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"Und, hast du mir was mitgebracht?",
schnurrte Kinga und strich Alex über die leicht kratzige
Wange, als die beiden nicht länger im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
standen. "Ich hab s dir doch versprochen, meine schwarze
Priesterin". Kinga biss sich aufgeregt auf die Unterlippe.
Zum einen liebte sie es, wenn Alex ihr solche Kosenamen gab, zum
anderen war sie begierig darauf zu erfahren, was er mitgebracht
hatte. Aus seinem Mantel holte er eine kleine Tüte und hielt
sie hoch. "Bestes Gras", grinste er. "Ingolf sagt,
er raucht es selbst, also wird’s voll reinhauen." |
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Dann holte er noch ein zweites,
kleineres Tütchen mit feinen weißen Crystal Meth Kristallen
hervor, das er aber bewusst vor den anderen verborgen hielt. Kinga
sah ihn mit großen, neugierigen Augen an. "Das ist
nur für uns zwei, meine schwarze Priesterin. Wenn die anderen
verschwunden sind, dann können wir uns 'Tina' in die Nase
ziehen. Vertrau mir, solch geilen Sex wie mit dem Zeug hast du
noch nie zuvor gehabt". Kinga lief ein lustvoller Schauer
über den Rücken. Am liebsten hätte sie ihre Freunde
gleich hier und jetzt nach Hause geschickt und sich ganz ihrem
dunklen Ritter hingegeben. |
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Aber dann hätte sie einiges
verpasst. Sie hatten schon öfter Gras unter den Pfeifentabak
gemischt. Das Gefühl dabei war...man musste es einfach selbst
erleben. Nur ein paar Züge und der Körper wurde leicht,
die Farben wurden heller, alles um einen herum schien zum Leben
zu erwachen und es war, als ob der Körper vom Boden abhob
und man frei durch die Lüfte fliegen konnte. |
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Kinga genoss es sich in diese
Welt fallen zu lassen. Alles um einen herum wurde plötzlich
unwichtig. Es gab keine Mutter mehr, die einem den Vater wegnahm.
Es gab keine Schwester mehr, die all die Liebe bekommen hatte,
die einem selbst nicht vergönnt war. Es gab nur noch sie
selbst und das Gefühl der Freiheit. |
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Kinga verlor jedes Gefühl
für die Zeit. Sekunden kamen ihr wie Stunden vor und im nächsten
Augenblick war eine Stunde mit einem Augenschlag verflogen. Und
sie hatte so furchtbaren Hunger. Am liebsten hätte sie jetzt
eine...eine Eisbein gegessen. Doch schon auf dem Weg zur Küche
wurde sie von einer vorbei fliegenden Motte abgelenkt, die im
Schein der verblassenden Glut des Lagerfeuers wie ein Sternschnuppe
glühte, bevor die Hitze sie vollkommen verzehrte. |
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Sie wusste auch nicht mehr, wann
sie die anderen am Pool zurückgelassen und sich mit Alex
in ihr Zimmer verzogen hatte. Aber es war ihr auch egal, was die
anderen trieben. Alex streute das Crystal Meth auf seinen Handrücken
und hielt es unter Kingas Nase, die es entschließend mit
einem tiefen Zug einatmete. Wenn Kinga bis jetzt dachte, Wasserpfeife
mit Hasch zu rauchen wäre geil, dann wurde sie eines besseren
belehrt. Ihr ganzer Körper fühlte sich an wie elektrisiert.
Jede Berührung von Alex war wie ein kleiner Stromschlag,
der ihren Körper durchfuhr, jede seiner Berührungen
ließ sie fast wahnsinnig werden. |
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Sie wusste auch nicht, wann sie ihr Bewusstsein
verlor. Nicht einmal, ob sie eingeschlafen war oder vor Ekstase
in Ohnmacht fiel. Sie wusste nur eins, die letzte Nacht war die
unglaublichste Nacht ihres ganzen bisherigen Lebens gewesen. |
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Tja, Klaudia hätte ihr genau sagen können,
wann Kinga endlich zur Ruhe kam. Erst konnte sie wegen der Musik
von draußen kein Augen zu bekommen. Aber damit hatte sie
gerechnet. Die Geräusche aus Kingas Zimmer versetzten sie
dagegen in Panik. Das Schreien und Stöhnen von Kinga und
Alex könnte sie mit ihren noch nicht einmal 13 Jahren kaum
richtig zuordnen. Sie hatte eine grobe Ahnung davon, was im Zimmer
ihrer Schwester passierte, allerdings passten die Geräusche
nicht in das Bild von Liebe zwischen Mann und Frau, dass sie sich
bis jetzt aufgebaut hatte. Mit jeder Minute die verstrich, betete
sie, dass es endlich aufhören würde und als dann tatsächlich
die Stille über die Simlane brach, lief sie noch Minutenlang
wie ein nervöser Tiger im beengten Käfig auf und ab. |
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Als ich aufwachte, stieg der Geruch
von frischen Pfannkuchen in meine Nase. Verschlafen strich ich
mir die Locken aus meinem Gesicht und tapste in die Küche,
aus der ich leises Geschirrklappern vernahm. Dominik stand mit
einer Pfanne in der Hand am Herd. Ein Pfannkuchen lag bereits
auf dem Teller und auch der Kaffeestand schon auf dem Tisch. "Setz
dich", forderte er mich auf. "Ich hab nach Stasia gesehen.
