1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 R

 


Als Klaudia in mein Zimmer kam, fand sie mich weinend vor dem Bett hockend. Meine kleine Tochter setze sich zu mir und nahm tröstend meine Hand. "Weinst du, weil Papi nicht mehr wieder kommt?", fragte sie besorgt. Ich schluckte schwer und nickte. "Kinga weint auch den ganzen Tag. Sie schimpft sogar nicht, wenn ich in ihr Zimmer komme und CDs anmache. Können Papi und du euch nicht einfach wieder vertragen". Ich schüttelte traurig den Kopf und strich meinem Pummelchen eine Haarsträhne hinter das Ohr. "Nein, das geht leider nicht so einfach. Euer Papa wird mir nicht so leicht verzeihen. Wir drei müssen jetzt sehen, wie wir alleine zurecht kommen. Aber wir schaffen das schon, Kleines". Klaudia lächelte tapfer. Ich war erstaunt, wie gut sie die Situation verkraftete. Vielleicht lag es daran, dass sie die Tragweite noch nicht ganz begriff, aber im Moment war sie stärker als Kinga und ich zusammen.


Kinga hatte nach wie vor noch kein Wort mit mir gewechselt. Sie verkroch sich in ihrem Zimmer und kam einfach nicht raus. Da half auch mein Klopfen und Flehen nichts. Die einzige, die sich zu sich ließ, war Klaudia, aber selbst ihre kleine Schwester war ihren Gefühlsschwankungen manchmal schutzlos ausgeliefert. "Du sollst abhauen, Klaudia", schrie sie ihre Schwester an als sie ihr Zimmer betrat. Kinga saß verkrochen in einer Ecke auf dem Boden und hielt ein altes Fotoalbum umklammert, mit Bildern von ihr als Baby und als kleines Mädchen. Und natürlich war auch Dominik auf den Bildern zu sehen. Ihre verquollenen Augen zeigten deutlich, dass sie erst vor kurzem wieder geweint haben musste.


"Ist gut", erwiderte Klaudia geduldig. "Ich wollte dir nur etwas zu Essen bringen, Ki. Du musst nicht, aber ich lasse den Teller einfach mal hier. Guck, es gibt Hünchen und Rotkohl. Und sogar Kartoffelspalten. Den doofen Spinat kannst du ja weg lassen. Onkel Tristan hat gekocht. Es schmeckt bestimmt ganz toll". Klaudia stellte den Teller ab und schlich dann leise wieder zur Tür. "Danke Klaudi", hörte sie Kinga murmeln, kurz bevor sie das Zimmer verlassen hatte. Wieder einmal lächelte Klaudia tapfer und schloss vorsichtig die Zimmertür hinter sich.


Anschließend schlurfte sie zurück zum Esstisch, wo auch schon Tristan und Stev saßen. Schweigend setzte sie sich zu den beiden und kaute eher lustlos auf dem Essen herum, das sie noch gerade eben bei Kinga so hoch angepriesen hatte. Tristan beobachtete Klaudia traurig. Irgendetwas musste er tun, um das Kind aufzuheitern, er wusste nur noch nicht genau was. Und auch Stev schaute betrübt drein. In den wenigen Stunden, die er in der Simlane war, hatte er bemerkt, dass der Haussegen deutlich schief hing. Und er als Fremder fühlte er sich besonders hilflos und unwohl in dieser Situation.


Im Badezimmer, wo beide unter sich waren, sprach er Tristan darauf an. "Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, wenn ich hier wohne. Deine Mitbewohnerin und ihr Mann scheinen ja in einer echten Ehekrise zu stecken und die beiden Mädchen sind doch auch völlig durch den Wind. Ich glaube, es ist besser, wenn nicht auch noch ein Fremder hier im Haus herumspukt. Es ist echt nett von dir, dass du mir eine Dach über dem Kopf angeboten hast, aber ich glaube ich sollte mich nach einer anderen Bleibe umsehen. Der Zeitpunkt hier einzuziehen ist echt ungünstig".


"Hey, Stev, das ist doch Quatsch", widersprach Tristan ihm heftig. "Dieses Haus ist genauso meins, wie es das Zuhause von Oxana und den Mädchen ist. Und mich störst du kein bisschen. Ich bin sogar froh, dass ich jemanden um mich haben kann, der nicht bis zum Hals in Problemen steckt." Er legte seine Hände um Stevs Hüfte und zog ihn ein wenig zu sich heran. "Ich möchte, dass du hier bleibst, bei mir". Stev lächelte Tristan an und schlang seine Arme um Tristans Schultern. "OK, wenn du es möchtest, dann bleibe ich gerne hier".

