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Als Klaudia in mein Zimmer kam, fand sie mich weinend vor dem
Bett hockend. Meine kleine Tochter setze sich zu mir und nahm
tröstend meine Hand. "Weinst du, weil Papi nicht mehr
wieder kommt?", fragte sie besorgt. Ich schluckte schwer
und nickte. "Kinga weint auch den ganzen Tag. Sie schimpft
sogar nicht, wenn ich in ihr Zimmer komme und CDs anmache. Können
Papi und du euch nicht einfach wieder vertragen". Ich schüttelte
traurig den Kopf und strich meinem Pummelchen eine Haarsträhne
hinter das Ohr. "Nein, das geht leider nicht so einfach.
Euer Papa wird mir nicht so leicht verzeihen. Wir drei müssen
jetzt sehen, wie wir alleine zurecht kommen. Aber wir schaffen
das schon, Kleines". Klaudia lächelte tapfer. Ich war
erstaunt, wie gut sie die Situation verkraftete. Vielleicht lag
es daran, dass sie die Tragweite noch nicht ganz begriff, aber
im Moment war sie stärker als Kinga und ich zusammen.
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Kinga hatte nach wie vor noch kein Wort mit mir gewechselt. Sie
verkroch sich in ihrem Zimmer und kam einfach nicht raus. Da half
auch mein Klopfen und Flehen nichts. Die einzige, die sich zu
sich ließ, war Klaudia, aber selbst ihre kleine Schwester
war ihren Gefühlsschwankungen manchmal schutzlos ausgeliefert.
"Du sollst abhauen, Klaudia", schrie sie ihre Schwester
an als sie ihr Zimmer betrat. Kinga saß verkrochen in einer
Ecke auf dem Boden und hielt ein altes Fotoalbum umklammert, mit
Bildern von ihr als Baby und als kleines Mädchen. Und natürlich
war auch Dominik auf den Bildern zu sehen. Ihre verquollenen Augen
zeigten deutlich, dass sie erst vor kurzem wieder geweint haben
musste.
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"Ist gut", erwiderte Klaudia geduldig. "Ich wollte
dir nur etwas zu Essen bringen, Ki. Du musst nicht, aber ich lasse
den Teller einfach mal hier. Guck, es gibt Hünchen und Rotkohl.
Und sogar Kartoffelspalten. Den doofen Spinat kannst du ja weg
lassen. Onkel Tristan hat gekocht. Es schmeckt bestimmt ganz toll".
Klaudia stellte den Teller ab und schlich dann leise wieder zur
Tür. "Danke Klaudi", hörte sie Kinga murmeln,
kurz bevor sie das Zimmer verlassen hatte. Wieder einmal lächelte
Klaudia tapfer und schloss vorsichtig die Zimmertür hinter
sich.
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Anschließend schlurfte sie zurück zum Esstisch, wo
auch schon Tristan und Stev saßen. Schweigend setzte sie
sich zu den beiden und kaute eher lustlos auf dem Essen herum,
das sie noch gerade eben bei Kinga so hoch angepriesen hatte.
Tristan beobachtete Klaudia traurig. Irgendetwas musste er tun,
um das Kind aufzuheitern, er wusste nur noch nicht genau was.
Und auch Stev schaute betrübt drein. In den wenigen Stunden,
die er in der Simlane war, hatte er bemerkt, dass der Haussegen
deutlich schief hing. Und er als Fremder fühlte er sich besonders
hilflos und unwohl in dieser Situation.
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Im Badezimmer, wo beide unter sich waren, sprach er Tristan darauf
an. "Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, wenn ich
hier wohne. Deine Mitbewohnerin und ihr Mann scheinen ja in einer
echten Ehekrise zu stecken und die beiden Mädchen sind doch
auch völlig durch den Wind. Ich glaube, es ist besser, wenn
nicht auch noch ein Fremder hier im Haus herumspukt. Es ist echt
nett von dir, dass du mir eine Dach über dem Kopf angeboten
hast, aber ich glaube ich sollte mich nach einer anderen Bleibe
umsehen. Der Zeitpunkt hier einzuziehen ist echt ungünstig".
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"Hey, Stev, das ist doch Quatsch", widersprach Tristan
ihm heftig. "Dieses Haus ist genauso meins, wie es das Zuhause
von Oxana und den Mädchen ist. Und mich störst du kein
bisschen. Ich bin sogar froh, dass ich jemanden um mich haben
kann, der nicht bis zum Hals in Problemen steckt." Er legte
seine Hände um Stevs Hüfte und zog ihn ein wenig zu
sich heran. "Ich möchte, dass du hier bleibst, bei mir".
