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Auch in der Simlane war es dunkel geworden und von Dominik fehlte weiterhin jedes Lebenszeichen. Langsam wurde ich wirklich unruhig und tigerte rastlos durch das fast leere Haus. Um mich etwas abzulenken, setzte ich mich schließlich zu Klaudia ins Zimmer und spielet mit ihr im Puppenhaus. Für einen Moment vergaß ich sogar meine Besorgnis, bis Klaudia mich erneut daran erinnerte. "Wo ist Papa denn? Er wollte heute mit mir Goya dressieren, damit sie Steine in Onkel Tristans Bett legt". Bei dem Gedanken kicherte sie, aber ich sah, dass sie enttäuscht darüber war, dass ihr Papa sie versetzt hatte.


Und was sollte ich antworten? Etwa, dass ich keine Ahnung hatte, wo Dominik war? Das war zwar die Wahrheit, aber es war eine Wahrheit, die wohl kein Elternteil gerne vor seinen Kindern eingestand. Also erzählte ich ihr einfach, dass Dominik heute bei ihren Großeltern bleiben würde. Zu meiner Besorgnis kam jetzt auch eine leise Wut auf Dominik hinzu. Was fiel ihm einfach ein abzuhauen und kein Wort zu sagen? Und wegen ihm musste ich jetzt auch noch meine Tochter anschwindeln. Ich hoffte für ihn, dass er eine gute Erklärung für das Ganze hatte.

 

 


Ich wartete die halbe Nacht, doch Dominik tauchte nicht auf. In meinem Bett wälzte ich mich unentwegt von einer Seite zur anderen, stand immer wieder auf, um aus dem Fenster zu sehen und Ausschau nach Dominik zu halten. Es wurde Morgen, doch er kam nicht. Vielleicht war ihm ja etwas zugestoßen? Dieser Gedanke ließ mich nicht los. Als Albert damals so plötzlich verschwand war er doch auch mit dem Auto verunglückt. Dieser furchtbare Gedanke setzte sich in meinem Kopf fest und wollte nicht mehr weichen. Ich war schon fest entschlossen die Polizei zu alarmieren, als ich hörte, wie der Schlüssel in der Haustür umgedreht wurde. Sofort lief ich ins Wohnzimmer und ein gewaltiger Stein fiel mir vom Herzen, als ich meinen Mann unversehrt erblickte. Mein Schwiegervater war ebenfalls da. Ich ging auf Dominik zu, um ihn in den Arm zu nehmen. Doch er wich mir aus, noch bevor ich in seine Nähe kam. Verwirrt blickte ich erst ihn, dann meinen Schwiegervater an. "Dominik, Papa, was wird hier gespielt?"


Doch anstatt mir zu antworten, wand Dominik sich seinem Vater zu. "Dad, könntest du jetzt bitte Klaudia holen und sie zu euch nehmen? Ich komme dann später bei Mom und dir vorbei". Anan nickte stumm. Ich sah meinen Schwiegervater an und erkannte, dass er etwas wusste. Sein Blick war schwer zu deuten, aber ich erkannte so etwas wie Trauer und tiefes Bedauern darin. Und das machte mir Angst. Es wäre nichts ungewöhnliches, wenn Anan seine Enkeltochter am Wochenende zu sich holte, aber Klaudia war noch nicht einmal wach und ich erkannte, dass Dominik sie nur nicht hier haben wollte, für das, was gleich folgen würde.


Im Raum herrschte ein eisiges Schweigen, dem ich um jeden Preis entkommen wollte, und sei es nur für einen kurzen Moment. Ich ging in Klaudias Zimmer, weckte mein Pummelchen und half ihr dabei, sich fertig zu machen. Anan war mir ins Zimmer gefolgt. Das machte es nicht unbedingt leichter, Klaudia anzuziehen, denn ständig lief sie mir halb angezogen davon, um ihrem Opa irgendetwas zu zeigen. "Macht Oma wieder Spaghetti zum Abendessen? Die sind voll lecker!", plapperte sie munter vor sich hin. "Mami und Papi können doch bestimmt auch vorbei kommen, nicht wahr Mami." Ich lächelte ihr zu und wuschelte ihr durchs Haar. "Klar können Mami und Papi auch kommen. Aber frag Oma Glinda vorher, ob sie auch nichts dagegen hat, zwei weitere Mäuler zu stopfen", antwortete ich ihr.


