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Teil 2:
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Ich wäre dort gestorben. Ich wäre dort im Wald gestorben, wenn nicht erneut ein Engel erschienen wäre, um mich zu retten. Es war der gleiche Engel, der mich schon aus meinem Verlies befreit hatte. Er hob mich auf und trug mich durch den Wald. Hin und wieder erwachte ich aus meiner Ohnmacht und sah sein Gesicht….oder ich glaubte es zu sehen. Alles war so unklar und ich war so müde.


„Xana! Xana, wach auf!“. Mit Mühe hob ich meine Augenlider und blickte in mein eigens Gesicht. Nein, nicht mein Gesicht. Es war Joanna die über mir hockte und mir plötzlich eine leichte Ohrfeige verpasste. Der Schmerz weckte mich endgültig auf. Ich blickte mich um und stellte fest, dass ich an einer Straße war. Doch wie ich hierher gekommen war, konnte ich nicht sagen. Eine Erinnerung an einen Mann, der mich durch den Wald trug flackerte kurz auf, doch sie erlosch gleich wieder. Irgendwie hatte ich es scheinbar aus eigener Kraft zur Straße geschafft.


„Mir müssen hier sofort weg“. Joanna half mir auf und schleppte mich zu einem Wagen, der mit laufendem Motor am Straßenrand stand. Ich bin mir nicht sicher, wie ich es in das Innere des Autos schaffte. Aber als der Motor ansprang und der Wagen sich in Bewegung setzte, fiel ich augenblicklich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

 

 


Ich erwachte erst Stunden später. Ich saß immer noch im Auto. Inzwischen war die Morgensonne aufgegangen. Der Schmerz in meinem ganzen Körper erinnerte mich umgehend daran, was passiert war. Ich wollte am liebsten meine Augen wieder schließen und weiter schlafen. Doch jetzt, wo ich einmal wach war, war es dafür zu spät. Ich wusste nicht, ob Joanna bemerkt hatte, dass ich nicht mehr länger schlief. Zumindest ließ sie es sich nicht anmerken. Ich blickte aus dem Fenster und erhaschte einen Blick auf ein Verkehrsschild. „SimNation 130 km, Lisboa 95 km“. In meinem Kopf ratterte es. Wenn das stimmte, dann war ich in Portugal und die SimNation, mein Zuhause, nur noch wenige Kilometer entfernt.


Ich wusste nicht, was Joanna tun musste, damit die Grenzpolizei uns passieren ließ. Und ich wollte es auch gar nicht wissen. Aber ohne Pässe und mit einer blutverschmierten Frau im Wagen dürfte sie einige Schwierigkeiten gehabt haben. Aber Joanna hatte ihre Mittel, und seien es bloß ihre weiblichen Reize. Für mich war nur wichtig, dass ich so schnell wie möglich nach Hause kam.


Ich wechselte kein Wort mit meiner Schwester. Die ganze Fahrt über schwiegen wir uns an. Was hätte ich ihr den auch sagen sollen? Durch das Fenster beobachtete ich, wie sich die Landschaft langsam veränderte und sich das Bild der endlosen Wüste der Sierra Simlone vor mir auftat. Ich spürte, dass ich Zuhause war.


Wir fuhren durch. Alle Geschwindigkeitsbegrenzungen ignorierend, erreichten wir nach etwa 4 Stunden Ganado Alegro. Joanna hielt den Wagen vor dem Motel, an dem ich vor vier Tagen mein eigenes Auto abgestellt hatte, um nach SimVegas zu fahren. Das alles erschien mir plötzlich so unendlich weit zurück zu liegen. Als ob es zu einem anderen Teil meines Lebens gehörte.


Ich stieg aus. Ich war zwar wacklig auf den Füßen, aber ich stand. Der wohlbekannte Geruch der Sierra Simlone stieg in meine Nase. Auch Joanna stieg aus und kam auf mich zu. Sie atmete tief durch, bevor sie zu sprechen begann: „Xana, es tut mir….“. Meine flache Hand schlug in ihr Gesicht, dass ihr Kopf zur Seite schnellte. „Wage es ja nicht, dich bei mir zu entschuldigen, Joanna. Denn das kannst du nicht!“.

