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Plötzlich verfinsterte sich der Blick meiner Schwester. „Es
spielt keine Rolle, was du willst, Xana. Du bist eine Brodlowska
und du wirst mir helfen. Bis jetzt habe ich dir deine Freiheit
gelassen. Ich wusste, wenn es darauf ankommt, würdest du
zur Familie halten. Ich will mich nicht in dir getäuscht
haben“. Die letzten Worte waren eine klare Drohung, die
mich erzittern ließen. Doch ich blieb hart. „Ich will
nichts mit deiner Organisation zu tun haben“, erklärte
ich entschieden.
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Plötzlich zeigte sich ein bittersüßes Lächeln
auf den Lippen meiner Schwester, welches ich noch nie zuvor an
ihr gesehen hatte. Und dieses Lächeln jagte mir eine viel
stärkere Angst ein, als es jede Drohung es tun könnte.
„Oh, du wirst mir helfen, Xana. Du willst doch nicht, dass
dein Mann zufällig von der wahren Vaterschaft seiner Ältesten
erfährt“. Joanna hätte einen Dolch in mein schlagendes
Herz rammen können und mich doch nicht mehr verletzt. „Das
würdest du nicht machen, Jojo. Wir sind doch Schwestern“.
Ich weinte. Ich wollte es nicht, aber ich weinte.
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„Das liegt ganz in deiner Hand, Xana“. Joanna lächelte
immer noch. „Ich möchte deiner Familie doch nicht schaden,
Schwesterherz. Ich weiß doch, wie wichtig sie dir ist. Du
bist ein Familienmensch, Xana. Und deshalb wirst du doch einsehen,
wie wichtig es ist, mir, deiner Schwester, zu helfen. Deine Familie
zählt auf dich“.
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Ich wollte schreien. Ich wollte die Bilder von der Wand reisen
und sie zertrümmern. Ich wollte die Vase neben mir schnappen
und sie meiner Schwester ins Gesicht schleudern. Doch ich konnte
nicht…ich durfte nicht. Nicht wenn ich Dominik nicht verlieren
wollte. Nicht wenn ich einem Vater sein Kind und einer Tochter
ihren Vater entreißen wollte. Joanna hatte mich in der Hand
und das wusste sie. Ohne Hoffnung auf einen Ausweg sackte ich
zusammen und gab nach. „Was soll ich für dich tun,
Joanna?“
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Joanna erklärte mir detailliert ihren Plan. Ich hörte
zu, könnte aber kaum glauben, was sie da sagte. Es war so
unglaublich. Dann ging sie. Als ich alleine im Wohnzimmer stand,
begann ich am ganzen Körper zu zittern. Wieder schossen mir
die Tränen in die Augen. Es waren Tränen der Wut. Wie
konnte Joanna mich nur so hintergehen, mich erpressen? Ich hatte
ihr vertraut und es nie für möglich gehalten, dass sie
das Wissen um Kingas wahren Vater gegen mich benutzen würde.
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Klaudias Schreien holte mich in die Wirklichkeit zurück und
ließ meine Wut verrauchen. Zurück blieben nur der Schmerz
und die Enttäuschung. Ich ging in das Kinderzimmer und hob
Klaudia aus dem Bettchen. Ihr Schreien verstummte, sobald ich
sie auf dem Arm hielt. „Pipi“, murmelte sie leise
und wischte ihre Tränen unbeholfen an meinem Shirt ab. Ich
setzte sie auf das Töpfchen und strich ihr über das
Köpfchen. Mein Gesicht war immer noch tränenverschmiert
und Klaudia schien zu erkennen, dass etwas nicht in Ordnung war.
Denn sie sah mich an, als ob sie sagen wollt: „Mami, warum
bist du den so traurig? So schlimm kann es doch nicht sein“.
Dieser Gedanke ließ mich lächeln. Für sie musste
ich tun, was Joanna von mir verlangte. Für sie, für
Kinga und für Dominik. Meine Familie war mir zu wichtig,
um sie aufzugeben.
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Also Dominik spät abends nach Hause kam, war ich immer noch
wach. Trotzdem tat ich so, als ob ich schon schlafen würde.
Wenn ich jetzt mit ihm redete, würde ich ihm alles erzählen.
Aber das durfte ich nicht. Joanna hatte es mir unmissverständlich
deutlich gemacht. Dominik schmiegte sich an meinen Rücken
und in dieser Position sehnte ich mich noch viel stärker
danach, mich ihm anzuvertrauen. Wann hatte meine Schwester sich
so stark von mir entfremdet? Wann war sie zu dieser herzlosen
Frau geworden?
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Für meine Schwester zählte nur ein: Dass ich genau das
tat, was sie von mir verlangte. In Ganado Alegro fand wieder einmal
ein mehrtägiges Seminar über innovative Bewässerungstechniken
statt. Also erzählte ich Dominik und den Kindern, dass ich
eben dieses besuchen würde. Vor Alberts Tod habe ich diese
Ausrede immer genutzt, um mich heimlich mit meinem Geliebten treffen
zu können. Nach meiner Hochzeit hatte ich mir geschworen,
Dominik nie wieder in solch einer Weise zu hintergehen. Doch Joanna
ließ mir keine Wahl.
