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Das hatte ich tatsächlich vergessen. Gut, dann würden wir die Nachträgliche-Hochzeits-Nachbarschafts-Willkommensfeier für meinen Bruder verschieben müssen. "Wie lange werdet ihr den weg sein", fragte ich Kasimir, während ich den Tisch abräumte. "Etwa zwei Wochen", erklärte er. "Tristan soll der staatlichen Simrokkanischen Ölgesellschaft ein wenig dabei helfen, ihre Buchhaltung zu optimieren. Und ich werde rüber geschickt, um mir die Fortschritte beim Bau der neuen Ölraffinerie in Tarfaya anzusehen und zu versuchen, das Verfahren der Raffination noch zu optimieren. Aber du weist ja, dass die Araber nicht unbedingt viel von exakten Zeitplänen halten. Es kann also sein, dass sich die Reise noch um einige Tage verlängern wird."


"Aber dass du mir ja nicht irgendwelchen arabischen Schönheiten hinterher schaust", ermahnte ich meinen Lebensgefährten scherzend. "Keine Angst, Perle", antworte Kasimir. "Die laufen da doch eh alle verhüllt rum. Außerdem hab ich doch dich heißen Feger im Haus. Ich wäre doch bekloppt, wenn ich das aufs Spiel setzten würde". Mit diesen Worten zog er mich ruckartig an sich heran und ich schmiegte mich an ihn. "Du könntest mir aber heute Abend eine exotische Massage verpassen", flüsterte er in mein Ohr, "dann komme ich in den kommenden Wochen sicher nicht ganz so schnell auf falsche Gedanken".

 

 


Ich versprach es ihm. Kasimir rauchte auf der Veranda noch ein Zigarette während er auf seine Fahrgemeinschaft wartete und fuhr anschließend zur Arbeit. Tristan und die Kinder waren schon vor etwa einer halben Stunde ausgeflogen. Ich wollte mich gerade umziehen und zur Plantage fahren, als das Telefon klingelte. "Hallo, Oxana", meldete sich meine Tante Kasia aus Warschau, die ältere Schwester meines Paps, auf Polnisch. "Ich komme am besten gleich zur Sache. Mama geht es nicht gut". Ich zog die Luft scharf ein und blieb wie angewurzelt stehen. Der Klang von Tante Kasias Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass es wirklich ernst war.


"Was fehlt babcia denn?", fragte ich besorgt. Ich hörte wie Tante Kasia schwer schluckte. "Du solltest am besten so schnell wie möglich nach Warschau kommen. Die Ärzte ... sie sagen das Mutter nicht mehr viel Zeit bleibt". Ich spürte wie sich in meinen Hals zuschnürte. "Sie hat eine seltene aggressive Form der Alzheimer. Es hat vor ein paar Monaten angefangen, dass sie Namen vergessen hat. Wir hatten uns nicht viel dabei gedacht, doch es wurde immer schlimmer. Schließlich habe ich sie zum Arzt gebracht".


"Der hat Mutter dann zu einem Spezialisten überwiesen und dieser hat dann die Krankheit diagnostiziert. Wir haben es schon mit drei verschiedenen Medikamenten versucht, aber nichts scheint bei Mutter anzuschlagen." Nun begann Tante Kasia zu schluchzen. "Sie...sie erkennt nicht einmal mehr meine Kinder, Oxana. Und ohne meine Unterstützung kommt sie alleine nicht mehr zurecht. Sie ist einfach viel zu verwirrt. Und langsam macht ihr Körper auch nicht mehr mit. Der Arzt wollte keine definitive Prognose abgeben, aber er riet mir, mich auf das Schlimmste vorzubereiten".


