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Stev sprach anschließend noch seltener mit mir. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er mir böse war, weil ich ihn die Wahrheit gesagt hatte, aber er vermied es einfach, mir zu begegnen. Vielleicht hatte er keine Lust darauf, noch einmal mit mir über seine Beziehung zu Tristan zu sprechen. Stattdessen verbrachte er viel Zeit mit Kinga. Meine Tochter sprach immer noch nicht mit mir, dafür aber um so mehr mit unserem neuen Mitbewohner. Wenn die beiden sich erst einmal an den Schachtisch setzten, waren sie kaum noch davon los zu bekommen.


Wie gesagt, kaum davon los zu kommen. Denn Tristan wirkte auf Stev immer noch eine starke Anziehung aus. Wenn ich alleine mit Stev war, dann sah ich, dass er sich Gedanken machte und dass er nicht so zufrieden war, wie es manchmal schien. Aber wenn Tristan in der Nähe war, dann ließ er sich nicht anmerken, dass er etwas von Frank ahnte. Schmunzelnd beobachtete Kinga, wie Tristan ihren Schachgegner von seinem Stuhl riss und ihn dann wild abknutschte. So wild, dass selbst Kinga weg schaute, da sie das Gefühl hatte, dass die beiden lieber alleine wären.


Die beiden verzogen sich auch anschließend in ihr Schlafzimmer. Und auch dort ließ Stev sich nichts anmerken. Er genoss es einfach, von Tristan liebkost zu werden und anschließend mit ihm zu schlafen. Vielleicht hatte ich mich ja auch geirrt? Vielleicht war Stev gar nicht in Tristan verliebt und wollte genau das gleich wie mein Mitbewohner: Ein Abenteuer ohne Verpflichtungen?


Doch dem war nicht so. Auch wenn Stev sich die letzten Tage Tristan gegenüber so verhalten hatte, als ob nichts passiert wäre, hatte er sich Gedanken gemacht. Und er war zu dem Schluss gekommen, dass er mehr wollte, mehr brauchte, als bloß Sex. An diesem Abend regnete es in der Sierra Simlone und Tristan und Stev saßen auf der Bank vor dem Haus und genossen die Abkühlung, die die Regentropfen mit sich brachten, wenn sie auf die beiden niederprasselten. "Ich werde ausziehen, Tristan", verkündet Stev überraschend und es schien, als ob er eher mit der Nachtluft als mit Tristan reden würde.


"Du willst was?", fragte Tristan überrumpelt. "Warum? ich habe dir doch angeboten, dass du so lange bleiben kannst, wie du willst". Und ich wäre gerne geblieben, dachte Stev, aber nur wenn du in mir mehr sehn würdest, als ein Abenteuer, als eine Abwechslung von der Routine. Doch Stev sprach diesen Gedanken nicht aus. Stattdessen lächelte er. "Wir wussten doch beide, dass es nur vorübergehend ist", erwiderte er. "Ich kann dir und Oxana nicht weiter zur Last fallen. Ich habe mich in den letzten Tagen nach einem Job umgesehen und auch was Brauchbares gefunden. Nächste Woche geht es los. Ich kann jetzt selber für mich sorgen und ich habe auch schon eine nette WG ausfindig gemacht. Also mach dir um mich keine Sorgen, Tristan".


"Wie es aussieht, hast du dir das gründlich überlegt, Stev", entgegnete Tristan. "Dabei hätte ich dich gerne noch eine Weile bei mir gehabt". Er legte seinen Arm um Stev und zog ihn zu sich heran. Es fiel Stev schwer, Tristan so nah zu sein, seine Wärme zu spüren und seinen vertrauten Duft einzuatmen, ohne schwach zu werden und all seine Vorsätze über Bord zu werfen. Doch wenn er es nicht täte, würde er früher oder später enttäuscht werden. Also war es das Beste, die Sache hier und jetzt zu beenden. "Wir hatten unseren Spaß", sagte Stev und streichelte dabei Tristans Hand. "Du wolltest mich und ich wollte dich. Wir haben bekommen, was wir wollten und jetzt ist es Zeit, sich neuen Zielen zuzuwenden."