 

 


Zwei Tage lang hatte Kinga ihr Zimmer nicht verlassen. Es war Wochenende gewesen, also ließ ich ihr allen Freiraum, den sie brauchte, um zu verarbeiten, dass Dominik nicht ihr leiblicher Vater war. Ich hatte schon befürchtet, dass sie auch am Montag nicht aus ihrem Zimmer kommen würde, doch Kinga stand morgens auf, zog ihre Schuluniform an und stieg gemeinsam mit Klaudia in den Schulbus. Als sie allerdings mittags wieder Heim kam, ging sie sofort in ihr Zimmer zurück und versuchte sich dort an ihren Hausaufgaben, ohne ein Wort mit jemandem zu wechseln. Doch so recht wollte es ihr nicht gelingen. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu ihrem Vater ab und ihr Schulheft füllte sich nur langsam.


Am Abend klopfte es an ihrer Zimmertür. Entweder hatte sie keine Lust zu antworte, oder Kinga hatte das Klopfen tatsächlich nicht gehört. Aber da keiner antwortete öffnete Constance die Tür einen Spalt weit und lugte in das Zimmer ihrer Freundin. "Hallo, Ki! Deine kleine Schwester hat bei mir angerufen und mich gebeten, dich mal zu besuchen. Darf ich rein?". Kinga nickte müde.


Constance setzte sich auf das Sofa neben Kinga. Ihre Freundin, die fast so etwas wie ihre Schwester war, immerhin waren die beiden Mädchen zusammen aufgewachsen, starrte immer noch teilnahmslos in den Raum. "Klaudia hat nicht viel erzählt, nur das es dir nicht gut gehen würde. Also Ki, was ist passiert?", hackte Constance besorgt nach. Kinga blickte sie traurig an. "Mein...mein Vater ist nicht mein leiblicher Vater", begann sie zögerlich und Constance klappte schon bei den ersten Worten der Kinnladen hinunter. Aber jetzt wo Kinga einmal zu erzählen begonnen hatte, war sie nicht mehr zu stoppen.


Ich hatte mir meinen ganzen schmerz und Kummer bereits bei Tristan von der Seele reden können, doch Kinga bot sich diese Gelegenheit erst jetzt. Als sie geendet hatte, schüttelte Constance nur fassungslos den Kopf. "Man oh man! Das ist doch echt nicht zu glauben. Heißt das etwa, du und Elvira ihr seid Schwestern? Das wäre ja der totale Wahnsinn! Meinst du, Elvira weiß bereits davon?", überlegte sie laut. "Keine Ahnung", entgegnete Kinga, "und es ist mir auch ganz egal. Ich will überhaupt nicht, dass Elvira meine Schwester ist. Ich will das sie meine Freundin bleibt und nicht mehr. Und ich will, dass mein Papa wieder mein richtiger Papa ist. Ich hasse Mama dafür, dass sie mir das angetan hat. Sie hat mein ganzes Leben kaputt gemacht".


Kinga liefen erneut die Tränen über die Wangen, also stand Constance auf und nahm ihre Freundin tröstend in den Arm. "Was deine Mutter gemacht hat, ist echt fies von ihr gewesen. Aber du darfst sie dafür doch nicht hassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter absichtlich so etwas Hinterhältiges machen würde. Ich bin mir sicher, dass sie dich nie absichtlich verletzen würde. Hass ist echt ein böses Wort, Ki, und du solltest genau überlegen, ob du es so meinst. Meine Mutter hat mich als kleines Mädchen einfach zurückgelassen. Aber ich bin ihr deswegen nicht böse. Dadurch habe ich erst meinen Papa kennen gelernt und ich bin mir sicher, dass sie mich nie weg geben wollte. Und dein Papa ist ja immer noch da und...und du hast jetzt vier neue Geschwister. Darüber kannst du dich doch freuen".


