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Ja es stimmt, wir waren jetzt 10 Jahre älter. Ich war jetzt
35 und Roland zwei Jahre älter. In den Augen unserer Kinder
waren wir sicher schon uralt, aber so fühlten wir uns nicht.
Wir gingen nicht jeden Abend aus, aber wir unternahmen oft etwas.
Manchmal kamen Tristan und Brandi mit, doch meist zogen Roland
und ich allein los. Roland konnte immer noch so gut tanzen, wie
früher. Auch Dominik war ein guter Tänzer, aber Roland
war eine Klasse für sich. Und so machten wir ein ums andere
Mal die Tanzfläche im Club Simszone oder im Pink Lips unsicher.
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Und manchmal machte es Spaß, einfach eine oder zwei Cocktails
zu schlürfen und den anderen Bewohnern von Sierra Simlone
Stadt und Umgebung beim Tanzen und Feiern zu zusehen. Und da gab
es durchaus einiges zu entdecken. Bei manchen Tänzern fragte
man sich, ob sie sich noch nie selbst tanzen gesehen haben, wobei
man die Verrenkungen kaum Tanzen nennen konnte. Wieder andere
hatten es echt drauf und ich erkannte, dass selbst Roland ab und
zu einen neidischen Blick auf die Tänzer warf.
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"Zu Schade, dass Brandi nie mit mir hier hin will".
Roland musste laut schreien, damit ich ihn trotz der lauten Musik
verstehen konnte. Ich nippte ein weiteres Mal an meinem Long Island
Icetea. Der Alkohol brennte auf meiner Zunge und ich genoss dieses
Gefühl einen kurzen Moment lang. Ich hatte es nicht beabsichtigt,
aber plötzlich kam eine sentimentale Stimmung in mir auf.
Die Musik, die Cocktails....das alles erinnerte mich an meinen
Ehemann. "Dominik und ich waren oft hier. Wir haben getanzt,
ein paar Cocktails getrunken und im Hinterzimmer Billard gespielt.
Ach Roland", ich seufzte tief , "ich vermisse ihn. Ich
vermisse ihn wirklich".
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Roland starrte geradeaus auf die Tanzfläche. Leider viel
ihm nichts Passendes ein, um mich wieder aufzuheitern. "Ich
möchte jetzt nach Hause Roland", erklärte ich bekümmert
und stellte mein Glas auf die Theke. Beim vorbeigehen streifte
ich Roland am Rücken und zog ihm am Hemd hinter mir her.
"Na gut, dann lass uns aufbrechen. Es ist ohnehin schon spät
und ich muss morgen Mittag in Seda Azul sein". Roland leerte
sein Glas in einem Zug und folgte mir dann anschließend
hinaus an die frische Luft.
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"Ist alles in Ordnung, Oxana?", fragte Roland besorgt,
als wir vor dem Club standen. Die Musik drang immer noch gedämpft
durch die verschlossene Tür an mein Ohr und der Gedanke an
Dominik ließ mich einfach nicht los. Ich wünschte mir
so sehr, dass er jetzt hinter mir stehen und mich in seine Arme
schließen würde. Doch er würde nicht kommen und
ich würde mich wieder einmal alleine in mein großes
Bett legen müssen. Doch ich wollte nicht auch noch Roland
den Abend verderben und redete mich mit einem "Ja, alles
okay" heraus.
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Doch so okay war es nicht. Nicht nur, dass ich deprimiert war,
an der frischen Luft merkte ich, dass der letzte Cocktail wohl
doch einer zu viel gewesen war. Auf meinen hohen Absätzen
kam ich ins wanken und stolperte auf Roland zu. "Da hat wohl
jemand einen kleinen Schwips", lacht er und ich musste unweigerlich
mit einstimmen. Doch dann traf mein Blick den von Roland. Es war,
als ob mein Herz für einen Moment aussetzten würde.
Diese wundervollen grauen Augen strahlten mich an und ich erkannte
darin einen Glanz, den ich schon oft gesehen hatte, allerdings
nicht in Rolands Augen, sondern in den Augen meines Mannes.
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Es war nicht das erste Mal, dass Roland mich auf diese Weise ansah,
aber es war das erste Mal, dass ich es wahrnahm. Selbst als ich
vor einigen Jahren mit meinem besten Freund geschlafen hatte,
habe ich nicht bemerkt, mit welchem Blick er mich ansah. Und jetzt
sah ich es und ich wollte, dass er mich weiterhin so ansah, dass
er mich begehrte...mich liebte. Ich schloss meine Augen und kam
mit meinen Lippen den seinen immer näher. Doch bevor unsere
Lippen sich treffen konnten, schob mich Roland sanft aber bestimmt
zurück. "Du...du hast wohl doch mehr als einen kleinen
Schwips, Oxana", stammelte Roland. "Ich...wir sollten
jetzt lieber gehen. Du gehörst jetzt wirklich ins Bett".
