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Teil 2:
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Im Gedränge des Flughafens von Samara verlor ich Joanna schnell aus den Augen. Am Gepäckband wartete ich erst eine halbe Ewigkeit auf mein Gepäck, bis mir einfiel, dass ich ja nach Joannas Koffer Ausschau halten musste. Und als auch diese Hürde genommen war, verließ ich Flughafengebäude, unsicher, was mich jetzt erwarten würde. Mit Boris hatte ich nicht gerechnet. Der rundliche Mann im schwarzen Augen und roter Nase, die sicherlich vom zu vielen Wodka stammt, empfing mich überschwänglich, sobald ich die Tür durchschritten hatte. Ich wusste nicht, ob ihm bewusst war, dass ich nicht die war, die ich vorgab zu sein. Doch das Spiele keine Rolle. Ich stieg also in den silbernen Wagen und fuhr mit Boris davon.


Der Himmel über Samara verfinsterte sich und es begann zu regnen. Das Auto fuhr schnell durch die tristen Vororte der Stadt, die mich stark an die Plattenbau-Siedlungen Warschaus erinnerten. Nur die ungewohnte Schrift verriet, dass ich nicht in Polen war. Schließlich hielt Boris vor einem stattlichen Gebäude im historischen Stadtzentrum Samaras, dem Hotel Bristol-Zhiguly.


Das Hotel war luxuriös. Schon von außen hatte die prächtige Jugendstillfassade mich beeindruckt und im Inneren setze sich dieser Eindruck fort. Der dunkelgrüne Marmorboden glänzte und war mit edlen Teppichen bedeckt und die Wände waren mit poliertem Edelholz vertäfelt. Ein flüchtiger Blick in das angegliederte Restaurant verriet mir, dass dieses Hotel durchaus beliebt zu sein schien. Und der Service war ausgezeichnet, denn ich hatte kaum die Empfangshalle betreten, als auch schon ein Angestellter des Hotels auf mich zukam, mir einen Tee anbot und sich umgehend um mein Gepäck kümmerte. Er sprach mich direkt als Frau Brodlowska an. Scheinbar kehrte Joanna öfters in diesem Hotel ein.


Ein Page führte mich in mein Zimmer. Ich war verwirrt, als er neben der Tür stehen blieb und keine Anstalten machte zu gehen, bis mir einfiel, dass er ein Trinkgeld erwartete. Anschließend konnte ich mich ungestört in dem weitläufigen Zimmer umsehen, welches deutlich heller gestaltet war, als die Empfangshalle, aber nicht weniger edel. Ich öffnete den Koffer, der neben dem großen Bett stand und den Joanna für mich vorbereitet hatte. Neben einigen Kleidungsstücken, einer Pistole und einem Handy befand sich dort auch ein Notebook. Ich versuchte die Waffe zu ignorieren, aber mich ließ der Gedanke nicht los, wie Joanna die Pistole unbemerkt in das Flugzeug bekommen hatte. Das würde ich sie bei Gelegenheit fragen müssen. Vorausgesetzt, ich würde je wieder ein Wort mit ihr wechseln. Ich konnte immer noch nicht fassen, dass sie mich zu dieser ganzen Aktion gezwungen hatte.


Ich legte die Waffe beiseite und schaltete das Notebook ein. Natürlich erwartete mich gleich das nächste Problem, denn es war mit einem Passwort gesichert. Ein Tatsache, die Joanna mir verschwiegen hatte. Doch ganz intuitiv probierte ich es mit dem Wort AINIGRIV und erhielt umgehend Zugang. Dieses Passwort hatten meine Schwester und ich als kleine Mädchen immer verwendet. Es war der Name unserer Mutter rückwärts geschrieben.


Auf dem Computer waren alle notwendigen Daten gespeichert, die ich für die Erfüllung meines Auftrags brauchen würde. Namen von verschiedenen Geschäftspartnern, Joannas bisherige Treffen mit ihnen und eine detaillierte Beschreibung, was ich zu tun hatte. Es war viel zu lesen und noch mehr zu merken. Aber Joanna hatte mir sehr eindringlich zu verstehen gegeben, dass ich mich gut vorbereiten musste. Andernfalls könnte dieses Abenteuer, wie sie es nannte, ein böses Ende für mich haben. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was genau sie damit gemeint haben konnte.


Plötzlich vibrieret das Handy, welches immer noch auf dem Boden bei den übrigen Sachen lag, und ließ mich aufschrecken. Ich ging schnell hinüber und hob ab. „Ich hoffe, du bist gut angekommen, Xana“, begrüßte meine Schwester mich. „Dieses Handy kann nicht abgehört werden, also wirst du nur dieses benutzen. Du kannst mich auch nur über dieses Handy erreichen. Drück dazu einfach die Zwei auf dem Nummernblock. Wenn alles wie geplant läuft, wird das aber nicht nötig sein. Dann kannst du schon morgen wieder bei deinem geliebten Mann sein“. Ihre Stimme triefte vor Hohn, aber ich ignorierte es einfach.