Constance Worte waren aufrichtig und lieb gemeint. Trotzdem stieß Kinga ihre Freundin wütend von sich. "Warum fällst du mir jetzt in den Rücken Conny? Ich dachte du bist meine Freundin? An dieser ganzen Geschichte gibt es nichts Gutes. Gar nichts, hast du gehört!? Mein Papa ist weg und wird nicht mehr wieder kommen, weil meine Mutter eine miese Lügnerin ist. Und ich hab dir schon gesagt, Elvira und die drei anderen sind nicht meine Geschwister! Und ich will auch nichts von Albert wissen. Dominik ist mein Vater und sonst niemand und Mama ist schuld, dass er uns verlassen hat. Und dafür hasse ich sie. Und wenn du nicht zu mir hältst, dann kannst du auch gleich wieder verschwinden!"


Doch Constance verschwand nicht. "Ich bin deine Freundin, Ki, und ich halte zu dir. Wir sind doch beste Freundinnen seitdem wir krabbeln können". Sie nahm Kingas Hände und hielt sie fest. "Ich verspreche dir, dass ich dir helfen werde. Und wenn du deine Mutter hassen willst, dann werde ich sie auch hassen. Freundinnen halten doch zusammen. Und vielleicht wird ja alles wieder gut? vielleicht kommt dein Papa wieder zu euch zurück? Und bis dahin bin ich für dich da". "Versprochen?", schniefte Kinga. "Versprochen und niemals gebrochen!"

 

 


Ich hatte Tristan und Kinga hatte nun Constance um sich auszuweinen. Doch mein kleines Pummelchen hatte niemanden. Auch wenn es mir selbst nicht gut ging, wollte ich doch wenigstens für meinen kleinen Engel da sein. Doch als ich in ihr Zimmer kam, um ihr eine Gutenachtgeschichte vorzulesen, schlief sie schon tief und fest. „Schlaf gut mein kleiner Engel“, flüsterte ich, strich ihr über das Haar und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.


Tristan hatte sich ja bereits vorgenommen, sich ein wenig um meine Jüngste zu kümmern. Und er setzte dies auch um, indem er ihr beispielsweise vorlas, wenn sie aus der Schule kam. Auch wenn Klaudia nur ungern ihre Nase in ein Buch steckte, so hatte lauschte sie doch gerne, wenn jemand anderes ihr eine Geschichte vorlas. Dominik hatte das oft übernommen, aber mein Pummelchen nahm auch Tristan als Ersatz an.


Aber Klaudias Mutter war nun einmal ich und es lag in meiner Verantwortung dafür zu sorgen, dass es meiner Tochter gut ging. Und auch wenn sie es gerne hatte, wenn Tristan ihr vorlas, so mochte sie es doch viel lieber, wenn sie meinen Worten lauschen konnte. Ihr Vater ließ sich nach wie vor nicht blicken. Ich konnte es ihm nicht verübeln, doch Klaudia vermisste ihn sicherlich schrecklich. Und so klammerte sie sich noch viel mehr an mich. Aber es tat mir gut, von ihr gebraucht zu werden. So konnte ich wenigstens für den Moment vergessen, dass mein Mann mich verlassen hatte und meine andere Tochter mich dafür hasste.


Aber eben doch nur für den Moment. War ich mal alleine und unbeobachtet, konnte ich meine Trauer nicht mehr verbergen. Ich wusste, dass alleine ich an dieser Situation schuld war, aber es änderte doch nichts daran, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als mich wieder an Dominiks starke Schulter schmiegen zu können.


Die Kinder fanden Ablenkung bei ihren Freunden und in der Schule. Auch ich hatte meine Arbeit auf der Farm, aber wenn ich alleine im Haus war, dann übermannte mich doch eine tiefe Traurigkeit. Dann wurde mir bewusst, wie einsam mein Leben ohne Dominik war. Er war nun schon seit einer Woche fort und hatte immer noch nichts von sich hören lassen. Ich hoffte natürlich noch immer, dass er sich bald melden würde, wenn nicht mir zuliebe, dann aufgrund der Kinder. Doch das Telefon blieb stumm und Dominik stand auch nicht plötzlich wieder vor der Tür. Ich musste mich damit abfinden, dass er seine Worte ernst meinte und wirklich ’fertig’ mit mir war. In den kitschigen Liebesromanen gab es so etwas nicht, und selbst wenn, dann endeten sie doch immer mit einem Happyend. Vielleicht ließ ich mich aus diesem Grund so sehr gehen und verbrachte ganze Vormittage damit, in den romantischen Geschichten zu schmökern.

 

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 R