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Am nächsten Morgen berichtete mir Klaudia, was alles vorgefallen war. Sie erzählte mir von Kingas Partys, ihren Freunden, die unser Haus verwüsteten und sie so sehr ängstigten. Sie erzählte mir, wie Kinga sie herumgeschubst und herumkommandiert hatte und sie erwähnte auch den Mann, den ich mit Kinga überrascht hatte. Es war schon öfter bei uns gewesen und jedes Mal hatte Kinga sich hinterher seltsam benommen. Ich konnte mir denken, woran dies lag. Sie hatte also nicht nur dieses eine Mal Drogen genommen. Dennoch konnte ich nicht fassen, zu was mein älter Tochter allem fähig gewesen war. Ich wusste schon so lange, dass sie einen tiefen Hass gegen mich hegte, aber ich hatte nie vermutet, dass sich dieser Hass auch gegen ihre jüngere Schwester richtete.


"Aber warum hast du nichts gesagt, Klaudi? Warum hast du dich niemandem anvertraut. Mir, oder deinen Großeltern. Wir hätten dir helfen können". Klaudia blickt traurig zu Boden. "Du warst doch schon so traurig wegen Uromi, Mami. Ich wollte dich nicht noch mehr belasten". Behutsam legte ich meine Hände auf ihre Schultern und blickte sie eindringlich an. "Schatz, wie oft soll ich dir noch erklären, dass du dich nicht um meine Probleme kümmern sollst? Du bist mein kleines Mädchen und es ist mein Aufgabe, für dich da zu sein, nicht umgekehrt. Und ich mache diese Aufgabe gerne, also lass nie wieder zu, dass du deine Probleme so lange in dich hinein frisst. Versprich mir das, Klaudi". Nach einer kurzen Weile nickte mein kleines Mädchen zustimmend.


Im gleichen Moment hielt ein Auto vor der Simlane und Herr Jakoby, der Direktor der Privatschule, die Kinga besuchte, stieg aus und kam auf mich zu. Er begrüßte mich freundlich, kam dann aber gleich zur Sache. "Frau Brodlowska, ich muss sie darüber informieren, dass ihre Tochter Kinga nun schon seit mehreren Tagen nicht zum Unterricht erschienen ist". Klaudia hatte mich auch darüber schon aufgeklärt. "Es tut mir sehr leid, Herr Jakoby, dass ich sie noch nicht informieren konnte, aber meine Tochter ist zurzeit leider krank und konnte deshalb nicht erscheinen". Ich log, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Ich wusste selbst nicht genau, warum ich es tat, aber unsere häuslichen Probleme gingen diesen Menschen einfach nichts an.


"Nun gut, ich verstehe, ich versteh", erwiderte er ungeduldig. "Ich wünsche ihr gute Besserung, aber dennoch hätte die Entschuldigung umgehend bei mir auf dem Schreibtisch landen müssen. Ich hatte sie im letzten Brief eindringlich gewarnt, dass wir einen weitern Verstoß Kingas gegen die Schulordnung nicht dulden werden". Ein Brief? Was für ein Brief? Aber mir dämmerte schnell, dass Kinga dafür gesorgt hatte, das dieser und wahrscheinlich etliche andere Briefe mich nie erreicht hatten. "Aus diesem Grund bin ich auch persönlich erschienen. Ich muss ihnen leider mitteilen, dass Kinga unsere Privatschule umgehend verlassen muss. Wir haben ihr Benehmen lange genug toleriert, doch in letzter Zeit lassen auch ihre Leistungen stark zu wünschen übrig. Es tut mir sehr leid, aber Kinga wird ihre mittlere Hochschulreife nicht an unserem Institut erreichen." Bekümmert blickte ich zur Straße. Was sollte ich denn auch noch sagen? Also dankte ich ihm für sein Kommen und verabschiedete mich.


Ich schritt vor dem Haus auf und ab und dachte darüber nach, wie es jetzt weiter gehen sollte. Da stand plötzlich Alexander vor mir. "Is King da?", fragte er mit seiner tiefen Stimme. "Ich will se sehen. Hab spitz gekriegt, dass es ihr nicht so pralle geht". Ich konnte diesen Kerl nicht leiden. Nicht wegen seiner Kleidung oder der Art sein Gesicht zu bemalen. Es war die Art, wie er mich immerzu ansah, mit seinen Blicken, die mich zum einen auszogen, mich zum anderen aber am liebsten blutend auf der Straße sehen würden. Aber heute erkannte ich zum ersten Mal so etwas wie Besorgnis und Mitgefühl in seinen Augen.


