Aufgabe1
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"Ach, mein kleiner Spatz", rief meine Mutter erfreut. "Ich konnte es kaum glauben, als dein Vater erzählte, du hättest dir ein Haus in Rodaklippa gekauft. Ich hätte dich am liebsten gleich besucht." Ich ging auf Mama zu und sie streichelte mir behutsam über den Arm. "Ich fühle mich einfach wohl hier", entgegnete ich. Und das stimmte auch. Ich hatte schon gestern erfahren, wie schön es war, wenn man einfach nur ein paar Straßen weiter gehen musste, um den eigenen Vater um Hilfe zu bitten. Und jetzt bei Mama zu sein machte mich ebenfalls glücklich. Vier Jahre lang hatte ich versucht, die große weite Welt zu erkunden. Doch jetzt hatte ich erkannt, dass ich nur da sein wollte, wo auch meine Familie war.

 
 
 

Doch dann setzte meine Mutter eine traurige Mine auf. "Aber warum hast du uns nie etwas davon erzählt, dass es mit deinem Studium nicht gut läuft. Dein Vater und ich hatten immer das Gefühl, dass du das ganz leicht meistern würdest. Ich war wirklich sehr überrascht, dass du die Abschlussprüfung nicht bestanden hast." Betroffen senkte ich meinen Blick. Mein missglücktes Studium war wirklich kein Thema, über das ich gerne sprach.

 
 
   
 

Doch Mama schien dies nicht zu bemerken. Sie forderte mich dazu auf, mich hinzusetzen und bohrte gleich weiter. "Vielleicht hast du dich auch einfach übernommen, Spatz? Mathematik ist schließlich auch ein schweres Fach. Vielleicht hättest du lieber Simlisch auf Grundschullehramt studieren sollen? Du hast doch früher immer so schöne Aufsätze geschrieben." Ja, in der dritten Klasse! Danach sanken meine Noten eher in die Mittelmäßigkeit ab. "Ich glaube, studieren war nie das Richtige für mich, ganz egal welches Fach", seufzte ich betrübt.

 
   
 
 

"Ja, da hast du vielleicht recht", entgegnete meine Mutter. Obwohl sie genau das bestätigte, was ich gerade gesagt hatte, trafen mich ihre Worte. Insgeheim hatte ich mir gewünscht, dass sie mir widersprach, dass sie mir bewies, dass sie an mich glaubte. Doch stattdessen begann sie von meiner älteren Schwester zu sprechen. "Kinga war fürs Studium wie gemacht. Oh, sie war eine solch gute Schülerin. Sie hätte alles werden können. Ärztin, Politikerin…"

 
 
 
 

Der Blick meiner Mutter schweifte in die Ferne ab. "Doch es kommt nicht immer alles so, wie man es sich vorstellt. Deine Schwester hat sich ihr Leben selbst verbaut. Ich kann nur hoffen, dass sie es schafft, irgendwie glücklich zu werden. Weißt du, wir Blech Frauen sind nicht unbedingt fürs Glück gemacht." Für einen Moment versank meine Mutter in stummer Traurigkeit. "Ich hätte mir gewünscht, dass du mehr Glück im Leben haben würdest, Spätzchen."

 
 
 
 

"Mama, so schlimm ist mein Leben auch wieder nicht", entgegnete ich und versuchte die Stimmung mit einem Lächeln aufzulockern. Doch ein Lächeln spielgelt sich nicht wie erhofft auf den Lippen meiner Mutter wieder. Sie blickte mich stattdessen traurig an und in ihren Augen erkannte ich, dass ich sie enttäuscht hatte. Auch ihre zweite Tochter hatte es zu nichts gebracht. Diese Erkenntnis traf mich tief und mein Lächeln erstarrte zu einer steinernen Fratze.

 
 
   
 

Zum Glück betrat gerade in diesem Moment Papa die Küche. "Na, was machen meine beiden wunderschönen Frauen? Ein kleines Kaffeepläuschchen? Solltet ihr beiden nicht lieber damit beschäftigt sein, dem Herrn des Hauses ein deftiges Mittagessen zu kochen?" Mein Vater zwinkerte mir bei den Worten zu. Er hatte eben für jede Situation einen Spruch parat.