„Ich bin froh, dass ich dich an der Playa de Seda Azul getroffen habe", flüsterte Tristan. "Und du weißt ja jetzt, wo ich wohne. Wenn du als mal Lust auf eine kleine Wiederholung hast, scheu dich nicht vorbei zu kommen. Und das biete ich nicht jedem an, als du darfst dich ruhig geschmeichelt fühlen". Tristan grinste breit. Anstatt zu antworten schmiegte Stev sich einfach an seinen rothaarigen Liebhaber und küsste ihn. "Ich bin ja nicht sofort weg", hauchte er leise, "und die letzten zwei, drei Tage wollte ich nicht ungenutzt verstreichen lassen".


Tristan löste sich von Stev und verschwand grinsend im Haus. Der junge Braunschopf hatte vollkommen Recht, die letzten gemeinsamen Tage sollten die beiden noch auskosten und für heute Nacht hatte er sich schon etwas schönes überlegt. Schlagsahne und Zitronenscheiben sollten dabei eine zentrale Rolle spielen. Stev blieb auf der Bank sitzen und beobachtet, wie Tristan die Treppe zur Veranda hochstieg. So glücklich und ausgelassen, wie er gerade getan hatte, war er nicht im Geringsten. Um ehrlich zu sein, war ihm eher zum Heulen zumute. Aber er wollte Tristan gegenüber nicht eingestehen, dass dieser ihn verletzt hatte. Stattdessen gab er lieber vor, dass er selber nie mehr gewollte hatte, als sein Liebhaber. Indem er so tat, als ob es ihm gleichgültig wäre, gab er dem anderen keine Macht über sich. Doch dadurch nahm er sich auch jede Chance, um das zu Kämpfen, was er wollte. Wer weiß, wenn er Tristan seine Gefühle offen dargelegt hätte, vielleicht wäre aus diesem Abenteuer doch noch Liebe geworden? Doch seine Entscheidung war längst gefallen und sein Auszug beschlossene Sache.

 

 


Am Morgen nach dem Regenschauer, ging ich nervös zum Briefkasten. Drei Tage waren vergangen, seitdem ich bei der Landschwester gewesen war. Mit Herzklopfen öffnete ich den Briefkasten und holte die Post hervor. Und sofort sprang mir der Umschlag mit der Aufschrift "Medizinisch-gentechnisches Labor SimVegas" entgegen. Zitternd hielt ich das Kuvert in meiner Hand. So viel hing von diesem einen kleinen Brief ab. Doch ich brauchte Gewissheit. Für mich, für Klaudia....für Dominik. Also atmete ich tief durch und riss den Umschlag auf.


Ich hatte kaum Zeit, das Testergebnis zu lesen, als ich auch schon das Telefon läuten hörte. Eilig lief ich ins Haus, legte die Briefe zur Seite und hob den Hörer ab. "Hier bei Blech, Linse und Füller. Oxana Blech am Apparat", meldete ich mich. "Oxana, hier ist Dominik", sprach eine raue, mir nur allzu gut bekannte Männerstimme auf der anderen Seite der Leitung. Mir stockte der Atem. Zum ersten Mal seit fast vier Wochen hörte ich Dominiks Stimme und es trieb mir fast die Tränen in die Augen. "Wir müssen und unterhalten", fuhr er fort. "Wir müssen besprechen, wie es weiter gehen soll. Ich habe für heute Abend einen Tisch im Restaurant bestellt. Ich warte dann um 18 Uhr dort auf dich, Brodlowska. Bis dann". Er legte auf, ohne eine Antwort von mir abzuwarten, aber es war ohnehin klar, dass ich zu diesem Treffen kommen würde.