Als ich meine Tante so sprechen hörte, wäre ich am liebsten in Tränen ausgebrochen. Aber mir war klar, wie schwer es für sie sein musste und ich wollte sie nicht auch noch mit meinem eigenen Schmerz belasten, also riss ich mich zusammen. "Sie spricht immer wieder von dir, Oxana. Manchmal hat sie einige klare Moment und sie hat mich gebeten, dich zu benachrichtigen. Sie möchte dich noch ein letztes Mal sehen. Bitte tu ihr den Gefallen, Oxana". Da musste ich nicht zweimal überlegen. "Natürlich werde ich kommen. Ich bin so schnell wie möglich bei euch".


Meine Großeltern hatten mich bei sich aufgenommen, als ich nicht wusste, wohin ich sonst gehen konnte. Da war es doch selbstverständlich, dass ich nun auch für meine Großmutter da sein würde. "Danke, Oxana", flüsterte Tante Kasia erleichtert. "Ich möchte dich aber noch um einen zweiten großen Gefallen bitten. Ich würde es nicht tun, wenn es nicht wirklich wichtig wäre. Mutter, sie...sie möchte auch Dominik wieder sehen". Diese Bitte zu Stellen, bereitete meiner Tante sichtlich Unbehagen.


Jetzt stockte mir aber der Atem. "Bist du noch dran?", fragte Tante Kasia besorgt, als ich längere Zeit kein Zeichen von mir gab. "Ja...ja ich bin noch dran. Es...deine Bitte hat mich nur überrascht, das ist alles". "Du hast es vielleicht nicht so mitbekommen, aber Mutter möchte Dominik wirklich sehr gerne. Deine Scheidung hat sie schwerer getroffen, als sie jemals zugegeben hätte. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob sie noch weiß, dass ihr nicht mehr verheiratet seid. Aber sie redet immer wieder von ihm, Oxana. Also, wenn es irgendwie möglich ist, dann bitte ihn, dich nach Warschau zu begleiten. Es würde Mutter so viel bedeuten". Ich versprach meiner Tante, Dominik wenigstens zu fragen. Aber bereits in diesem Moment hatte ich Angst vor der Reaktion meines Ex-Mannes.

 

 


"Mami, warum guckst du denn so traurig?" Ich schaute von meiner Kaffeetasse hoch und blickte in das besorgte Gesicht meiner kleinen Tochter, die sich zu mir herunter beugte. Ich seufzte scher und setzte ein müdes Lächeln auf. "Deiner Urgroßmutter geht es nicht gut. Ich muss sofort nach Warschau". Erklärte ich niedergeschlagen. Klaudia sah mich plötzlich mitgenommen an und setzte sich zu mir. "Was fehl ihr denn?", fragte sie.


Ich erzählte ihr alles was ich wusste und Klaudia hörte betroffen zu. "Deshalb breche ich gleich morgen früh auf. Der Flug ist schon gebucht". "Kann ich nicht mit dir kommen?", fragte sie vorsichtig. Ich hätte sie wirklich gerne bei mir gehabt, aber das ging leider nicht. "Ich werde wahrscheinlich länger weg bleiben. Du kannst nicht so lange in der Schule fehlen, Kleines". Klaudia sah meine Bedenken ein und nickte stumm. "Aber mit wem bleiben Kinga und ich dann zuhause?", fragte sie und sah mich mit großen Augen an.


Na Tristan und Kasimir natürlich, schoss es mir durch den Kopf. Bis mir bewusst wurde, dass die beiden ebenfalls morgen zu ihrer Geschäftsreise aufbrechen würden. Als Kasimir von der Arbeit kam, schilderte ich ihm kurz die Situation. "Kannst du deine Geschäftsreise nicht irgendwie verschieben. Es ist wirklich wichtig", flehte ich ihn an.


Kasimir verstand zwar, wie wichtig mir der Besuch bei meiner Großmutter war, aber an seiner Geschäftsreise konnte, oder wollte, er nichts ändern. "Perle, der Termin steht seit Wochen fest. Die verlassen sich auf uns. Wie sieht das denn aus, wenn ich da einfach von heute auf morgen absage? Außerdem sind die beiden Mädchen doch keine kleinen Kinder mehr. King ist volljährig und Klaudia ist auch schon zwölf. Ich denke, wir können die beiden ruhig für zwei Wochen allein zuhause lassen".