 
   
 
 

Natürlich erwartete mein Vater nicht, dass Mama und ich alles stehen und liegen ließen, um ihn zu bekochen. Wobei, darüber gefreut hätte er sich sicher. Stattdessen setzte er sich zu uns an den Tisch. "Ich habe mit deiner Mutter gestern lange gesprochen", setzt er schließlich an. "Warum ziehst du nicht wieder bei uns ein? Wir haben hier genug Platz und du wärst nicht so allein in deinem Haus. Außerdem bräuchtest du dir auch keine Sorgen ums Geld zu machen. Deine Mutter und ich würden uns um dich kümmern."

 
 
 
 

Sowohl Mama als auch Papa sahen mich erwartungsvoll an. Und ich muss zugeben, dass das Angebot verlockend klang. Ich bräuchte mir keine Gedanken darüber zu machen, wie es mit meinem Leben weitergehen sollte. Doch dann erinnerte ich mich wieder an den Blick der Enttäuschung, den ich in den Augen meiner Mutter gesehen hatte. Nein, ich musste es schaffen, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich musste meiner Mutter beweisen, dass ich keine Enttäuschung war. Ich wusste zwar noch nicht wie, aber ich würde das schaffen!

 
 
   
 

"Vielen Dank für euer Angebot. Aber...aber wenn es auch nichts ausmacht, würde ich doch gerne erst einmal versuchen, ob ich das mit dem eigenen Haus hinbekomme." Ich war selbst erstaunt darüber, dass ich den Mut fand auszusprechen, was ich wirklich dachte. Aber leicht fiel es mir nicht und meine Stimme wurde mit jedem Wort schwächer. Mein Vater blickte Mama betrübt an und diese biss sich nur unbeholfen auf die Lippen. Die Situation wurde wirklich unangenehm. Doch dann begann Papa langsam mit dem Kopf zu nicken. "In Ordnung, Spatz. Aber vergiss nie, dass du uns jederzeit um Hilfe bitten kannst. Dafür sind wir schließlich da."

 
 
 
   

Das wusste ich natürlich. Und jetzt, wo alles geklärt war, wurden alle um einiges lockerer. Wir zogen uns ins Wohnzimmer zurück und unterhielten uns, während im Hintergrund die Aufzeichnung des gestrigen Fußballspiels SimCity gegen SimVegas übertragen wurde. Mein Bruder Sky gesellte sich zu uns, sobald er von der Schule heimkehrte. Eine überschwängliche Umarmung konnte ich von ihm nicht erwarten. Dafür war er mit seinen 14 Jahren ja viel zu cool. Aber ich musste ganz genau, dass sich hinter seinem kühlen "Hi, Klaudi" ehrliche Freude darüber verbarg, mich wiederzusehen.

 
 
 

Ich war mir sicher, dass Mama und Papa ihm von meinem Missglückten Studium erzählt hatten. Aber er erwähnte das mit keinem Wort und dafür war ich ihm unendlich dankbar. Stattdessen fragte er mich darüber aus, wie es den wäre in einem eigenen Haus zu wohnen, ohne Elter, mit der Freiheit, alles tun und lassen zu können, was man wollte. Ich muss gestehen, dass ich mir aufgrund der Angst vor der Reaktion meiner Eltern und aufgrund der ungewissen Zukunft, die Vorteile der Situation noch gar nicht so bewusst gemacht hatte. Manchmal musste man die Welt nur aus einem anderen Blickwinkel betrachten und schon ging die Sonne auf.

 

 

 

   
 
 
   

Tja, aber diese Vorteile konnte man ganz schnell vergessen wenn man erst einmal wieder mutterseelenallein in seinen eigenen vier Wänden war. Ich hatte vorher noch nie alleine gelebt. Als ich klein war, lebte ich mit meinen Eltern, meinen Geschwistern und einem guten Freund meiner Mutter unter einem Dach. Im Studentenwohnheim hatte ich auch immer Menschen um mich herum. Es war nicht so, dass ich es liebte, in einer großen Menschenmenge zu sein, das nun ganz und gar nicht. Aber es war schon zu wissen, dass jemand in den Nähe war. Und mein neuer Pandabär war zwar schön, aber leider war er ein sehr schweigsamer Gefährte.

