|
Kingas Freunde gingen in den letzten Tagen ja ohnehin in der Simlane
ein und aus. "Machst du etwa wieder auf brave Klosterschülerin,
King?", fragte Farina zur Begrüßung und musterte
abfällig Kingas Schuluniform. "Glaub mir, Alex steht
voll drauf", erwiderte Kinga. "Gott, hör auf. Ich
will gar nicht wissen, worauf mein Bruder steht. Das ist doch
voll abartig. Es reicht doch, wenn ich euch ständig zuhören
muss. Aber Alex sagt, du wolltest mich sprechen. Also, schieß
los!"
|
|
Da Klaudia im Haus war, winkte sie ihre Freundin zu sich her und
flüsterte in ihr Ohr: "Alex meinte, du wüsstest,
wie ich an Stoff rankomme. Du weiß schon, ein bisschen Gras,
etwas 'Tina'..." Farina riss überrascht den Kopf hoch.
"Willst du das echt machen?". "Würde ich sonst
fragen", Kinga sah sie angenervt an. Farina war zwar etwas
unsicher, kramte dann aber doch ihr Handy raus. "Hier hast
du seine Nummer. Aber ruf Ingolf nur an, wenn du es ernst meinst.
Er hast es, wenn man ihn einfach zum Spaß belästigt".
|
|
Da brauchte Farina sich überhaupt keine Sorgen zu machen.
Kinga meinte es sehr ernst und würde so schnell es ging anrufen.
Aber an diesem Abend war ihr eher nach einer kleinen Party. Ihre
Clique war nicht schwer zu überzeugen und alle fanden sich
schnell auf Grünspan ein um bei lauter Musik, dem ein oder
andern Bier und ein paar Kurzen und auch einem ganz zufällig
aufgetauchten Joint ordentlich die Sau raus zu lassen.
|
|
Klaudia hielt sich da lieber ganz zurück. Anstatt sich in
ihrem Zimmer zu verkriechen und die ganze Zeit zu hoffen, dass
die Musik endlich ausgeschaltet und Kingas Freunde verschwinden
würden, schnappte sie sich ein Einmachglas und machte sich
auf Käfersuche für ihr Schulprojekt. Manche kamen doch
ohnehin erst nachts aus der Erde gekrochen, also war das doch
eine ideale Gelegenheit für die Jagd.
|
|
|
Natürlich ging Kinga am nächsten Tag wieder nicht zur
Schule. Als Klaudia heimkehrte, musste sie sich über etliche
leere Dosen und Pappbecher hinweg steigen, die im Wohnzimmer verteilt
lagen. Sie versuchte den Anblick einfach zu ignorieren und ging
in ihr Zimmer und malte weiter an dem Bild auf der Staffelei.
Da kam auch Kinga schon reingeschneit und brüllte sie an.
"Mach gefälligst im Wohnzimmer sauber, Giftzwerg. Und
das Bad sieht auch wieder aus wie Sau. Kümmere dich darum!"
|
|
Doch diesmal ließ Klaudia sich solch ein Benehmen von ihrer
Schwester nicht gefallen. "Wenn es dich stört, dann
mach es doch selber weg!“, antwortete sie patzig. "Glaubst
du etwa, ich bin deine Putzfrau. Ich hab die ganze letzte Woche
hinter dir und deinen Freunden her geräumt." Kinga funkelte
sie böse an und ballte die Fäuste, als ob sie jeden
Moment zuschlagen wollte. Doch Klaudia gab nicht klein bei und
blickte ihr weiterhin fest in die Augen. "Das wirst du bereuen",
fauchte Kinga schließlich und kehrte mit einem lauten Türknallen
in ihr Zimmer zurück.
|
|
Dort angekommen griff sie die Hefte auf ihrem Schreibtisch und
schleuderte sie mit einem lauten Schrei gegen die Wand. Als sie
sich wieder etwas beruhigt hatte nahm sie ihr Handy und wählte
die Nummer, die sie gestern von Farina bekommen hatte. "Ingolf
hier", meldete sich ein Mann. "Ich hab gehört,
du kannst mir was besorgen", kam Kinga gleich zur Sache.
"Ich hab deine Nummer von Farina. Ich wohne im Haus gegenüber".
Für einen Moment wurde es still am anderen Ende der Leitung.
