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Nach dem Frühstück am nächsten Morgen, versuchte
ich nun zum sicher hundertsten Mal meinen Töchtern einzureden,
dass sie sich benehmen sollte, während ich weg war. An Klaudias
Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass sie es allmählich
überdrüssig war, alle fünf Minuten zu hören
was sie tun sollte und auf keinen Fall tun durfte. "Mami,
ich hab’s wirklich verstanden!", versicherte sie mir.
Was Kinga dachte, konnte ich nicht wirklich einschätzen.
Sie hatte insgesamt nur wenig Reaktion darüber gezeigt, dass
sie alleine mit ihrer Schwester zuhause belieben würde. Allerdings
grinste sie an diesem Morgen immerzu vor sich hin.
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"Pass gut auf deine kleine Schwester auf", forderte
ich sie dennoch zum wiederholten Mal auf. King verdrehte ihre
Augen, stand vom Esstisch auf und stellte ihren Teller in die
Spüle. Anschließend schlurfte sie zu mir herüber.
"Ich hab’s ja gecheckt, Mutter. Pass auf Giftzwerg
auf, füttere Köter, bezahl die Rechnungen, lass keine
Fremden ins Haus..." Kinga starrte zur Decke und zählte
alle die Dinge auf, die ich ihr bereits gestern gesagt hatte"...und,
ach, ja, keine wilden Partys. Ich muss also nur so spießig
und langweilig sein wie du. Ich werd mir Mühe geben, aber
versprechen kann ich nix".
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Mutlos ließ ich meine Schultern hängen. Wenn ich Kinga
schon so reden hörte, dann wäre ich am liebsten zuhause
geblieben. Aber ich musste einfach darauf hoffen, dass Kinga wenigstens
ein klein wenig Verantwortungsgefühl zeigen würde und
alles halbwegs glatt verlief. Weiter auf sie einzureden hätte
ohnehin zu nichts geführt, dass hatte ich schließlich
die letzten fünf Jahre probiert. "Wenn was sein sollte,
ruf mich einfach sofort an", fügte ich deshalb seufzend
hinzu. "Und ruf sofort deine Großeltern an". Zur
Antwort rollte Kinga wieder nur genervt mit den Augen.
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Ich begleitete meine beiden Mädchen nur noch zum Bus, um
mich endgültig zu verabschieden. "Grüß, Uroma
ganz lieb von mir und drück sie ganz fest", bat mich
Klaudia. "Ich hoffe, dass sie wieder gesund wird". Ich
strich Klaudia dankbar über die Schultern, aber ich wusste,
dass es für Hoffnung bereits zu spät war. Was das anging,
machte ich mir keine Illusionen. "Also, Kleines, stell keine
Dummheiten an und hör auf deine große Schwester...natürlich
nur, wenn sie dir keinen Blödsinn aufträgt", fügte
ich zur Sicherheit an. "Klar, Mami, mach ich". Ich gab
meiner Kleinen einen dicken Kuss zum Abschied. Kinga dagegen hielt
es nicht einmal für notwendig, sich von mir zu verabschieden
und stieg in den Schulbus, ohne einmal zurück zu blicken.
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Kaum war der Bus davon gefahren, erfüllte ein furchtbarer
Lärm den ansonsten so ruhigen Himmel über Sierra Simlone
Stadt und ein Hubschrauber der Ölgesellschaft landete auf
der Straße vor dem Haus. Tristan drückte mich zum Abschied,
schnappte sich die Koffer und begann sie in den Hubschrauber zu
verladen. "Ruf mich an, sobald ihr gelandet seid", bat
ich meinen Lebensgefährten. "Klar doch, Perle. Und ich
bring dir auf eine günstige Kamelsledertasche von einem Basar
mit, versprochen." Kasimir drückte mir einen Kuss auf.
In diesem Moment wollte ich ihn nicht gehen lassen und klammerte
mich an ihm fest. Wenigstens für ein paar Sekunden mehr wollte
ich seine Wärme spüren und die Duftmischung aus Zigarettenrauch
und Rasierwasser einatmen, die ihn so eigen war. Doch viel zu
Schnell löste er sich von mir und stieg in den Hubschrauber.
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Also ich alleine im Haus war, packte ich meine restlichen Sachen
zusammen, zog mich an und bestellte ein Taxi zum Flughafen. Da
ich Angst hatte, womöglich den Flug zu verpassen, kam ich
viel zu früh am International Airport von SimVegas an. Aber
so hatte ich noch genügend Zeit, mein Gepäck aufzugeben
ohne mich unnötig abhetzten zu müssen.
