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Meine jüngste Tochter schlief in dieser Nacht zufrieden in
ihrem Bett bei Dominik. Und ich war fest davon überzeugt,
dass meine Älteste das auch in ihrem Bett in meinem Haus
tat. Doch weit gefehlt. Etwa gegen vier Uhr morgens hielt ein
Streifenwagen vor der Simlane und auf der Rückbank saß
niemand anderes als Kinga. Ein blonder Polizist stieg aus dem
Wagen und das Knallen der Autotür schreckte Goya auf, sodass
diese aus ihrer Hundehütte hinterm Haus laut bellend herbei
gerannt kam und mich aus dem Schlaf riss.
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Goya hörte auf zu bellen, als sie Kinga bemerkte, die bedrückt
aus dem Wagen stieg. Während der Polizist zur Haustür
schritt und dabei den Hund argwöhnisch beäugte, schlug
Kinga sich die Hände vors Gesicht und nutzte die Gelegenheit
um tief durchzuatmen und sich auch die Szene vorzubereiten, die
gleich folgen würde. Warum musste dieser blöde Polizist
auch ausgerechnet an der Ecke vorbei fahren, wo sie sich mit ihren
neuen Freunden getroffen hatte?
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Ohne weiter darüber nachzudenken lief ich im Schlafleibchen
zur Haustür, sobald ich den Polizisten und meine Tochter
durch das Fenster erkannt hatte. "Was ist passiert",
fragte ich ungeduldig, als ich die Tür öffnete und dem
Polizisten gegenüber stand. "Geht es meiner Tochter
gut?". "Keine Sorgen, gnädige Frau, ihrer Tochter
fehlt nichts", versicherte mir der Polizeibeamte. "Ich
habe sie lediglich dabei erwischt, wie sie zusammen mit einigen
üblen Typen nicht weit von hier entfernt in einer alten Scheune
herumlungerte. Und da ihre Tochter gerade erst vierzehn ist, musste
ich sie umgehend zurück nach Hause bringen".
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Der Polizist verabschiedete sich und Kinga und ich gingen ins
Haus. Ich war wütend auf meine Tochter, ich war wirklich
wütend. Wie konnte sie einfach so mitten in der Nacht abhauen,
ohne auch nur bescheid zu sagen? Es hätte ihr doch alles
Mögliche passieren können. "Du kannst doch nicht
einfach so abhauen!", fuhr ich sie an. "Kinga, was ist
bloß los mit dir?". Es war nicht nur die Angst, dass
ihr etwas hätte passieren können. In diesem Moment entlud
sich auch mein Ärger über ihr verhalten mir gegenüber,
der sich in den letzten Wochen immer weiter in mir angestaut hatte.
"Und mit was für üblen Typen hast du dich da eingelassen?",
brüllte ich sie weiter an.
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"Farina und Alex sind überhaupt keine üblen Typen!
Die von der Polizei haben voll den Knall! Nur weil jemand sich
von der Masse absetzen will ist er in deren Augen gleich ein Krimineller.
Die beiden sind mein Freunde", brüllte Kinga ebenso
laut zurück. "Und außerdem kann ich doch wohl
selbst entscheiden, mit wem ich mich treffe! Was geht dich das
denn an?!". "Ich bin deine Mutter!", schrie ich
sie an. "Du bist noch ein Kind, Kinga, und du hast dich gefälligst
an Regeln zu halten. Wenn du weg gehst, dann will ich das wissen
und ich will auch wissen, mit wem du dich triffst!"
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"Gar nichts werde ich dir sagen", schrie sie zurück
und rannte zur Tür, die ins Esszimmer führte. "Bleib
gefälligst stehen und sieh mich an", forderte ich sie
auf und Kinga drehte sie tatsächlich um. "Sonst was?",
bluffte sie mich an. "Wirst du mich sonst bei Papa verpetzen?
Oh, entschuldige ich vergaß, ich hab ja gar keinen Vater
und das ist alles nur deine Schuld. Dank dir konnte ich meinen
leiblichen Vater nie kennenlernen und Papa hast du auch aus dem
Haus vertrieben. Du hast alles kaputt gemacht, also lass mich
einfach in Ruhe. Ich hasse dich und daran bist ganz alleine du
schuld!"