Er hatte kühl und zurückhaltend am Telefon geklungen, aber das war nur verständlich. Wichtig war nur, dass er mich angerufen hatte und mich sehen wollte. Und er hatte mich Brodlowska genannt. Und auch wenn mein Kosename über das Telefon wenig gefühlvoll geklungen hatte, so war dies immer noch besser als das bitter, kalte "Oxana" mit dem er mich bei unserem Streit vor einem Monat bezeichnet hatte. Ich erzählt niemanden davon, dass Dominik mich sehen wollte, weder Tristan, und schon gar nicht den Kindern. Ich wollte keine falschen Hoffnungen wecken, auch wenn ich selber furchtbar aufgeregt war. Stundenlang stand ich vor dem Spiegel und probieret ein Kleid nach dem anderen und änderte mehrmals mein Make-up. Ich wollte gut aussehen für meinen Mann. Das war das mindeste, was ich für ihn tun konnte.

 

 


Auch als ich das Haus verließ, achtete ich darauf, von niemandem gesehen zu werden. Es war nicht weit bis zum Restaurant, als konnte ich getroste zu Fuß gehen. Doch schnell bereute ich diese Entscheidung, denn mit jedem Schritt, mit dem ich mich meinem Ziel nährte, wurde es schwerer weiter zu gehen. Ich bekam plötzlich unglaublich Angst, Dominik gegenüber zu treten. Doch ich ging weiter und schon von weitem erkannte ich meinen Ehemann, der im Schatten des Sonnendaches des Restaurants auf mich wartete. Ich atmete tief durch und stieg die wenigen Stufen hoch. Dabei sah ich Dominik vorsichtig an. Doch sein Gesicht war regungslos und ich konnte daraus nicht ableiten, wie es um ihn stand. Und dann überraschte er mich mit einem Kompliment: "Du siehst toll aus, Brodlowska". Es verschlug mir die Sprache und ich stammelte zunächst nur vor mich hin, bis ich ihm erwidern konnte: "Danke, Dominik. Du siehst auch gut aus".


Dominik grinste leicht und auf einmal spürte ich die alte Nähe und Vertrautheit zwischen uns. Doch ich wagte es nicht, ihn jetzt zu berühren oder nach seiner Hand zu greifen. Auch wenn ich mir in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte, ich hatte einfach nicht das Recht dazu. Dominik musste entscheiden, ob und wann er bereit dazu war, mir zu vergeben. Und mit einer unbedachten Berührung hätte ich alles kaputt machen können. "Lass uns hinein gehen", forderte Dominik mich auf. "Unser Tisch ist bereits frei".


Die Empfangsdame führte uns zu unserem Tisch. Ich überließ Dominik die Entscheidung, was wir bestellen sollten. Wir waren nun schon seit fünfzehn Jahren zusammen. Inzwischen kannte er meine Angewohnheiten. Und trotzdem war es so ungewohnt mit ihm an einem Tisch zu sitzen. Wir waren uns so nah und doch so unendlich fern, als ob eine unüberwindliche Mauer aus Glas zwischen uns beiden errichtet worden wäre. Ich bemerkte, dass mein Hals vollkommen ausgetrocknet war und entdeckte mit Erleichterung eine Karaffe mit frischem Wasser, aus der ich mich bediente.


Die Bestellung des Essens gab mir noch einige Minuten Aufschub, doch dann waren wir nur noch zu zweit, Dominik und ich. Wir sahen uns an und wussten beide, dass es so viel zu klären gab, nur wusste keiner von uns, wie wir beginnen sollten. Schließlich war ich es, die tief durchatmete, ihre Lippen anfeuchtete und zu sprechen begann: "Dominik, es tut mir so leid. Ich...ich weiß, dass ich mich nicht bei dir entschuldigen kann, aber ich möchte, dass du weißt, wie sehr es mir leid tut, dass ich dich so sehr verletzt habe. Das habe ich nie gewollt".


