|
Sie schmiegte sich eng an ihn und inhalierte seinen Duft. "Hast
du was dabei", flüsterte sie in sei Ohr, nachdem sie
vorher hinein gebissen hatte, gerade so fest, dass der Schmerz
erregend und nicht unangenehm war. "Seit wann brauchen wir
den Gummis?", keuchte Alex irritiert. "Du nimmst doch
die Pille". "Keine Gummis", antwortete Kinga. "Ich
will wissen ob du Gras dabei hast. Oder 'Tina'. Das war echt geil".
|
|
"Nee, das auf der Party war alles", gestand Alex, machte
sich aber nichts daraus und biss Kinga sanft in die Halsschlagader.
Doch Kinga stieß ihn verärgert weg. "Dann besorg
Neues!", forderte sie ihn auf. Alex blickte sie irritiert
an. "Wie stellst du dir das denn vor? Ingolf ist nicht ständig
hier. Ich hab keinen Plan, wann er wieder auftaucht. Außerdem
wird er mir garantiert nicht wieder einfach so was zustecken.
Und jetzt reg dich ab, meine dunkle Priesterin. Wir brauchen doch
nicht dieses Zeug um Spaß zu haben".
|
|
Doch Kinga war immer noch sauer und lief wütend davon. "Jetzt
warte doch", forderte Alex sie auf und lief ihr hinterher.
Schließlich bekam er sie am Handgelenk zu fassen und riss
sie zu sich herum. "Farina besorgt sonst immer das Zeug.
Ich werd sie fragen, versprochen". Kinga sah immer noch nicht
zufrieden aus, doch als Alex begann sie ungezügelt zu küssen,
schwand ihr Widerstand und sie nahm sich vor, nicht länger
wütend zu sein, zumindest nicht für den Moment.
|
|
|
Die Tage vergingen, ohne dass der Zustand meiner Großmutter
sich deutlich änderte. Sie lebte in ihrer eigenen Welt und
nahm gelegentlich Kontakt zu uns auf. Langsam gewöhnte ich
mich aber immerhin daran, dass sie vergessen zu haben schien,
wer ich war. Meist hielt sie mich weiterhin für meine Mutter
Virginia. Tante Kasia war die einzige die von ihr erkannt wurde,
auch wenn sie immer wieder zwischen verschiedenen Jahrzehnten
hin und her sprang. So traurig der Grund für meinen Besuch
in Warschau eigentlich war, so nutzte ich doch die Zeit, um die
Kinder meiner Tante besser kennen zu lernen. Eigentlich waren
es ja meine Cousins und Cousinen, aber da sie alle nur etwas älter
als Klaudia waren, waren sie viel mehr so etwas wie Nichten und
Neffen für mich.
|
|
In der Zwischenzeit warf Dominik ein Auge auf meine Großmutter.
Da sie ihn nach wie vor für meinen Vater hielt, verbrachte
sie ohnehin am liebsten ihre Zeit mit ihm und mein Ex-Mann tat
ihr diesen Gefallen gerne. Wir hörten die Haustür ins
Schloss fallen und meine Oma schaute durch die Tür ins Wohnzimmer.
"Darek und ich müssen raus auf die Weide", erklärte
sie. "Berta ist schon wieder ausgebüchst und wir müssen
sie einfangen". Sie hielt sich ihre Finger wie zwei Hörner
an den Kopf und begann zu muhen. Es war eine der Situationen,
in denen man nicht genau wusste, ob man lachen oder lieber weinen
sollte.
|
|
Auch die Kinder schauten betrübt drein, während meine
babcia nun auch noch begann, wild mit ihren imaginären
Hufen zu scharren. "Ist es in Ordnung, wenn ich mit ihr nach
draußen gehe?", fragte Dominik. "Ein kleiner Spaziergang
um den Block wird ihr sicher gut tun". Tante Kasia nickte
zustimmend. "Aber
bleibt nicht zu lange weg", fügte sie hinzu.
