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Ich wäre dort gestorben. Ich wäre dort im Wald gestorben,
wenn nicht erneut ein Engel erschienen wäre, um mich zu retten.
Es war der gleiche Engel, der mich schon aus meinem Verlies befreit
hatte. Er hob mich auf und trug mich durch den Wald. Hin und wieder
erwachte ich aus meiner Ohnmacht und sah sein Gesicht….oder
ich glaubte es zu sehen. Alles war so unklar und ich war so müde.
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„Xana! Xana, wach auf!“. Mit Mühe hob ich meine
Augenlider und blickte in mein eigens Gesicht. Nein, nicht mein
Gesicht. Es war Joanna die über mir hockte und mir plötzlich
eine leichte Ohrfeige verpasste. Der Schmerz weckte mich endgültig
auf. Ich blickte mich um und stellte fest, dass ich an einer Straße
war. Doch wie ich hierher gekommen war, konnte ich nicht sagen.
Eine Erinnerung an einen Mann, der mich durch den Wald trug flackerte
kurz auf, doch sie erlosch gleich wieder. Irgendwie hatte ich
es scheinbar aus eigener Kraft zur Straße geschafft.
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„Mir müssen hier sofort weg“. Joanna half mir
auf und schleppte mich zu einem Wagen, der mit laufendem Motor
am Straßenrand stand. Ich bin mir nicht sicher, wie ich
es in das Innere des Autos schaffte. Aber als der Motor ansprang
und der Wagen sich in Bewegung setzte, fiel ich augenblicklich
in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
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Ich erwachte erst Stunden später. Ich saß immer noch
im Auto. Inzwischen war die Morgensonne aufgegangen. Der Schmerz
in meinem ganzen Körper erinnerte mich umgehend daran, was
passiert war. Ich wollte am liebsten meine Augen wieder schließen
und weiter schlafen. Doch jetzt, wo ich einmal wach war, war es
dafür zu spät. Ich wusste nicht, ob Joanna bemerkt hatte,
dass ich nicht mehr länger schlief. Zumindest ließ
sie es sich nicht anmerken. Ich blickte aus dem Fenster und erhaschte
einen Blick auf ein Verkehrsschild. „SimNation 130 km, Lisboa
95 km“. In meinem Kopf ratterte es. Wenn das stimmte, dann
war ich in Portugal und die SimNation, mein Zuhause, nur noch
wenige Kilometer entfernt.
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Ich wusste nicht, was Joanna tun musste, damit die Grenzpolizei
uns passieren ließ. Und ich wollte es auch gar nicht wissen.
Aber ohne Pässe und mit einer blutverschmierten Frau im Wagen
dürfte sie einige Schwierigkeiten gehabt haben. Aber Joanna
hatte ihre Mittel, und seien es bloß ihre weiblichen Reize.
Für mich war nur wichtig, dass ich so schnell wie möglich
nach Hause kam.
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Ich wechselte kein Wort mit meiner Schwester. Die ganze Fahrt
über schwiegen wir uns an. Was hätte ich ihr den auch
sagen sollen? Durch das Fenster beobachtete ich, wie sich die
Landschaft langsam veränderte und sich das Bild der endlosen
Wüste der Sierra Simlone vor mir auftat. Ich spürte,
dass ich Zuhause war.
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Wir fuhren durch. Alle Geschwindigkeitsbegrenzungen ignorierend,
erreichten wir nach etwa 4 Stunden Ganado Alegro. Joanna hielt
den Wagen vor dem Motel, an dem ich vor vier Tagen mein eigenes
Auto abgestellt hatte, um nach SimVegas zu fahren. Das alles erschien
mir plötzlich so unendlich weit zurück zu liegen. Als
ob es zu einem anderen Teil meines Lebens gehörte.
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Ich stieg aus. Ich war zwar wacklig auf den Füßen,
aber ich stand. Der wohlbekannte Geruch der Sierra Simlone stieg
in meine Nase. Auch Joanna stieg aus und kam auf mich zu. Sie
atmete tief durch, bevor sie zu sprechen begann: „Xana,
es tut mir….“. Meine flache Hand schlug in ihr Gesicht,
dass ihr Kopf zur Seite schnellte. „Wage es ja nicht, dich
bei mir zu entschuldigen, Joanna. Denn das kannst du nicht!“.