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Mit diesen Worten drehte sie sich um und marschieret entschlossen
in ihr Zimmer. Dass sie dort auch angekommen war, konnte ich deutlich
am Knallen der Tür erkennen. Erschöpft rieb ich mir
meine Schläfen und blieb vor dem Fenster im Arbeitszimmer
stehen. Die Wüste war ruhig wie jeden Abend und ich wünschte
mir inständig, dass diese Ruhe auch wieder in der Simlane
einziehen könnte. Ich konnte Kinga verstehen, dass sie sauer
auf mich war. Mir die Schuld an allem zu geben war ihr gutes Recht.
Aber sie musste auch einsehen, dass wir nach vorne Blicken mussten.
Was geschehen war, war geschehen. Dominik war fort, aber das Leben
würde trotzdem weiter gehen.
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Ich ahnte nicht, dass Kinga bittere Tränen weinte, als sie
alleine in ihrem Zimmer war. Wieder einmal drehte sie die Musik
voll auf, aber auch das konnte den Schmerz in ihrem Herzen nicht
vertreiben. Die Wut, die sich mir gegenüber empfand war einfach
so stark und ließ sich nicht unterdrücken. So oft hatte
sie sich vorgenommen, mir zu verzeihen, aber es ging einfach nicht.
Der Zorn war stärker als sie. Und Alex und Farina schafften
es irgendwie, sie von ihrem Zorn und ihrem Schmerz abzulenken.
Warum konnte das bloß niemand verstehen?
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Wieder einmal durchlebte ich eine rastlose Nacht. Inzwischen war
dieser Zustand ja fast schon zur Gewohnheit geworden. Da Sonntag
war, machte ich mich früh morgens auf den Weg zur Kirche.
Auf meinem Heimweg bemerkte ich, dass Brandi, Rolands Frau, vor
dem Haus wartete. Eine Welle schlechten Gewissens übermannte
mich. Roland und ich hatten in den letzten Wochen die Grenze zur
Freundschaft gefährlich weit überschritten. Aber es
war nie etwas passiert, von dem einen kleinen Kuss am Strand einmal
abgesehen. Also schob ich meine Bedenken beiseite und begrüßte
meine Freundin.
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Doch irgendetwas bedrückte sie. Schon bei meiner Umarmung
zur Begrüßung bemerkte ich, wie sie sich versteifte
und ihr Blick sagte eindeutig, dass ihr etwas auf dem Herzen lag.
Sie atmete tief durch und begann dann zögerlich zu sprechen:
" Oxana, ich...irgendetwas muss zwischen Roland und dir vorgefallen
sein". Meine Augen weiteten sich geschockt und damit nahm
ich mir jede Chance, mich geschickt aus der Affäre ziehen
zu können. "Seitdem ihr beide den Ausflug zum Meer gemacht
habt, verhält er sich anders mir gegenüber. Und ich...ich
weiß auch woran das liegt".
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"Er liebt dich, Oxana. Das hat er schon so lange, wie ich
ihn kenne. Versuch gar nicht, es abzustreiten. Ich habe es immer
gewusst." "Zwischen uns ist nichts passiert", versicherte
ich ihr eilig und sie nickte bloß. "Ich weiß.
Wäre es anders, wäre ich nicht hier. Aber er liebt uns
beide, Oxana. Und ich fürchte, dich liebt er ein Stück
mehr als mich". Ich sah Brandi lediglich hilflos an. Ich
wusste nicht, was ich erwidern konnte. Immerhin wusste ich, dass
sie Recht hatte. Roland liebte mich. Das hatte er mir schon vor
so vielen Jahren gestanden und wenn ich sein...nein unser Verhalten
der letzten Wochen betrachtete, dann wusste ich, dass es immer
noch so war.
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"Ich bitte dich Oxana, nimm ihn mir nicht weg". Brandi
war den Tränen nahe. Sie starrte auf den Boden und krampfte
ihre Hände zusammen. "Ich liebe ihn so sehr und wir
sind glücklich. Wir haben zwei kleine Kinder! Ich flehe dich
an, geh auf Abstand zu ihm. Ich weiß, dass ich gegen dich
nicht gewinnen könnte. Wenn du es zulässt, dann wird
er sich für dich entscheiden. Und gerade du...du musst doch
wissen, wie furchtbar es ist, den Mann zu verlieren, den man liebt.