"Gut", antworte er schließlich. "Ich bin
an der Straßenecke, sobald die Sonne untergegangen ist".
|
|
Direkt nach Sonnenuntergang setzte Kinga sich an den Schachtisch
im Wohnzimmer und beobachtete die Straße durch das Fenster.
Einige wenige Menschen gingen die Dustlane, die Querstraße
zur Simlane, entlang, aber keiner bleib an der Ecke stehen. Bis
dann doch ein Mann in einer Art roten Mantel auftauchte und sich
genau unter dem Straßenschild eine Zigarette ansteckte.
Kinga beobachtete ihn noch etwa eine Minute und als es den Anschein
hatte, dass er dort stehen bleiben würde, ging sie vors Haus
und auf ihn zu. "Ingolf?", fragte sie unsicher. Er musterte
sie kritisch. "Genau der", schnalzte er schließlich
und deute stolz auf seine Brust.
|
|
"Hast du es dabei?", fragte Kinga sofort. "Nicht
hier auf der Straße", zischte Ingolf sie an und deutete
mit seinem Kopf auf das Haus. Kinga biss sich verlegen auf die
Lippen und führte ihn in das immer noch nicht aufgeräumte
Wohnzimmer. Ingolf ließ sich allerdings nichts anmerken.
Entweder war er solch einen Anblick gewöhnt oder es störte
ihn einfach nicht. Langsam wurde Kinga hibbelig und begann herumzuzappeln.
"Hast du mir jetzt was mitgebracht?", drängte sie
den Dealer. "Ich brauche etwas, bitte!"
|
|
"Du bist doch die Kleine von Farinas Bruder, hab ich nicht
Recht? Sie hat mir von dir erzählt". Kinga war zwar
etwas verunsichert, nickte aber. "Dann habe ich was ganz
besonderes für dich". Aus der Innentasche seines Mantels
holte er eine Tüte mit feinen weißen Kristallen heraus.
"Ich hab gerade heute eine neue Lieferung 'Tina' bekommen".
Kinga wollte schon nach der Tüte greifen, als Ingolf sie
hastig wieder zurückzog. "Nicht so schnell meine Hübsche",
zügelte er sie. "Du wirst doch verstehen, dass ich dir
das nicht einfach so geben kann. Ich hab auch meine Kosten, dass
verstehst du doch".
|
|
Oh nein, daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. "Ich,
ich hab nur 20 § hier", stotterte sie. "Das wird
wohl kaum reichen", antwortete Ingolf sichtlich genervt.
"Das ihr Kinder nie kapiert, dass man für eine Dienstleistung
auch zahlen muss". "Dann nimm doch einfach irgendetwas
aus dem Haus mit. Wie wär’s mit dem Radio? Oder nimm
die Spielekonsole mit", schlug King vor, doch Ingolf gähnte
nur demonstrativ. "Langweile mich nicht, Mädchen. Ich
nehme dein Radio und wenn ich es beim Pfandleiher abgeben will
werde ich von der Polizei verhaftet? Das Spiel kenne ich nur zu
gut. Wenn du nicht zahlen kannst, dann verschwendest du nur meine
Zeit".
|
|
Er war schon im Begriff zu gehen als Kinga zu ihrem letzten verzweifelten
Versuch ansetzte. Sie musste den Stoff einfach bekommen, um jeden
Preis. Deshalb griff sie nach seiner Hand und hielt ihn fest.
"Ich kann vielleicht nicht mit Geld bezahlen, aber es gibt
ja auch andere Wege, um eine Rechnung zu begleichen", schnurrte
sie. Ein Glitzern zeichnete sich in Ingolfs Augen ab und er blickte
sie interessiert an. Um zu verdeutlichen, was sie genau gemeint
hatte, öffnete Kinga langsam den Reisverschluss an ihrem
Ausschnitt. "Jetzt verstehen wir uns, Mädchen",
grinste Ingolf dreckig.
|
|
Ohne weiter darüber nachzudenken, führte Kinga Ingolf
in ihr Zimmer und schloss die Zimmertür hinter sich ab. Sofort
begann der Dealer damit, ihr die Kleider auszuziehen, bis sie
nur noch in Unterwäsche vor ihm stand. "Gib mir vorher
etwas", bettelte Kinga ihn an und sie zog sich das Crystal
Meth gierig in die Nase, als er ihr etwas davon auf seinem Handrücken
reichte. "Gutes Mädchen", lobte er sie und strich
ihr übers Haar.