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Außerdem blieb mir noch genügend Zeit für einen
starken Kaffee. Bis jetzt hatte ich den gesundheitlichen Zustand
meiner Großmutter weitestgehend erfolgreich verdrängt,
doch je näher ich ihr räumlich kam, desto schlimmer
wurde die Angst. Ich hatte Angst, dass sie mich nicht erkennen
würde und noch viel größere Angst hatte ich davor,
sie für immer zu verlieren. Während ich gedankenverloren
an dem schwarzen Gebräu nippte, welches ich mir nur mit Mühe
an der überfüllten Bar erkämpft hatte, trat ein
Mann vor mich. "Hallo, Brodlowska", erschrocken blickte
ich auf und sah in Dominiks grüne Augen, die ich nun schon
so lange nicht mehr gesehen hatte.
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Hastig senkte ich meinen Blick, stellte die Kaffeetasse beiseite
und stand hektisch auf. "Dominik", stammelte ich sichtlich
verwirrt, "schön, dass du gekommen bist". "Das
war doch selbstverständlich, Brodlowska. Egal was zwischen
uns beiden auch vorgefallen ist, ich konnte Stasia doch nicht
ihren vielleicht letzten Wunsch abschlagen. Ich bin froh, dass
du mich angerufen hast. Es tut mir nur so furchtbar leid um deine
Großmutter". Ich war selbst überrascht, wie sehr
mich Dominiks Auftauchen überrumpelt hatte, insbesondere,
weil er fest zugesagt hatte, mich nach Warschau zu begleiten.
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Fünf Jahre waren wir nun geschieden und es war das erste
Mal, dass ich richtig mit meinem Ex-Mann sprach. Wir hatten uns
gegrüßt, wenn wir uns zufällig begegneten, uns
gelegentlich höflich über das Wetter oder über
die Arbeit unterhalten. Doch das geschah nur, damit wir uns in
Klaudias Gegenwart nicht anschweigen mussten. Diesmal war es anders.
Wir redeten auch über das Wetter, die Arbeit, aber auch über
die Kinder, unsere früheren Freunde und zum Teil sogar über
uns selbst. Innerhalb dieser drei Flugstunden nährten Dominik
und ich uns wieder an und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit hatte
ich nicht mehr das Gefühl, dass sich eine unüberwindbare
Kluft zwischen uns erstreckte.
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Etwa zur gleichen Zeit stiegen meine beiden Töchter aus dem
Schulbus. Kaum hatte Kinga den Bus verlassen, wurde sie von einer
total aufgedrehten Klaudia überfallen. "Was machen wir
denn jetzt Ki? Wollen wir zusammen Ball spielen? Oder gucken wir
uns eine DVD an? Oh ja, lass uns eine DVD gucken. Und dazu machen
wir uns noch Popkorn und wir können unsere Pyjamas anziehen!"
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"Oh ja, am besten schauen wir auch noch "Plötzlich
Prinzessin", lackieren uns die Nägel und flechten uns
gegenseitig die Haare", stimmte Kinga übertrieben heiter
in Klaudias Begeisterung ein. "Und dann kichern wir den ganze
Tag und zählen auf, welchen Jungen wir in der Schule gaaanz
toll finden". Spätestens an dieser Stelle merkte Klaudia,
dass sie gerade von ihrer großen Schwester veräppelt
wurde.
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Schnell verschwand das aufgesetzte Grinsen von Kingas Gesicht
und sie funkelte ihre Schwester aus zusammengekniffenen Augen
an. "Nur damit wir uns von vorneherein richtig verstehen,
Giftzwerg, ich will die nächsten Tagen weder etwas von dir
hören noch sehen. Du solltest ja langsam gelernt haben, wie
man das Töpfchen benutzt und den Kühlschrank findest
du wohl alleine. Wenn du also nicht gerade in Flammen stehst,
dann solltest du mich lieber in ruhe lassen. Und kümmere
dich gefälligst um den blöden Köter. Ich hab keine
Lust, dass der vor meinem Fenster krepiert und in der Mittagssonne
vor sich hin gammelt. Haben wir uns verstanden?".
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Klaudia schaute ihre Schwester erschrocken aus weit aufgerissenen
Augen an, nickte dann aber. "Schön", antwortet
Kinga und lächelte plötzlich wieder wie ein Engel. "Ich
bin dann hinten am Pool. und du solltest inzwischen den Köter
waschen. Der hat sich wohl wieder mal in Rinder-Scheiße
gewälzt". Klaudia beobachtet wortlos, wie ihre Schwester
die Stufen zum Haus hinaufstieg. Sie kam sich gerade so furchtbar
dumm vor. Wie hatte sie auch nur eine Sekunde glauben können,
dass Kinga in den nächsten Tagen nett zu ihr sein würde,
geschweige denn sich Zeit für sie nahm? So wie es aussah,
sollte sie lieber die Tage zählen, bis irgendeiner der Erwachsenen
wieder zuhause war, um Kinga wenigsten etwas Einhalt zu gebieten.