Doch dann wurde ich misstrauisch. "Woher weiß du überhaupt, dass es ihr schlecht geht?", fragte ich und kniff die Augen zusammen. "Niemand außer Kingas Vater, ihrer Schwester und mir weiß bis jetzt bescheid. Also wie kannst du es wissen? Du steckst da irgendwie mit drin. Ich hätte dich und dein Schwester schon vor Jahren von meiner Tochter fern halten sollen. Ihr zwei seid wie Ungeziefer, das sich an sie geklammert hat und sie leer saugt, bis sie genau so kaputt ist, wie ihr. Verschwinde von hier, Alexander, und lass dich ja nicht mehr blicken!"


Der Anflug von Mitgefühl verschwand augenblicklich aus seinen Augen. "Jetzt gib mir nicht die Schuld, du alte Hexe. Du hast selbst dafür gesorgt, dass Kinga jetzt da ist, wo se ist. Du willst doch nur, dass se genau so wird wie du und hast nie gecheckt, dass se einen eigenen Weg gehen will". "Verschwinde von meinem Land!", brüllte ich ihn an, "Sonst rufe ich die Polizei. Ich weiß doch, dass du knietief in diesem Drogensumpf steckst, in den du meine Tochter gestoßen hast". Alex funkelte mich wütend an, aber die Androhung von Polizei ließ ihn doch zusammenzucken. "Ich hab King noch gewarnt", schnaubte er ", also geben sie nicht mir die Schuld!" Dann drehte er sich um und entfernte sich mit großen Schritten von meinem Haus.


Ich hatte kaum Zeit mich selbst wieder zu fassen, als Kinga auf mich zu stürmte und mich heftig nach hinten stieß. "Was fällt dir ein, Mutter?! Was fällt dir ein Alex einfach weg zu schicken? Es geht dich einen feuchten Dreck an, mit wem ich mich treffe. Ich lasse mir doch von dir nicht die Freunde aussuchen", brüllte sie mich an.


Erschrocken wich ich vor meiner eigenen Tochter zurück. "Kinga, diese Menschen sind nicht gut für dich", versuchte ich zu erklären, doch Kinga ballte lediglich wütend die Fäuste. "Das hast nicht du zu entscheiden, Mutter". "Aber du kannst eine solche Entscheidung anscheinend nicht mehr treffen", entgegnete ich. "Sie dich doch an! Du bist gestern fast vergewaltigt worden, du nimmst Drogen, du bist von der Schule geworfen worden! Kinga, so kann es doch nicht weiter gehen. Du zerstörst dir dein ganzes Leben!"


Doch anstatt auch nur eine Sekund auf meine Argumente einzugehen, schrie Kinga wutentbrannt auf und ging auf mich los. Und dann tat ich etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte. Bevor sie mich noch erreichen könnte, verpasste ich ihr eine solch schallende Ohrfeige, dass ihr Kopf zur Seite flog. Kinga starrte mich fassungslos an und ihre Lippen zitterten. Dann Blickte sie mich mit einem so hasserfüllten Blick an, dass mir das Blut in den Adern gefror, drehte sich langsam um und ging wieder in ihr Zimmer.


Also ich allein im Wohnzimmer stand, erfasst mich eine Heulkrampf, der aus meiner tiefen Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung genährt wurde. Was konnte ich bloß tun? Wie konnte ich meiner Tochter helfen? War ihr überhaupt noch im Stande zu helfen? Ich hatte meine Kinder noch nie zuvor geschlagen, aber Kinga hatte mich so weit getrieben. Was würde als nächstes passieren? Und das Schlimmste war, ich sah keine Hoffnung, dass es besser werden würde.


Ich konnte meine Augen nicht länger verschließen und darauf vertrauen, dass die Zeit alle Wunden heilen würde. Kinga war im Begriff, unser aller Leben zu zerstören. Sie hatte schon seit geraumer Zeit meine Nerven aufs äußerste beansprucht, doch nun terrorisierte sie auch noch ihre Schwester. Vielleicht wäre es das einfachste, wenn ich sie einfach davon jagen würde? Doch dann wurde mir klar, dass mein Dad genau das mit mir gemacht hatte. Nein, ich würde mein Kind nicht im Stich lassen. Sie zerstörte gerade ihr eigens Leben, ihre ganze Zukunft. Das konnte ich nicht zulassen. Nur war ich nicht mehr in der Lage, ihr zu helfen, doch jemand anderes war dazu im Stande. Ich holte mein Handy hervor und wählte eine Nummer. "Joanna, du musst mir helfen. Das schuldest du mir".

 

 


Ich weiß nicht, wie ich die folgende Nacht überstanden habe, ohne vor Hoffnungslosigkeit, Angst und Selbstzweifel zu vergehen. Doch als ich meine Zwillingsschwester sah, keimte in mir die Hoffnung auf, dass doch noch alles gut werden könnte. "Du bist dir sicher?", fragte sie als sie die Veranda hochstiegt. Ein schwaches nicken war alles was sie zur Bestätigung brauchte. Ich führte sie zu Kingas Zimmer, was ich zu unser aller Sicherheit letzte Nacht abgeschlossen hatte. Als sich die Tür öffnete, bewarf mich meine Tochter mit den wüstesten Beschimpfungen. Ich zuckte zusammen, doch Joanna stolzieret unbeeindruckt auf sie zu.