|
|
Anschließend vergaß Kinga alles um sich herum. Die
Droge zeigte augenblicklich ihre Wirkung. Wieder fühlte sie
sich voller Energie, voller Kraft, voller...Lust. Es war nicht
nötig, dass Ingolf sie zu irgendetwas zwang. Sie spürte
wieder die Blitze unter ihrer Haut zucken, wie sich jede noch
so kleine Berührung, wie ein Feuerwerk entlud.
|
|
Einschlafen konnte Kinga in dieser Nacht nicht. Durch die Droge
in ihrem Blut war sie viel zu aufgedreht und das Adrenalin pulsierte
förmlich durch ihren Körper. Es war so ein unglaubliches
Gefühl und noch mal besser als bei ihrem ersten Meth-Versuch
mit Alex. Viel zu spät realisierte sie, das Ingolf ihr nichts
da gelassen hatte. Sie hatte nur den einen Zug bekommen. Als sie
am Morgen unter die Dusche stieg, begann die Wirkung des Crystal
Meths langsam nachzulassen, aber immer noch spürte sie jeden
Wassertropfen intensiver auf der Haut. Dieses Gefühl durfte
einfach nicht aufhören. Sie würde Ingolf gleich morgen
wieder anrufen oder vielleicht doch lieber schon heute. Und in
ihrem Kopf spielen sie die Möglichkeiten durch, was sie sich
Ingolf bei seinem nächsten Besuch anbieten konnte, damit
er ihr als nur einen Zug da ließ.
|
|
Während Kinga einen Drogen-Dealer mit ins Haus brachte und
ihm ihren Körper als Bezahlung anbot, saß Klaudia verängstigt
in ihrem Zimmer. Sie hatte die fremde Männerstimme gehört.
Sie hatte gehört, wie Kinga mit diesem Mann in ihr Zimmer
ging und dann drangen wieder diese Geräusche an ihr Ohr,
die sie schon von Kinga und Alex kannte. Sie wusste, was dort
im Zimmer ihrer Schwester passierte, aber ihr Verstand versuchte
mit allen Mitteln es auszublenden. Und es gelang ihr sogar einigermaßen.
Eingeschlossen in ihr Zimmer zeichnete sie bis tief in die Nacht
hinein ein ihren Skizzenblock. Nur schöne Dinge, Bilder von
Schmetterlingen und lachenden Menschen. Das Stöhnen aus dem
Nachbarzimmer war für sie gar nicht mehr da.
|
|
|
"Stasia geht es in den letzten zwei Tagen ja richtig gut.
Und du siehst auch wieder viel besser aus, Brodlowska". Dominik
hatte Recht. Meiner Großmutter ging es wirklich gut. Sie
wirkte stärker als noch bei meiner Ankunft und meistens war
ihr Verstand sehr klar, auch wenn sie sich an Ereignisse der letzten
Jahre kaum erinnern konnte. Tante Kasia kümmerte sich um
sie und ich nutzte die Gelegenheit, um Dominik ein wenig von Warschau
zu zeigen. Es schneite schon seit Tagen und die ganze Stadt lag
eingefüllt unter einer schweren Schneedecke Ich hätte
Stundenlang draußen sein können, einfach um durch den
Schnee zu schreiten und mir die verschneite Landschaft anzusehen.
|
|
Leider fuhren wegen des Schnees kaum Busse und Straßenbahnen.
Ein Besuch der berühmten Altstadt und des neuen Handelsbezirks
fiel damit flach. Aber auch im sozialistischen Plattenbaudschungel
der Vorstädte gab es einige sehenswerte Orte. Der Park gehörte
eindeutig dazu. "Und das soll jetzt was darstellen?",
fragte Dominik, als ich ihn zu einem Denkmal auf einer Anhöhe
im Park führte. "Das ist das Denkmal des Völkerfriedens.
Ein Geschenk der Sowjetunion, vermute ich. Ich weiß, es
ist ziemlich verlogen, wenn man die Geschichte betrachtet, aber
ich mag es trotzdem. Es hat so etwas Beruhigendes. Und die Idee
für die es steht ist trotz allem sehr lobenswert. Ich bin
froh, dass dieses Denkmal nach dem Umbruch nicht abgerissen wurde,
wie so viele andere sichtbaren Zeichen an eine 40 jährige
Geschichte".
|
|
|
|