 
 
 
 

Doch bevor die Stille, die nur von dem lauten Ticken meiner 2 § Wanduhr durchbrochen wurde, mich in den Wahnsinn treiben konnte, klingelte es an der Tür. Ich war verwirrt, denn bis auch meine Eltern hatte ich keine Freunde in Rodaklippa. Auch in der Schule war ich lieber für mich allein und die wenigen Freundschaften, die ich doch hatte, waren nach meinem Umzug nach Nantesim recht schnell abgeebbt. Als ich zaghaft die Tür öffnete, wurde ich von einer jungen Frau in Empfang genommen, die laut "Überraschung!" schrie und dabei strahlte, als ob sie gerade im Lotto gewonnen hätte.

 
   
   
 

"Magda?", fragte ich unsicher, da ich glaubte, dass mich meine Sinne im faden Licht der Gartenlaterne täuschen könnten. "Nein der Papst!", antworte diese augenrollend. "Natürlich bin ich es, Claude. Deine Cousine, die extra den weiten Weg aus SimCity auf sich genommen hat, um dich zu besuchen!"

 
 
   

Bevor ich auch nur ein Wort darauf erwidern konnte, kam sie auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. Dabei fiel mein Blick auf die vielen Koffer, die sie mitgebracht hatte. Entweder, meine Cousine reiste immer mit großem Gepäck…oder sie hatte vor, länger zu bleiben. "Willst du mich den gar nicht rein bitten, Claude?", unterbrach sie meine Gedanken. "Nach der langen Reise bin ich ganz schon ausgehungert."

 
 
   

"Ja, klar", stammelte ich und führte Magda ins Haus. Ihre beiden schweren Koffer nahm sie selbstverständlich mit, was für mich ein deutliches Zeichen war, dass sie nicht vor hatte, so schnell wieder zu gehen. Ich bot ihr einen Saft an, den sie dankend entgegennahm, und dann ließ sie sich seufzend in meinen gestreiften Sessel fallen. Während sie den Saft durch den Strohhalm saugte, wanderte ihr Blick durch das Wohnzimmer. "Du hast es hier ja wirklich...nett, Claude". Beschämt senkte ich meinen Blick, denn der Seitenhieb war mir nicht entgangen. Ja, das Zimmer war so gut wie leer, und die vorhandene Innenausstattung ließ so einige Wünsche offen. Aber hej, das war mein Haus, und sie war hier bloß ein Gast. Zudem auch noch ein ungeladener.

   
 
 
   

Doch natürlich traute ich mich nicht, ihr das ins Gesicht zu sagen. "Würdest du mir auch den Rest des Hauses zeigen?", fragte Magda dann und stellte die nun leere Safttüte auf den Tisch ab. Viel gab es ja nicht zu sehen, aber ich zeigte meiner Cousine das Badezimmer und das Schlafzimmer. "Oh, du hast ja sogar ein Doppelbett", bemerkte sie, als ich das Licht in dem Zimmer einschaltete. Irgendwie ahnte ich schon, was gleich kommen würde und natürlich behielt ich Recht. "Meinst du…meinst du ich konnte hier vielleicht für ein paar Nächte bleiben?"

 
 
 

In meinem Inneren tobte ein Kampf. Auf der einen Seite war ich froh, nicht mehr allein sein zu müssen. Auf der anderen Seite hatte ich mir Unabhängigkeit doch gewünscht. Als ich jedoch in Magdas große, flehende Rehaugen blickte, konnte ich meiner Cousine diesen Wunsch nicht abschlagen. "Okay, Magda, du kannst für eine Weile hier bleiben." Sie klatschte zufrieden in die Hände. "Danke, Claude, Danke, Danke, Danke!", rief sie überschwänglich. "Ich hieße Klaudia, nicht Claude", erwiderte ich zaghaft, da es mir langsam den Wecker ging, dass meine Cousine mich so nannte. Ich war doch kein Mann! Aber entweder hatte sie mich nicht verstanden, weil ich zu leise gesprochen hatte, oder aber sie wollte einfach nicht hören. Denn gleich im nächsten Satz nannte sie mich wieder so. "Ach, Claude, das wird so lustig. So wie damals während des Kriegs, als du mit deine Familie bei uns gewohnt hast. Wir werden wie Schwester sein. Claude, ich sag‘s dir, das wird eine tolle Zeit werden."

 

 

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kor. 18.01.2014