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Ich fuhr tatsächlich nach Ganado Alegro, aber nur, um mich
im Waschraum eines Motels umzuziehen. Joanna hatte mir alles Notwendige
mit der Post zukommen lassen. Ich zog also das offenherzige Kleid
an, änderte mein Make-up und zog die blonde Perücke
über. Im Spiegel erkannte ich mich selbst kaum wieder. Aber
das war wohl das Ziel dieser Maskerade. Als ich unsicher den Waschraum
verließ, hatte ich das Gefühl, dass jeder wüsste,
wer hinter dieser Verkleidung steckt. Doch das bildete ich mir
sicher nur ein.
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Mit dem Taxi fuhr ich zum Flughafen nach SimVegas. Der Taxifahrer
warf mir während der Fahrt immer wieder Blicke über
den Rückspiegel zu. Dabei musterte er besonders interessiert
meinen Ausschnitt und meine Beine, die von dem kurzen Kleidchen
kaum bedeckt wurden. Ich verfluchte Joanna innerlich für
diese freizügige Verkleidung. Meinen Einwand, dass etwas
Unauffälligeres angebrachter wäre, wies sie ab. Je auffälliger
mein Styling war, desto weniger würden sich die Leute an
mein Gesicht erinnern können.
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Die Sicherheitskontrolle passierte ich ohne Schwierigkeiten. Joanna
hatte schon im Vorfeld darauf geachtet, dass ich nichts an meinem
Körper trug, was den Metaldetektor zum Piepen bringen konnte.
Nicht einmal ein simples Schmuckstück, denn unnötige
Aufmerksamkeit wollte sie vermeiden.
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Doch als ich die Passkontrolle erreichte, glaubte ich, jeden Moment
in Ohnmacht zu fallen. Mit zittrigen Händen legte ich der
Beamtin einen Pass vor, der mich als Weronika Szymanska und als
polnische Staatsbürgerin auswies. Die Beamtin verglich nur
kurz mein Gesicht mit dem Foto im Pass und ließ mich passieren.
Der Pass war eine hervorragende Fälschung, das musste ich
wirklich eingestehen.
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Erleichtert stieg ich kurze Zeit später in das Flugzeug,
das soeben aus SimCity eingetroffen war und in Kürze seinen
Flug ins russische Samara fortsetzen würde. Der Flug war
nicht ausgebucht und so erblickte ich auf dem Weg zu meinem Sitzplatz
sofort Joanna, die gleich in einer der vorderen Reihen saß.
Ich war mir sicher, dass sie mich trotz der Verkleidung erkannt
hatte, sie zeigte aber keinerlei Regung und blätterte gelangweilt
in der Bordzeitschrifft. Sie schien über etwas zu lachen,
was sie in der Zeitschrift las, unser Zeichen, dass sie mich gesehen
hatte und ich wie besprochen weiter machen sollte.
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Unter lautem Dröhnen der Triebwerke hob das Flugzeug ab und
begann seinen weiten Weg in die russische Föderation. Nach
etwa zwei Stunden Flugzeit stand Joanna auf und ging zu den Waschräumen
im vorderen Teil der Kabine. Ich wartete noch etwa zwei Minuten,
dann stand auch ich auf und folgte meiner Schwester.
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Ich vergewisserte mich, dass keine der Flugbegleiterinnen oder
keiner der übrigen Fluggäste mich beobachtete und klopfte
fünf Mal kurz hintereinander an die Tür der Flugzeugtoilette.
Joanna reagierte auf das vereinbarte Zeichen und ließ mich
hinein.
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Sie stand bereits nur noch in Unterwäsche bekleidet vor mir
und hatte ihre Haare zu einem festen Dutt gebunden. „Zieh
dich aus, Oxana!“, wies sie mich ohne Begrüßung
an. „Wir haben nicht viel Zeit“. Ich tat, wie geheißen
und zog das knappe Kleid aus. Joanna nahm es mir sofort aus der
Hand und zog es selbst über. Und ich begann im Gegenzug ihre
Kleider überzustreifen.
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Mit einer unglaublichen Geschicktheit verpasste meine Schwester
mir in wenigen Sekunden ein neues Make-up und toupierte meine
Haare auf. Dann überzeugte sie sich noch ein letztes Mal,
ob ihr Kleid auch richtig an mir saß. „Geh jetzt und
setz dich auf meinen Platz. Ab diesem Moment bist du nicht mehr
Oxana Blech, sondern Donna Joanna Brodlowska. Denk daran.“
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Ich zupfte das neue Kleid selbst noch einmal zurecht und ging
dann hinaus in die Kabine des Flugzeugs. Ich war nervös,
doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Die erste Bewährungsprobe
war meine Sitznachbarin. Doch als ich mich setzte, lächelte
sie mich lediglich freundlich an, ohne zu bemerken, dass nun eine
andere Frau neben ihr saß. Meiner Schwester erging es auf
meinem ursprünglichen Platz nicht anders.
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