Sie schläft noch, also können wir in Ruhe frühstücken".
Dankbar setzte ich mich zu meinem Ex-Mann an den Tisch. "Ich
hab gehört, du hast noch mal 8 ha Land gekauft? Bald gehört
dir ja die halbe Sierra". Mit diesen Worten setzte Dominik
nahtlos die gute Unterhaltung fort, die wir auch schon Im Flugzeug
und am gestrigen Abend begonnen hatten. |
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Ich hatte ein wenig Angst, weil meine Großmutter
so lange nicht aufwachte, aber Dominik beruhigte mich wieder und
versicherte mir, dass es ihr gut ginge. Der Morgen zog sich dahin
und am frühen Vormittag saßen Dominik und ich im Wohnzimmer
und tranken bestimmt die vierte Tasse Kaffee, als plötzlich
meine Großmutter im Türrahmen stehen blieb und Dominik
aufmerksam betrachtete. |
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Dann kam sie plötzlich auf
ihn zugestolpert. Dominik bemerkte sie erst in diesem Moment und
sprang vom Sessel hoch, irritiert über das Verhalten meiner
Großmutter. Kam hatte sie ihn erreicht, riss sie ihre Arme
hoch und drückte Dominik fest an sich. "Warum hat mir
niemand gesagt, dass mein geliebter Sohn gekommen ist? Ach Darek,
ich hab dich ja so vermisst. Warum hast du mich so lange nicht
besucht?" redete sie auf Dominik ein, während sie sein
Gesicht mit Küssen übersäte. |
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Dominik sah hilflos zu mir hinüber,
unsicher darüber, wie er sich jetzt verhalten sollte. "Sie
hält dich für meinen Vater", erklärte ich
ihm selbst erschrocken und kam vorsichtig auf meine Großmutter
zu. "Babciu, dieser Mann ist nicht Darek. Das ist Dominik,
mein früherer Mann. Erkennst du ihn denn nicht?".
Meine Großmutter musterte mich prüfend. "Was
redet diese Frau für einen Unsinn, Darek", sagte
sie dann wieder zu Dominik. "Als ob ich meinen eigenen
Sohn nicht erkennen würde. Sag der Verrückten, sie soll
gehen. Ich mach dir inzwischen etwas zu Essen. Königsberger
Klops, die magst du doch am liebsten. Du bist sicher hungrig von
der langen Reise." |
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Meine Oma streichelte liebevoll
Dominiks Wange und ging dann in die Küche, wo sie eifrig
damit begann, Töpfe aus den Schränken zu hohlen. Dominik
blickte unsicher zwischen ihr und mir hin und her. "Brodlowska,
alles in Ordnung bei dir?", fragte er schließlich rücksichtsvoll.