"Du weiß
ja, dass Mama inzwischen ziemlich schwach ist".
|
|
Warm eingepackt in eine dicke Winterjacke, genoss meine Großmutter
sichtlich den Spaziergang durch den tiefen Schnee. Die weiße
Pracht funkelte wie ein Meer aus Kristallen im Schein der Sonne
und jeder Schritt knirschte unter den Schuhen. Die Kuh Berta war
da schnell wieder vergessen. Doch Stasia war nicht die einzige,
die Spaß hatte. Sie brauchte Dominik nicht lange davon zu
überzeugen, ihr beim Bau eines Schneemanns zu helfen.
|
|
Mit Händen und Füßen verständigten sie sich
und das Resultat war ein prächtiger Schneemann mit dickem
Bauch und einer orangefarbenen Karottennase, die Tante Kasia extra
vom Balkon herunter geworfen hat. Meine Großmutter wirkte
wirklich glücklich und zufrieden, als sie den Schneemann
betrachtete. "Er sieht fast so schön aus wie mein
Piotr. Aber sag es ihm bloß nicht, sonst wird er eifersüchtig",
flüsterte sie Dominik augenzwinkernd zu.
|
|
"Und, Mamo, hattest du Spaß dabei mit Darek unsere
Kuh wieder einzufangen?", fragte Tante Kasia, nachdem
Dominik und meine babcia wieder oben waren. Doch statt
zu antworten schaute meine Großmutter ihre Tochter bloß
entgeistert an. "Über so etwas macht man keine Witze,
Kasia. Du weißt das dein Bruder, Gott hab ihn selig, schon
vor Jahren viel zu früh von uns gegangen ist. Und auch wenn
Dominik ein sehr netter Mann ist, so ist er doch nicht mein Sohn".
Als Dominik seinen Namen hörte horchte er aufmerksam auf.
|
|
Auch ich hatte es durch Zufall gehört und lief sofort in
den Flur. "Babciu, du kannst dich wieder erinnern",
rief ich überglücklich. Doch meine Großmutter
starrte mich nur entgeistert an. "Woran soll ich mich
erinnern, Virginia?", fragte sie. "Ich bin
alt, aber nicht senil. Ich weiß doch, dass mein Sohn nicht
mehr lebt. Haltet ihr mich etwa alle für verrückt? So
etwas muss ich mir nicht bieten lassen. Komm Dominik",
rief sie meinem Ex-Mann zu, der wieder aufmerksam aufhorchte.
"Führ mich in meine Wohnung, bis die Hühner
hier unten sich wieder beruhigt haben".
|
|
Er begleitete sie hoch und ich folgte den beiden. "Brodlowska,
wie geht es dir?", fragt Dominik, als er mein Großmutter
ins Bett gebracht hatte. "Ich...ich", ich konnte nicht
mehr länger und begann hemmungslos zu schluchzen. "Wieso
erkennt sie mich nicht? Wieso? Ich verstehe das nicht". Dominik
legte seinen Arm um mich und drückte mich an sich. "Sie
ist krank, Brodlowska. Sie kann nicht mehr bewusst entscheiden,
was sie weiß oder wen sie erkennt. Es ist nicht ihre und
nicht deine Schuld. Es ist einfach so". Ich wusste, dass
Dominik Recht hatte, aber das änderte nichts an dem Schmerz
und der Enttäuschung. Meine Großmutter würde bald
sterben und wie bei meinen beiden Vätern würde ich wieder
nicht die Möglichkeit bekommen, mich von ihr zu verabschieden
und ihr zu sagen, wie sehr ich sie liebte.
|
|
|
Er hielt mich lange im Arm und es half mir, mich wieder zu beruhigen.
"Vielleicht solltest du dir wieder deine Zöpfe binden",
schlug Dominik vor und wischte mir eine Haarsträhne von der
Wange, die sich in meinen Tränen verklebt hatte. "So
kannte sie dich, als du hier gelebt hast. Vielleicht ist es genau
das, was sie braucht, um die Erinnerung wieder hoch zu hohlen".