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Klaudia war dafür einfach nicht stark genug. Wenn sie ehrlich
war, dann hatte sie Angst vor ihrer großen Schwester, auch
wenn sie es nicht gerne zugab. Sie sah, dass selbst ich nicht
mit Kinga fertig wurde, wie sollte sie dann erst ein Chance haben.
Also entschied sie sich, dass es das Beste wäre, wenn sie
einfach tat, was Kinga von ihr wollte. Es waren ja nur zwei Wochen,
solange konnte sie nach Kingas Pfeife tanzen. Und sich um Goya
zu kümmern war nun wirklich kein Drama. Das tat sie ohnehin
gerne.
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Aber sie musste schon zugeben, dass es ziemlich eklig war, Goya
zu baden, denn leider hatte Kinga mit ihrer Vermutung genau ins
Schwarze getroffen. "Goya, du böser Hund", schimpfte
Klaudia deshalb mit der Hündin, während sie versuchte,
die eingetrockneten Reste des Kuhfladen aus Goyas Fell zu kratzen.
"Du sollst doch nicht in den Kuhhaufen spielen. Mami hat
dir das doch schon so oft gesagt. Gibt es nicht genug anderen
Dreck, in dem du dich wälzen kannst?".
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Doch Goyas treuer Blick ließ ihr Herz sofort erweichen.
"Schau mich nicht so an, Goya", flechte Klaudia sie
an. "Du weiß ganz genau, dass ich dir so nicht böse
sein kann." Wahrscheinlich war genau das Goyas Trick. Und
mit ein wenig Seife und kräftigem Schrubben sah Goya bald
wieder ganz ansehnlich aus. Klaudia hatte die Hoffnung, dass der
Hund es wenigstens für die nächsten Tage schaffen würde,
einen Bogen um frische Kuhfladen zu machen.
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Kinga genoss es sichtlich vom Pool aus zuzusehen, wie ihre kleine
Schwester sich mit dem stinkenden Hund abmühte. Erst das
Klingeln ihres Handys ließ sie vom Beckenrand aufstehen
und sie nahm den eingehenden Anruf entgegen. "Hallo mein
dunkler Ritter", säuselte sie zur Begrüßung
in das Mobiltelefon. Es war ihr Freund Alexander, der sie anrief.
"Und, ist deine Alte endlich weg?", fragte er neugierig.
"Ja, für mindestens zwei Wochen. Ich wünschte,
ihr Flugzeug würde vom Himmel stürzen, dann wäre
ich sie endlich los." Beide begannen gleichzeitig fies zu
lachen. "Ich komme dann heute Nacht bei dir vorbei",
säuselte sie weiter, "also schmeiß deiner Omma
wieder so eine Schlaftablette rein und sorge dafür, dass
dein kleiner notgeiler Bruder nicht wieder spannt. Also bis heuet
Abend dann".
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Kinga hielt es nicht einmal für nötig, Klaudia bescheid
zu geben, dass sie über Nacht weg blieb. Klaudia wurde es
richtig unheimlich, als sie plötzlich ganz alleine im Haus
war. Draußen war es bereits dunkel und die Lampen im Haus
schienen auf einmal seltsame Schatten zu werfen und überall
knirschte und knackte es. Klaudia lief ein Schauer über den
Rücken und das Abendessen wollte ihr nicht so wirklich schmecken.
Immer wieder schaute sie sich ängstlich um. War da nicht
gerade ein Schatten am Fenster gewesen? "Das bildest du dir
alles nur ein", versuchte sie sich selbst einzureden. Ich
war noch nicht einmal 24 Stunden fort und bereits jetzt wünschte
Klaudia sich nichts sehnlicher, als sich an meine Brust schmiegen
zu können.
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Sie war eben doch erst zwölf. Ja, sie wurde langsam erwachsen,
aber sie war eben doch noch ein Kind. Und in diesem Moment hatte
sie einfach Angst allein in einem menschenleeren Haus schlafen
zu müssen. Also lief sie schnell nach draußen und holte
Goya aus ihrer Hundehütte. Diese schaute meine Tochter lange
Zeit misstrauisch an, bevor sie tatsächlich durch die Tür
schritt, denn sie wusste nur all zu gut, dass sie nicht ins Haus
durfte. Auch Klaudia wusste das, doch es war ihr egal. Mit Goya
an ihrer Seite fühlte sie sich einfach viel sicherer. Anders
hätte sie in dieser Nacht kein Auge zubekommen.
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