Ich drückte mir die Hand vor den Mund und drehte mich zum
Fenster, bemüht, nicht in Tränen auszubrechen. Zwar
starrte ich die verschneite Landschaft dort draußen an,
doch im Grund sah ich davon nichts. Meine eigene Großmutter
hatte mich gerade eine Verrückte genannt. Mir war klar, dass
sie nicht wusste, was sie da sagte, aber deswegen trafen mich
ihre Worte nicht weniger hart. "Ja, es geht schon",
antwortete ich ihm dennoch. "Geh lieber zu ihr. Ich will
nicht, dass sie alleine ist." |
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Dominik war verunsichert. Er sträubte
sich dagegen, mich so verwirrt allein zu lassen, aber er sah auch
ein, dass meine Großmutter in diesem Moment mehr Aufmerksamkeit
brauchte. Als er in die Küche kam, brodelte in dem Kochtopf
bereits das heiße Wasser und Stasia war damit beschäftigt,
klein gehacktes Gemüse hinein zu werfen. "Du hättest
ruhig ankündigen können, dass du kommst, Darek",
warf sie ihm vor, ohne ihm deswegen auch nur ein kleines bisschen
böse zu sein. "Dann hätte ich auch richtig
einkaufen können. Ich habe extra Lebensmittelrationskarten
gesammelt, falls einmal Besuch kommen sollte. Dein Vater schimpft
deswegen immer auf mich, aber man muss doch für den Notfall
gerüstet sein." Dominik verstand zwar nur einen
Bruchteil der Worte, trotzdem lächelte er freundlich und
hörte ihr einfach zu. "Sehr gut Geruch",
sagte er immer wieder und meine Großmutter plapperte ununterbrochen
vor sich her. |
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Auch wenn sie nicht mehr wusste, wer Dominik
oder wer ich war, so konnte meine Großmutter doch nach wie
vor kochen. Die Königsberger Klopse waren so gut, wie ich
sie immer in Erinnerung hatte. Und auch wenn sie von mir nicht
einmal Notiz zu nehmen schien, so duldete meine Großmutter
mich dennoch an ihrer Seite. Nach dem Essen half ich ihr sich
zu waschen und sich anzuziehen und auch diese Hilfe nahm sie kommentarlos
hin. Aber man sah ihr an, wie sie mit jeder Minute auf den Beinen
schwächer wurde. Als sie angezogen war, musste sie sich am
Kleiderschrank festhalten, um nicht umzufallen. Es zerbrach mir
das Herz, sie so sehen zu müssen. |
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Und ich hoffte immer wieder, dass sie mich
doch noch erkennen würde. Aber sie war weiterhin der festen
Meinung, dass Dominik mein verstorbener Vater war und sie schein
glücklich mit dieser Vorstellung zu sein. Auf eine seltsame
Weise machte mich das auch glücklich oder zumindest weniger
traurig. Den ganzen Nachmittag saß sie mit meinem Ex-Mann
auf dem Sofa und erzählte ihm Geschichten. Es störte
sie auch nicht, dass ich dabei saß und Dominik alles übersetzte.
Sie ließ mir sogar genügend Zeit um ihm alles zu erklären.
Und auf diese Weise erfuhr selbst ich Dinge über meinen verstorbenen
Vater und auch meinen Großvater, die ich nicht gewusst hatte. |
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"Und du liebst diesen Arek wirklich?",
fragte sie zerknirscht. "Ja, er ist ein hübscher
junger Mann, aber Dereklein, findest du nicht auch Frauen schön?
Was ist den mit der Mutter deiner beiden Tochter? Virginia ist
so ein nettes Mädchen. Ich kenne sie nur von den Fotos, die
du mir gezeigt hast, aber sie sieht sehr hübsch aus und du
verstehst dich doch so gut mit ihr. Und wenn sie erst einmal zu
ihrer Mutterrolle gefunden hat, dann wird sie auch über ihre
blauen Haare nachdenken, da bin ich mir sicher. Und deinen Vater
würde es so glücklich machen, wenn du eine Frau mit
nach Hause brächtest. Er würde dir dann die Dummheit
mit diesem Arek sicher verzeihen. Er liebt dich doch, mein Junge,
und will nur dein Bestes". |
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"Und schau dir doch Virginia an.
Wie hübsch sie ist". Es dauerte eine Weile, bis
ich merkte, dass meine Großmutter auf mich zeigte. "Sieh
wie rosig ihre Wangen durch die Schwangerschaft geworden sind
und mit den Locken sieht sie aus wie ein Engel. Deine natürliche
Haarfarbe steht dir sehr viel besser als das Blau",
betönte sie noch einmal direkt an mich gewand. Dominik sah
mich verlegen an und ich glaubte mir einzubilden, dass seine Wangen
sich leicht röteten. Meine Großmutter schein es auch
zu bemerken, denn sie tätschelte zufriednen seinen rechten
Oberarm. "Ich wusste, dass sie dir gefällt, Darek.
Glaub mir, du wirst mit ihr viel glücklicher als mit diesem
Arek. Dein Vater wird sich so freuen". |
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Für den gesamten Tag blieb
meine Großmutter erstaunlich klar in dieser einen Vorstellung
gefangen. Dominik war mein Vater Darek und ich...ich war entweder
unsichtbar oder meine eigene Mutter Virginia. Meine Großmutter
redete so lange, bis sie irgendwann auf der Couch einnickte. Dominik
brachte sie ins Bett und kam dann zu mir auf den Balkon, wo ich
gedankenverloren in den eisigen Nachthimmel blickte. "Ich
wusste nicht, dass dein Großvater ein solches Problem mit
der Homosexualität deines Vaters hatte", sagte er. "Ich
auch nicht", gestand ich ihm. "Paps hat nie auch nur
ein Wort erwähnt. Und er und dziadek schienen sich
immer gut zu verstehen." "Vielleicht hat er es mit der
Zeit akzeptieret?", vermutete Dominik. Ja, vielleicht war
es so. Es war nur Schade, dass meine Großmutter mir die
Frage wahrscheinlich nie würde beantworten können. |
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