Ich grübelte die ganze Nacht über diese Idee und selbst
als ich am Morgen am Spiegel stand, war ich mir unsicher. Trotzdem
griff ich zum Lockenstab, glättet meine Haare und flocht
sie zu zwei festen Zöpfen zusammen. Es war ungewöhnlich,
fast als ob mich mein 15 Jahre jüngeres Ich im Spiegel ansah.
Nur die kleinen Fältchen um die Augen und an den Mundwinkeln
verrieten mir, dass das immer noch mein jetziges Ich war.
|
|
Ich zog mich an und öffnete die Tür zum Schlafzimmer
meiner Großmutter. Sie war wach und stand angezogen vor
dem Spiegel. "Wo habe ich bloß meinen Ehering hingelegt",
sprach sie zu sich selbst und blickte sich suchend im Zimmer um.
"Piotr wird immer so mürrisch, wenn ich ihn verlege".
Dann erblickte sie mein Spiegelbild und drehte sich zu mir um.
"Oxana, du muss mir suchen helfen. Dein Opa darf nicht
wissen, dass ich den Ring schon wieder verloren habe".
|
|
In diesem Moment war ich sprachlos. Ich konnte nichts anderes
tun, als meine Großmutter in den Arm zu nehmen und sie einfach
nur fest zu drücken. Die Tränen, die mein Gesicht hinunter
liefen nahm ich gar nicht erst war. "Ich hab dich auch
lieb, Oxana, aber wenn du mich so fest drückst, dann kann
ich meinen Ring erst recht nicht finden". Ein erleichtertes
Lachen verließ meine Lippen und ich ließ meiner Großmutter
wieder Luft zum Atmen.
|
|
"Wo bist du überhaupt gewesen?", fragte
sie. "Dein Großvater und ich haben in der Kirche
auf dich gewartet, aber du bist nicht gekommen. Und dann war da
nur noch dieser Brief auf dem Tisch im Wohnzimmer, in dem stand,
dass du Abstand brauchst. Ich bin ja so froh, dass du es dir anders
überlegt hast. Glaub mir, Töchterchen, dein Vater wird
dir verzeihen. Es wird alles gut werden".
|
|
In ihrer Erinnerung war sie in der Zeit, als ich Warschau verließ,
um in der Sierra Simlone, fern von meiner Familie, ein neues Leben
zu beginnen. Aber es war mir egal, dass sie nicht genau wusste,
was inzwischen alles passiert war. Wichtig war nur, dass sie mich
erkannte. "Ich liebe dich, bubciu", hauchte
ich deshalb. "Das weiß ich doch", erwidert
sie lächelnd und tätschelte meine Wange. "Ich
liebe dich doch auch, Töchterchen".
|
|
|
Klaudia verbrachte das ganze Wochenende bei ihren Großeltern.
Wir telefonierten auch miteinander und sie versicherte wir abermals,
dass Zuhause alles in Ordnung sei. Ich glaubte ihr, weil ich ihr
glauben wollte und zu sehr mit meiner Sorge um meine Großmutter
beschäftigt war um die Unsicherheit in Klaudias Stimme heraus
zu hören. Aber auch Klaudia beschloss, etwas gegen ihre Einsamkeit
zu unternehmen und sich weniger von Kinga rumschubsen zu lassen.
Und da Mechthild die einzige war, die einer richtigen Freundin
nahe kam, lud sie sie nach der Schule einfach mal ein.
|
|
Anschließend fragte sie sich ernsthaft, warum sie das nicht
schon viel früher gemacht hatte. Mit Mechthild konnte man
richtig Spaß haben, sei es nun beim Ballspielen, bei einer
wilden Kissenschlacht oder einfach nur beim Lästern über
die Jungs in der Klasse.
|
|
|