf dem Computer waren alle notwendigen Daten gespeichert, die
ich für die Erfüllung meines Auftrags brauchen würde.
Namen von verschiedenen Geschäftspartnern, Joannas bisherige
Treffen mit ihnen und eine detaillierte Beschreibung, was ich
zu tun hatte. Es war viel zu lesen und noch mehr zu merken. Aber
Joanna hatte mir sehr eindringlich zu verstehen gegeben, dass
ich mich gut vorbereiten musste. Andernfalls könnte dieses
Abenteuer, wie sie es nannte, ein böses Ende für mich
haben. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was genau sie damit
gemeint haben konnte.
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Plötzlich vibrieret das Handy, welches immer noch auf dem
Boden bei den übrigen Sachen lag, und ließ mich aufschrecken.
Ich ging schnell hinüber und hob ab. „Ich hoffe, du
bist gut angekommen, Xana“, begrüßte meine Schwester
mich. „Dieses Handy kann nicht abgehört werden, also
wirst du nur dieses benutzen. Du kannst mich auch nur über
dieses Handy erreichen. Drück dazu einfach die Zwei auf dem
Nummernblock. Wenn alles wie geplant läuft, wird das aber
nicht nötig sein. Dann kannst du schon morgen wieder bei
deinem geliebten Mann sein“. Ihre Stimme triefte vor Hohn,
aber ich ignorierte es einfach.
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„Im Koffer findest du ein Schmuckkästchen“. Ich
ging unverzüglich zu meinem Gepäck und fand die Schatulle.
„Im Anhänger der Kette befindet sich ein Mikrofon.
Du wirst die Kette heute Abend tragen, damit wir dein Treffen
mitverfolgen können. In den Ohrringen befindet sich ein Lautsprecher.
Boris, dein Cheufer von heute und einer meiner Männer hier
in Samara, kann auf diese Weise mit dir in Kontakt bleiben“.
Ich ging zur Frisierkommode des Hotelzimmers und legte die Ohringe
und die Kette an. Als ich mich so im Spiegel betrachtete, konnte
ich kaum glauben, dass darin neuste Spionagetechnik verbaut sein
sollte.
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Joanna gab mir noch ein paar letzte Anweisungen. Und kurz bevor
sie auflegte, sagte sie etwas, was mich sehr überraschte.
„Viel Glück, Schwesterherz. Ich würde dich nicht
hier mit hineinziehen, wenn es nicht nötig wäre“.
Sie klang aufrichtig und das verwirrte mich. Plötzlich klang
sie wieder wie meine Jojo, die Schwester, die ich von früher
kannte. Doch bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte,
klopfte Boris und betrat das Hotelzimmer, um mich für das
Treffen abzuholen. Es wurde also ernst.
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Boris fuhr mich an den Stadtrand von Samar, mitten in das Industriegebiet.
Der Wagen bog schließlich in eine enge Seitengasse und hielt
im Innenhof eines verlassenen Fabrikgebäudes. Boris stieg
aus, um mir die Tür zu öffnen. Unsicher kletterte ich
aus dem parkenden Wagen und blickte mich um. Dieser Ort war alles
andere als einladend und die spärliche Beleuchtung trug nicht
dazu bei, dass ich mich wohler fühlte. Warum musste ausgerechnet
dieser ungastliche Ort als Treffpunkt dienen? Hätte ein hübsches
Hotelzimmer es nicht auch getan?
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Boris ging voraus und führte mich durch die verlassenen Gänge
der ehemaligen Fabrik. Ich zuckte zusammen, als plötzlich
eine Ratte aus einem Müllhaufen heraus krabbelte und direkt
vor meinen Füßen entlanglief. Nur mit Mühe konnte
ich ein Kreischen unterdrücken. Ich durfte nicht so zimperlich
sein. Ich folgte Boris eine wacklige Treppe hinauf, bevor er vor
einer ramponierten Tür stehen blieb. Also hieß es tief
durchatmen. Jetzt würde alles davon abhängen, ob mein
Gegenüber mir meine Rolle als Donna Joanna Brodlowska abnahm.
Ich fuhr mir nervös ein letztes Mal mit den Fingern durch
die Haare und gab Boris ein Zeichen, mir die Tür zu öffnen.
Er durfte mich allerdings nicht in das innere Begleiten. Das musste
ich alleine durchstehen.
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„Ja s radostju oschidaju tschto bischu jich, Donna Joanna.“
Die Stimme gehört einem älteren Mann. Allerdings blendete
der Schein der Deckenlampe mich so sehr, dass ich sein Gesicht
kaum erkennen konnte. „Wy prjekrasny kak roza w utrennem
solnze“. Meine Atmung wurde schneller und ich bemühte
mich krampfhaft, Stärke zu demonstrieren. Aber es viel mir
nicht leicht. Und dass ich kein Wort Russisch verstand, machte
es nicht einfacher.
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Der alte Mann kam langsam auf mich zu, griff meine Hand und gab
mir einen feuchten Handkuss. „Er freut sich, Sie zu sehen
und er sagt, Sie seien schön wie eine Rose in der Morgensonne“.
Über den winzigen Lautsprecher in meinem Ohr hörte ich
Boris’ Stimme, die das Gesprochene eiligst für mich
übersetzte. „Spasiba, General Nabakov“.