Allerdings war ich mir nicht im Geringsten sicher, ob Dominik und ich wirklich bei diesem Essen erscheinen würden. Und ausnahmsweise war nicht meine Schwiegermutter das Problem. "Komm Klaudia, wir gehen hinten rum raus", erklärte Anan. "Dann kannst du dich auch noch einmal von Goya verabschieden". Klaudia lief auch sofort zur Hintertür und verschwand kurz darauf mit dem Kopf voran in Goyas Hundehütte. Wieder entdeckte ich diesen seltsamen Ausdruck in Anans Augen, doch diesmal wurde er zusätzlich von einem traurigen Lächeln begleitet. Er gab mir einen Abschiedkuss auf die Wange und klopfte mir auf die Schulter. "Egal was auch passiert, Oxana. Du bist und bleibst eine Tochter für mich. Vergiss das nicht". Mit diesen Worten folgte er Klaudia in den Garten.


Ich wusste, dass seine Worte als Trost gemeint waren, aber mir erschienen sie eher wie eine Drohung. Ich spürte das Hämmern meines Herzens in meiner Brust so stark, dass ich Angst hatte, dass mein Brustkorb jeden Moment zerspringen könnte. Auf wackligen Beinen machte ich mich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer, aber so weit brauchte ich gar nicht zu gehen. Dominik stand am Esszimmerfenster. Seine beiden Hände waren zu Fäusten geballt und ich konnte genau die angespannten Muskeln seiner Arme erkennen. Er musste mich gehört haben, denn meine Absätze hallten erbarmungslos auf dem glatten Laminatboden. Doch er drehte sich nicht zu mir um und ich wusste nicht, was von mir erwartet wurde. "Dominik, was ist passiert?", fragte ich deshalb, wobei meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern war.


"Was passiert ist?", langsam drehte er sich zu mir um. Die Wut in seinen Augen ließ mich zurückschrecken. So hatte ich Dominik noch nicht erlebt. Zumindest noch nie mir gegenüber. "Was passiert ist!?", seine Stimme bebte vor Zorn. "Das müsste ich doch eher dich fragen. Sag es mir, Oxana, was genau ist vor fünfzehn Jahren passiert?!"


Oxana! Der Klang meines eigenen Vornamens aus seinem Mund klang wie eine Beleidigung. So viel Wut und Zorn schwang in diesem einen Wort mit. Und ich verstand einfach nicht warum. Was vor fünfzehn Jahren gewesen ist? Nichts! Da hatte ich ihn gerade erst kennen gelernt. Ich hatte zwar meine Probleme mit Dominik gehabt, aber im Nachhinein betrachtet war es nicht einmal eine schlechte Zeit gewesen. Und ich war schwanger mit Kinga. Kinga! Oh mein Gott, er wird doch nicht etwa erfahren haben...Aber nein, das war unmöglich. Niemand wusste davon. Niemand außer mir und meiner Schwester. Und sie hätte es ihm nicht verraten. Nicht ohne mich vorzuwarnen. Es musste einfach eine andere Erklärung geben. Es wusste!


Dominik muss sofort erkannt haben, dass ich erraten hatte, worauf er anspielte. Seine Augen formten sich zu engen Schlitzen, die mich wütend anfunkelten. "Ich will es von dir hören, Oxana. Wer ist Kingas Vater!?". Er sprach jedes Wort einzeln, klar und deutlich. Und jedes dieser Worte war wie ein Dolch, der sich tiefer und tiefer in meinen Leib bohrte. Er wusste es, er wusste alles. In meinen Augenwinkel begannen sich die ersten Tränen zu sammeln und plötzlich begann ich zu zittern. "Du bist ihr Vater, Dominik". Ich flüsterte und es kostete mich alle Überwindung, ihm dabei in die Augen zu blicken. Doch noch während ich sprach, wusste ich, dass dies ein Fehler gewesen war.