Tu mir das nicht an. Bitte". Ihre Stimme zitterte und zum
Schluss war sie kaum mehr als ein Flüstern.
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Wortlos standen wir uns gegenüber. Brandis Blick war voller
Angst und sie zitterte am ganzen Körper. "Ich verspreche
es dir", hauchte ich schließlich und es war, als ob
eine riesige Last von Brandis Schultern gefallen wäre. "Ich
danke dir", antwortete sie schluchzend. Anschließend
dreht sie sich um und schritt in Richtung ihres Hauses am anderen
Ende der Stadt.
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Kaum war Brandi außer Sichtweite, ließ ich mich benommen
auf der staubigen Treppe nieder. Auch ich zitterte am ganzen Körper.
Ich musste Brandi versprechen, mich von Roland zu distanzieren.
Wie hätte ich ihr das verweigern können? Sie war seine
Ehefrau und ich hatte kein Recht mich zwischen sie und Roland
zu drängen. Das hatte ich bereits bei Albert und Gerda zugelassen
und ich hatte mir geschworen es nie wieder zuzulassen. Ich verstand
selber nicht, warum ich in diesem Fall nicht schon viel früher
die Notbremse gezogen hatte. Vielleicht, weil Roland mir so verdammt
gut tat. Und jetzt würde ich ihn erneut als Freund verlieren.
Aber es war nötig, zumindest so lange, bis wir beide uns
zufrieden damit geben konnten, nur Freunde zu sein.
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Am Abend brachte Anan Klaudia wieder von Dominik zurück.
Meine kleine Tochter begrüßte mich überschwänglich
und plapperte gleich drauf los, was sie alles zusammen mit Dominik
unternommen hatte. Die beiden waren heute sogar zu den Bohrtürmen
gefahren, damit Klaudia sich den Arbeitsplatz ihres Vaters ansehen
konnte. "Was hältst du davon, wenn wir zwei morgen auch
weg fahren?", schlug ich vor und küsste mein Pummelchen.
"Ich hatte dir doch einen tollen Ausflug versprochen. Lass
uns für ein paar Tage Richtung Norden in die Berge fahren.
Hättest du Lust dazu?"
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Klaudias Augen begannen zu leuchten. "Gibt es da auch Schnee?"
fragte sie aufgeregt. "So richtigen wie im Fernsehen?".
Ich musste lachen. Immer wieder vergaß ich, dass mein Pummelchen
bis jetzt nur die Wüste kannte. Schnee war etwas komplett
Unbekanntes für sie. Selbst Kinga hatte erst ein oder zwei
Mal in ihrem Leben Schnee erlebt. "Ich kann es nicht versprechen,
aber wir haben November, da ist es schon möglich, dass es
in den Bergen schneit".
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Begeistert hüpfte Klaudia auf und ab. "Schnee, ich werde
Schnee sehen!", sang sie dabei fröhlich vor sich her.
"Wenn ich das Irmgard, Beate und Mechthild in der Schule
erzähle. Die werden Augen machen." Doch dann hielt sie
inne. "Aber wir können gar nicht weg", quiekte
sie entsetzt. "Ich habe doch morgen Schule!". Ich zwinkerte
ihr schmunzelnd zu. "Ich denke, es wir schon in Ordnung sein,
wenn du ein paar Tage fehlst. Du hattest halt einen gaaaaanz schlimmen
Sonnenstich. Aber du darfst dich bloß nicht bei deiner Lehrerin
verplappern.''
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"Kommt Ki denn auch mit?", fragte Klaudia und ich wusste
nicht ob ich ihrem Tonfall entnehmen sollte, dass sie ihre Schwester
dabei haben wollte oder eher nicht. Ich schüttelte aber zur
Antwort mit dem Kopf und Klaudia fragte auch nicht weiter nach.
Ich hatte Kinga gefragt, aber mehr als ein spöttisches Lachen
erhielt ich nicht als Antwort. Da wir morgen früh gleich
los wollten, packten wir unsere Sachen zusammen. "Wo ist
den mein Wintermantel?", fragte Klaudia besorgt und begann
in ihren Schubladen zu kramen. Tja, das war ein gute Frage, aber
wann brauchten wir in der Sierra Simlone schon Winterkleidung?
Aber zum Glück fand sich der Mantel doch noch, ganz tief
versteckt unter einem Berg sommerlicher Kleidung.
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