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"Mami, Mami!" Klaudias Ruf riss mich aus dem Schlaf.
Erschrocken öffnete ich meine Augen und starrte meine Tochter
an. "Ist etwas passiert?", fragte ich besorgt. Meine
Stimme hörte sich rau an und ich merkte, dass der Raum um
mich herum sich immer noch drehte. "Nein, aber es ist schon
Morgen", entgegnete Klaudia. "Ich muss gleich zur Schule
und niemand ist da, der mir was zu Essen machen kann". "Was
ist mit Kinga?", fragte ich sichtlich genervt und warf mich
wieder auf das Kissen zurück. "Die ist schon los gegangen",
erklärte Klaudia bekümmert. "Sie trifft sich mit
irgendwelchen neuen Freunden und geht dann mit denen zur Schule".
Meine Augenlider wurden wieder schwerer und ich merkte, dass ich
jeden Moment wieder einschlafen würde. "Mami ist heute
sehr müde, Pummelchen. Sei ein liebes Mädchen und nimm
dir einfach einen Schokoriegel aus dem Kühlschrank".
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Ich hörte nur noch, wie sich die Tür zu meinem Schlafzimmer
schloss und schon war ich wieder eingeschlafen. Sofort überkam
mich ein unruhiger Traum. Ein Traum von Roland und mir, wie wir
beide vor dem Club stehen und uns anschauen. Und diesmal schob
er mich nicht beiseite. Nein, er zog mich zu sich heran und küsste
mich. Es war ein Traum, der mich auf der einen Seite furchtbar
erschreckte, auf der anderen Seite wollte ich nie wieder aufwachen.
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Traurig schlich Klaudia zurück in ihr Zimmer. Einen Schokoriegel
sollte sie essen? Zum Frühstück? Normalerweise hätte
sie sich gefreut, wenn ich ihr erlaubte, Süßes zu essen.
Nicht, dass ich es ihr sonst verbieten würde, aber wie jedes
Kind aß sie mehr Süßigkeiten, als gesund für
sie waren. Aber heute wollte sie sich nicht darüber freuen.
Es ging ihr doch gar nicht um das Essen. Was sie wollte war, dass
ich als ihre Mutter aufstand und für sie das Essen machte,
dass wir zusammen am Küchentisch sitzen konnten und sie mir
von ihren Abenteuern in der Schule erzählen konnte. Stattdessen
würde sie wieder einen Morgen allein verbringen. Es war nicht
das erste Mal, dass ich keine Zeit für sie hatte und inzwischen
hatte sie auch gelernt, sich in solch einer Situation selbst zu
versorgen. Aber glücklich war sie darüber nicht.
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Als ich wach wurde, war es draußen längst hell. Ein
Blick auf die Uhr sagte mir auch, dass ich eigentlich schon längst
hätte auf den Feldern sein müssen. Eilig kroch ich unter
der Decke hervor, schnappte mir meine Arbeitskleidung und machte
mich auf den Weg ins Bad. Ich hatte gestern nicht viel getrunken,
aber eindeutig zu schnell. Und die letzten Minuten im Club waren
nur undeutlich in meinem Gedächtnis verblieben. Ich stand
mit Roland oben auf der Galerie und beobachtete die Tänzer.
Und dann ist alles verschwommen, fast wie in einem Traum. Wir
stehen vor dem Club und kommen uns näher... War das wirklich
passiert oder hatte ich das nur geträumt? Ich wusste es nicht.
Und ich war mir nicht sicher, ob ich es wissen wollte. Roland
war immerhin mein bester Freund ...und er war verheiratet.
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Schnell sprang ich unter die Dusche und machte mich fertig, um
zu den Rindern raus zu fahren und auf der Plantage nach dem Rechten
zu sehen. Goya begleitete mich dabei wie an jedem Morgen. "Vermisst
du dein Herrchen auch?", fragte ich meine Hündin, als
ich den wehmütigen Blick in ihren Augen bemerkte. Wahrscheinlich
war es reine Einbildung, aber fast schien Goya zu nicken. Liebevoll
kraulte ich sie hinterm Ohr. "Aber er wird nicht zurückkommen,
oder?". Goya blickte mich immer noch mit ihren großen
Augen an und legte die Ohren an. "Nein, das wird er nicht."
Und ich sollte mich endlich damit abfinden, fügte ich im
Stillen hinzu, und mich möglicherweise für etwas Neues
öffnen.
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Als Klaudia am Nachmittag von der Schule kam, fand sie wieder
einmal ein leeres Haus vor. Kinga war nicht da, wie so oft in
letzter Zeit. Aber was hätte es für einen unterschied
gemacht, wenn ihre große Schwester da gewesen wäre?