Für ein „Danke“ reichte mein Russisch noch, aber
mehr war nicht drin. In letzter Sekunde half Boris mir aus und
sprach mir eine Erwiderung ins Ohr. „Otscharobatelno
kak wsserda“. Ich vermutete, dass ich sein Kompliment
erwiderte. So konnte das natürlich nicht weiter gehen. Ich
wusste, dass meine Schwester ein perfektes Russisch sprach und
der General würde selbst mit Boris Hilfe schnell erkennen,
dass ich nicht den blassesten Schimmer hatte, was ich überhaupt
sagte.
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Doch glücklicherweise lieferte mir General Nabakov die Rettende
Idee. „Wy goworite otscheni choroscho po russki“
sagte er anerkennend und Boris übersetzte, dass er mich für
mein ausgezeichnetes Russisch lobte.„Dzikuje bardzo.
Takze slyszalam, ze pan general mówi doskonalnie po polsku.
Jestem ciekawa, czy to prawda?“. Ich musste alles auf
diese Karte setzen. In den Unterlagen auf dem Laptop hatte ich
gelesen, dass General Nabarov zur Zeit des kalten Krieges Politikwissenschaften
an der Jagiellonen-Universität in Krakau studiert hatte.
Er musste also Polnisch sprechen. Also versuchte ich ihn dazu
zu bewegen, seine Polnischkenntnisse unter Beweis zu stellen,
indem ich vorgab, schon so viele anerkennende Worte darüber
gehört zu haben. Wenn ich diesen Mann richtig einschätzte,
würde er mir seine Sprachkenntnisse auch direkt vorführen.
Ich unterstützte diese Aufforderung mit einem verführerischen
Blick, allerdings kam ich mir dabei ziemlich unbeholfen vor.
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Aber General Nabakov merkte davon nichts und plusterte sich sichtlich
auf. Er antwortete in einem sehr guten, wenn auch nicht akzentfreien
Polnisch: „Es ist schon lange her, dass ich mit jemanden
Polnisch sprechen konnte. Ihre Großmutter, Donna Justyna,
hatte es sich einmal zur Angewohnheit gemacht. Sie meinte, dass
Russisch ihr Kopfschmerzen bereite. Eine Unverschämtheit,
so meine geliebte Muttersprache zu beleidigen. Aber einer solch
charmanten Frau wie Donna Justyna kann kein Mann lange böse
sein. Und wie ich sehe, hat ihre Enkelin diesen Charme von ihr
geerbt“. Ich atmete erleichtert auf. Das Spachproblem
war also überwunden.
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Aber das war nur der Anfang. Ich musste mit General Nabakov verhandeln.
Das hatte meine Schwester von mir verlangt. Es ging um die Aushändigung
von Geheimdienstakten, die „zufällig“ in Besitz
des Generals gekommen waren und die pikante Details über
das Privatleben einiger einflussreicher Politiker und Industrieller
in ganz Simropa enthielten. Und diese Akten wollte meine Schwester
haben. Zumindest sollte General Nabakov glauben, dass Donna Joanna
an diesen Akten interessiert war.
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Diese Geheimdienstakten waren zwar interessant, aber nebensächlich.
Joanna wusste, dass General Nabakov nicht nur diese Unterlagen
„zufällig“ in die Hände gefallen waren.
Was sie wirklich wollte, waren Baupläne, die der General
im Safe seiner Villa aufbewahrte. Ich wusste nicht, um was es
sich genau handelte. Und wahrscheinlich wollte ich es auch gar
nicht wissen. Doch Joanna hat durchblicken lassen, dass es um
eine neue Waffe ging, an der das russische Militär zurzeit
forschte. Und einer von Joannas Partnern war sehr interessiert
an dieser Plänen.
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Doch niemand durfte wissen, dass sie diejenige war, die diese
Pläne besorgte. General Nabakov war ein Mann, mit dem man
sich nicht anlegen sollte. Im Tschetschenien-Krieg hatte er den
Ruf erlangt, ein Mann ohne Gnade zu sein. Es gab hunderte Männer,
die seien Wut zu spüren bekommen hatten und viele hatten
sich gewünscht, dass die Kugel dieses Mannes sie sofort erwischt
hätte. Der Tod wäre ein Geschenk gewesen, im Vergleich
zu der Folter, die ihnen stattdessen bevorstand, wenn General
Nabakov sie erst einmal in die Hände bekommen hatte. Und
diese Wut wollte Joanna auf keinen Fall am eigenen Leibe zu spüren
bekommen.
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Und hier kam ich ins Spiel. Ich sollte General Nabakov ablenken.
Niemand in der Unterwelt wusste, dass Donna Joanna eine Zwillingsschwester
hatte. Meine Großmutter, Donna Justyna, hatte im Voraus
denkend dafür gesorgt, dass dieses Geheimnis wohl behütet
blieb. Und jetzt konnte Joanna diese Trumpfkarte ausspielen. Während
ich bei Nabakov saß, ihm Honig ums Maul schmierte und um
einen angemessenen Preis für die Geheimdienstunterlagen feilschte,
brach meine Schwester in des Anwesen von Nabakov ein, um die Baupläne
für die neue Waffe der Russen zu stehlen. Am Ende würde
niemand den leisesten Verdacht hegen, dass Donna Joanna irgendetwas
mit diesem Diebstahl zu tun haben könnte.
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