Stev lächelte Tristan an und schlang seine Arme um Tristans
Schultern. "OK, wenn du es möchtest, dann bleibe ich
gerne hier".
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Zwei Tage lang hatte Kinga ihr Zimmer nicht verlassen. Es war
Wochenende gewesen, also ließ ich ihr allen Freiraum, den
sie brauchte, um zu verarbeiten, dass Dominik nicht ihr leiblicher
Vater war. Ich hatte schon befürchtet, dass sie auch am Montag
nicht aus ihrem Zimmer kommen würde, doch Kinga stand morgens
auf, zog ihre Schuluniform an und stieg gemeinsam mit Klaudia
in den Schulbus. Als sie allerdings mittags wieder Heim kam, ging
sie sofort in ihr Zimmer zurück und versuchte sich dort an
ihren Hausaufgaben, ohne ein Wort mit jemandem zu wechseln. Doch
so recht wollte es ihr nicht gelingen. Ihre Gedanken schweiften
immer wieder zu ihrem Vater ab und ihr Schulheft füllte sich
nur langsam.
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Am Abend klopfte es an ihrer Zimmertür. Entweder hatte sie
keine Lust zu antworte, oder Kinga hatte das Klopfen tatsächlich
nicht gehört. Aber da keiner antwortete öffnete Constance
die Tür einen Spalt weit und lugte in das Zimmer ihrer Freundin.
"Hallo, Ki! Deine kleine Schwester hat bei mir angerufen
und mich gebeten, dich mal zu besuchen. Darf ich rein?".
Kinga nickte müde.
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Constance setzte sich auf das Sofa neben Kinga. Ihre Freundin,
die fast so etwas wie ihre Schwester war, immerhin waren die beiden
Mädchen zusammen aufgewachsen, starrte immer noch teilnahmslos
in den Raum. "Klaudia hat nicht viel erzählt, nur das
es dir nicht gut gehen würde. Also Ki, was ist passiert?",
hackte Constance besorgt nach. Kinga blickte sie traurig an. "Mein...mein
Vater ist nicht mein leiblicher Vater", begann sie zögerlich
und Constance klappte schon bei den ersten Worten der Kinnladen
hinunter. Aber jetzt wo Kinga einmal zu erzählen begonnen
hatte, war sie nicht mehr zu stoppen.
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Ich hatte mir meinen ganzen schmerz und Kummer bereits bei Tristan
von der Seele reden können, doch Kinga bot sich diese Gelegenheit
erst jetzt. Als sie geendet hatte, schüttelte Constance nur
fassungslos den Kopf. "Man oh man! Das ist doch echt nicht
zu glauben. Heißt das etwa, du und Elvira ihr seid Schwestern?
Das wäre ja der totale Wahnsinn! Meinst du, Elvira weiß
bereits davon?", überlegte sie laut. "Keine Ahnung",
entgegnete Kinga, "und es ist mir auch ganz egal. Ich will
überhaupt nicht, dass Elvira meine Schwester ist. Ich will
das sie meine Freundin bleibt und nicht mehr. Und ich will, dass
mein Papa wieder mein richtiger Papa ist. Ich hasse Mama dafür,
dass sie mir das angetan hat. Sie hat mein ganzes Leben kaputt
gemacht".
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Kinga liefen erneut die Tränen über die Wangen, also
stand Constance auf und nahm ihre Freundin tröstend in den
Arm. "Was deine Mutter gemacht hat, ist echt fies von ihr
gewesen. Aber du darfst sie dafür doch nicht hassen. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter absichtlich so etwas
Hinterhältiges machen würde. Ich bin mir sicher, dass
sie dich nie absichtlich verletzen würde. Hass ist echt ein
böses Wort, Ki, und du solltest genau überlegen, ob
du es so meinst. Meine Mutter hat mich als kleines Mädchen
einfach zurückgelassen. Aber ich bin ihr deswegen nicht böse.
Dadurch habe ich erst meinen Papa kennen gelernt und ich bin mir
sicher, dass sie mich nie weg geben wollte. Und dein Papa ist
ja immer noch da und...und du hast jetzt vier neue Geschwister.
Darüber kannst du dich doch freuen".