"Was will die denn hier", fragte Kinga mich sichtlich aus der Fassung gebracht. "Dir helfen", erwiderte ich schwach und drehte mich von ihr ab, weil ich es nicht ertrug, ihr in die Augen zu blicken. "Was meint sie damit", zischte sie ihre Tante an. Meine Schwester lächelte zuckersüß. "Genau das, was sie gesagt hat, Kinga. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten, entweder du bist eine nette Nicht und folgst mir einfach in die Limousine, die draußen vor dem Haus auf uns wartet. Das erspart uns allen jede menge Ärger. Oder aber, du entschließt dich, dich deiner Mutter und mir zu widersetzten. Nun, dann wird es weniger schön. Aber vertrau mir, wenn ich sage, dass du unter dieser Entscheidung am meisten leiden würdest und das willst du doch nicht, nicht wahr Schatz?"


Es war nicht schwer zu erraten, welche der beiden Optionen Kinga wählen würde, doch damit hatte Joanna gerechnet. "Olek", rief sie ihren Gorilla herbei, der im Flur gewartet hatte und sie musste nicht weiter erklären, was zu tun war. Kinga schrie und trat um sich, doch gegen den viel größeren und stärkeren Mann hatte sie keine Chance. "Ich hasse dich, Mutter! Ich hasse dich!", schrei sie mich an, als Olek sie aus dem Raum zerrte. Ich weinte immer noch bitterlich. Ich hatte erwartet, dass es schwer werden würde, aber nicht, dass mir mein Herz aus der Brust gerissen wurde.


Erst als Kinga bereist im Wagen saß und ihre Wutschreie und Hasstiraden nur noch dumpf durch die Autoscheibe zu mir drangen, wagte ich es, nach draußen zu treten. "Und du wirst dich wirklich gut um sie kümmern?", fragte ich meine Schwester unter Tränen. "Ich werde dafür sorgen, dass sie ihr Leben wieder in geordnete Bahnen bringt, Xana. Es wird nicht leicht, weder für sie, noch für dich. Aber vertrau mir, Xana, du tust das alles nur zu ihrem Besten". Meine Zwillingsschwester gab mir einen Wangenkuss und stieg dann zu Kinga und Olek in den Wagen. Kingas Blick, so voller Hass und flehentlich zugleich, als sie um die Ecke bogen, würde ich niemals vergessen können.


Eine Weile nachdem das Auto davon gefahren war, fand mich Dominik weinend, wie ein Häufchen Elend auf dem Boden hockend, in Kingas Zimmer vor. Er hatte zuvor das Haus mit Klaudia verlassen, damit sie nicht auch noch mit ansehen musste, wie ihre große Schwester gewaltsam aus ihrem Zuhause gezerrt wurde. Er trat zu mir und zog mich zu sich hoch. Dann strich er mein Haar aus dem Gesicht und küsste mich auf die Stirn. "Wir haben richtig entschieden, Brodlowska. Sie hat uns keine Wahl gelassen. Wir haben alles getan, um ihr zu helfen. Jetzt müssen wir deiner Schwester vertrauen".


Das wollte ich, doch es viel mir so schwer. "Ich muss jetzt leider zurück nach SimVegas", erklärte er betrübt und hielt meine Hand. "Ich kann Sky nicht länger bei seinen Großeltern lassen. Aber ruf mich an, wenn du mich brauchst. Es spielt keine Rolle, zu welcher Uhrzeit". "Danke, Dominik", erwiderte ich mit schwacher Stimme. "Und verzeih mir, dass ich dich nicht heiraten konnte. Ich brauche Zeit um mir über einiges klar zu werden, über Kasimir und dich, jetzt noch mehr als jemals zuvor. Bitte gib mir etwas Zeit". Dominik lächelte traurig. "Du weißt ja, ich bin jeder Zeit für dich bereit", antwortete er und ließ mich dann schweren Herzens im verlassenen Zimmer unserer Tochter zurück.


Und ich würde Zeit brauchen. Das merkte ich spätestens in dem Moment, als einige Tage später die Haustür aufschwang und ich eine vertraute Stimme, "Hallo Perle, schau mal wer wieder da ist, um von dir verwöhnt zu werden", sagen hörte. Das seltsam zufriedene Gefühl, dass sich beim Klang seiner Stimme in mir ausbreitete, sagte mir, dass mein Herz noch längst keine Entscheidung getroffen hatte.

 

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