Dominik nahm einen großen Schluck aus seinem Wasserglas und stellte es dann ruhig ab. "Ich glaube dir, Brodlowska. Ich glaube dir, dass du mich nie absichtlich verletzen wolltest. Wäre es anders, dann säßen wir jetzt nicht hier gemeinsam an einem Tisch. Ich hatte in den letzten Wochen viel Zeit nachzudenken. Es war ein Schock für mich zu erfahren, dass Kinga nicht meine Tochter ist. Doch ich musste immer daran denken, dass ich es war, der ihre das Fläschchen gegeben hat, der nachts für sie aufgestanden ist, der ihr beigebracht hat, das Töpfchen zu benutzen und zu laufen. Ich war das, nicht Albert. Und ich war es, der so viele Jahre mit dir zusammen gelebt hat. Du warst meine Frau, nicht seine. Es tut weh zu erfahren, dass du nicht mich, sondern ihn geliebt hast, denn ich habe dich vergöttert, Brodlowska, von dem Moment an, wo ich dich das erste Mal sah. Aber ich glaube dir nicht, dass ich dir egal war. Das hätte ich gespürt und in all unseren gemeinsamen Jahren war ich glücklich. Ich war wirklich glücklich".


"Ich war auch glücklich, Dominik. Ich verstehe selber nicht, wieso ich so lange einem Mann nachgelaufen bin, der für mich unerreichbar war. Ich hatte doch schon alles, was ich wollte bei dir gefunden. Insbesondere nachdem Klaudia geboren war hatten sich für mich alle Träume erfüllt. Mit dir erfüllt. Dich zu belügen war ein Fehler gewesen. Ein unverzeihlicher Fehler, aber wir vier waren so glücklich miteinander, du, die Kinder und ich. Ich wollte das nicht mehr zerstören, gerade wegen dir und den Mädchen nicht". Dominik nahm schweigend einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Anschließend rieb er sich die Schläfen. "Ich verstehe, warum du es anschließend verheimlich hast. Ich verstehe nur nicht, warum du mich von Anfang an belügen musstest. Ich liebe die Mädchen nach wie vor, daran hat sich nichts geändert, aber Kinga ist nun einmal nicht meine Tochter und Klaudia..."


Genau in diesem Moment kam die Kellnerin und brachte das Essen. Nervös nahm ich die Gabel und begann damit in meinem Filet herum zu stochern. "Dominik ich...ich habe einen Vaterschaftstest machen lassen. Ich weiß jetzt ganz sicher, wer Klaudias Vater ist". "Sag es mir nicht, Brodlowska", unterbrach mein Ehemann mich. "Ich möchte es nicht wissen. Ich liebe mein kleines Pummelchen. Sie ist ein wundervolles Kind. Es spielt keine Rolle, ob nun Albert oder ich ihr Vater bin, aber solange ich nicht das Gegenteil weiß, ist sie meine Tochter, meine leibliche Tochter. Ich brauche den Glauben daran einfach. Also sag es mir nicht". Ich nickte zaghaft.


Wir aßen und ich hatte Angst, dass dadurch ein Schweigen zwischen uns entstehen würde, dass wir nicht mehr überbrücken konnten. Doch das trat zum Glück nicht ein. Dominik fragte hauptsächlich nach unsern Kindern, wie es ihnen gehen würde. Ich erzählte ihm die Wahrheit, dass Kinga am Boden zerstört war und kein Wort mehr mit mir wechselte und dass Klaudia es bis jetzt ganz gut verkraftete, dass er nicht mehr bei uns lebte, wahrscheinlich, weil sie die Tragweite noch nicht ganz verstand. Und es überraschte mich, dass Dominik auch wissen wollte, wie es mir ging. Und auch ich antwortete ihm ganz ehrlich, dass es mir nicht gut ginge und dass ich ihn vermissen würde. Dominik reagierte auf die Offenbarung zurückhaltend. Er nahm sie hin, ging aber nicht weiter darauf ein. Aber was hatte ich denn erwartet? Ich hatte ihn betrogen, da war es verständlich, dass er wenig Mitleid mit mir zeigte.

 

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