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Constance Worte waren aufrichtig und lieb gemeint. Trotzdem stieß
Kinga ihre Freundin wütend von sich. "Warum fällst
du mir jetzt in den Rücken Conny? Ich dachte du bist meine
Freundin? An dieser ganzen Geschichte gibt es nichts Gutes. Gar
nichts, hast du gehört!? Mein Papa ist weg und wird nicht
mehr wieder kommen, weil meine Mutter eine miese Lügnerin
ist. Und ich hab dir schon gesagt, Elvira und die drei anderen
sind nicht meine Geschwister! Und ich will auch nichts von Albert
wissen. Dominik ist mein Vater und sonst niemand und Mama ist
schuld, dass er uns verlassen hat. Und dafür hasse ich sie.
Und wenn du nicht zu mir hältst, dann kannst du auch gleich
wieder verschwinden!"
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Doch Constance verschwand nicht. "Ich bin deine Freundin,
Ki, und ich halte zu dir. Wir sind doch beste Freundinnen seitdem
wir krabbeln können". Sie nahm Kingas Hände und
hielt sie fest. "Ich verspreche dir, dass ich dir helfen
werde. Und wenn du deine Mutter hassen willst, dann werde ich
sie auch hassen. Freundinnen halten doch zusammen. Und vielleicht
wird ja alles wieder gut? vielleicht kommt dein Papa wieder zu
euch zurück? Und bis dahin bin ich für dich da".
"Versprochen?", schniefte Kinga. "Versprochen und
niemals gebrochen!"
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Ich hatte Tristan und Kinga hatte nun Constance um sich auszuweinen.
Doch mein kleines Pummelchen hatte niemanden. Auch wenn es mir
selbst nicht gut ging, wollte ich doch wenigstens für meinen
kleinen Engel da sein. Doch als ich in ihr Zimmer kam, um ihr
eine Gutenachtgeschichte vorzulesen, schlief sie schon tief und
fest. „Schlaf gut mein kleiner Engel“, flüsterte
ich, strich ihr über das Haar und gab ihr einen Kuss auf
die Stirn.
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Tristan hatte sich ja bereits vorgenommen, sich ein wenig um meine
Jüngste zu kümmern. Und er setzte dies auch um, indem
er ihr beispielsweise vorlas, wenn sie aus der Schule kam. Auch
wenn Klaudia nur ungern ihre Nase in ein Buch steckte, so hatte
lauschte sie doch gerne, wenn jemand anderes ihr eine Geschichte
vorlas. Dominik hatte das oft übernommen, aber mein Pummelchen
nahm auch Tristan als Ersatz an.
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Aber Klaudias Mutter war nun einmal ich und es lag in meiner Verantwortung
dafür zu sorgen, dass es meiner Tochter gut ging. Und auch
wenn sie es gerne hatte, wenn Tristan ihr vorlas, so mochte sie
es doch viel lieber, wenn sie meinen Worten lauschen konnte. Ihr
Vater ließ sich nach wie vor nicht blicken. Ich konnte es
ihm nicht verübeln, doch Klaudia vermisste ihn sicherlich
schrecklich. Und so klammerte sie sich noch viel mehr an mich.
Aber es tat mir gut, von ihr gebraucht zu werden. So konnte ich
wenigstens für den Moment vergessen, dass mein Mann mich
verlassen hatte und meine andere Tochter mich dafür hasste.
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Aber eben doch nur für den Moment. War ich mal alleine und
unbeobachtet, konnte ich meine Trauer nicht mehr verbergen. Ich
wusste, dass alleine ich an dieser Situation schuld war, aber
es änderte doch nichts daran, dass ich mir nichts sehnlicher
wünschte, als mich wieder an Dominiks starke Schulter schmiegen
zu können.
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Die Kinder fanden Ablenkung bei ihren Freunden und in der Schule.
Auch ich hatte meine Arbeit auf der Farm, aber wenn ich alleine
im Haus war, dann übermannte mich doch eine tiefe Traurigkeit.
Dann wurde mir bewusst, wie einsam mein Leben ohne Dominik war.
Er war nun schon seit einer Woche fort und hatte immer noch nichts
von sich hören lassen. Ich hoffte natürlich noch immer,
dass er sich bald melden würde, wenn nicht mir zuliebe, dann
aufgrund der Kinder. Doch das Telefon blieb stumm und Dominik
stand auch nicht plötzlich wieder vor der Tür. Ich musste
mich damit abfinden, dass er seine Worte ernst meinte und wirklich
’fertig’ mit mir war. In den kitschigen Liebesromanen
gab es so etwas nicht, und selbst wenn, dann endeten sie doch
immer mit einem Happyend. Vielleicht ließ ich mich aus diesem
Grund so sehr gehen und verbrachte ganze Vormittage damit, in
den romantischen Geschichten zu schmökern.
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