„Im Koffer findest du ein Schmuckkästchen“. Ich ging unverzüglich zu meinem Gepäck und fand die Schatulle. „Im Anhänger der Kette befindet sich ein Mikrofon. Du wirst die Kette heute Abend tragen, damit wir dein Treffen mitverfolgen können. In den Ohrringen befindet sich ein Lautsprecher. Boris, dein Cheufer von heute und einer meiner Männer hier in Samara, kann auf diese Weise mit dir in Kontakt bleiben“. Ich ging zur Frisierkommode des Hotelzimmers und legte die Ohringe und die Kette an. Als ich mich so im Spiegel betrachtete, konnte ich kaum glauben, dass darin neuste Spionagetechnik verbaut sein sollte.


Joanna gab mir noch ein paar letzte Anweisungen. Und kurz bevor sie auflegte, sagte sie etwas, was mich sehr überraschte. „Viel Glück, Schwesterherz. Ich würde dich nicht hier mit hineinziehen, wenn es nicht nötig wäre“. Sie klang aufrichtig und das verwirrte mich. Plötzlich klang sie wieder wie meine Jojo, die Schwester, die ich von früher kannte. Doch bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte, klopfte Boris und betrat das Hotelzimmer, um mich für das Treffen abzuholen. Es wurde also ernst.

 

 


Boris fuhr mich an den Stadtrand von Samar, mitten in das Industriegebiet. Der Wagen bog schließlich in eine enge Seitengasse und hielt im Innenhof eines verlassenen Fabrikgebäudes. Boris stieg aus, um mir die Tür zu öffnen. Unsicher kletterte ich aus dem parkenden Wagen und blickte mich um. Dieser Ort war alles andere als einladend und die spärliche Beleuchtung trug nicht dazu bei, dass ich mich wohler fühlte. Warum musste ausgerechnet dieser ungastliche Ort als Treffpunkt dienen? Hätte ein hübsches Hotelzimmer es nicht auch getan?


Boris ging voraus und führte mich durch die verlassenen Gänge der ehemaligen Fabrik. Ich zuckte zusammen, als plötzlich eine Ratte aus einem Müllhaufen heraus krabbelte und direkt vor meinen Füßen entlanglief. Nur mit Mühe konnte ich ein Kreischen unterdrücken. Ich durfte nicht so zimperlich sein. Ich folgte Boris eine wacklige Treppe hinauf, bevor er vor einer ramponierten Tür stehen blieb. Also hieß es tief durchatmen. Jetzt würde alles davon abhängen, ob mein Gegenüber mir meine Rolle als Donna Joanna Brodlowska abnahm. Ich fuhr mir nervös ein letztes Mal mit den Fingern durch die Haare und gab Boris ein Zeichen, mir die Tür zu öffnen. Er durfte mich allerdings nicht in das innere Begleiten. Das musste ich alleine durchstehen.


Ja s radostju oschidaju tschto bischu jich, Donna Joanna.“ Die Stimme gehört einem älteren Mann. Allerdings blendete der Schein der Deckenlampe mich so sehr, dass ich sein Gesicht kaum erkennen konnte. „Wy prjekrasny kak roza w utrennem solnze“. Meine Atmung wurde schneller und ich bemühte mich krampfhaft, Stärke zu demonstrieren. Aber es viel mir nicht leicht. Und dass ich kein Wort Russisch verstand, machte es nicht einfacher.


Der alte Mann kam langsam auf mich zu, griff meine Hand und gab mir einen feuchten Handkuss. „Er freut sich, Sie zu sehen und er sagt, Sie seien schön wie eine Rose in der Morgensonne“. Über den winzigen Lautsprecher in meinem Ohr hörte ich Boris’ Stimme, die das Gesprochene eiligst für mich übersetzte. „Spasiba, General Nabakov“. Für ein „Danke“ reichte mein Russisch noch, aber mehr war nicht drin. In letzter Sekunde half Boris mir aus und sprach mir eine Erwiderung ins Ohr. „Otscharobatelno kak wsserda“. Ich vermutete, dass ich sein Kompliment erwiderte. So konnte das natürlich nicht weiter gehen. Ich wusste, dass meine Schwester ein perfektes Russisch sprach und der General würde selbst mit Boris Hilfe schnell erkennen, dass ich nicht den blassesten Schimmer hatte, was ich überhaupt sagte.