"Lüg mich nicht an, Oxana! Lüg mich nicht weiter an!". Dominik brüllte und kam mir dabei gefährlich nah. "Reicht es dir nicht, dass du mich 15 Jahre lang belogen hast? Musst du mich auch noch jetzt belügen?! Mir reicht es, Oxana. Ich kann unmöglich Kingas Vater sein. Unsere Blutgruppen passen nicht zusammen. Ich war deswegen noch einmal extra bei einem Arzt gewesen. Wesens Bastard hasst du mir da untergeschoben?! Sag es mir!!!" Er steigerte sich immer weiter in seine Wut. Um zu verhindern, dass ich mich von ihm abwand, fasste er mein Handgelenk und zwang mich dazu, ihn direkt anzusehen.


Er merkte nicht einmal, dass sein Griff immer fester wurde. "Dominik, du tust mir weh", wimmerte ich schließlich, als der Schmerz nicht mehr zu ertragen war. Dominik verstand zunähst nicht, bis er meinem Blick zu seiner Hand folgte, deren Knöchel bereits weiß hervor traten. Angewidert ließ er meinen Arm los und ich rieb vorsichtig mein gerötetes Gelenk. Für einen Moment herrschte Schweigen. Mein leises Schluchzen war das einzige Geräusch, was diese Stille durchbrach. "Ich will wissen, wer Kingas Vater ist". Dominiks Stimme klang nun wesentlich beherrschter, aber er war immer noch wütend. "Was spielt das denn für eine Rolle?", fragte ich unter Tränen. "Du bist der einzige Vater, denn sie kennt. Was kümmert dich ein Mann, der vor 15 Jahren für ihre Zeugung sorgte und der seitdem keine Bedeutung mehr hat?"


Doch Dominik war es nicht egal. "Ist es etwa dieser Kasimir? Man hat sich ja so einiges erzählt über dich und ihn. Ich weiß noch genau, wie die alte Tüller dich ein 'Großstadtflittchen' nannte. Vielleicht hatte sie gar nicht so Unrecht". Solche Worte aus dem Mund des Mannes zu hören, den ich liebte schmerzten besonders. Aber irgendwo geschah es mir recht. Dominik fing an nervös im Esszimmer umherzulaufen und weitere Männer aufzuzählen, den ich mich bereitwillig hingegeben haben sollte. "Es war bestimmt dieser Langnase! Dieser verdammt Benjamin! Kein Wunder, dass er damals in der Disco so ausgeflippt ist. Ich bringe diesen Typen um. Ich werde ihn umbringen!"


"Hör auf damit, Dominik. Hör bitte auf!", flechte ich meinen Mann an. "Er ist doch schon längst tot! Er ist doch schon längst tot". Mein ganzer Körper wurde von einem Heulkrampf durchzuckte. Augenblicklich verstummte Dominik und drehte sich zu mir um. Ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Nicht nur das Dominik mich anschrie, auf einmal überwältigte mich wieder die Erinnerung an Albert. Dominik hatte mich nicht oft so aufgelöst gesehen. Lediglich als mein Dad starb, als ich von meiner Entführung heimkehrte und nach Alberts Tod. Und auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.


Er begann zu lachen. Es war kein Lachen der Freude, sonder ein Lachen der Einsicht. "Oh mein Gott! Ich muss total blind gewesen sein." Zuvor hatte er seinen Blick von mir abgewendet, aber jetzt sah er mich wieder an. "Hat es Spaß gemacht mit Albert? Hat es Spaß gemacht sich über den dämlichen Ehemann lustig zu machen, der glaubt, seine Frau würde ihn lieben, während sie sich mit einem anderen im Bett vergnügt?" "Dominik, ich bitte dich, so war das nicht", flechte ich meinen Mann an, aber er schenkte mir gar keine Beachtung. Angewidert wand er den Blick von mir ab. "Wie lange, Oxana? Wie lange ging das?" Er sprach mehr zu sich selbst als zu mir. "Etwa bis zu seinem Tod? Die ganzen sieben Jahre lang? Oh Gott, jetzt verstehe ich überhaupt erst, wieso du so fertig warst nach seinem Tod. Ich dachte es ginge dir um Gerda, aber es ging dir nur um deinen Liebhaber. Und ich habe dich auch noch getröstet. Du hast einen wahren Idioten aus mir gemacht, Oxana". Erneut begann er hysterisch zu lachen.