Sie hätte sich eh nur in ihrem Zimmer eingeschlossen und
die Musik laut aufgedreht. Bekümmert setzte Klaudia sich
an ihr Puppenhaus, in dem ihre perfekte Familie lebte. Eine Familie
mit einer Mutter, einem Vater und zwei Schwestern. Hier redeten
alle miteinander. Sie aßen zusammen, spielten zusammen,
lachten zusammen. Es war nicht so, wie bei ihr zu Hause, wo jeder
für sich alleine war. Sonst machte es Klaudia immer Spaß,
in diese Phantasiewelt zu versinken, aber heute wollte ihr nicht
einmal das mehr richtige Freude bereiten.
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Die Tage und Wochen vergingen und dann war der Tag gekommen. Schon
als ich den Briefträger von weitem sah, wusste ich, dass
er mir die Nachricht bringen würde vor der ich mich so fürchtete,
die ich aber auch herbei wünschte. Denn dann wäre es
offiziell und ich könnte mein Leben weiter leben, auch ohne
Dominik.
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Ich las den Brief sicher ein paar duzend Mal. Er war nicht lang,
nur ein paar Zeilen meines Anwalts, dass die Scheidung nun offiziell
war. Ich war nicht mehr länger verheiratete. Ich war nicht
länger Oxana Blech. Ab dem heutigen Tag war ich wieder Oxana
Brodlowska. Die Erleichterung, die ich mir erhofft hatte, trat
nicht ein. Eher im Gegenteil. Ich fühlte mich nur leer; einsam
und leer.
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"Und du willst echt nicht ins Meer, Oxana? Schau wie wunderbar
blau es ausschaut". Roland blickte sehnsüchtig hinaus
auf die Wellen, die man gerade noch so über den Poolrand
hinaus erblicken konnte. "Mir ist das einfach viel zu salzig",
erklärte ich ihm jetzt zum dritten Mal. "Aber wenn du
unbedingt willst, komme ich mit zu Strand. Nur ins Wasser bekommst
du mich dann nicht". Roland schien einen Moment über
meinen Vorschlag nachzudenken, doch als einzige Antwort spritzte
er mir mit einer schnellen Handbewegung Wasser ins Gesicht und
schwamm lachend eilig davon. Ich hatte ihn angerufen, nachdem
ich den Brief von meinem Scheidungsanwalt bekommen hatte und Roland
schlug vor, lieber ans Meer nach Sead Azul zu fahren, als im Trübsal
zu versinken.
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Und anstatt zu betrauern, dass eine Lebensabschnitt vorbei ging,
riet er mir dazu, lieber auf einen Neubeginn anzustoßen.
Eigentlich war mir immer noch nicht nach Feiern zumute, aber Roland
schaffte es mich in Windeseile davon zu überzeugen, dass
ein Glas Sekt jetzt genau das Richtige war. Und bei dem Ausblick,
der sich uns von der Terrasse des Cafés bot, mit der frischen
Brise, die vom Meer herüber wehte, und den warmen Sonnenstrahlen,
die meine Haut kitzelten, konnte ich gar nicht anders, als glücklich
zu sein.
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Verträumt blickte ich aufs Meer hinaus und beobachtete die
Möwen, als Roland seinen Arm über den Tisch schob und
nach meiner Hand griff. "Du trägst deinen Ehering immer
noch", stellte er mehr fest, als das er fragte und fuhr mit
seinen Fingerkuppen den goldenen Ring an meinem Finger ab. Ich
nickte zögerlich. "Ich konnte ihn bis jetzt nicht abnehmen".
"Das verstehe ich", entgegnete Roland, "aber findest
du nicht, dass jetzt die richtige Zeit wäre, ihn weg zu legen?".
Roland hatte Recht. Ich sollte mich ganz von der Vergangenheit
lösen. Dazu gehörte auch dieser Ring. Und das würde
ich auch tun. Aber im Moment genoss ich es nur, dass Roland sanft
meine Hand streichelte.
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Wir blieben noch lange in dem Café sitzen, aßen etwas
und unterhielten uns. Roland war zwar nur ein paar Straßen
weiter gezogen, aber dennoch hatte sich unsere Freundschaft nach
seinem Auszug verändert. Sie war längst nicht mehr so
innig gewesen, wie zu unseren WG-Zeiten. Und in den letzten Wochen
und ganz besonders jetzt, in diesem Moment, war es, als ob wir
wieder zusammen leben würden, als ob Roland gerade erst in
die Simlane gezogen wäre. Und wie damals setzten wir uns
auf den warmen Boden und schauten in die Sterne. Nicht etwa schweigen,
nein, sondern fröhlich plappernd wie in alten Tagen.
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