Doch glücklicherweise lieferte mir General Nabakov die Rettende Idee. „Wy goworite otscheni choroscho po russki“ sagte er anerkennend und Boris übersetzte, dass er mich für mein ausgezeichnetes Russisch lobte.„Dzikuje bardzo. Takze slyszalam, ze pan general mówi doskonalnie po polsku. Jestem ciekawa, czy to prawda?“. Ich musste alles auf diese Karte setzen. In den Unterlagen auf dem Laptop hatte ich gelesen, dass General Nabarov zur Zeit des kalten Krieges Politikwissenschaften an der Jagiellonen-Universität in Krakau studiert hatte. Er musste also Polnisch sprechen. Also versuchte ich ihn dazu zu bewegen, seine Polnischkenntnisse unter Beweis zu stellen, indem ich vorgab, schon so viele anerkennende Worte darüber gehört zu haben. Wenn ich diesen Mann richtig einschätzte, würde er mir seine Sprachkenntnisse auch direkt vorführen. Ich unterstützte diese Aufforderung mit einem verführerischen Blick, allerdings kam ich mir dabei ziemlich unbeholfen vor.


Aber General Nabakov merkte davon nichts und plusterte sich sichtlich auf. Er antwortete in einem sehr guten, wenn auch nicht akzentfreien Polnisch: „Es ist schon lange her, dass ich mit jemanden Polnisch sprechen konnte. Ihre Großmutter, Donna Justyna, hatte es sich einmal zur Angewohnheit gemacht. Sie meinte, dass Russisch ihr Kopfschmerzen bereite. Eine Unverschämtheit, so meine geliebte Muttersprache zu beleidigen. Aber einer solch charmanten Frau wie Donna Justyna kann kein Mann lange böse sein. Und wie ich sehe, hat ihre Enkelin diesen Charme von ihr geerbt“. Ich atmete erleichtert auf. Das Spachproblem war also überwunden.


Aber das war nur der Anfang. Ich musste mit General Nabakov verhandeln. Das hatte meine Schwester von mir verlangt. Es ging um die Aushändigung von Geheimdienstakten, die „zufällig“ in Besitz des Generals gekommen waren und die pikante Details über das Privatleben einiger einflussreicher Politiker und Industrieller in ganz Simropa enthielten. Und diese Akten wollte meine Schwester haben. Zumindest sollte General Nabakov glauben, dass Donna Joanna an diesen Akten interessiert war.

 

 


Diese Geheimdienstakten waren zwar interessant, aber nebensächlich. Joanna wusste, dass General Nabakov nicht nur diese Unterlagen „zufällig“ in die Hände gefallen waren. Was sie wirklich wollte, waren Baupläne, die der General im Safe seiner Villa aufbewahrte. Ich wusste nicht, um was es sich genau handelte. Und wahrscheinlich wollte ich es auch gar nicht wissen. Doch Joanna hat durchblicken lassen, dass es um eine neue Waffe ging, an der das russische Militär zurzeit forschte. Und einer von Joannas Partnern war sehr interessiert an dieser Plänen.


Doch niemand durfte wissen, dass sie diejenige war, die diese Pläne besorgte. General Nabakov war ein Mann, mit dem man sich nicht anlegen sollte. Im Tschetschenien-Krieg hatte er den Ruf erlangt, ein Mann ohne Gnade zu sein. Es gab hunderte Männer, die seien Wut zu spüren bekommen hatten und viele hatten sich gewünscht, dass die Kugel dieses Mannes sie sofort erwischt hätte. Der Tod wäre ein Geschenk gewesen, im Vergleich zu der Folter, die ihnen stattdessen bevorstand, wenn General Nabakov sie erst einmal in die Hände bekommen hatte. Und diese Wut wollte Joanna auf keinen Fall am eigenen Leibe zu spüren bekommen.


Und hier kam ich ins Spiel. Ich sollte General Nabakov ablenken. Niemand in der Unterwelt wusste, dass Donna Joanna eine Zwillingsschwester hatte. Meine Großmutter, Donna Justyna, hatte im Voraus denkend dafür gesorgt, dass dieses Geheimnis wohl behütet blieb. Und jetzt konnte Joanna diese Trumpfkarte ausspielen. Während ich bei Nabakov saß, ihm Honig ums Maul schmierte und um einen angemessenen Preis für die Geheimdienstunterlagen feilschte, brach meine Schwester in des Anwesen von Nabakov ein, um die Baupläne für die neue Waffe der Russen zu stehlen. Am Ende würde niemand den leisesten Verdacht hegen, dass Donna Joanna irgendetwas mit diesem Diebstahl zu tun haben könnte.

 

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