Doch sein Lachen ging in ein hörbares Schluchzen über. Meine Tränen, die für wenige Sekunden versiegt waren begannen erneut zu fließen, als ich Dominiks Schmerz fühlte. "Dominik, bitte glaube mir, wenn ich sage, dass ich dir niemals wehtun wollte. Es stimmt, am Anfang habe ich dich nur benutzt, aber ich hätte nie gedacht, dass du mir so viel bedeuten könntest. Ich habe nicht erwartet, dass Kinga und ich dir so viel bedeuten würden. Albert war ein verheirateter Mann. Ich wollte es nicht so weit kommen lassen, aber plötzlich war ich schwanger. Ich konnte es ihm nicht sagen. Das durfte ich Gerda und ihren Kindern nicht antun. Also habe ich einen furchtbaren Fehler gemacht und behauptet, Kinga wäre dein Kind. Damals kannte ich dich kaum. Ich dachte, du würdest nichts von mir und dem Kind wissen wollen. Ich dachte, du würdest uns verlassen. Du hättest einfach aus meinem Leben verschwinden können. Ich brauchte nur einen Erzeuger für mein Kind, damit niemand auf die Idee kam, Albert könnte der Vater sein".


Dominik schwieg und hört mir einfach nur zu. Aber sein Gesicht blieb ausdruckslos. Ich konnte nicht sagen, ob er verstand, warum ich gehandelt hatte, wie ich es tat. Aber es war mir auch egal. Ich wollte endlich die Wahrheit loswerden. Zu viel Jahre hatte ich mit einer Lüge gelebt, einer Lüge, die nun mein ganzes Leben zu zerstören drohte. Wenn ich für mich und Dominik noch eine gemeinsame Zukunft sehen wollte, dann musste ich ihm jetzt die Wahrheit erzählen. Und zwar die ganze Wahrheit. Zitternd erzählte ich weiter: "Aber du bist bei mir und dem Kind geblieben, Dominik, und dafür liebe ich dich. Ich habe lange nicht erkannt, was ich an dir habe. Ich war geblendet. Ich wollte nicht sehen, dass ich schon den perfekten Mann an meiner Seite hatte. Ich sah nur Albert. Aber Dominik glaube mir, meine erneute Affäre mit Albert begann erst kurz vor seinem Tod. Bis dahin war ich dir immer treu gewesen."


Dominik hatte mir aufmerksam zugehört und fast schien es so, als ob er mir verzeihen könnte. Doch als ich meine Affäre mit Albert erwähnte, verfinsterte sich sein Blick. "Wie lange ging diese Affäre?", fragte er zwischen zusammengepressten Lippen. "Etwa...etwa ein Jahr", schämte ich mich es zuzugeben. Ein Jahr war eine verdammt lange Zeit. "Wir haben uns allerdings nur alle paar Wochen getroffen, wenn ich auf Viehauktionen und ähnlichem war. Und ich will ehrlich sein, Dominik, wenn Albert nicht ums Leben gekommen wäre, hätte ich dich verlassen. Deshalb bin ich nach seinem Tod auch nach Warschau geflüchtet. Aber dann kamst du und wolltest mich zurück. Du hast um mich gekämpft, das hatte mich beeindruckt, Dominik. Und ich wollte nicht, dass unsere Töchter, insbesondere Klaudia, ohne ihren Vater aufwachsen".


Es folgte Kein weiterer Wutausbruch. Nein, stattdessen gewannen Trauer und Enttäuschung die Oberhand. Dominik ertrug es erneut nicht mich länger anzublicken. Ich verstand es, auch wenn es schmerzte. "Sieben Jahre, sieben Jahre!", brummelte er immer wieder vor sich hin. "Sieben Jahre hattest du einen anderen geliebt. Und ich hatte nichts gemerkt. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung. Du wirktest glücklich, Brodlowska. Nicht im Traum hätte ich gedacht, dass du unglücklich mit mir warst. Klar, du warst immer zurückhaltend mir gegenüber. Wenn wir miteinander schliefen, dann ging die Initiative immer von mir aus, aber ich hatte weiß Gott nicht das Gefühl, dass du es nicht auch genießen würdest. Bist du wirklich eine solch gute Schauspielerin?"

 

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