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Mein Blick war hasserfüllt. Joanna musterte mich schweigend.
Ich beobachtete mehrmals, wie sie zur einer neuen Entschuldigung
ansetzten wollte, doch letztendlich gab sie auf. „Ich
habe getan, was ich tun musste, Xana“. Ihre Worte ließen
keine Reue erkennen und in ihren Augen sah ich, dass sie sich
tatsächlich keiner Schuld bewusst war. Selbst jetzt erkannte
sie nicht, was sie mir angetan hatte. Stattdessen versuchte
sie sich heraus zu reden.
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In diesem Moment wurde mir bewusst, dass die Schwester, die ich
einst gekannt hatte, vor langer Zeit gestorben war. Die Frau,
die jetzt vor mir stand, hatte nichts mehr mit ihr gemein. „Fahr
einfach, Joanna. Fahr und verschwinde aus meinem Leben. Halt dich
fern von mir und meiner Familie. Schreib mir eine Karte zu Weihnachten,
wenn du willst. Ich werde sogar zurück schreiben, aber erwarte
nicht mehr von mir, Joanna. Du bist zwar meien Schwester, aber
ich bin fertig mit dir“. Meine Mine war vollkommen ausdruckslos,
als ich sprach und ebenso klang meine Stimme. Joanna verzog keine
Mine, stieg in ihr Auto und fuhr los. Ich blieb alleine an dem
kleinen Motel zurück.
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Bevor sie davon fuhr, reichte Joanna mir eine Tasche mit meinen
persönlichen Gegenständen. Unter anderem war auch mein
Autoschlüssel dabei. Joanna dachte mit, zumindest das konnte
ich ihr nicht vorwerfen. Es blieb aber immer noch mehr als genug
übrig. Ich setzte mich ins Auto und fuhr los Richtung Sierra
Simlone Stadt, Richtung Simlane 10, Richtung Zuhause. Ich sah
mein Straße, mein grünes Haus. Ich bog in die Auffahrt
ein und stellte den Motor des Wagens ab. Und dann bleib ich einfach
darin sitzen. Ich blickte in den Rückspiegel und sah plötzlich
zum ersten Mal mein entstelltes Gesicht, verschmiert von meinem
eingetrockneten Blut. Geistesabwesen versuchte ich es mit meinen
Händen abzureiben, doch das brachte rein gar nichts.
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Die Tür des Hauses öffnete sich und ich sah Dominik
auf das Auto zukommen. Er lachte. „Hey, Brodlowska, warum
bist du schon wieder hier? Du solltest doch erst in zwei Tagen
zurückkommen. Jetzt liegt mein Geliebte noch im Bett“.
Ich öffnete die Tür des Wagens und stieg zitternd aus.
Plötzlich hörte ich Dominik nur noch aufgeregt rufen
und er stürmte auf mich zu.
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Ich ließ mich einfach in seien Arme fallen. „Brodlowska,
was ist passiert. Um Gottes willen, du bist voller Blut. Wer hat
dir das angetan. Ich werde dieses Schwein umbringen, ich schwöre
es dir“. Das musste er nicht, denn das hatte ich schon selbst
erledigt. Ich schmiegte mich einfach nur an seinen Körper
und ließ meinen Tränen freien Lauf. Er hielt mich fest
in seinem Arm, strich über mein verklebtes Haar und küsste
mich immer wieder zur Beruhigung. Doch ich konnte nicht aufhören
zu weinen. Und ich wollte es nicht einmal. Ich wollte, dass er
mich für immer so hielt und mich nie wieder los ließ.
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Schließlich blickte ich in sein Gesicht und strich ihm mit
zittriger Hand über die Wange. Dominiks Augen waren feucht
vor Tränen und sein besorgter Blick reichte bis tief hinein
in mein Herz. „Ich liebe dich, Dominik“. Die Worte
kamen einfach so über meine Lippen. Dominik nahm meinen Kopf
in seien großen Hände und küsste mich auf meine
aufgeplatzten Lippen. „Ich weiß, Brodlowska“,
sagte er immer wieder, „das weiß ich doch“.
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