"Ja, das könnt ihr!", schrei Klaudia einfach dazwischen. Bei Kasimirs anerkennenden Worten, die sie zu einer halben Erwachsenen und keinem kleinen Kind mehr machten, schwoll ihre Brust regelrecht an. Ich war noch immer nicht überzeugt, doch Kasimir redete weiter auf mich ein. "Wir leben hier zwar in der Wüste, aber doch nicht in der Einöde. Dein Bruder wohnt gleich gegenüber, Klaudias Großeltern hundert Meter weiter und deine knochige Freundin Gerda ist auch in fünf Minuten hier. Die Mädchen sind also wohl behütet". Diesen Argumenten konnte ich nun wirklich nichts entgegen setzen. Also gut, dann würden die zwei alleine auf Grünspan bleiben. Wohl war mir bei dem Gedanken dennoch nicht.

 

 


Die Kinder würden wohl ohne mich zurecht kommen, aber die Farm konnte ich unmöglich für zwei Wochen oder gar länger unbeaufsichtigt lassen. Zum Glück hatten wir gerade Februar. Die Saat war ausgebracht und die Zitrusbäume blühten. Es würde also nur wenig laufende Arbeit anfallen. Aber die Rinder würden Aufmerksamkeit verlangen. Vielleicht hätte ich diese Aufgabe auch Kinga anvertrauen können, aber mir war unwohl dabei, dass Leben meiner ganzen Herde in die Hände meiner Tochter zu legen, die in den letzten Monaten und Jahren keinen ausgeprägten Sinn für Verantwortung bewiesen hat. Also ging ich zu meinem Nachbarn Mr. Ogrud, dem eine kleine Farm am äußersten Rand von Sierra Simlone Stadt gehörte.


"Guten Tag, Mr. Ogrud", begrüßte ich ihn. Der alte Mann drehte sich zu mir um und stellte die Gieskanne beiseite, mit der er gerade die Bohnenstauden bewässert hatte. "Guten Tag, Ma'am", grüßte er zurück, wischte sich seine Hand an der staubigen Hose ab und reichte mir diese dann. "Welcher Ehre verdanke ich denn diesen Besuch? Hübsche Damen verirren sich leider immer seltener auf meinen kleinen Hof."


Bei einem gemeinsamen Bohnekaffee und einer Stulle Brot mit selbst gemachtem Schweineschmalz, erklärte ich Mr. Ogrud den Grund meines Besuchs. "Ich hoffe, Sie können nach den Rindern schauen. Wichtig ist, dass sie täglich Getränkt werden und das jemand schaut, ob sich nicht eines der Tiere verletzt hat. Die meisten der Kühe sind zwar trächtig, aber die erste Geburt in diesem Jahr steht erst für den April an. Was das angeht, müssen sie sich also keinen Kopf machen". Mr. Ogrud zeigte mir sein zahnloses Lächeln. "Ma'am, ich mach das schon einige Jährchen länger als sie. Ich weiß, worauf ich achten muss".


"Außerdem passe ich nicht zum ersten Mal auf ihre Farm auf. Ich werde schon nach dem Rechten schauen". Ich atmete erleichtert auf. Mr. Ogrud hatte natürlich Recht. Er war schon längst Farmer in dieser unwirtlichen Gegend, als ich noch nicht einmal richtig laufen konnte. Ich konnte mich schon seit Jahren auf seine Hilfe verlassen. "Danke, Mr. Ogrud. Wenn Sie einverstanden sind, dann regeln wir die Bezahlung wie üblich. Ich bin wirklich froh, dass ich auf sie zählen kann". "Und ich bin froh, dass ich nicht allein Frühstücken musste. So haben wir beide gewonnen".

 

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