 

Mein Blick war hasserfüllt. Joanna musterte mich schweigend. Ich beobachtete mehrmals, wie sie zur einer neuen Entschuldigung ansetzten wollte, doch letztendlich gab sie auf. „Ich habe getan, was ich tun musste, Xana“. Ihre Worte ließen keine Reue erkennen und in ihren Augen sah ich, dass sie sich tatsächlich keiner Schuld bewusst war. Selbst jetzt erkannte sie nicht, was sie mir angetan hatte. Stattdessen versuchte sie sich heraus zu reden.


In diesem Moment wurde mir bewusst, dass die Schwester, die ich einst gekannt hatte, vor langer Zeit gestorben war. Die Frau, die jetzt vor mir stand, hatte nichts mehr mit ihr gemein. „Fahr einfach, Joanna. Fahr und verschwinde aus meinem Leben. Halt dich fern von mir und meiner Familie. Schreib mir eine Karte zu Weihnachten, wenn du willst. Ich werde sogar zurück schreiben, aber erwarte nicht mehr von mir, Joanna. Du bist zwar meien Schwester, aber ich bin fertig mit dir“. Meine Mine war vollkommen ausdruckslos, als ich sprach und ebenso klang meine Stimme. Joanna verzog keine Mine, stieg in ihr Auto und fuhr los. Ich blieb alleine an dem kleinen Motel zurück.

 

 


Bevor sie davon fuhr, reichte Joanna mir eine Tasche mit meinen persönlichen Gegenständen. Unter anderem war auch mein Autoschlüssel dabei. Joanna dachte mit, zumindest das konnte ich ihr nicht vorwerfen. Es blieb aber immer noch mehr als genug übrig. Ich setzte mich ins Auto und fuhr los Richtung Sierra Simlone Stadt, Richtung Simlane 10, Richtung Zuhause. Ich sah mein Straße, mein grünes Haus. Ich bog in die Auffahrt ein und stellte den Motor des Wagens ab. Und dann bleib ich einfach darin sitzen. Ich blickte in den Rückspiegel und sah plötzlich zum ersten Mal mein entstelltes Gesicht, verschmiert von meinem eingetrockneten Blut. Geistesabwesen versuchte ich es mit meinen Händen abzureiben, doch das brachte rein gar nichts.


Die Tür des Hauses öffnete sich und ich sah Dominik auf das Auto zukommen. Er lachte. „Hey, Brodlowska, warum bist du schon wieder hier? Du solltest doch erst in zwei Tagen zurückkommen. Jetzt liegt mein Geliebte noch im Bett“. Ich öffnete die Tür des Wagens und stieg zitternd aus. Plötzlich hörte ich Dominik nur noch aufgeregt rufen und er stürmte auf mich zu.


Ich ließ mich einfach in seien Arme fallen. „Brodlowska, was ist passiert. Um Gottes willen, du bist voller Blut. Wer hat dir das angetan. Ich werde dieses Schwein umbringen, ich schwöre es dir“. Das musste er nicht, denn das hatte ich schon selbst erledigt. Ich schmiegte mich einfach nur an seinen Körper und ließ meinen Tränen freien Lauf. Er hielt mich fest in seinem Arm, strich über mein verklebtes Haar und küsste mich immer wieder zur Beruhigung. Doch ich konnte nicht aufhören zu weinen. Und ich wollte es nicht einmal. Ich wollte, dass er mich für immer so hielt und mich nie wieder los ließ.


Schließlich blickte ich in sein Gesicht und strich ihm mit zittriger Hand über die Wange. Dominiks Augen waren feucht vor Tränen und sein besorgter Blick reichte bis tief hinein in mein Herz. „Ich liebe dich, Dominik“. Die Worte kamen einfach so über meine Lippen. Dominik nahm meinen Kopf in seien großen Hände und küsste mich auf meine aufgeplatzten Lippen. „Ich weiß, Brodlowska“, sagte er immer wieder, „das weiß ich doch“.

 

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